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31. Oktober 1941

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Emma Zorn antwortet nicht. Wahrscheinlich, das muss man in Rechnung stellen, gehen die Uhren in Mittelschweden langsamer. Wahrscheinlich gehen sie bei einer 81-Jährigen noch langsamer. Baron Uexküll hat auf eine Art seismografischer Sensibilität gehofft, denn die Nachrichten, das weiß er von seiner Freundin, Gräfin Bonde, kommen bereits gefiltert in Schweden an, nicht allein, weil man in der schwedischen Presse keine diplomatischen Verwicklungen riskieren will, die am Ende vielleicht zu kriegerischen führen könnten, es ist schließlich auch die Unmöglichkeit, mit Worten zu sagen, was droht, es ist das stete Versagen der Sprache gegenüber dem Gefühl, das die Gefahr schon wittert, wo die eigentliche Katastrophe noch bevorsteht. Man hofft, sie käme nicht.

Nach außen scheint Deutschland noch immer so etwas wie ein zivilisierter Staat zu sein. Der Krieg hat die Durchhaltemoral der Bevölkerung nicht sonderlich beschädigt. Zarah Leander singt ihre Lieder und reist ungehindert zwischen ihrer schwedischen Heimat und Deutschland hin und her. Ihre Filme sind auch in Schweden populär. Aber der Druck nimmt täglich zu.

Man kann nicht länger warten. Baron Uexküll macht sich ohne das so dringend benötigte Schreiben auf den Weg zur schwedischen Botschaft. Die liegt nur ein paar hundert Meter von seiner Wohnung entfernt in der Rauchstraße. Die Botschaft ist in einer typischen Tiergartenvilla untergebracht, die Räume sind großbürgerlich ausgestattet mit schweren Ledersesseln, Perserteppichen, Antiquitäten. Bilder zeigen schwedische Motive, die königliche Familie, das königliche Schloss, Landschaften. Uexküll erkennt ein paar zartfarbige Pastelle von Zorn, junge, rosige Bäuerinnen beim Bade, und ein paar Arbeiten des schwedischen Prinzen Eugen, dunkler im Ton, vielleicht geschmackvoller, aber lange nicht von solch überwältigender Technik wie die Zorn’schen Bilder. Niemals hat Uexküll bessere Darstellungen des Wassers gesehen, Wellen, Wogen, Kräuselungen, Spiegelungen und Reflexe, Darstellungen, die nicht allein echt wirken, sondern einen das Wasser fühlen lassen, die Kälte auf der Haut, wenn die Hand aus dem Boot heraus unter die Oberfläche taucht, das Kitzeln der kleinen Luftblasen auf dem Handrücken, während der Kahn, begleitet vom Knarren der Riemen, vorwärtsgleitet.

Der Leiter der Gesandtschaft, Arvid Richert, erwartet den Baron in einem Salon mit Blick auf die Terrasse. Dort werden im Sommer die Empfänge gegeben, Uexküll ist schon oft geladen gewesen, seiner diplomatischen Vergangenheit und der freundschaftlichen Beziehungen zu Attaché Rutger von Essen wegen. Die Beziehungen sind so eng wie die Wege nah. Kaum einer der Gäste, wenn er denn aus Berlin kommt, wohnt nicht im Tiergartenoder Alsenviertel. Man wird vorgestellt, trifft sich auf der nächsten Veranstaltung wieder, vergisst einander und erinnert sich, sobald man den anderen braucht oder selbst gebraucht wird.

Arvid Richert hat schon von Martha Liebermanns Schicksal gehört. Er werde tun, was in seiner Macht stehe. Der Standardsatz. Was steht in seiner Macht? Richert ist ein Mann knapp über die 50 mit feinen Gesichtszügen, trägt Fliege und das Haar seitlich gescheitelt, über den Ohren kräuseln sich ein paar Locken. Seine Augen sind undurchdringlich, in den leicht hochgezogenen Augenbrauen hängt Bedauern. Es gäbe schlimme Schicksale dieser Tage in Deutschland.

»Wir brauchen natürlich am Ende doch Frau Zorns Unterstützung. Tochter und Schwiegersohn in Amerika sind gut, aber keine wirkliche Sicherheit für den schwedischen Staat, weil nicht greifbar. Durch die Kriegsereignisse wird es wohl kaum möglich sein, dass Frau Liebermann kurzfristig in die USA weiterreist. Der zivile Schiffsverkehr ist fast vollständig zum Erliegen gekommen, ebenso der Luftverkehr, beides, soweit noch vorhanden, im Übrigen überaus riskant. Frau Zorns Zusage, für den Unterhalt ihrer alten Freundin aufzukommen, und ihr Antrag auf Erteilung einer Einreisegenehmigung sind unerlässlich.«

»Wir warten jeden Tag auf ihre Antwort, aber leider …«

Richert meint zu wissen, dass Emma Zorn sehr hinfällig geworden sei. Sie sei beinahe blind. Alle Post gehe durch die Hand ihrer Sekretärin Gerda Boethius. Die sei aber hauptsächlich mit der Arbeit am Zornmuseum beschäftigt. Frau Zorn wisse, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleibe.

