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Leylas Erleuchtung
ОглавлениеLeyla ging gedankenversunken in Richtung Subway. Sie war alleine unterwegs, da Brooklyn heute Cheerleader-Training hatte und Leyla zum Judotraining unterwegs war. Leyla freute sich, dass sie irgendwo ihre Aggressionen auslassen konnte, ohne etwas zertrümmern zu müssen. Das Feuer ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Irgendetwas sagte ihr, dass Gregory das Feuer ausgelöst hatte, obwohl dies kompletter Schwachsinn war. Wie konnte jemand ein Feuer auslösen? Sie war so in ihre Gedanken versunken, dass sie nicht bemerkte, dass sie verfolgt wurde. Unauffällig, aber trotzdem stetig folgte ihr eine schwarz gekleidete Gestalt, die eigentlich ähnlich aussah wie sie selbst. Dunkle Kleider und ein Kapuzenshirt. Leyla, die inzwischen an der Bloorstation angelangt war, stieg aus und näherte sich ihrem Dojo Ecke Bloor und College Street. Sie sah schon das grosse schwarze Schild „Mixed Martial Arts Gym BJJ“, als ihr jemand auf die Schulter klopfte und sie vor Schreck beinahe einen Herzinfarkt bekam. Ihr Herz hüpfte, als wollte es ihr aus der Brust springen.
Als sie dann sah, wer ihr gefolgt war, war sie erst recht fassungslos. Die dunkle Gestalt, die ihr auf die Schulter geklopft hatte, war niemand anderes als der düstere Aiden, bei dem ihr schon ohne näheren Kontakt der Angstschweiss den Rücken herunterlief. Er sah sie finster aus seinen beinahe schwarzen Augen an und versuchte allem Anschein nach, ein Lächeln zu fabrizieren. Sie konnte es kaum glauben, er sah beinahe freundlich aus. „Hey, du bist Leyla oder?“ Sie nickte fast schon schuldbewusst, riss sich aber zusammen. Sie hatte gar keinen Grund, Angst vor diesem Penner zu haben. Schliesslich hatte sie inzwischen nach jahrelangem Training den grünen Gurt im Judo. „Was willst du?“ Sie funkelte ihn unfreundlich an. „Komm mir ja nicht zu nahe, sonst werde ich dich mit einem Taiotoshi Move gegen die Wand klatschen, egal wie viele Muskeln du dir im Fitnesstraining erarbeitet hast oder wie viele Proteinshakes du heute schon intus hast. Ich habe den grünen Gurt im Judo!“ Leyla wusste durch ihr Judotraining, dass diese im Fitnesstraining erarbeiteten Muskeln meist eher Dekoration waren und nicht viel mit wahrer Kraft zu tun hatten. Also hätte er wohl keine Chance gegen sie, oder etwa doch? Sie warf ihre Sporttasche auf den Boden und ging in Kampfhaltung.
Ein breites Grinsen erhellte sein Gesicht und sogar seine Augen lachten mit, sie hätte nie vermutet, dass Aiden so grinsen konnte. „Ich muss dich leider enttäuschen, ich habe den schwarzen Gürtel in Brazilian Jiu Jitsu. Der Club heisst BJJ und ich trainiere hier. Ich wollte nur freundlich sein.“
Leyla dämmerte langsam, was er damit meinte. BJJ war die Abkürzung für Brazilian Jiu Jitsu.
Wie peinlich, sie schulterte ihre Tasche wieder, nuschelte etwas vor sich hin und trat von einem Fuss auf den anderen. Aiden brach in schallendes Gelächter aus und schien sich nicht mehr erholen zu können. Er japste nach Luft und setzte sich immer noch lachend auf die Treppe vor dem Eingang des BJJ.
Leyla entspannte sich langsam und setzte sich neben ihn auf die Treppe. Sie warf einmal mehr ihre Tasche auf den Boden. Aiden japste immer noch nach Luft und zeigte auf ihre Sporttasche.
