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Kapitel 4

Lady Panswick war nicht ungehalten. Nein, sie war außer sich. So hatte ihre Tochter sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Ja, natürlich, Mama war streng. Wenn es sein musste, lenkte sie sowohl ihre fünf Kinder als auch die Dienerschaft mit eiserner Hand. Und doch kannte man sie vor allem als praktisch veranlagte Frau mit einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und einer gesunden Portion Humor. Die exaltierte Art, die Damen ihres Standes oft zu eigen war, wurde von ihr mit äußerstem Missfallen beurteilt. Man hatte Ihre Ladyschaft noch selten den Tränen nahe gesehen. Und wenn, dann geschah dies aus Trauer, selten auch aus Rührung, aber bisher noch nie aus enttäuschten Gefühlen. Und noch nie hatte man sie hysterisch brüllen gehört. In diesem Augenblick schrie sie allerdings so laut, dass ihre Stimme durch die geschlossene Zimmertür in die Eingangshalle hinausdrang und der Butler sich bemüßigt fühlte, die verschreckten Hausmädchen in das Küchengeschoss zu scheuchen und den jungen Gärtner, der gekommen war, um das Blumengesteck in der Mitte der Halle zu erneuern, unverrichteter Dinge wieder fortzuschicken.

Ihre Ladyschaft hatte sich mit ihrer vollen stattlichen Größe von fast sechs Fuß vor ihrer Tochter aufgebaut, die noch immer auf dem Sofa saß und abwechselnd erschrocken zu ihr hinaufschaute oder in das Taschentuch schluchzte.

„Bist du von allen guten Geistern verlassen?“, brüllte sie nun nicht zum ersten Mal zu Penelope hinunter. „Sporen! Sporen! Fast jeder junge Stutzer, der etwas auf sich hält, trägt heutzutage Sporen. Ich heiße das auch nicht gut“, räumte sie ein, um sich dann erneut aufzubäumen: „Aber darum geht es doch nicht! Es geht darum, dass das wohl der dümmste aller Gründe ist, eine so vorteilhafte Heirat auszuschlagen. Ich habe dir aufgetragen, diesen Antrag anzunehmen. Es steht dir nicht zu, meine Wünsche zu missachten, Penelope.“

Sie machte kehrt und begann auf dem Teppich im Kreis zu gehen, wie ein Raubtier im Käfig. Ein höchst gefährliches Raubtier. Penelope war ganz elend zumute. Sie mochte es nicht, wenn Mama ihr böse war. Andererseits bereute sie keine Sekunde lang, den Antrag abgelehnt zu haben. Oder, wie es Ihre Ladyschaft exakter ausdrückte: „Meine Tochter war sich zu gut, den Mann überhaupt seinen Antrag vorbringen zu lassen! Ich bin so enttäuscht von dir, Penelope, bitter enttäuscht!“

Sie seufzte laut auf.

Ihre Tochter seufzte mit.

Und wieder ging Lady Panswick schweigend ein paar weitere Kreise und hing ganz offensichtlich ihren Gedanken nach, bis sie schließlich abrupt stehen blieb: „Aber vielleicht ist ja noch nicht aller Tage Abend. Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Morgen gibt Mary Ann Stevensen eine kleine Gesellschaft. Ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, diese zu besuchen. Doch nun werden wir es tun, denn ich gehe davon aus, dass Northbrook ebenfalls anwesend sein wird. Wenn du ihn freundlich anlächelst, Penelope, und deinen Charme spielen lässt, dann besteht vielleicht noch Hoffnung. Noch hast du ihn nicht offiziell abgewiesen. Noch kannst du …“

„Das werde ich nicht tun, Mama!“, unterbrach sie Penelope so ungewohnt energisch, dass sie ihre Mutter damit für kurz zum Verstummen brachte. So kannte sie ihre Zweitälteste gar nicht. Frederica konnte energisch sein und Vivian, ihre Jüngste, erst recht. Aber Penelope war doch sonst so freundlich und leicht zu lenken. Zumindest war sie es früher immer gewesen.

„Ich verbitte mir diesen frechen Tonfall!“, fuhr Ihre Ladyschaft auf. „Die Hauptstadt hat dir nicht gutgetan! Seit deinem Debüt vor zwei Jahren bist du manchmal wie ausgewechselt!“

Was sollte Penelope darauf sagen? Dass ihr in London ein gewisser Henry Bernard Markfield das Herz gebrochen hatte? Dass er mit ihren Gefühlen nur gespielt hatte, um ihre Zuneigung für seine Zwecke auszunutzen? Dass sie sich bis über beide Ohren in ihn verliebt hatte, er ihr Vertrauen aber nur dazu verwendete, Derryhill zu zwingen, ihm ein Offizierspatent zu kaufen? Dass er immer noch in ihrem Kopf herumspukte, obwohl sie sich bemühte, es nicht zuzulassen? Nein, das hatte sie Mama bisher verschwiegen und jetzt war bestimmt nicht der geeignete Zeitpunkt, sie in dieses Geheimnis einzuweihen.

