Читать книгу Verlobung wider Willen - Sophia Farago - Страница 12

Оглавление

Kapitel 7

Wie sehr sich doch die Stunden dahinschleppten, wenn man das nicht tun durfte, was man am liebsten tat. Noch nie in ihrem bisherigen Leben waren Penelope die Tage so lang, so freudlos erschienen wie seit dem missglückten Heiratsantrag. Auf dem Rücken ihres Pferdes und aus einiger Distanz beobachtete sie jeden Tag die Schafe auf Lady Stonesdales Weide. Wie ging es den trächtigen Tieren? Was machten Halfy und Darky, ihre beiden Lieblingslämmer? Die Versuchung war groß, sich über Mutters Verbot hinwegzusetzen und näher zu reiten. Lady Panswick war keine geübte Reiterin und würde daher niemals davon erfahren. Sie legte all ihre Wege mit ihrem kleinen, wendigen Landaulett zurück, das ihr Schwiegersohn ihr zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt hatte. Auch mit dem Fahrzeug würde es ihr nicht möglich sein, querfeldein zu dieser Weide zu fahren. Doch Penelope war sich nicht sicher, ob nicht der Verwalter von Lancroft Abbey auf Mutters Geheiß ein Wort mit dem Stallmeister von Lady Stonesdale gewechselt hatte, und den wollte sie keinesfalls in Verlegenheit bringen. Außerdem war sie schon immer eine folgsame Tochter gewesen, für die die Anordnungen ihrer Eltern Gesetz waren.

Doch heute, an diesem strahlenden Frühsommertag, da fragte sie sich auf einmal, wie lange das noch so weitergehen sollte. Sie war jetzt zweiundzwanzig Jahre alt, wie Mutter zu betonen nicht müde wurde. Das hieß aber auch, dass sie nicht mehr unter der Gewalt ihres Vormunds stand. Sie war großjährig. Gewalt klang schlimmer, als es gewesen war, wie sie vor sich selbst zugeben musste. Ihr erster Vormund nach Papas Tod war Mamas Halbbruder gewesen, der sich ohnehin keinen Deut um sie gekümmert hatte. Nach der Vermählung mit Frederica hatte deren Gatte, der Earl of Derryhill, diese Aufgabe übernommen, und der war überaus nett und freundlich und hatte sie in allen Belangen unterstützt. Also hatte sie wohl eher Mamas Erziehungsgewalt unterstanden, und an die hatte sich schon so gewöhnt, dass sie es sich gar nicht vorstellen konnte, wie es wäre, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Wie es wohl sein würde, niemanden mehr um Erlaubnis fragen zu müssen, ob sie dies oder jenes unternehmen dürfte? Einfach mal eine Nacht bei einem verletzten Tier im Stall verbringen zu dürfen, ohne sich rechtfertigen zu müssen? Was für ein Gedanke! Verlockend, aber auch furchterregend.

Penelope hatte auf dem breiten Baumstumpf einer Eiche Platz genommen, die vor Jahren gefällt worden war und von der man einen wunderschönen Ausblick über die Landschaft hatte. Die Sonne schien wärmend vom Himmel, das Gras ringsherum war in sattem Grün, die Fliederbüsche am Wegrand verbreiteten ihren intensiven Duft. Alles hätte so schön sein können und war es doch nicht. Denn Penelopes Inneres war in Aufruhr. Sie musste aus dem Haus, hatte Mama gesagt. Obwohl sie Mutters freimütige Art sich auszudrücken kannte, brannten diese Worte immer noch auf ihrer Seele. Dort, wo sie fast ihr ganzes Leben verbracht hatte – an ihr unrühmliches Debüt in London wollte sie ebenso wenig denken wie an die beiden Jahre, die sie in Mrs Cliffords Anstalt für Höhere Töchter verbracht hatte –, war sie mit einem Schlag unerwünscht. Sie hatte gute Lust wegzulaufen. Wenn sie nur wüsste, wohin. Außerdem war Weglaufen keine Lösung auf Dauer, wie sie sich eingestehen musste. Wovon wollte sie leben? Auch wenn Derryhill sie kürzlich mit einer noch großzügigeren Mitgift ausgestattet hatte, wie Frederica in ihrem letzten Brief schrieb, so half ihr das gar nichts. Die Auszahlung des Geldes war auf eine Eheschließung ausgerichtet. Ohne Vermählung keine Mitgift. Ohne passenden Gentleman keine Vermählung. Penelope verzog unwillig das Gesicht. Und mit einer Eheschließung gab es zwar die Mitgift, aber über diese würde ihr Gemahl verfügen. Der, der ihr dann auch sagen würde, was sie zu tun oder zu unterlassen hatte. Genau wie Mama.