„Hoffen wir mal, dass du da keine Eier drin hast, oder den Proteinshake für deine Muskeln.“
Leyla folgte seinem Blick und schüttelte den Kopf. „Wer hätte gedacht, dass du so ein Spinner bist? Ich dachte, du seist so ein knallharter, grimmiger Typ. Ich machte mir schon beinahe in die Hose, wenn ich dich irgendwo nur von weitem sah.“ Aiden machte ein erstauntes Gesicht und sah dabei aus wie ein erschreckter schwarzer Kater. Da ihr Training bald anfing, machte sie sich auf in Richtung Dojo und nickte ihm zu: „Man sieht sich, Muskelprotz.“ Er grinste ihr nach und hob die Hand, immer noch ausser Puste. Leyla musste ihrer Freundin Recht geben, er war wohl schon irgendwie sexy auf seine Art. Sie seufzte, ihre Aggressionen waren verflogen und eigentlich war ihr auch die Lust aufs Training vergangen. Sie hatte Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren und wurde ein paarmal von ihrem Judopartner Jamie während des Trainings zu Boden geworfen. Ihr Trainer Elliott sah sie mit schrägem Blick an und demonstrierte dann ein paar Würfe an ihr. Sie war danach fix und fertig und hinkte in die Garderobe. Nach der Dusche fühlte sie sich etwas besser und zum Glück hatte sie Kleider zum Wechseln mitgebracht. Es war draussen inzwischen sehr schwül und die dunkle Kleidung schien die Hitze noch zu verstärken. Sie zog ihr hellgraues mit SWAG beschriftetes Lieblingstop an und ihre neuen Jeans Shorts. Dann flocht sie ihr vom Duschen nasses Haar zu einem Zopf und verliess die Garderobe. Sie setzte sich an die Theke am Eingang, um ihr Wasser zu trinken, als Aiden mit ein paar anderen Muskelprotzen aus der Garderobe kam. Sie alle trugen ärmellose schwarze Shirts und dazu passende schwarze Trainingshosen, die verdammt tief auf den Hüften sassen. Mein Gott, dachte sie, solch eine Ladung Testosteron sah man nicht alle Tage und sie grinste innerlich. Sie gab sich betont desinteressiert und studierte ein Magazin mit tätowierten Männern. Leider hielt sie es verkehrt herum, als die geballte Ladung Männlichkeit um die Ecke kam.
Aiden grinste sie strahlend an und nahm ihr das Magazin aus der Hand, drehte es um und gab es ihr zurück. Leyla war leicht verdattert, sie hätte nicht gedacht, dass er sie beachten würde wenn er ein paar Bros dabei hatte. Weit gefehlt, er stellte ihr die Typen sogar vor. „Das sind James, Matt, Sebastian und Alex.
Jungs, das ist Leyla, eine Freundin aus der Schule.“ Leyla blieb die Spucke weg, sie war soeben zu einer Freundin aus der Schule mutiert. Die Jungs setzten sich zu ihr an die Theke und tranken etwas, danach verabschiedeten sich die vier und Leyla blieb mit Aiden zurück. Sie fühlte sich etwas eigenartig und hatte keine Ahnung, über was sie sich mit ihm unterhalten sollte. Da fiel ihr das Tattoo, das er am Oberarm hatte, wieder ein. Es stellte eine lodernde Flamme dar und war ziemlich ungewöhnlich. Die Jungs, die mit ihm trainierten, hatten auch so ähnliche Tattoos auf dem Oberarm. James einen Wassertropfen und Matt, Sebastian und Alex eine Flamme in einem Kreis.
Sie sprach ihn also darauf an, als sie sich auf den Rückweg in Richtung Subway machten.
„Was bedeutet eigentlich dein Tattoo?“ Sie berührte seinen Oberarm mit der Flamme. Er sah sie an und da war er wieder: der grimmige, angsteinflössende Aiden. Sie zuckte leicht zurück und er lächelte zerknirscht. „Tut mir leid, manchmal reagiere ich einfach etwas empfindlich. Keine Angst, ist schon ok, das ist das Zeichen meiner Stammeszugehörigkeit.“ Leyla runzelte die Stirn. „Was für eine Stammeszugehörigkeit?“
„Ich weiss, es hört sich etwas seltsam an, aber ich gehöre zu einem alten Stamm, der indianische Wurzeln hat, den Akandos. Eine Untergruppe der Onendas. Jedem von uns ist von Geburt an ein Element zugewiesen, deshalb auch das Tattoo. Es heisst nach schamanischen Legenden, dass wir die Kraft haben, das Element, das uns zugewiesen ist, zu beeinflussen.“ Leyla schüttelte den Kopf. „So einen Unsinn habe ich ja noch nie gehört.“
Er antworte nicht, nahm aber ein Streichholz aus seiner Sporttasche und fixierte es mit seinen rabenschwarzen Augen, bis es sich plötzlich von selber entzündete. Leyla sah ihn entsetzt an: „Dann warst du das heute, du hast Jason in Flammen aufgehen lassen.“ Sie wollte schon davon stürmen, aber Aiden hielt sie am Arm zurück.