Sie bemerkte erstaunt, dass ihre Mutter neben ihr Platz genommen hatte und ihre Rechte mit beiden Händen umschloss. Anscheinend hatte sie sich wieder etwas beruhigt.

„Penelope“, sagte sie und blickte ihr ernst in die Augen. „Hör mir gut zu! Deine ältere Schwester Frederica ist hübsch, deine jüngere Schwester Vivian ist ebenfalls hübsch. Doch du, Penelope, bist eine Schönheit. Eine Schönheit, die stets zu hohen Hoffnungen Anlass gegeben hat. Doch was machst du mit deinem dir von Gott gegebenen Geschenk? Nichts! Du verbringst die Tage draußen auf der Weide oder im Stall. Du kümmerst dich keinen Deut darum, dass dein Teint im Sommer seine noble Blässe verliert und dass deine Kleider schmutzig werden wie die einer Dienstmagd. Nein“, sie hob abwehrend die Hand, „lass mich aussprechen! Auf Bällen und Gesellschaften bist du zu allen Leuten freundlich, lächelst brav und plauderst charmant. Und doch habe ich immer das Gefühl, du machst dies alles nur aus Pflichtbewusstsein und nicht aus jener unbekümmerten Begeisterung, die von einem Mädchen deines Alters eigentlich erwartet wird. Gibt es denn wirklich im gesamten, weiten Umkreis von Tunbridge Wells nicht einen Gentleman, der, um es romantisch auszudrücken, dein Herz ein wenig höherschlagen lässt?“

Sie blickte fast flehentlich zu ihrer Tochter hinüber, doch diese schüttelte nur stumm den Kopf.

„Keinen einzigen?“, hakte sie nach.

„Nein, Mama, keinen einzigen.“

Von der Tatsache ermutigt, dass sich ihre Mutter beruhigt zu haben schien, erlaubte sich Penelope einen neuen Vorstoß: „Warum ist es denn so wichtig, dass ich heirate, Mama? Ich habe doch noch jede Menge Zeit, auf den Richtigen zu warten. Warum kann ich nicht, bis er in mein Leben tritt, in Ruhe hierbleiben, mich die Tiere kümmern und mit dir und Cousine Agatha ein friedliches, glückliches Leben führen?“

Lady Panswick war für einen kurzen Moment abgelenkt: „Agatha ist doch gar nicht da! Sie ist zu ihren seltsamen Verwandten auf den Kontinent gereist.“

„Das weiß ich doch, Mama, aber sie kommt bestimmt wieder zurück. Stell dir vor, wie enttäuscht sie sein wird, wenn ich ihr nicht weiterhin Gesellschaft leiste!“, setzte Penelope hoffnungsfroh hinzu. Mama liebte ihre Nichte. Vielleicht war das ja das Argument, das sie zum Umdenken bewegte?

Es war es nicht, wie sich umgehend herausstellen sollte. Ihre Ladyschaft hatte die Hand ihrer Zweitältesten abrupt losgelassen und war so schnell aufgestanden, wie es ihr massiger Körper zuließ.

„So, wie du dir das vorstellst, so geht das nicht! Du musst aus dem Haus, Penelope, und zwar so schnell wie möglich!“

„Ich muss aus dem Haus?“, wiederholte ihre Tochter. Ihre Tränen waren längst versiegt, jetzt war sie fassungslos. „Was meinst du bloß damit?“

Mylady zog seufzend beide Augenbrauen hoch, seufzte abermals und sank wieder aufs Sofa zurück. „Ich wollte es dir eigentlich erst später sagen, aber bitte, anscheinend führt kein Weg daran vorbei. Dein Bruder Bertram hat ein Auge auf Clarissa Harristowe geworfen und es besteht tatsächlich die Aussicht, dass sie ihn erhören wird!“ Es klang so, als könnte sie dieses große Glück selbst kaum fassen.

Penelope hatte keine Ahnung, wer Clarissa Harristowe war und warum sie ihretwegen aus dem Haus musste. „Und?“, forderte sie ihre Mutter auf, mit der Erzählung fortzufahren.

„Und?“, wiederholte diese ungläubig. „Ja, verstehst du denn nicht? Es handelt sich um die jüngste Tochter des Duke of Stainmore! Unser lieber Bertram wird eine Herzogstochter ehelichen! Weißt du, was das bedeutet? Das bedeutet, dass wir zu den namhaftesten Familien des Königreichs aufsteigen. Bertram stehen natürlich auch jetzt schon als Viscount alle Türen offen. Aber als Schwiegersohn eines Herzogs, da hat auch sein Wort viel mehr Gehör. Euer Vater wäre so stolz auf ihn!“

Penelope verstand noch immer nicht: „Das ist ja wunderbar! Ich freue mich für ihn!“, sagte sie pflichtbewusst und hoffte, dass ihr Bruder glücklich wurde, Herzogstochter hin oder her. „Was hat das mit mir zu tun, Mama?“

Lady Panswick sprang wieder auf. „Was das mit dir zu tun hat?“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf. „Sag, bist du wirklich so naiv? Wenn der Viscount eine so hochgestellte Braut nach Lancroft Abbey heimführt, dann darf keine unverheiratete Schwester im Haus wohnen und das junge Glück trüben.“

Während Penelope diesen ungeheuerlichen Satz erst einmal verdauen musste, war Ihre Ladyschaft bereits auf dem Weg zu ihrem Schreibtisch.