Hufgetrampel holte sie aus ihren trüben Gedanken. Sie drehte sich neugierig um. Der Anblick, der sich ihr wenige Augenblicke später bot, hätte den Mund jeder anderen junge Lady vor Erstaunen weit offen stehen lassen, doch Penelope war viel zu sehr daran gewöhnt, um ihn auch nur bemerkenswert zu finden. Und so war stattdessen tief empfundene Freude das einzige Gefühl, das sie in diesem Augenblick verspürte.

Ihre Nachbarin, Lady Stonesdale, kam in rasantem Tempo den Hügel heraufgaloppiert. Das wäre an und für sich noch nichts Ungewöhnliches gewesen, doch Ihre Ladyschaft geruhte dies im Herrensattel zu tun. Wie immer folgte ihr ihr treuer Stallmeister. Ein Mann in ungefähr ihrem Alter. Sie schätzte beide auf in etwa sechzig. Bei Ihrer Ladyschaft wehten die roten Locken ebenso im Wind wie die blauen Bänder ihres ungewöhnlich hohen Reithutes, beim Stallknecht die etwas zu langen, schlohweißen Haare. Der Reitrock war eine bunte Pracht aus mintgrünem Samt, über und über mit bunten Blumen und Girlanden bestickt.

„Penelope!“ Lady Stonesdale brachte ihren feurigen Rappen zum Stehen. „Dachte ich mir doch, dass ich dich hier finde. Dieser Tag ist doch viel zu sonnig, um Trübsal zu blasen. Du musst mir sofort erzählen, was nun schon wieder geschehen ist.“ Sie wandte sich zu ihrem Begleiter um: „Danke, Rolesford, wir kommen nun sehr gut allein zurecht. Sie können nach Hause reiten.“

Der Bedienstete, der Penelope zum Zeichen des Grußes zugenickt hatte, sagte kein Wort, hob zum Abschied die Hand an die Mütze, wendete sein Pferd und machte sich daran, den Befehl auszuführen. Ihre Ladyschaft scherte sich keinen Deut um Konventionen. Die Leute aus der Gegend waren es längst gewöhnt, sie auch alleine bei ihren Ausritten im Herrensattel anzutreffen. Und falls jemand meinen sollte, sich den Mund über solch offen dargestellte Unschicklichkeit zerreißen zu müssen, so schenkte sie ihm keinerlei Beachtung.

„Lass uns ein paar Schritte gehen“, schlug sie vor, nachdem sie ihr Pferd an einen der Bäume gebunden hatte. „Was ist los? Wie soll ich deine Nachricht verstehen, deine Schwester sei genauso arg wie deine Mama?“

Penelope, die sofort aufgesprungen war, als Lady Stonesdale näher gekommen war, ergriff nur zu gern den angebotenen Arm. Ihre Ladyschaft war in der Gegend ebenso beliebt wie ihr Mundwerk gefürchtet und es war für Penelope eine große Ehre gewesen, als sie sich, nach dem missglückten Debüt vor zwei Jahren, für ihre Belange zu interessieren begann. In der Zwischenzeit waren sie fast so etwas wie Freundinnen geworden, auch wenn dies höchst ungewöhnlich war. Lady Stonesdale war schließlich die Schwester eines Herzogs und hätte vom Alter her ihre Mutter, ja fast schon ihre Großmutter, sein können. Und doch hatte sich in den letzten Monaten eine tiefe Vertrautheit gebildet, die noch weiter zu wachsen schien. Dabei hatte sich die Jüngere anfangs sogar ein wenig vor ihrer Nachbarin gefürchtet. Sie war so … anders. Mutter hatte stets die Nase gerümpft und gemeint, Ihre Ladyschaft kleide sich wie eine Schauspielerin. Das war in ihrem Weltbild alles andere als ein Kompliment. Und sie trug Lippenstift! Etwas, das die bodenständige Lady Panswick absolut nicht guthieß. Wäre Lady Stonesdale nicht im Rang über der verwitweten Viscountess gestanden, sie hätte der ungewöhnlichen Freundschaft niemals zugestimmt. Für Penelope dagegen war sie ein Geschenk des Himmels. Vor allem seit Frederica verheiratet war und sich darüber hinaus Cousine Agatha entschlossen hatte, den Kontinent zu bereisen.

