Читать книгу Verlobung wider Willen - Sophia Farago - Страница 13

Оглавление

Kapitel 8

In der Zwischenzeit hatte Lady Panswick nahezu all die Besuche absolviert, die auf ihrem Tagesplan standen. Eine der Pächterfamilien hatte ihr siebtes Kind, den lang ersehnten Sohn, bekommen. Da galt es, ihren Glückwunsch persönlich auszusprechen und der geschwächten Mutter einen Kessel mit kräftigendem Eintopf vorbeizubringen, den die Köchin von Lancroft Abbey eigens nach einem alten Familienrezept hergestellt hatte. Dann ging es mit dem Landaulett weiter zu zwei anderen Bauernhäusern. Der Verwalter von Lancroft Abbey hatte Löcher in den Dächern festgestellt und sie wollte sich selbst von der Sinnhaftigkeit teurer Reparaturarbeiten überzeugen. Sie hatte schließlich nach dem Tod ihres Gatten lange Zeit den Landsitz allein verwaltet. Und so tauglich und ambitioniert der junge Mann auch war, den ihr Schwiegersohn als Verwalter eingesetzt hatte – es schadete nie, wenn sie auch selbst nach dem Rechten sah.

Nun stand noch ein letzter Punkt auf dem Programm. Bauer Drewes hatte zur Mittagszeit einen Knecht vorbeigeschickt und um den umgehenden Besuch Ihrer Ladyschaft gebeten. Dieser Bursche war so nervös gewesen, dass kaum ein vernünftiges Wort aus ihm herauszubringen war, während er seine Mütze in der Hand drehte und seine Wangen vor Aufregung tiefrot angelaufen waren. Und so war er auch nicht in der Lage gewesen, den Grund für diesen ungewöhnlichen Wunsch seines Herren zu nennen.

Das Ganze ist tatsächlich äußerst seltsam, dachte Mylady, während sie ihr Pferd zu einer schnelleren Gangart antrieb. Was sollte der Pächter von ihr wollen, das er ihr nicht bei einem persönlichen Vorsprechen im Herrenhaus hätte erzählen können? Warum musste sie sich der Strapaze unterziehen, an das äußerste Ende ihres Landsitzes zu fahren, dorthin, wo die Poststraße nach Norden am Haus der Drewes’ vorbeiführte? Er wolle ihr etwas Wichtiges zeigen, hatte der Bursche gesagt, wenn sie ihn richtig verstanden hatte, etwas, das man nicht ins Haus hätte bringen können. Der Besuch dulde keinen Aufschub, hatte es geheißen, und im ersten Moment hatte Lady Panswick den erschreckenden Verdacht gehabt, es ginge um Leben und Tod. Doch davon wusste der Bursche auch nach mehrmaligem Nachfragen nichts zu berichten. Ihr erster Impuls war es dennoch gewesen, ihre Rundfahrt mit einem Besuch bei den Drewes zu beginnen. Dann jedoch dachte sie, eine Lehre könnte dem Bauern nicht schaden. Sollte er doch künftig selbst auf Lancroft Abbey vorsprechen, wenn er etwas mit ihr bereden wollte. Also entschied sie, es würde ihm guttun, ungeduldig zu warten, bis sie mit ihrem geplanten Programm fertig war. Dass die eigene unerfüllte Neugier den ganzen Nachmittag ihre ständige, unerfreuliche Begleiterin war, musste er ja nicht wissen.

Die letzte Meile hatte sie auf der Poststraße zurückgelegt und nun bog sie mit gekonntem Schwung in den Hof der Drewes’ ein. Erst als sie das Gefährt zum Stillstand gebracht hatte, fiel ihr auf, dass sie direkt neben dem Misthaufen stand. Es stank fürchterlich. Wäre sie eine feine Dame aus der Hauptstadt gewesen, hätte sie sich wohl einen mit Rosenwasser gesprühten Schal vor die Nase gehalten und nach dem Riechsalz verlangt. Doch Ihre Ladyschaft war aus einem viel robusteren Holz geschnitzt. Sie gestattete dem Bauern, der sofort herbeigeeilt war, als er den Wagen gehört hatte, ihr vom Kutschbock zu helfen, und sagte nach einer knappen Begrüßung in strengem Ton: „Ich hoffe, Sie haben einen wahrlich guten Grund, mich um diesen Besuch zu bitten, Mr Drewes.“

