Читать книгу Gefährliche Elemente - Sonja Wuthrich - Страница 8
Gregorys harte Landung
ОглавлениеEhrlich gesagt verstand Gregory die Welt nicht mehr. Es war ihm zwar unangenehm gewesen, dass seine Stiefcousine früher in ihn verknallt gewesen war und ihn mit ihren goldbraunen grossen Augen angehimmelt hatte wie ein Reh. Aus Bambi war aber inzwischen ein zähnefletschendes, giftspeiendes und vor allem feindseliges Raubtier geworden, das anscheinend nicht mehr zum Team Gregory gehörte. Die Augen waren zwar immer noch golden, aber sonst war es mit der Ähnlichkeit mit Bambi eindeutig vorbei. Er staunte nicht schlecht, denn eigentlich wollte er sie nur ein wenig von sich fernhalten mit seiner Show und dem arroganten Getue gestern. Nur in die Schranken weisen und nicht zu seiner Feindin machen. Gerade jetzt brauchte er unbedingt Freunde, um das Senior Jahr hier ohne grössere Katastrophen zu überstehen. Er brauchte Leyla unbedingt in seinem Team und ehrlich gesagt wollte er sie auch um sich haben.
Er wusste selber nicht so genau, warum er sich so abweisend verhalten hatte. Wahrscheinlich machten ihm seine aufkeimenden Gefühle für sie, die er nicht an die Oberfläche kommen lassen wollte, eine Heidenangst. Er hatte keine Lust, wieder zum finsteren Aussenseiter zu werden wie in der letzten Schule. In Gedanken versunken räumte er sein Zeugs in seinen Spind, wurde aber von der angaloppierenden Natalie aus seinen Gedanken gerissen. Sie strahlte und redete ohne Unterlass auf ihn ein, erzählte ihm dies und jenes Geheimnis über Mitschüler. Trotz der Ablenkung versuchte Gregory herauszubekommen, was der Typ am gegenüberliegenden Spind von Leyla wollte. Er konnte leider nicht verstehen, was die beiden sich zu erzählen hatten. Der Typ schien aber eindeutig etwas mit Leyla im Sinn zu haben, so wie er sie ansah. Er war wahrscheinlich der Basketballstar der Schule, so wie er aussah und so wie ihn alle Mädels anstarrten, die vorbeigingen. Gregory war nicht klar warum, aber es störte ihn ungemein, dass Leyla anscheinend ihre Schwärmerei für ihn überwunden hatte und, so wie es aussah, auch schon einen recht ernstzunehmenden Ersatz für ihn gefunden hatte. Sie sah wirklich verdammt gut aus, von dem kleinen Mädchen mit der Zahnspange war nichts mehr zu erkennen. Ok, klein war sie immer noch, aber das störte ihn nicht. Sie war klein und zierlich mit widerspenstigem dunklem, fast schwarzem Haar und den besagten goldbraunen Reh- oder Raubtieraugen, je nachdem wie nett oder eben blöd sie wohl jemanden fand. Ihr Gesicht war oval und sie hatte den südländischen Teint ihres Vaters geerbt. Früher hatte er sie immer mit ihren Sommersprossen aufgezogen. Die waren aber inzwischen leider beinahe alle verschwunden. Er spürte Natalies Arm auf seiner Schulter und wurde aus seinen Gedanken gerissen. Leyla hob den Kopf und ihre Blicke trafen sich für einen kurzen Moment. Es war alles wieder wie früher, er war der Cowboy und sie die Indianerin, die vom Holzpferd geschossen wurde. Schnell wandte er seinen Blick von ihr ab und folgte Natalie ins Klassenzimmer.
Die Lehrerin Mrs. Perry, eine ältere etwas übergewichtige Dame, stellte ihn der Klasse vor, was mit Buhrufen von ein paar nach Schlägertypen aussehenden Jungs kommentiert wurde. Das war ja toll.
Gregory fühlte sich ironischerweise wie zuhause. Ein anderer Kontinent, aber er schien diese Situationen anzuziehen. Blieb nur zu hoffen, dass sie hier nicht auch ausser Kontrolle gerieten.
Mrs. Perry drohte den Randalierern mit Konsequenzen und forderte ihn auf, sich einen freien Platz zu suchen. Er setzte sich neben Natalie, was ein weiteres Buhkonzert zu Folge hatte.
