Читать книгу Grenzen - Sorin Mirel Constantin - Страница 8
Die Anrufe
ОглавлениеDas verwanzte Telefon klingelt um elf Uhr, gleich am nächsten Morgen. Mia weiß es ganz genau, das Telefon ist verwanzt, sie selbst hat früher bei der Telefongesellschaft gearbeitet.
Man wolle Alexandru sprechen. Wer da sei? Oberst Soundso.
»Ich bin aus diesem Grunde aus diesem Land geflohen, ich möchte keine Gespräche mit Ihnen führen!« Aufgelegt.
Zehn Minuten später. Man wolle Alexandru sprechen, Oberst Soundso.
»Sie haben es doch gehört, er möchte nicht mit Ihnen sprechen, war es nicht deutlich genug?«, sagt Mia mit einem am Anfang zögerlichen Ton und dann immer entschlossener, als machte sie ihr eigener Mut mutiger. Alexandru nimmt den Hörer in die Hand, Mias Mut gibt ihm Kraft.
»Und wenn Sie noch einmal anrufen, dann …«, was dann? Wie kann er in diesem Land, in dieser Stadt, die er so geliebt hat, die von der Staatsmacht umzingelt und vermauert ist, zeigen, dass er über das eigene Schicksal selbst entscheiden kann?
»… dann packe ich meine Leute und meine Sachen ins Auto und fahre zurück!« Lächerliche Antwort, er hat Angst, nichts anderes. Flüchten, erneut flüchten vor einer Stimme am Telefon, die nichts anderes tut, als ihn eine vergessen geglaubte Ekelkralle im Nacken spüren zu lassen. Eine Machtlosigkeit, die ihn grau und dumpf fesselt. Und dann die Vorstellung dessen, was unterwegs zurück in die Freiheit passieren könnte. Die Kralle drückt immer heftiger in seinen Nacken. Soll er aufgeben, soll er versuchen, wie damals zu sprechen, als er verhört wurde und stundenlang sprach, ohne etwas zu sagen, soll er so tun als ob? Einen Unfall zu inszenieren, wäre für diese Machtkrake ein Kinderspiel. Bericht in der lokalen Zeitung: »Drei Ausländer: Mann, Frau, Kind gestorben in einem fürchterlichen Unfall auf der E 34. Erhöhte Geschwindigkeit und Trunkenheit am Steuer.«
Er legt auf und wartet. Nichts. Bis zum nächsten Tag nichts. Kein Anruf vom Oberst Soundso. Er will nicht zugeben, dass er wartet, er tut es aber. Er kann sich nicht vorstellen, dass diese rauen, grauen immer adrett angezogenen Diener der Diktaturkrake bei so einem Satz aufgeben. »Ich nehme meine Spielsachen und gehe«, das ist kein Satz für die geschulten Henker der Staatsmacht. Sie versuchen es mit Sicherheit anders. Staatsicherheit, Securitate.
Der Rumäne sagt: »Geduld und Tabak«. Als könnte ihm das helfen.
Er zerdrückt in seinem Aschenbecher die kleinen, zylindrischen Formationen der Asche, die von seiner Zigarette herabfallen. Er zerkleinert sie, als wären sie in der ursprünglichen zylindrischen Form bedrohlich. Er scheint vor ihnen Angst zu haben. Sein Blick verrät aber, dass er geistesabwesend ist, dass diese Bewegung automatisch ist und er nicht nach vorne blickt, sondern tief in die Vergangenheit, er erinnert sich. Er will es nicht, er verdrängt es, aber es hat sich so viel angestaut. So wie sich Regenwasser in einem Regenwasserkübel während eines regnerischen Sommers sammelt und irgendwann, wenn die Pflanzen nicht damit bewässert werden, überläuft und Pfützen um den Kübel bildet, die bei Sonnenschein schnell verdunsten und doch Spuren hinterlassen. Getrockneter Schlamm, dunkel und unergründlich, bereit, beim nächsten Regen neue Pfützen zu beherbergen. Er wartet. Er sucht und versucht in diesem Schlamm die Antwort für die jetzige Situation zu finden.
Wie ist er in diesen Schlamm gelandet? Er erinnert sich ungern und doch flimmern ihm Bilder vor den Augen, Bilder, die er verdrängt hatte, die er gelöscht geglaubt hatte.