„Nein, das war ich nicht, und deshalb muss ich auch unbedingt mit dir reden.“
„Darum hast du mich verfolgt, du Freak!“ Leyla riss sich los aber er packte sie ziemlich unsanft an den Schultern. „Verflixte Kratzbürste, jetzt hör mir mal zu, es war jemand, der seine Kräfte nicht unter Kontrolle hat und das kann verdammt gefährlich sein.“ Leyla schrie ihn an: „Wer denn zum Teufel, also ich war es nicht, sonst wärst du inzwischen ein Häufchen Asche.“ Mit ihrer Wut brachte sie Aiden zum Lachen. „Du bist schon eine verrückte Nummer, nein, ich denke, dass es dein Cousin Gregory war!“ Leyla erschrak: „Gregory!“ und plötzlich machte alles Sinn. Sie hatte es irgendwie gewusst und in ihrer Erinnerung sah sie die Decke, die Gregory als Kind bei sich getragen hatte, mit einem Wassertropfen, einer Flamme, einem Blatt und etwas, das ausgesehen hatte wie drei auf dem Kopf stehende Fragezeichen. Der Pfarrer hatte ihn auf seinem Morgenspaziergang im Wald in diese Decke gewickelt neben seiner toten Mutter im Wald gefunden. Seine Mutter war von ihren Verfolgern umgebracht worden. Sie sah auf – direkt in Aidens fragende schwarze Augen.
„Er ist mein Stiefcousin“, sagte sie abwesend. Aiden schlug sich die Hand gegen die Stirn. „Das ist doch jetzt scheissegal, wir müssen verhindern, dass er nochmals jemanden in Gefahr bringt oder sonst etwas anzündet, ansonsten fliegt der ganze Clan auf, verdammt nochmal.“ Er funkelte sie an und seine Haare schienen ihm mehr denn je zu Berge zu stehen. Leyla dachte angestrengt nach: „Warte mal, Gregory musste nach Kanada kommen, da er Probleme in seiner alten Schule hatte, weil er zu irgendwelchen Ausbrüchen neigte.“
„Jetzt kommen wir der Sache näher“, meinte Aiden. „Es ist nämlich so, dass unsere Eigenschaften sich so ungefähr ein halbes Jahr vor unserem achtzehnten Geburtstag zu zeigen beginnen.“
„Ja, das könnte hinhauen, wie wisst ihr eigentlich, welches Element ihr beherrscht?“, fragte Leyla.
„Wir erhalten eine Decke zu unserer Geburt von den Stammesältesten unserer Gemeinde. Meist wird die eigene Familientradition weitergeführt, aber es gibt Ausnahmen“, sagte Aiden. Leyla sah ihn fragend an. „Eine Decke, auf der ein Wassertropfen, eine Flamme, ein Blatt und etwas, das aussieht wie drei umgekehrte Fragezeichen, abgebildet sind?“ Aiden sah sie bestürzt an. “Nein, nur mit einem Element, wo hast du so eine Decke gesehen?“ Er schüttelte sie. „Denk nach, es ist unheimlich wichtig.“ Sie wusste genau, wo sie es gesehen hatte, es war Gregorys Decke gewesen, die Decke, in der er gefunden wurde.