Die erste Stunde hatten sie Mathe. Da er den Stoff bereits kannte und dadurch vor allen anderen mit den gestellten Aufgaben fertig, sah er sich die Klasse unauffällig etwas genauer an. Da waren vier gutaussehende Mädchen dabei, die wohl allesamt Cheerleaderinnen zu sein schienen. Drei graue Mäuse, die alle auf derselben Seite des Klassenzimmers sassen. Eine dunkelhaarige Schönheit, die ganz alleine an einem Pult sass und einen unnahbaren Eindruck machte. Die obligaten Jungs vom Basketballteam. Alle so gross, dass sie beinahe nicht hinter ihre Pulte passten. Leylas neuer Lover war auch dabei und warf ihm einen neugierigen Blick zu. Mein Gott, er sah aus wie ein männliches Model, kein Wunder, das er Leyla gefiel. Gregory schüttelte ungläubig den Kopf, war er etwa eifersüchtig? Natürlich nicht!
Er fuhr fort mit seiner Inspektion. Auf der anderen Seite des Klassenzimmers sassen wohl die Bad Boys. Die musste er sich genauer ansehen, denn da lag mit Sicherheit sein Problempotenzial in dieser Schule und nicht bei Mr. Model.
Da war der Hüne mit den raspelkurzen blonden Haaren und den hellblauen, wässrigen Augen, der am lautesten gebuht hatte. Wie ein wahrer Bulle mit Stiernacken. Gregory musste ein Grinsen unterdrücken. Da war ein grimmig dreinblickender Typ mit fast schwarzen Haaren, die ihm wie Stacheln zu Berge standen und fast schwarzen Augen wie ein Rabe. Er trug ein ärmelloses Baskerballshirt und hatte ein Tattoo auf dem Oberarm. Es sah aus wie eine Flamme. Er liess konstant die Muskeln seines Bizepses spielen. Die anderen beiden waren seiner Meinung nach weniger gefährlich, da es sich eher um Mitläufer zu handeln schien.
Endlich war die Stunde vorbei und Gregory hoffte auf einen etwas interessanteren Unterricht.
Leider wurde es nicht besser, da eine Stunde Sexualkunde mit dem Thema Verhütung anstand. Was natürlich besonders die Bad Boy Ecke zu Höheflügen des Unsinns anstachelte. Das Teaching Team, das dieses Fach den meist schon achtzehnjährigen Teenagern vermitteln sollte, was an und für sich bereits lächerlich war, bestand aus zwei jungen, eher weiblich wirkenden Männern. Sie wirkten sehr intellektuell und mitnichten volksnah und hatten in der Tat nicht die geringste Chance, ihre Anliegen der Klasse vernünftig näher zu bringen. Insbesondere die Übung, ein Kondom korrekt zu benutzen, welches anhand von Übungsobjekten in Form von in der Klasse verteilten hölzernen Bananen erlernt werden sollte, ging in obszönem Gegröle und Gelächter unter. Die Bad Boy Ecke war ausser Rand und Band und pöbelte die Cheerleaders an. Vor allem schien der blonde Hüne mit der raspelkurzen Haarpracht ein Problem mit Natalie zu haben und machte sie ziemlich unangebracht mit seiner Holzbanane an.
Gregory versuchte, die Situation in den Griff zu bekommen und zu vermitteln, geriet dann aber selber zwischen die Fronten. Der Blonde wollte ihm gerade die Fresse polieren, als die beiden Lehrer mit Wasserpistolen auf die ausser Rand und Band geratenen Schüler schossen. Die Menge des Wassers war beträchtlich, wie von regelrechten Wasserwerfern. Die Streithähne fuhren auseinander und flüchteten vor dem Wasserstrahl.
Die Teaching Team Lehrer wirkten wie zwei Ausserirdische mit Space guns, wie sie so da standen, mit ihren Brillen und den ernsten Gesichtern. Gregory grinste innerlich vor sich hin.
„Das wird Konsequenzen haben, diese Klasse ist untragbar“, donnerte einer der Lehrer und die beiden verliessen federnden Schrittes das Klassenzimmer. Es folgte ein betretenes Schweigen und alle blieben einen Moment klatschnass sitzen. Zum Glück ertönte die Pausenglocke und die klatschnassen Schüler verliessen das Klassenzimmer. Die Schüler der anderen Klassen blieben stehen und schauten ihnen tuschelnd nach. Natalies Gesicht hatte anscheinend am meisten abgekriegt. Sie sah aus wie ein Zombie, ihr Augen Makeup lief ihr in schwarzen Striemen übers Gesicht und ihr Lippenstift war verschmiert. Sie sah einmal mehr aus wie der Joker aus Batman.