„Den habe ich, Mylady, den habe ich!“, beeilte sich der Mann zu versichern, während er nicht aufhörte, sich vor seinem hohen Gast zu verbeugen. „Wenn Mylady mit mir kommen wollen, bitte schön, ich habe ihr da was zu zeigen. Da werden Mylady Augen machen, das schwöre ich, Mylady!“

Lady Panswick zog eine Augenbraue nach oben: „Ja, so sagte man mir. Lassen Sie uns keine Zeit verlieren, Mr Drewes. Was haben Sie denn in Ihrem Haus, was Sie nicht genauso gut nach Lancroft Abbey hätten bringen können?“

„Ist nicht im Haus, Mylady. Ist dort drüben, im Stall. Habe es nicht gewagt, ihn zu Ihnen zu bringen, weil, wie sollte ich wissen, ob Sie ihn wollen? Außerdem hätte ich eh nicht gewusst, wie.“

„Im Stall? Sie wollen, dass ich in Ihren Stall mitkomme?“

Jetzt war Ihre Ladyschaft wahrlich entgeistert. Mit einem schnellen Blick auf ihre Füße vergewisserte sie sich, dass sie, als hätte sie eine Vorahnung gehabt, am Morgen zu ihrem derbsten Schuhwerk gegriffen hatte. Sie schnaufte unwillig und fügte sich dann ihrem Schicksal: „Nun denn, dann gehen Sie eben voraus, Mr Drewes, und zeigen mir den Weg. Ich bin gespannt, um welches Tier es sich handelt und warum Sie auf die Idee gekommen sind, ausgerechnet ich sei die Richtige, es mir anzusehen.“

„Kein Tier, Mylady, doch kein Tier, was denken Sie denn!“, sagte der Bauer und machte sich daran, den Befehl zu befolgen.

Er öffnete das Scheunentor, das quietschend in den Angeln nachgab. Obwohl es erst später Nachmittag und die Sonne noch nicht in die Dämmerung übergegangen war, mussten sich die Augen Ihrer Ladyschaft erst an die Dunkelheit gewöhnen. Das wenige Licht, das durch die kleinen, schmutzigen Fensterscheiben ins Innere gelangte, ließ es nun zu, dass sie die Holzverschläge und die Konturen einzelner Gegenstände erkennen konnte. Von irgendwoher drang ein leises Stöhnen an ihre Ohren. Dann war es wieder still.

„Wo sind die Tiere, Mr Drewes? Der Stall scheint leer zu sein. Was wollen …“

„Das Vieh ist auf der Weide, wo es hingehört, Mylady“, beeilte sich der Bauer einer Rüge zuvorzukommen. „Es geht ja auch nicht um ein Vieh. Es geht um den Kerl dort.“

Seine Hand zeigte auf die hinterste Koje, in der auf Heu und Stroh etwas Rotes lag.

„Da ist doch glatt heute am frühen Morgen ein Wagen stehen geblieben, Mylady, man glaubt es nicht! Es war so ein Holzkarren, ein einfacher. Und während ich mich noch frage: ‚Was will denn der hier?‘, da hat der Kutscher auch schon den Mann dort vom Karren gehoben. Da draußen auf meinem Boden hat er ihn fallen lassen. Hat ihn einfach im Gras liegen lassen und ist weitergefahren. Was sagt man dazu?“

Ihre Ladyschaft war einige Schritte näher gekommen. Da sie offensichtlich nichts dazu zu sagen hatte, setzte der Bauer fort: „Da war der Kerl da anscheinend noch bei Bewusstsein, weil, wie ich eine Stunde später wieder zu der Stelle bin, um nach ihm zu sehen, da hatte er sich schon hier im hintersten Winkel versteckt. Ich habe ihn zuerst gar nicht gefunden.“

Er war nun die letzten Schritte bis zum Ende des Stalles gegangen und wies auf eine zusammengekauerte Gestalt in einem völlig verdreckten, ehemals roten Uniformrock. Lady Panswick beeilte sich, dem Pächter zu folgen, bemüht, nicht über einen der Gegenstände und das unregelmäßig aufgebrachte Stroh am Boden zu stolpern.

„Ein Soldat?“, vergewisserte sie sich schließlich und es klang fassungslos. „Sie wagen es tatsächlich, mich wegen eines vagabundierenden Soldaten hierherzuholen?“

Mr Drewes wurde zunehmend nervöser. Die strenge Herrin zu erzürnen, war das Letzte, was er wollte.

