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Ich bin doch nur ein Maler

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Manchmal sucht sie in ihrer Erinnerung nach einer ersten Begegnung. Vergeblich. Max ist schon immer da gewesen. Schnipsel im Kopf. Hier die Liebermann-Jungs vor der Synagoge, dort Max bei einer Bar Mizwa, die widerspenstigen Locken in der Mitte gescheitelt, mit Pomade gebändigt, die hochgezogenen Augenbrauen, plötzlich ein Schnäuzer, frühe Männlichkeit, er war ja so viel älter als Martha. Ihre Familien waren eng befreundet, es gab entfernte verwandtschaftliche Beziehungen über eine Großtante Marthas, »allet een Stamm«, sagte Max, und es war ihm gerade recht so. Gleiche Herkunft, gleiche Werte, Garanten für ein zufriedenes Leben. Das Extravagante hob sich Max für seine Kunst auf.

»Der Max Liebermann will Maler werden.« Maler! In einer Dynastie erfolgreicher Kaufleute! Der Skandal wurde hinter vorgehaltener Hand weitergegeben, am Mittagstisch auch bei den Marckwalds diskutiert. »C’est incroyable!« Durch die Betonung zum Tadel geformt, klebte dieser kurze Satz an ihm, beinahe ein Leben lang: »Max will Maler werden!« Der Erfolg sollte den Makel tilgen und tat es auch, aber sein Vater erlebte das nicht mehr, nicht die höchste Anerkennung, das Einzige, was wirklich zählte in so einer Familie, also nicht mehr die Große Goldene Medaille in Berlin, den Professorentitel, die finanzielle Unabhängigkeit.

Als sie noch Schüler waren, hatte der Vater seine Söhne durch ein Fensterchen in der Tür ihres Jungenzimmers beobachtet, ob sie auch fleißig lernten. Das Fensterchen blieb in Max Kopf. Deshalb wollte er immer alles noch besser machen, musste alles besser machen, und obwohl es längst keiner mehr verlangte, machte er alles immer besser. »Ich bin ja nur ein Maler.« Das »nur« nie vergessen zu betonen. Er meinte es wirklich so.

Marthas Vater starb, als sie 13 war. Sein Todeskampf verschluckte alles Leben. Man ging auf Zehenspitzen. Der Arzt kam, leise Gespräche, Krankenbericht der Mutter, dann entfernten sich die Schritte, die leichten der Mutter kehrten zurück, Anweisungen, Klappern von Waschgeschirr, plötzliches Hasten des Hausmädchens, eine Tür fiel zu. Innehalten. Verwandte kamen. Niemand kümmerte sich um die Kinder. Benno nahm fünf Kekse auf einmal aus der Schale. Marthas Hündchen fiel im Schlaf vom Sessel, drehte sich im Flug und landete auf den Beinen. Sie lachte und schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund.

Max Vater wurde ihr Vormund. Wenn sie damals schon gewusst hätte, dass sie mit diesem strengen Mann einmal unter einem Dach leben würde, bis er, krank und hinfällig, gepflegt werden musste und schließlich dahinstarb wie ein welkes, bitteres Kraut!

»Achtung, Onkel Louis kommt!« Benno hatte ihn vom Fenster aus gesehen. Da war er schon auf der Treppe. Sie hörten seinen gemessenen, aber nicht schweren Schritt, das Klappern seines Spazierstocks auf den Stufen. Die Mutter ging ihm entgegen bis zur Tür, das tat sie sonst bei niemandem. Sie nahm ihm selbst den Mantel ab und reichte ihn dann erst dem Mädchen weiter.

Louis hatte einen altmodischen Backenbart, der von den Koteletten ausgehend in einem Dreieck nach unten bis zum Hals wucherte. Es sah aus, als seien die Haare, die ihm auf dem Kopf fehlten, nach unten gerutscht, und Martha hatte Lust zu lachen. Sie machte einen Knicks. Während sie in die Knie sank, verschwand ihre Hand in der knochigen, harten von Louis Liebermann. Er hielt sie lange, noch als Martha aus der Beugung wieder aufgetaucht war. Sie hatte Angst, er ließe sie nicht mehr los.

Später malte Max diese Hand mit einer gewissen Nachlässigkeit. Der Vater war böse darüber. Das war doch nicht die Hand eines Kaufmanns, die alles fest im Griff hielt. Verschwommen, beinahe konturlos lag sie auf seinem Schoß, die unvermeidliche Zigarre zwischen Zeige- und Mittelfinger. Alt fand sich der Vater dargestellt. Max malte, was er sah. Die Wahrheit fand er nie hässlich.

Viel später banden sie dem Vater bei Tisch einen Latz um, damit er seine Weste nicht bekleckerte.

Dem Paradies so fern. Martha Liebermann

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