„Ich weiß, was ich machen werde. Wenn dir kein Gentleman des Umkreises genehm ist, meine Tochter, dann werde ich die Countess of Titchwell und ihren jüngsten Sohn einladen. Wir haben einst zusammen debütiert, die gute Edith und ich. Ihr Sohn, ich habe seinen Namen vergessen, ist im passenden Alter. Er soll zwar das schwarze Schaf der Familie sein, aber das macht nichts, schließlich hast du ja eine Vorliebe für Schafe.“ Mit diesen Worten stellte Ihre Ladyschaft ihren trockenen Humor wieder einmal anschaulich unter Beweis.

Leider stand ihrer Tochter nicht der Sinn danach, dies zu würdigen.

„Aber Mama!“, rief sie stattdessen aus. „Du kannst mich doch nicht so einfach verkuppeln! Was wird die Countess von mir denken, wenn du mich ihrem Sohn förmlich an den Hals wirfst?“ Jetzt war auch sie aufgesprungen. „Wenn du gestattest, Mama, dann begebe ich mich nun wieder hinaus auf die Weide. Dort ist es friedlich und niemand will mir jemanden aufzwingen.“

Wenn Lady Panswick eines nicht mochte, dann war das ein so offen zur Schau gestellter Widerstand.

„Oh nein, so kommst du mir nicht davon! Du hast vier Anträge abgelehnt. Du kannst zu Gott beten, dass du noch einen fünften bekommst!“

„Aber …“

Eine strikte Handbewegung ließ sie innehalten. „Du kannst mir dankbar sein, dass ich dich dabei unterstütze, einen geeigneten Gatten zu finden. Denn was ich dir jetzt sage, ist mein voller Ernst: Ich erwarte von dir, dass du den fünften Antrag annimmst, Penelope. Und ich werde alles daransetzen, dass dieser nicht mehr allzu lange auf sich warten lässt. Schau mir in die Augen und gib mir deine Hand darauf!“

Sie war ihrer Zweitältesten gegenübergetreten und hielt ihr nun auffordernd ihre Rechte entgegen.

„Das kann doch nicht dein Ernst sein, Mama! Ich kann dir doch nicht versprechen, einen Antrag anzunehmen, wenn ich nicht weiß, von wem er vorgebracht wird.“

Ihre Mutter blieb hart: „Doch, das kannst du. Und das wirst du. Du hattest deine Chance, einen Mann nach deinem Geschmack zu wählen. Du hast all diese Chancen ungenutzt gelassen. Doch den nächsten Antrag, der dir gestellt wird, wirst du annehmen.“

Penelope wurde das Herz schwer. Sie suchte Zuflucht in kindlichem Trotz: „Und wenn ich mich weigere, was dann?“

„Dann hast du hier nichts mehr zu suchen. Dann kannst du irgendwo eine Stelle als Gesellschafterin annehmen.“

„Mama!“

Lady Panswick hörte diesen flehenden Ruf und erschrak selbst über die unfreundlichen Worte, die sie geäußert hatte. Andererseits erschien ihr Penelope trotziger, als sie es als Dreizehnjährige je gewesen war. Sie wusste, da half kein gutes Zureden, da half nur unbeugsame Strenge.

„Du gibst mir jetzt sofort deine Hand darauf, dass du den nächsten Antrag annehmen wirst!“, forderte sie daher noch einmal, nach außen hin ungerührt.

Penelope war ihre folgsamste Tochter und daher verwunderte es sie nicht, dass sie ihrem Wunsch nachkam und ihr die Hand reichte. Für kurz überwältigte sie der Impuls, das Mädchen in den Arm zu nehmen und zu trösten. Zu sagen, dass nichts so heiß gegessen wurde wie gekocht. Doch dann dachte sie an den Ernst der Lage und die Herzogstochter und entschied sich dafür, beim strengen Vorgehen zu bleiben. Ja, sogar noch ein Schäufelchen nachzulegen.

„Und damit du darüber nachdenken kannst, welche Chance du dir durch die Zurückweisung von Mr Northbrook entgehen hast lassen, verbiete ich dir in den nächsten Wochen den Umgang mit den Schafen. Sowohl mit unseren, als auch mit denen von Lady Stonesdale.“

Penelope schnappte nach Luft.

„Mama, bitte!“, nun war das Flehen unüberhörbar.

„Geh! Die Unterredung ist beendet!“ Ihre Mutter wandte den Blick ab und nahm einen Briefbogen aus der Ledermappe, um ihr angekündigtes Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Verlobung wider Willen

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