„Scheint ein Offizier zu sein“, beeilte er sich daher, zu korrigieren, machte dadurch die Sache aber auch nicht besser.

„Na und? Was habe ich mit einem fremden Offizier zu schaffen? Mr Drewes, machen Sie mit dem Mann, was Sie für richtig halten, aber belästigen Sie mich nicht mit ihm. Der Krieg fordert viele Opfer. Das ist schlimm, aber es ist …“

„Er hatte dieses Blatt Papier bei sich!“ Seine schwielige Hand reichte einen zusammengefalteten Bogen zu Ihrer Ladyschaft hinüber. Diese ergriff ihn eher unwillig und ging dann doch zur nächsten Fensterscheibe hinüber, um zu erkennen, was darauf geschrieben stand. Was sie sah, ließ ihr den Atem stocken: P. Barnett stand da mit einer klaren Männerhandschrift geschrieben. Lancroft Abbey, Tunbridge Wells, Kent.

„Das war das Einzige, was der Mann in den Taschen hatte. Sonst nicht das Geringste, kein Geld, kein nichts. Ich habe mir gedacht, es könnte Sie interessieren, Mylady!“, sagte der Bauer, nach einem Blick in Lady Panswicks Gesicht, nun schon etwas hoffnungsfroher.

Zum Unterschied zu den beiden Männern in der Poststation von Hastings hatte ihn ein engagierter Pfarrer lesen und schreiben gelehrt.

Der Soldat stöhnte abermals, aber es war offensichtlich, dass er nicht bei Bewusstsein war.

P. Barnett, dachte Ihre Ladyschaft. Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitz: Das musste Peter sein, der Neffe ihres verstorbenen Mannes. Er war der Einzige, den sie kannte, auf den dieser Anfangsbuchstabe des Vornamens zutraf. Sein Vater war bereits vor vielen Jahren gestorben, da musste, wenn sie sich richtig erinnerte, Peter ungefähr zehn Jahre alt gewesen sein. Er war ein, zwei Jahre älter als ihre älteste Tochter Frederica. Als Kind war er oft auf Lancroft Abbey gewesen und hatte mit ihren beiden Mädchen gespielt. Sie erinnerte sich gern an die Zeit, denn sie hatte ihren Schwager gemocht und auch Peter war ein netter, aufgeweckter Junge gewesen. Leider konnte man das von ihrer Schwägerin nicht behaupten. Das war eine aufgetakelte Pute, die nur ihr eigenes Wohlergehen im Auge hatte.

Lady Panswick hatte ihr Gesicht bei dieser Erinnerung so unwillig verzogen, dass Mr Drewes wieder angst und bang wurde und er es nicht wagte, das Schweigen zu unterbrechen.

Als ihr Schwager starb, überlegte Ihre Ladyschaft weiter, war die ungeliebte Schwägerin mit dem Buben nach Yorkshire zu ihrer Familie gezogen und beide waren fortan nicht mehr gesehen. Und jetzt schrieb er diese Adresse auf das Blatt Papier!

Lady Panswick wurde warm ums Herz. Als verletzter Offizier suchte er hier, auf Lancroft Abbey, Schutz und Zuflucht! Dem Ort, an dem er als Kind so unbeschwert und glücklich gewesen war. Es stand außer Frage, dass sie ihm beides gewähren würde. Allein die Tatsache, dass der Mann so schwer verletzt zu sein schien, machte ihr Sorge. Neben der weiteren unerfreulichen Tatsache, dass sie dadurch unter Umständen gezwungen sein würde, mit ihrer grässlichen Schwägerin in Kontakt zu treten. Aber vielleicht habe ich ja Glück, dachte sie, und die dumme Gans ist in der Zwischenzeit gestorben.

„Das haben Sie sehr gut gemacht, Mr Drewes!“, beeilte sie sich, dem Mann neben sich zu versichern, der ungeduldig von einem Fuß auf den anderen getreten war und dabei inständig auf eine wohlwollende Antwort gehofft hatte.

„Bei diesem Offizier handelt es sich um Leutnant Peter Barnett, dem Neffen meines verstorbenen Mannes. Ich werde umgehend zwei Hausdiener losschicken, um ihn abholen zu lassen. Haben Sie vielen Dank für ihre Geistesgegenwart, mich zu verständigen!“

Verlobung wider Willen

Подняться наверх