Er war von Franco und Shannon adoptiert worden und die Decke hatte immer in seinem Zimmer gelegen. Das würde sie Aiden sicher nicht sagen, da sie ihm noch zu wenig vertraute. Deshalb sagte sie: „Nein, das habe ich nirgends gesehen, das habe ich nur geraten.“ Sie sah ihn unschuldig an. Aiden wusste nicht, ob er ihr glauben sollte oder nicht, aber er kam nicht mehr dazu, weiter auf sie einzureden, da Brooklyn bei der Station Chester einstieg und sich zu ihnen gesellte. Sie musterte Aiden von oben bis unten und warf ihm einen interessierten Blick zu. Dann verwickelte sie Leyla in ein Gespräch und Aiden hatte keine Gelegenheit mehr, ihr zu vermitteln, wie wichtig und unter Umständen lebensrettend ihr Wissen sein könnte. Sie verabschiedete sich von den beiden und stieg an ihrer Haltestelle Main Street aus. Brooklyn rief ihr nach: „Vergiss die 10 Dollar nicht.“ Leyla nickte und winkte ihnen zu. Aiden hatte danach alle Hände voll zu tun, Brooklyns interessiertem Blick aus dem Weg zu gehen. Sie sah ihn die ganze Zeit unverhohlen an, dann räusperte sie sich:
„Wie kommt es eigentlich, dass du mit Leyla unterwegs warst? Soviel ich weiss, macht sie sich schon vor Angst in die Hose, wenn sie dich von weitem sieht.“
Er sah sie erstaunt an und vergass für einen Augenblick, seinen grimmigen Blick aufrechtzuerhalten.“Das hat sie dir also auch gesagt“, ein selbstgefälliges schiefes Grinsen erhellte sein Gesicht.
„Mein Gott, Hübscher, war das etwa ein Lächeln?“ Brooklyn rollte die Augen.
„Herr, ein Wunder ist geschehen.“ Er schaute etwas verdutzt aus der Wäsche.
„Nein, nein, behalte die Mundwinkel oben, du siehst gleich noch viel attraktiver aus, beinahe nicht zum Aushalten.“ Sie lachte. „Schade, mein Hübscher, ich würde gerne noch etwas mit dir plaudern, aber ich muss leider schon aussteigen.“ Sie näherten sich der Station Victoria Park. Sie beugte sich zu dem verdatterten Aiden und küsste ihn auf beide Wangen und dann aus heiterem Himmel völlig unerwartet mitten auf den Mund. Dann stöckelte sie mit wehendem Rock davon und er blieb leicht verwirrt zurück. Diese Weiber, dachte Aiden, man wurde einfach nicht schlau aus ihnen. Er musste aber – wenn auch nur ungern –zugeben, dass ihn dieses Exemplar ziemlich aus dem Konzept gebracht hatte.
Leyla schlug den Weg zum nächsten Geldautomaten ein, um die 10 Dollar, die sie Brooklyn schuldete, abzuheben. Das hatte sie völlig vergessen in dem ganzen Durcheinander. Brooklyn hatte letzte Woche beim Garage Sale in ihrer Strasse, was eine Art Flohmarkt war, bei dem jeder seine Sachen, die er nicht mehr brauchte, verhökern konnte, ein passendes Geburtstagsgeschenk für Gregory ergattert. Ein T-Shirt von den Toronto Maple Leafs für nur 10 Dollar. Ein richtiges Schnäppchen, wenn man bedachte, dass dies Gregorys Lieblingshockeyteam war. Sie wollte gerade das Geld abheben, als sie mit ihren neuen Vans in eine eklige Pfütze, die allem Anschein nach aus Alkohol bestand, trat. Sie versuchte angeekelt eine Position zu finden, in der ihre Füsse nicht die Pfütze berührten. Da sah sie, dass die Mauer neben dem Geldautomaten irgendwie vollgekotzt war.
Da waren Auberginen- und Zucchinistücke, die an der Mauer klebten. Igitt. Leyla schüttelte sich, schnappte das Geld und versuchte, ihre Schuhe im Gras abzustreifen. Es gab wirklich Schweine auf dieser Welt. Nach dem sie ihre Vans einigermassen gesäubert hatte, trottete sie nach Hause. Leyla war froh, dass sie Brooklyn getroffen hatten und sie so Aidens forschendem Blick aus dem Weg gehen konnte. Sie würde Gregory als Vorwand sein verspätetes Geburtstagsgeschenk geben, denn sie musste dringend mit ihm reden. Es gab anscheinend einiges zu klären, was sie nicht verstand.