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4. November 1941

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»Ach, Herr Baron!« Marie Hagen empfängt Uex mit Verschwörermiene. Noch im Hausflur tuschelt sie: Es gehe der Frau Professor nicht gut. Sie ließe es sich nicht anmerken, aber man bemerke es eben doch. Sie esse kaum noch etwas, behaupte, keinen Appetit mehr zu haben. Wegen des ewigen Mangels, der herrsche, sei das ja praktisch, aber man müsse doch auf ihre Gesundheit achten. »Sonst brauchen wa uns keene Sorjen mehr um die jroße Reise zu machen.«

»Die große Reise«, ihre Chiffre für eine Auswanderung, noch leiser gehaucht als das Übrige, als würden sie belauscht.

»Noch immer keine Post aus Schweden?«, fragt Uexküll.

Marie schüttelt den Kopf.

Martha Liebermann sitzt klein, noch kleiner, als sie ihm vor zwei Wochen erschienen ist, aber tadellos gekleidet und aufrecht in ihrem Sessel. Ihre Augen sind wach, die Geste herrschaftlich: »Danke, Marie.«

Uexküll berichtet über seinen Besuch in der schwedischen Botschaft. Jetzt gelte es nachzulegen. »Sie müssen noch einmal an Emma Zorn schreiben. Vielleicht ist der Brief verloren gegangen, von der Zensur abgefangen. Ich werde von dem Schreiben eine Kopie an meine Freundin, Gräfin Bonde in Stockholm, schicken. Sie soll versuchen, mit Frau Zorn persönlich zu telefonieren.« Im direkten Kontakt könne man besser klären, was machbar sei, wo die Schwierigkeiten lägen. Außerdem ginge es viel schneller.

Die Zeit verrinnt wie Sand aus einer Sanduhr, die ein Leck hat, und mit ihr die Chancen, aber das sagt er nicht laut. Martha Liebermann spürt es wahrscheinlich sowieso. Selbstverständliches braucht man nicht auszusprechen. Sie bedrängt niemanden mit ihrer Furcht. Nur manchmal sieht man an einer kurzen Abwesenheit, dem Taschentuch, das sie nervös durch ihre Fingern zieht, dass sie daran denkt, was sein könnte, wenn alle Versuche vergeblich blieben.

»Bitte setzen Sie sich gleich hin und schreiben Sie an Frau Zorn. Ich warte so lange.«

»Gut.«

Martha Liebermann erhebt sich erstaunlich schnell und sicher. Für den kurzen Weg zum Sekretär benötigt sie einen Stock, aber sie schwankt nicht, ihre Schritte sind klein, trippelnd.

»Ich werde in etwa noch einmal das Gleiche schreiben wie beim ersten Mal. Vielleicht ist ja der Brief wirklich nicht angekommen. Ich denke, es hat wenig Sinn, eindringlicher zu werden. Wenn sie es will und kann, wird sie antworten.«

Die Bedenken liegen in der Luft, sie, Emma Zorn, könnte es vielleicht aus irgendeinem Grund nicht wollen. Aber welcher sollte das sein?

Uexküll betrachtet inzwischen die Bilder an der Wand. Sie sind bedeutend feiner ausgesucht als das Sammelsurium in der schwedischen Botschaft, wo vieles durcheinander hängt, weil man den und jenen Künstler vielleicht nicht zurücksetzen wollte. Hier dagegen sieht man jedem Bild an, dass es ausgewählt worden ist, weil es eine bestimmte Qualität erfüllt, die über das Motiv oder den dekorativen Effekt hinausgeht.

Da hängen die beiden Porträts von Zorn, nicht allzu großformatige Brustbilder. Das eine, dunkel gehalten, zeigt Max Liebermann im Alter von vielleicht 40 Jahren. Er hat den linken Arm auf die Lehne eines Fauteuils gelegt, Licht fällt von rechts auf die herabhängende Hand und den bereits kahlen Schädel des Professors. Auffällig der üppige, noch ganz dunkle Schnauzer, der, nach der Mode der Zeit in zwei Spitzen gezwirbelt, bis zur Mitte der schmalen Wangen reicht. Der Professor blickt melancholisch mit seiner typisch nach oben gezogenen rechten Braue. Unter dem Kinn hält eine Lavallière den Kragen zusammen.

Das Porträt von Martha Liebermann ist heller. Sie posiert vor einem grünen Hintergrund, ihr schönes, ebenmäßiges Gesicht ist ganz beleuchtet. Sie hält sich sehr gerade und strahlt den ihr eigenen Stolz aus, der ihren Körper auch jetzt noch aufrecht hält. Das Kleid, das sie trägt, ist schwarz, mit keulenförmigen Ärmeln und einem rechteckigen, von einem Satinband eingefassten Ausschnitt, aus dem eine hochgeschlossene weiße Spitzenbluse heraussieht.

»Zwei sehr schöne Arbeiten«, sagt Uexküll.

Martha wendet sich kurz um und lächelt.

»Ja, nicht wahr?!«

»Was ist das für ein roter Punkt am Revers Ihres Mannes?«

Der rote Fleck ist winzig, ein kleiner Wischer mit dem Pinsel, eine Form nicht auszumachen. Es ist das einzige Rot auf dem ganzen Bild, das sonst sehr dunkel ist, und es wirkt, als habe Zorn aus Versehen ein bisschen Farbe auf die Leinwand gespritzt.

»Das ist das Band der légion d’honneur«, sagt Martha. »Sie hatten ihn gerade aufgenommen, und er war so stolz darauf. Ein Deutscher, der in die Ehrenlegion aufgenommen wird! Zorn hat den kleinen roten Punkt gesetzt und gesagt: Orden dürfen nie fehlen. Maler bekommen nicht so viele. Er hatte ihn selbst auch erhalten. Sie waren wie die Kinder. Eine glückliche Zeit.«

Heute gilt Zorn unter den jungen Künstlern in Schweden als etwas antiquiert, aber er hat den Status eines Klassikers, die Porträts müssten sich also auf dem schwedischen Markt verkaufen lassen, denkt Uexküll, oder könnte es im Interesse des Zorn-Museums liegen, zwei gelungene Werke des Meisters zu erwerben? Wie viel würden die Bilder wohl bringen?

Ob Frau Liebermann bereit wäre, sie zu opfern, um ihren Lebensunterhalt in Schweden zu sichern? Sie schreibt zügig, ohne abzusetzen. Es ist still. Einzig das Pendel einer Uhr, die irgendwo draußen im Flur steht, macht ein dumpfes Tock-tock, Tock-tock. Schließlich hält sie inne, prüft das Geschriebene, seufzt und schwenkt das Blatt, um es zu trocknen. Eine kokette, beinahe heitere Geste. Uexküll springt auf. »Erlauben Sie?« Der Brief unterscheidet sich in manchen Formulierungen tatsächlich kaum von dem ersten, den sie vor zwei Wochen geschrieben hat. Wie oft mochte sie die Zeilen memoriert und überlegt haben, ob sie vielleicht zu schwach waren, Emma Zorns Mitleid zu erregen?

»Perfekt«, sagt der Baron. »Ich erlaube mir, das Schreiben zu kopieren. Nun werden wir die Sache noch einmal mit mehr Energie angehen. Ich lasse nicht locker, bevor Emma Zorn sich nicht geäußert hat.«

Dem Paradies so fern. Martha Liebermann

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