„Aha, also noch jemand, der dich verkuppeln will!“, sagte Ihre Ladyschaft, als Penelope ihr die Einzelheiten aus Fredericas Brief erzählt hatte. „Deine Mutter holt ihre alte Freundin und deren offensichtlich missratenen Sohn nach Lancroft Abbey. Dazu wird es einen Ball geben, zu dem deine Schwester und ihre Schwiegermutter einen oder zwei Londoner Stutzer mitbringen. Meine Liebe, meine Liebe, deine Familie gibt sich wirklich Mühe, dich unter die Haube zu bringen, das muss man sagen!“

Penelope seufzte nur und enthielt sich einer Antwort. Was hätte sie auch sagen sollen? Lady Stonesdale hatte es, wie immer, auf den Punkt gebracht.

„Weißt du, woran mich das erinnert?“, setzte die Ältere nun fort. „An meine eigene Jugend. Auch ich war einst sehr hübsch, man mag es kaum glauben, wenn man mich jetzt so sieht!“ Sie ließ ihr lautes, bellendes Lachen hören und Penelope beeilte sich zu protestieren. Doch Lady Stonesdale hieß sie schweigen: „Es hat keinen Sinn, die Tatsachen zu verkennen, auch wenn es lieb gemeint ist, meine Kleine. Jetzt bin ich alt, doch einst war ich hübsch. Nicht so schön wie du, aber schön genug, dass ich meine Verehrer an zwei Händen abzählen musste. Was hat meine Mama nicht alles unternommen, um mich standesgemäß unter die Haube zu bringen! Es gab Bälle und Musikabende, Picknicks und Maskeraden. Damals trugen wir noch Perücken und viel opulentere Kleider als heute.“

Sie schwieg kurz und hing ihren nostalgischen Gedanken nach. Penelope versuchte sich derweilen vorzustellen, wie Kleider noch opulenter sein konnten als die, die Ihre Ladyschaft ohnehin schon trug.

„Es war eine schöne Zeit, fürwahr“, sagte diese schließlich und sah Penelope an, als sei sie soeben aus einem Traum erwacht. „Ich habe sie sehr genossen.“

„Und dennoch haben Sie nie geheiratet“, antwortete diese schlicht.

„Richtig!“, kam die umgehende Bestätigung. „Es war unter all den Verehrern kein einziger Mann dabei, der mich so hätte fesseln können, dass ich ihm zuliebe meine Freiheit aufgegeben hätte!“

„Freiheit?“ Penelope dachte an ihre eigenen Überlegungen vor wenigen Minuten. „Ist man denn als junges, unverheiratetes Mädchen jemals frei? Ist man nicht stets gezwungen, das zu tun, was die Gesellschaft von einem erwartet?“

Sie erschrak selbst über diesen leidenschaftlichen Ausbruch. Wie gut, dass Mama sie nicht gehört hatte. Ihre Begleiterin war alles andere als schockiert.

„Da hast du natürlich recht, meine Liebe. Doch nur so lange, bis du das dreißigste Lebensjahr überschritten hast. Dann, so verspreche ich dir, kommt niemand mehr auf die Idee, dich unter die Haube bringen zu wollen.“

Penelope seufzte. Dieses Versprechen klang alles andere als verlockend.

„Großtante Charlotte hat mir ihren Landsitz hier vererbt“, setzte Ihre Ladyschaft fort. „Papa war so gütig, mir die nötigen Mittel für den Erhalt zur Verfügung zu stellen. Glaub mir, meine Liebe, ich habe mein Leben stets in vollen Zügen genossen. Niemand macht mir Vorschriften und als Tochter und nunmehrige Schwester eines Herzogs billigt mir die Gesellschaft eine gewisse Exzentrik zu.“

Nun seufzte Penelope erneut und es kam aus der Tiefe ihrer Seele: „Der Unterschied zwischen uns beiden, Lady Stonesdale, könnte größer nicht sein. Zum einen bin ich bloß die Schwester eines Viscounts und somit sicher strengerer Kritik der Gesellschaft ausgesetzt und zum zweiten habe ich weder eine Großtante noch einen Vater, der mir etwas vererben könnte. Und drittens bekomme ich die Mitgift, die mein Schwager so freundlich war für mich zu stellen, nur nach meiner Eheschließung ausbezahlt.“

Und viertens, fügte sie insgeheim hinzu, will ich gar nicht allein bleiben. Ich möchte ja heiraten. Aber nur einen Mann, den ich liebe und der mich liebt. In ihre Erinnerung schlich sich das freche Lächeln eines gewissen Londoner Gentlemans. Seinen Mund sah sie noch klar vor sich. Diese Lippen, die sie so gern geküsst hätte. Aber seine Augen? Wie waren bloß seine Augen gewesen? Sie waren blau, nein grün, oder doch vielleicht braun? Warum vergaß man so etwas so schnell? Rasch rief sie sich selbst zur Ordnung. Es war gut, wenn sie alles vergaß, was Henry Markfield betraf. Je schneller, desto besser!

