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Kapitel 10

Aufgrund von Mutters Schilderungen hatte Penelope erwartet, dass sie der Anblick ihres Cousins unter Umständen erschüttern könnte. Aber dass es so schlimm sein würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Die beiden Hausdiener hatten den Verletzten entkleidet, gewaschen und in eines von Bertrams alten Nachthemden gesteckt. Seine Arme lagen wie leblos auf der Bettdecke, der linke Ärmel zeigte einen großen braunroten Fleck am Unterarm. Der Mann hatte die Augen geschlossen, anscheinend schlief er. Tiefblaue Ringe hatten sich unter den Augen ins Gesicht gegraben. Der notdürftig angebrachte Kopfverband war vollkommen verdreckt und mit eingetrockneten Blutflecken übersät. Darüber kam ein kahl rasierter Schädel mit Schrammen und ganz kurzen Haarstoppeln zum Vorschein. So kahl er am Kopf auch war, so wild und struppig wuchs ein rötlicher Bart in seinem von der Sonne verbrannten Gesicht.

Der Diener Matthew, der neben dem Patienten gewacht hatte, war bei ihrem Eintreten aufgesprungen, hatte aber außer einem erstaunten „Lady Penelope?“ noch nichts gesagt.

„Schläft er die ganze Zeit?“, wollte sie wissen. Sie sprach leise und bemühte sich um einen beruhigenden Tonfall. Dabei war sie sich nicht sicher, wen sie beruhigen wollte. Den aufgeregten jungen Diener? Den Verletzten? Sich selbst?

„Die meiste Zeit, Mylady“, bestätigte Matthew. „Manchmal stöhnt er auch. Und vor einer Stunde etwa, da konnte ich ihm etwas Tee einflößen. Ich fragte ihn auch, ob er Hunger habe, aber statt einer Antwort schlief er einfach wieder ein.“

„Gut, gut!“ Sie beugte sich über den Patienten. Auch wenn der halbe Kopf einbandagiert und die andere Hälfte vom Bart bedeckt war, kam er ihr sofort vertraut vor. Peter, ihr Cousin Peter! Was waren das doch für unbeschwerte Zeiten gewesen, als sie miteinander herumgetollt waren. Rund um die Schaukel getobt, sich gegenseitig den Ball versteckt hatten.

Da öffnete er die Lider und für einen kurzen Augenblick sahen sie einander tief in die Augen. Penelope wich erschrocken zurück. Sie hatte vergessen gehabt, wie tiefblau Peters Augen waren. Und doch stand es für sie außer Zweifel, dass sie in diese Augen schon einmal geschaut hatte.

„Lämmchen!“, murmelte er und es klang so, als würde alle Last der Welt von ihm abfallen. Und dann schlief er wieder ein. In diesem Augenblick hatte er Penelopes Herz ein weiteres Mal erobert und sie schwor sich, alles daran zu setzen, dass er wieder gesund wurde. Er hatte sie erkannt! Ihr Cousin hatte sie nach so vielen Jahren mit einem Blick erkannt! Dabei hatte er als Kind doch viel lieber mit Frederica gespielt und sie, Penelope, war sich oft wie das dritte Rad am Wagen vorgekommen.

„Kommt der Doktor bald, Mylady?“, unterbrach der Diener ihre Gedanken. „Sie haben ja selbst gehört, wie der Gentleman Sie genannt hat. Es ist eindeutig, dass der Mann fantasiert. Das liegt am Fieber, wenn Sie mich fragen. Ich habe die Stirn gefühlt, sie ist feucht und heiß. Man sollte ihn möglichst schnell zur Ader lassen. Und der linke Arm gehört ab.“

„Aber wieso denn das?“, fragte sie erschrocken.