Gregory griff nach einer Box mit Kleenex Tüchern, die auf dem Flur herum stand und wollte ihr diese reichen, als er hart von dem blonden Hünen zur Seite gestossen wurde. „Was macht du mit diesem Freak, Nat? Kannst es wohl kaum erwarten, mit ihm die Bananensache auszuprobieren, was, du Schlampe.
Schau dich an, du siehst aus wie eine Nutte, was ist bloss aus dir geworden.“
Er versuchte ihr eine der hölzernen Bananen, die er aus dem Klassenzimmer mitgenommen hatte, an den Kopf zu werfen.
Gregory fing die Banane auf und hob beide Hände. „Whoa, hey Kumpel, beruhige dich, sie hat nichts getan, was dich aufregen sollte.“ Der Typ gab keine Antwort und schien mit seinen Kumpels davonzugehen. Dann drehte er sich abrupt um und landete einen gezielten Faustschlag auf Gregorys Nase, die sofort stark zu bluten begann. Gregory fiel wie ein Baum um und blieb benommen liegen. Natalie schrie hysterisch auf und flatterte wie ein aufgeregtes Huhn durch den Flur. Die Bad Boys gingen lachend davon und der Blonde prahlte, wie er es diesem Freak gezeigt habe, der sein Mädchen angegrabscht habe. Natalie schrie ihm hinterher, sie sei nicht sein Mädchen und er sei ein aggressives Arschloch. Gregory lag auf dem Schulflur und sah alles wie durch einen milchigen Nebel.
Er fühlte eine unaufhaltsame Wut in sich aufsteigen wie eine riesige lodernde Flamme und sein einziger Gedanke war: nein, nicht schon wieder.
Die Bad Boys lachten und waren schon etwa zehn Meter entfernt, als die Kleider des blonden Hünen in Flammen aufgingen. Er schrie auf und versuchte, die Flammen auszumachen. Seine Kumpels warfen ihre Jacken auf ihn und erstickten die Flammen schliesslich.
Im allgemeinen Durcheinander fiel niemandem auf, dass der Blick des Schwarzhaarigen mit der Stachelfrisur interessiert zu dem am Boden liegenden Gregory wanderte. Natalie flatterte mit den Armen und rannte hysterisch schreiend um Gregory herum und ihre Freundin Mila versuchte, sie zu beruhigen. Sie warf Aiden, dem schwarzhaarigen Typen, einen fragenden Blick zu und ihre Blicke fielen gleichzeitig auf Gregory.
Leyla war mit Brooklyn auf dem Rückweg von der Turnhalle, als sie den Tumult im Schulflur hörten.
Sie sahen, dass Gregory am Boden lag mit blutender Nase und Leyla rannte schnell zu ihm. Vergessen war sein Auftritt von gestern, sie hatte nur noch Angst um ihn. Als sie ankam, war er aber bereits unterwegs in Richtung Sanitätsraum in Begleitung von Natalie und Mila. Er hielt sich mit einem Taschentuch die blutende Nase und warf ihr einen ziemlich unglücklichen Blick zu, dann verschwand er mit seinen beiden Begleiterinnen um die Ecke. Leyla ging zurück zu Brooklyn, welche unverwandt zu den Bad Boys starrte. „Was war denn hier los?“ wollte Leyla wissen.
„Du wirst es nicht glauben, aber Jasons Kleider haben gebrannt, nachdem er Gregory geschlagen hat. Seine Kleider sind sozusagen in Flammen aufgegangen und brannten anscheinend lichterloh.“
Leyla kapierte nichts mehr: „Ich versteh das nicht, was ist passiert? Warum hat er Gregory geschlagen und ist Jason verletzt? Was hat Gregory getan, damit Jasons Kleider gebrannt haben?“ Brooklyn zuckte die Schulter. „Keine Ahnung, ich weiss nur, dass Jason ein Arsch ist. Gregory hatte sicher nichts mit dem Feuer zu tun, er lag ja blutend auf dem Boden.“
Leyla nickte abwesend, irgendwie wurde sie aber das Gefühl nicht los, das Gregory etwas mit dem Feuer zu tun hatte. Das Ganze war wie ein Déjà-vu tief in ihrer Erinnerung vergraben und sie konnte es zurzeit nicht einordnen, aber es war trotzdem da.