Читать книгу Grenzen - Sorin Mirel Constantin - Страница 4

Ein paar Sekunden

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Nur ein paar Sekunden. Wahrgenommen hatte sie es gar nicht. Das weiße Pferd, das in aller Ruhe über die Straße mitten in der Nacht lief, hatte sie nicht gesehen. Den Satz, den sie vor diesen Sekunden angefangen hatte, hatte sie unterbrochen. Das weiße Pferd überquerte die Landstraße und kümmerte sich nicht um die hellen Scheinwerfer des Wagens, deren Licht sich wie scharfe Messer in die dunkle Nacht hineindrückte. Es lief langsam, gemächlich. Es wollte zeigen, dass es dahin gehörte und dass es genau um diese Uhrzeit einen weißen Strich über die Straße ziehen musste. So, als sollte es ein »vor dem weißen Pferd« und ein »nach dem weißen Pferd« geben.

Alexandru drückte das Gaspedal so kräftig, dass die Reifen laut quietschten wie die Sirenen der alten Salamifabrik in der Nähe ihrer Wohnung damals in Hermannstadt, bei jedem Schichtwechsel, sogar nachts konnte man sie hören. Die schwarzen Reifenspuren, die der Wagen hinterließ, blieben zurück als einzige Zeugen der Begegnung mit dem weißen Pferd. Lang und schwarz waren sie, als wollten sie die Schärfe der Scheinwerfer wegwischen. Anna wurde von dem Quietschen der Reifen und dem Ruck, mit dem der Wagen fast stehen blieb, wach.

Er wusste nicht, ob sie das Pferd gesehen hatte, fragte nicht danach, so wie er den ganzen Tag und die halbe Nacht fast keine Fragen gestellt hatte. Welches Zeichen wollte dieses Pferd setzen? Ein weißes Pferd, das ihnen bei Nacht vor ihrem Wagen erschienen war, um gleich danach zu verschwinden.

Sie hatten sich diese Reise gewünscht, sie wollten unbedingt zurück, nur für kurze Zeit. Sie machten diesen langen Weg und wussten, dass diese Reise zurück mehr bedeuten konnte, als nur die Eltern zu besuchen. Und jetzt dieses weiße Pferd! Er war zu müde, um tiefer zu grübeln, sich zu fragen, was all die Umleitungen, all die Umstöße und all die Umkehrungen, die es häufig in der letzten Zeit gegeben hatte, zu sagen hatten.

Als Anna ihren »vor dem weißen Pferd« unterbrochenen Satz wieder aufrollte, huschten die paar Sätze, die sie sprach, an seinem Ohr vorbei. Er, Alexandru, wusste es. Dieses Zeichen, was auch immer es zu bedeuten hatte, hatte sie nicht wahrgenommen, es existierte für sie nicht. Sie sprach weiter, um ihn am Steuer wach zu halten. Ihr dagegen fielen die Augen zu; an ihren Augenlidern hingen schwere Lasten, wie Steine, die man um die Hälse von Katzen legte in der alten Heimatstadt, wenn man diese Katzen ertränken wollte, wenn man diese Katzen nicht mehr haben wollte. Man warf sie in den alten Fluss, in den schlammigen, langsam fließenden Zibin. Anna wusste nicht, was sie sagte, sie sprach wie von einem Band, wie Alexandru in manchem Verhör, ohne Unterbrechung, ohne etwas sagen zu wollen, ohne etwas sagen zu können, die Krallen der Angst im Nacken. Die Angst jetzt bei Anna, dass Alexandru am Steuer einschlafen könnte. Sie war davon überzeugt, ihn wach halten zu können. Er musste schließlich noch etwa 150 km fahren, und die Nacht war schwarz wie Pech, und die digitale Uhr zeigte 03:24 morgens, tief in der Nacht. Nacht. Schlafen. Das Kind schlief hinten auf der Rückbank. Sie blickte plötzlich nach hinten, wie in Panik, das Kind atmet nicht! Auf der Rückbank schlief ihre fünfjährige Tochter, sorgenlos, sie atmete ruhig aus und ein, sie schien einen schönen Traum zu haben. Anna beruhigte sich.

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