„Steven und ich haben den Verband nur kurz zur Seite geschoben, weil wir nichts schlimmer machen wollten, bevor der Arzt kommt, Mylady. Aber ich schwöre Ihnen, das sieht nicht gut aus. Das ist alles voll von Eiter und gestocktem Blut und immer wieder beginnt die Wunde erneut zu … oh, ich bitte um Verzeihung, Mylady. Das sollte ich in Ihrer Anwesenheit nicht in dieser Deutlichkeit ausführen, aber …“

„Es ist schon gut, Matthew. Erzähle mir alles, was du weißt. Der Doktor ist erkrankt. Lady Panswick hat mich beauftragt, mich um meinen Cousin zu kümmern, solange der Arzt das Bett hüten muss. Ich kenne mich mit Verletzungen bei Tieren aus, wie du weißt.“

Der Bursche blickte sie zuerst überrascht an, begann langsam zu nicken und berichtete dann, wie ihm geheißen, von all den Verletzungen, die er beim Waschen des Patienten entdeckt hatte. Penelope atmete innerlich auf, als sie erfuhr, dass ihr Cousin vom Nabel abwärts keinen Schaden erlitten hatte. Die Verletzungen beschränkten sich auf den Kopf, Blutergüsse auf der Brust und vor allem eine tiefe Wunde am linken Unterarm.

„Als Erstes müssen die schmutzigen Verbände weg!“, bestimmte sie dann energisch. „Hol ein frisches Betttuch und reiß es in Streifen. Sag der Köchin, sie soll Kamillentee kochen, und bring ihn her. Und eine Schüssel mit heißem Wasser dazu.“ Sie überlegte. „Ach ja, und am besten auch ein scharfes Messer. Und dann noch Rum.“

Jetzt war der Bursche ernsthaft überrascht. „Rum?“

Penelope nickte energisch. „Ja, Rum! Und zwar den starken.“

„Was ist mit dem Aderlass?“, ließ er nicht locker.

„Der muss wohl warten, bis der Arzt genesen ist“, sagte sie. „Oder möchtest du ihn vornehmen?“

Matthew erbleichte, schüttelte den Kopf und beeilte sich, das Gewünschte zu holen. Als er gegangen war, ließ sich Penelope erst einmal auf den Lehnstuhl fallen, in dem der Diener zuvor gesessen hatte. Es war einfacher, vor einem Bediensteten die starke, gelassene Herrin zu spielen, die die Dinge im Griff hatte, als sich selbst davon zu überzeugen, wenn man allein war. Sie blickte zum Verletzten hinüber, der ruhig dalag und schlief. Ich bin für dieses Menschenleben verantwortlich, schoss es ihr durch den Kopf, oder zumindest für dessen rasche Heilung. Lieber Gott, hilf mir, das Richtige zu tun!

Sie kannte sich bei Tieren aus. Wusste sie denn, ob man einen Mann mit denselben Mitteln behandeln konnte? Hatte sie sich nicht doch zu viel zugetraut? Energisch straffte sie die Schultern und befahl sich, einen klaren Kopf zu behalten. Erst kürzlich hatte sie mit Lady Stonesdales Stallmeister eines der Mutterschafe verarztet, das an einem dicken Ast hängen geblieben war und sich tiefe Verletzungen zugezogen hatte. Mr Rolesford hatte von einer der Birken vor den Stallungen ein großes Stück der weißen Rinde abgenommen und die Köchin gebeten, diese mit Wasser so lange zu kochen, dass ein Extrakt entstanden war.

„Das ist ein altes Familienrezept“, hatte er ihr erklärt, die wie immer alles, was er sagte, wissbegierig in sich aufgesogen hatte. „Das hat schon mein Großvater bei seinen Tieren angewendet. Ich vermische das Ganze noch mit einer Arnikaessenz, die ich bereits letzten Sommer hergestellt habe, zu einer Tinktur. Wir werden zuerst die abgestorbenen Fleischstellen abschaben und dann die Wunden bestreichen. Wir können dann auch noch Honig darüber schmieren. Das hilft zusätzlich.“

Sie hatte sich damals ein Fläschchen von dieser Tinktur mitgenommen und eilte nun auf ihr Zimmer, um es zu holen. Als sie zurückkam, war der Diener eben dabei, ein weißes Betttuch in Streifen zu reißen.

