Читать книгу Grenzen - Sorin Mirel Constantin - Страница 5

Man muss bezahlen

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Die Angst, sie nicht mehr atmen hören zu können, hatte sich so fest in ihr Gedächtnis eingegraben wie ein Maulwurf, der vor der Kälte flüchtet und sich tiefer und tiefer in der Erde seine winterliche Unterkunft baut. Es war damals an der Grenze gewesen, die schwer bewachte Grenze mit Maschinenpistolen, Grenztürmen und Kontrollen, bei denen man nicht einmal einen Liebesbrief in der Hosentasche verstecken konnte oder eine goldene Kette in einer Zahnpastatube. Dies galt sowohl für Ausreisende als auch für Einreisende. Man konnte sie nur passieren wie beim Passieren eines gewissen mythologischen Flusses: nur, wenn man etwas dafür abgab. Man gab Zigaretten, Whisky oder Geld ab, man verlor schnell die Achtung vor sich selbst, man fühlte sich erniedrigt, man wurde angesteckt mit einem Virus. Beim bloßen Wort »Grenze« schaute man nach links und rechts mit dem Blick eines gejagten Tieres, man spürte dieses Gefühl der Leere im Magen, als hätte man lange Zeit nichts gegessen. Das kleine Mädchen Sophia, ihre Tochter, wurde lange Jahre danach, beim Passieren welcher Grenze auch immer, selbst wenn keine Grenzsoldaten sie überwachten, schon Kilometer bevor die Grenze sichtbar war, hell wach, und Anna konnte es jedes Mal deutlich hören: Sophias Herz klopfte laut und schnell. Es war aber nicht Freude, die ihr Herz lauter und schneller klopfen ließ. »War die Grenze schon oder müssen wir noch warten?«, wollte sie jedes Mal wissen, obwohl viele Grenzen nicht mehr als Grenzen zu erkennen waren.

Alexandru fuhr weiter durch die warme tiefschwarze Nacht. Es war jetzt die zweite Reise nach Rumänien, und er musste an damals denken, als sie zum ersten Mal zurückfuhren, zurück nach Hermannstadt, wo die Eltern in ihrem kleinen Haus in der Nähe des Jungen Waldes lebten und wo auch sie gelebt hatten, zur Schule gegangen waren, sich ineinander verliebt und geheiratet hatten, wo ihre Tochter zur Welt kam. Es war die erste Erfahrung mit der rumänischen Grenze nach ihrer Ausreise vor einigen Jahren.

Nur die Augen des Grenzsoldaten konnte man erkennen, in seinem langen, dicken Mantel eingehüllt und mit seinen überdimensionalen Filzstiefeln, in denen er sich kaum bewegen konnte.

»Aussteigen, alle!«

Sie stiegen aus und wussten sofort, warum er diesen Mantel brauchte. Der Schnee knirschte unter ihren feinen Schuhen, und sehr schnell wussten sie nicht mehr, warum sie zitterten, wegen der für diese Jahreszeit ungewöhnlichen Kälte, oder weil sie zum ersten Mal die Grenze zurück passierten und nicht wussten, was ihnen widerfahren würde. Oder war es die Aufregung, wieder diese Sprache dort zu hören und zu sprechen, die Gerüche, auch wenn sie sie nicht mochten, wiederzuerkennen?

»Auch die Tochter muss raus!«

»Sie schläft aber, sie ist vier Jahre alt, bitte lassen Sie sie schlafen, im Wagen ist es warm.«

»Alles raus! Kind, Gepäck, alles!« Den Tonfall des Befehls erkannten sie wieder, er war ruhig, gelassen und trotzdem bestimmend, getragen von einer ungeheuren Sicherheit: Hier bestimme nur ich und niemand anderes. Sie mussten sich fügen, sie hatten nicht einmal die Kraft oder den Mut, sich zur Wehr zu setzen. Nicht einmal innerlich. Es gab kein Zähneknirschen, keine in der Tasche geballte Faust. Sie packten alles heraus auf die für diesen Zweck aufgestellten Bänke: Kleiderkoffer, Nahrungsmittelkisten, Medikamente, alles, was sie hatten. Anna ging mit Sophia ins Zollhaus, es stank nach abgestandenem Zigarettenrauch. Sie kannte diesen Gestank. Es war der Gestank von schäbigen Kneipen, in deren Holzböden Petroleum eingelassen wurde, angeblich aus hygienischen Gründen, in denen unrasierte raue Männer streng riechenden Zwetschgenschnaps tranken und billige, filterlose Zigaretten der Marke Marasesti rauchten, nach der schweren Arbeit in der Fabrik. Sie betranken sich, damit sie zuhause einen Grund hatten, ihre Frauen schlagen zu dürfen. Es war kalt im Zollhaus, genauso kalt wie draußen vielleicht. Draußen nahm sich der warm angezogene Zöllner die Zeit, alles in Ruhe zu betrachten und wollte auch unterhalten werden.

»Wie seid ihr denn raus?«

»Als Touristen.«

»Aha, und nicht mehr zurückgekommen, eh?« Was wollte er damit sagen? Es wurde deutlich kälter, Alexandru fing an, noch stärker zu zittern unter seiner kurzen ledernen Jacke. Was hatten sie vor mit einem, der »geflüchtet« war? Trotz seines deutschen Reisepasses, den er stolz an jeder Grenze vorzeigen wollte und den keiner anschauen wollte?

»Und diese Tasche, was ist drin?«

»Medikamente für meinen herzkranken Schwiegervater«. Es fing eine Auslese an, die Guten ins Töpfchen und diejenigen, die der Zöllner nicht weiterverkaufen konnte, blieben in der Tasche.

»Die hier sind für mich, ihr könnt weiterfahren. Übrigens, nach zwei Kilometern ist die Straße unpassierbar. Schnee.«

Grenzen

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