Zeit? Wie viel Zeit hat Martha Liebermann noch, denkt Uexküll. Verzögerungen führen vielleicht zur Katastrophe, während der Nachruhm des großen Mannes gepflegt wird.

»Frau Zorn war immer karitativ tätig«, fährt Richert fort. »Sie hat einen guten Teil ihres Vermögens in Kinderheime und Schulen investiert, sie wird auch ihre alte Freundin nicht vergessen.«

Uexküll hofft das. Ein paar Tage werde er noch warten. Aber eigentlich sei jeder weitere Tag einer zu viel. Richert habe doch auch Kenntnis von den ersten Umsiedlungen in den Osten bekommen? Man könne nicht zulassen, dass Frau Liebermann, Witwe eines weltberühmten Malers, so behandelt werde. Es sei das Ansehen Deutschlands in der Welt ohnehin ein anderes geworden, aber Schweden, Schweden habe noch eines zu verlieren. Ob man sich eventuell auch an den Prinzen Eugen wenden sollte? Dem habe Max Liebermann immerhin zur Aufnahme in die Akademie der Künste verholfen. Es müsse im Interesse einer Nation wie der schwedischen sein, der Witwe Max Liebermanns Asyl zu gewähren.

Richert lächelt. Ein Lächeln, das Verständnis ausdrückt, kein Versprechen gibt. Wir geben aber unser Bestes, sagt es. Mehr haben wir nicht. Es ist nicht immer das, was die Antragsteller wollen.

Schweden steht unter Druck. Das nordische Brudervolk der Deutschen fühlt sich in bedrohlicher Umarmung. 90% der schwedischen Exporte gehen nach Deutschland. Aus schwedischem Eisenerz bauen die Deutschen ihre Kanonen. Mit der Brüderlichkeit könnte es vorbei sein, wenn das Brudervolk nicht mehr tut, was von ihm erwartet wird.

»Ich werde Svante Hellstedt schreiben. Er ist im Außenministerium für ausländische Passanträge zuständig. Ein Freund. Ich werde ihm die Lage schildern. Er kann sich direkt an Olof Lamm wenden, Emma Zorns Neffe, der sie in finanziellen Angelegenheiten berät. Wenn Emma Zorns Gesuch eintrifft, haben wir schon den Boden bereitet.« Der Erfolg der gesamten Aktion hänge aber leider nicht allein von den schwedischen Stellen ab, fügt Richert hinzu. Die deutschen Behörden ließen einfach immer weniger Ausreisen zu. Die Strategie gegenüber den Juden habe sich verändert. Auswanderungen würden behindert, wenn überhaupt noch genehmigt, dann mit hohen Geldforderungen verbunden. Der kriegerische Staat brauche Devisen. »Es ist einfach sehr spät für Frau Liebermann!«

»Ich weiß«, seufzt der Baron.

Uexküll tritt auf die Rauchstraße hinaus. Eine lockere Schicht trockener Blätter bedeckt das Trottoir. Der Wind hat die letzten zuverlässig von den Ästen geholt, es raschelt um seine Füße. Vieles bleibt jetzt liegen. Die Sorgen der Hausbesitzer und ihrer Verwalter gelten dem kommenden Winter, der Versorgung mit Kohlen, dem Luftschutz. Blätter sind da sekundär.

Uex wird noch einmal Martha Liebermann aufsuchen und ihr vom Ergebnis der Unterredung berichten. Mit seinen Schuhen pflügt er eine Spur durch das Laub, das sich auftürmt wie die Bugwelle vor einem Schiff. So haben sie es als Kinder in Vana-Vigala gemacht. Wer die höchste Bugwelle zustande bekam, war Sieger, und wer langsam und stetig vorwärts schritt, hatte eindeutig die größeren Chancen als die, die kopflos in die Blätterhaufen hineinrannten. Kleines Kinderglück! Heute ist das nicht mehr so einfach. Die Verpflichtung, anderen zu helfen, und die Verantwortung, die er dafür trägt, Frau und Kind heil durch die Diktatur zu bringen, lasten auf ihm.

Der Wind hat mir ein Lied erzählt, von einem Glück, unsagbar schön. Er weiß, was meinem Herzen fehlt.

Seine Füße machen das Schlagzeug: krsch, schrrr, krsch, schrrr.

Für wen es schlägt und glüht, er weiß für wen.

Uex hat seine Frau bei einer Laienspielaufführung kennengelernt. Sie war der Star der Truppe. Schön, charmant, gertenschlank. An jenem Abend trug sie ein Kleid in Goldfarben. Das Oberteil, in Falten zur Körpermitte gerafft wie eine Korsage, ließ sie noch schlanker aussehen. Sie war fast nur ein Hauch und die eleganteste Frau, die er je gesehen hatte.

Dem Paradies so fern. Martha Liebermann

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