Lady Stonesdale hatte ihren Arm losgelassen, war stehen geblieben und überraschte dann Penelope und wohl auch sich selbst mit dem spontanen Ausspruch: „Ich könnte dir meinen Landsitz vererben. Und etwas Geld dazu, um ihn zu erhalten.“

Penelope war so in Gedanken gewesen, dass sie nun meinte, sich verhört zu haben: „Wie bitte?“

Je länger Ihre Ladyschaft jedoch ihren überraschenden Einfall erwog, umso besser gefiel er ihr: „Warum denn nicht? Ich habe keine Kinder und damit keine direkten Erben. Seine Gnaden, mein Bruder, ist reich wie Krösus, meinen beiden Neffen wird es an nichts fehlen.“

„Aber, Lady Stonesdale …“

„Die Idee ist großartig! Einfach großartig! Dass ich da nicht schon längst drauf gekommen bin!“

Ihre Ladyschaft klatschte in die Hände und drehte sich einmal um die eigene Achse, sodass die blauen Bänder ihres Hutes wieder im Wind flogen. Dann hielt sie abrupt inne: „Eine Bedingung verknüpfe ich allerdings mit meinem Angebot. Wenn du meinen Landsitz erben willst, meine Kleine, dann darfst du keinen der Männer heiraten, die man dir auf diesem Ball aufzwingen will. Weder den Sohn von Lady Panswicks Freundin noch einen der beiden Dandys aus London. Was sagst du dazu? Ist das nicht ein großartiger Plan?“

Sie blickte Penelope mit geröteten Wangen so freudestrahlend an, dass es dieser sehr schwerfiel, sie wieder auf den Boden der Realität zurückzuholen. Dereinst in Lady Stonesdales hübschem Häuschen zu wohnen und die Schafherde ihr Eigen nennen zu können? Sie konnte sich kaum etwas Erstrebenswerteres vorstellen. Und dennoch:

„Ich danke Ihnen herzlich für das Angebot. Doch zum Glück werden noch viele, viele Jahre ins Land gehen, bevor man sich bei Ihnen mit dem Thema Erben beschäftigen muss, Lady Stonesdale. Ich wünsche mir von Herzen, dass Sie noch ganz lange meine Freundin und Beraterin sein werden.“

Die Ältere hatte wieder ihre Hand ergriffen und setzte zum nächsten Versuch an, sie zu überreden. „Das ist natürlich lieb von dir, meine Kleine, aber bedenke doch, wie …“

Penelope wusste, dass es ungehörig war, die Ranghöhere so brüsk zu unterbrechen, aber sie wollte verhindern, dass sich diese noch länger einem Traum hingab, der keine Chance auf Verwirklichung haben konnte.

„Mama wird niemals zulassen, dass ich bis dreißig noch unverheiratet bleibe!“, sagte sie daher schnell.

Außerdem war das ein Gedanke, der sie selbst, wenn sie ehrlich war, zutiefst erschreckte. Wie hätte sie sich auch wünschen können, als alte Jungfer zu sterben?

„Sie hat mir das Versprechen abgenommen, den nächsten Heiratsantrag, der mir gestellt wird, anzunehmen. Und ich halte meine Versprechen!“, fügte sie noch hinzu, so als müsste sie sich selbst überzeugen.

„Wenn sie möchte, dann kann eine junge Lady sehr gut verhindern, dass einem ein Antrag gemacht wird“, antwortete Lady Stonesdale trocken und begann zu der Stelle zurückzugehen, auf der ihr Pferd geduldig auf sie wartete. „Das hast du bei deinem letzten Antrag von diesem Mr Northbrook selbst anschaulich bewiesen. Aber wir müssen nicht jetzt und heute eine Entscheidung treffen. Lass dir mein Angebot durch den Kopf gehen, meine Kleine. Du wirst sehen, er ist die Lösung all deiner Probleme!“

Verlobung wider Willen

Подняться наверх