„Alles andere dauert noch etwas, Mylady. Die Köchin hat auch eine Hühnerbrühe aufgesetzt. Ich hoffe, das ist Ihnen recht.“

Mehr als eine Stunde später war alles vollbracht. Die Wunden auf dem Kopf hatten sich als nicht allzu tiefe Schrammen erwiesen, die bereits am Verheilen waren. Penelope reinigte sie mit warmem Kamillentee, vorsichtig bemüht, den Schorf, der sich gebildet hatte, nicht zu beschädigen. Mr Rolesford, der Stallmeister, war der Meinung, dass Schorf die Wundheilung beschleunigte. Sie beschloss, dass kein neuer Verband mehr notwendig war. Der Verletzte ließ alles ohne zu jammern über sich ergehen. Er stöhnte nur leise, als sie seinen Kopf vorsichtig hochhob, und hielt die ganze Zeit über die Augen geschlossen. Dennoch merkte sie, dass er wach war, denn er biss die Zähne zusammen. Ihr war sein Verhalten nur recht. Einem Mann so nahe zu sein, war für sie höchst ungewohnt und sie war froh, ihm dabei nicht in die Augen blicken zu müssen. Zum Glück war er ihr Cousin. Bei einem Fremden wären ihr diese Tätigkeiten noch viel, viel unangenehmer gewesen.

„Hilf mir, das Nachthemd wieder auszuziehen!“, befahl sie dem Diener.

Der Protest kam umgehend: „Aber, Mylady, Sie können doch nicht … ich meine, mit Verlaub, Mylady, Sie vergessen, dass … Sie können doch nicht …“

Es war nicht eindeutig, wer von beiden heftiger errötete, Penelope oder der Lakai. Sie wagte es nicht, ihm ins Gesicht zu sehen, und blickte zum Verletzten hinüber. Irrte sie sich, oder verzogen sich seine Lippen zu einem kleinen Lächeln? Allerdings nur kurz, denn dann entrang sich ihnen ein Aufstöhnen. Vielleicht hatte sie sich auch geirrt.

„Du vergisst, dass es sich bei diesem Gentleman um meinen Cousin handelt“, wies Penelope den Diener zurecht. „Wir sind wie Bruder und Schwester aufgewachsen.“ Was nicht ganz der Wahrheit entsprach, aber das musste er ja nicht wissen. Allerdings hatte ihr auch Mama aufgetragen, die Schicklichkeit in jedem Fall zu wahren. „Zieh das Nachthemd nach oben, während ich mich umdrehe“, sagte sie daher. „Und bedecke … äh … die Beine mit der Decke. Ich helfe dir dann, ihm das Nachthemd über den Kopf zu ziehen, und sehe mir die Wunden auf der Brust an.“

Und so geschah es, dass Penelope kurze Zeit später, das erste Mal in ihrem Leben, einen nackten männlichen Oberkörper vor Augen hatte. Einen muskulösen, äußerst gut gebauten Oberkörper, der sie an die Abbildungen griechischer Statuen erinnerte, die die dicken Bände in der Bibliothek beinhalteten. Die Haut war gebräunt, doch mit zahlreichen Flecken übersät, die in allen Farben von Violett über Dunkelblau bis Hellgrün schillerten. Penelope hielt die Luft an. Was musste Peter alles Schreckliches erlebt haben! Sie überlegte, was Mr Rolesford bei Blutergüssen geraten hatte.

„Hol Apfelessig aus der Küche und noch ein weiteres Tuch“, bestimmte sie schließlich. „Wir werden einen kühlenden Verband um die Brust anlegen. Sollte die Hühnersuppe bereits fertig sein, bringe eine große Schüssel davon mit. Ich werde versuchen, meinen Cousin damit zu füttern. Er muss zu Kräften kommen, um gesund zu werden.“

Während der Bursche das Gewünschte holte, sank Penelope abermals auf den Lehnstuhl und ließ den Verletzten nicht aus den Augen. Wie es sich wohl anfühlte, seine Brust zu berühren? Sie beugte sich vor und strich mit dem Zeigefinger zart über den Rippenbogen. Es fühlte sich fest an und heiß.

„Ach, Cousin Peter“, murmelte sie, „was ist dir bloß passiert? Hoffentlich sinkt das Fieber bald, sonst bin ich mit meiner Weisheit am Ende.“

In diesem Augenblick schlug er die Augen wieder auf. Blaue Augen trafen auf blaue Augen. Penelope spürte, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann.

„Cousin Peter“, murmelte er. Es war kaum mehr als ein Flüstern. Schwach und auch, wie ihr schien, eine Spur überrascht.

Sie drückte beruhigend seine rechte Hand.

„Ich weiß“, sagte sie. „Du bist mein Cousin Peter Barnett. Wir haben dich sofort erkannt. Keine Sorge, alles wird gut!“

„Alles wird gut“, wiederholte er und schloss die Augen.

„Und nun, hol noch ein Rasiermesser!“, befahl sie dem Burschen, als der Verband um die Brust angelegt worden war und sie den Kopf wieder auf das Kissen gebettet hatten. Niemand trug in diesen Tagen einen Vollbart. Der war absolut nicht comme il faut. Außerdem wollte sie sichergehen, dass sich keine Wunden unter dem rötlichen Gestrüpp befanden. Und natürlich war sie neugierig, wie Cousin Peter aussah, wenn er erst einmal rasiert war. Erinnerte er sie dann stärker an den kleinen Jungen, den sie gekannt hatte?

„Der Bart muss ab!“, bestimmte sie energisch, weil sie es gar nicht erwarten konnte.

Blitzschnell umklammerte die Rechte des Patienten ihren Arm: „Der Bart bleibt!“, flüsterte er und klang nun ebenfalls energisch. Dann fügte er ein leises, fast flehentliches „Bitte!“ hinzu.

Sie war erschrocken darüber, dass er sie so unvermittelt angefasst hatte, aber erfreut, wie kräftig dieser Griff war.

„In Ordnung“, stammelte sie. Mehr aus Überraschung als aus Überzeugung.

Der Diener stieß einen tiefen Seufzer aus: „Na, Gott sei Dank. Ich wüsste nicht, wie ich mit einem Rasiermesser umgehen sollte. Bei einem anderen, meine ich. Ich bin ein Lakai, Mylady, und tauge wahrlich nicht zum Kammerdiener.“

Nachdem das geklärt war, stand nur mehr der linke Unterarm aus, das bei Weitem größte Problem, das Penelope zu bewältigen und das sie so weit hinausgeschoben hatte, wie es nur möglich war. Sie griff zur Schere und zerschnitt den schmutzigen Verband. Obwohl sie mit äußerster Vorsicht zu Werke ging, bemerkte sie, dass ihr Cousin die Zähne nun noch stärker zusammenbiss, um nicht loszubrüllen. Dennoch entfuhr ihm so mancher Schmerzensschrei, als sie die Teile des Verbands entfernte, die bereits in die Wunde hineingewachsen waren.

„Der Rum!“, befahl Penelope, bemüht, sich nicht von den Schreien ablenken zu lassen. „Flöße ihm Rum ein, schnell!“

Der Hausdiener, der gegenüber an die Wand gelehnt stand – den Blick aus dem Fenster gerichtet, um kein Blut sehen zu müssen –, war unsicher. „Meinen Sie wirklich, dass das …“

„Sofort!“, befahl sie.

Da nahm Matthew die Flasche vom Tisch, öffnete sie und begab sich mit zitternden Händen zum Bett. Dabei stellte er sich so ungeschickt an, dass die Flüssigkeit überschwappte und sich eine große Portion Alkohol über die Wunde ergoss. Der Verletzte schrie auf, Penelope schrie mit und auch der Diener stimmte vor Schreck in das Geschrei ein.

Das wiederum rief den Butler auf den Plan. Ohne viele Worte erkannte er die Situation, nahm dem Burschen die Flasche ab, um sie selbst an die Lippen des Verletzten zu halten, während er seinen Kopf abstützte. So konnte Penelope zuerst die Rumlache im Bett und rund um die Wunde abtupfen. Dann nahm sie allen Mut zusammen und entfernte mit dem scharfen Messer das abgestorbene Fleisch rund um das Einschussloch. Zum Glück handelte es sich um einen glatten Durchschuss, sodass die Kugel nicht mehr im Arm steckte. Als sie die Wunde mit heißem Wasser reinigte, hatte der Verletzte das Bewusstsein bereits verloren. Es war ganz still im Zimmer, als sie die Tinktur auftrug. Der Bursche wurde um Honig geschickt, die Wunde damit bestrichen und ein frischer Verband angelegt.

„Jetzt können wir nur noch beten, dass das alles hilft“, sagte sie, als das Werk vollendet war und sie besorgt auf Peter nieder sah.

Der Verletzte schlief die nächsten drei Tage und Nächte. Nur unterbrochen von kurzen Pausen, in denen Penelope oder Matthew ihm heiße, dicke Hühnersuppe einflößten.

Verlobung wider Willen

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