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Offene und geschlossene Gestalten

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Der Begriff offene oder geschlossene Gestalt ist für mich ein sowohl nützlicher als auch unscharfer Begriff. Im strengen Sinne gibt es keine offene oder geschlossene Gestalt. Selbst die Geburt als eine offene und der Tod als eine geschlossene Gestalt sind ungenau. Bei der Geburt sind wir am beweglichsten und sofort setzt der Alterungsprozess oder auch Reifungsprozess ein. Wichtige Aspekte dieses Prozesses sind zunehmende Unbeweglichkeit, Fixierungen, Automatismen, typische Charaktereigenschaften, Körperhaltungen, Bewegungsmuster, emotionale Schemata, Denk- und Verhaltensmuster. Diese körperliche, geistige und seelische Verminderung von Beweglichkeit endet nach unserem letzten Atemzug in der langsam einsetzenden Todesstarre.

Was hat das alles mit Gruppenleiten zu tun? Wenn ich die Gruppe als einen Organismus betrachte, wie es von einigen Gestalttheoretikern vorgeschlagen wird, so hat auch die Gruppe eine Geburt, in der anfangs noch alles offen und möglich ist, ein Leben, indem der Prozess der Reifung stattfindet, einhergehend mit bestimmten Festlegungen der Aufgaben, Ziele, Rollen, Regeln, Normen und Werte und ein unwiederbringliches Ende wie der Tod.

Schau ich mir als Gruppenleiter das Gruppengeschehen mit der Brille ›offene vs. geschlossene Gestalten‹ an, dann hilft es mir zu entscheiden, auf welche Themen sich meine Interventionen richten werden. Wenn ich in eine völlig neue Gruppe komme, von deren Teilnehmern ich nichts weiß, so bringe ich nur meine eigene Neugierde als offene Gestalt mit, die mich motiviert, gemäße Handlungen zu erfinden. Meine ersten Kontaktanbahnungen werden unbefangen sein, ich möchte die Teilnehmer kennen lernen, etwas über ihre Erwartungen, Wünsche und Ziele wissen, über ihre momentane Befindlichkeit erfahren. Auch gehe ich davon aus, dass die Gruppenteilnehmer ein ähnliches Bedürfnis haben, wenn sie vielleicht auch nicht genauso unbefangen sind.

In die meisten Gruppen komme ich aber nicht so unbefleckt. Es gibt oft eine Vorgeschichte, die offene und geschlossene Gestalten mit beinhalten. Die geschlossenen wirken wie selbstverständlich im Hintergrund, größtenteils abrufb ar, wenn danach gefragt, aber ansonsten nicht von unmittelbarem Interesse. Dazu gehört zum Beispiel, dass ein mir schon aus einer anderen Gruppe bekannter Teilnehmer jetzt in der neuen Gruppe ist. Es war so abgesprochen, es bestand ein guter Rapport, eine tragfähige Beziehung.

Mehr in mein Bewusstsein hingegen dringen die offenen Gestalten. Sie verlangen meine Aufmerksamkeit, wie eine Fliege, die sich in penetranter Weise immer wieder auf meine Nase setzt.

Offene Gestalt, die einen Gruppenteilnehmer betrifft

Zum Beispiel könnte dort ein Gruppenteilnehmer sitzen, den ich für diese spezielle Gruppe für ungeeignet halte. In einem speziellen Fall hatte ich erst ein halbes Jahr später für mich die Gestalt geschlossen. Als es in der Gruppe für alle deutlich wurde, dass dieser Teilnehmer nicht seinen Platz finden würde und es ihm in der Gruppe zunehmend schlechter ging, machte ich meine Autorität als Gruppenleitung geltend, bot ihm meine Einschätzung an, dass er in der Gruppe nicht gut aufgehoben sei, woraufhin er entschied zu gehen. In der Gruppe war daraufhin größtenteils Erleichterung zu spüren.

Ein anderes Beispiel: Eine Gruppenteilnehmerin kommt aus einer anderen Gruppe, in der sie sich nicht wohl gefühlt hat. Einiges über die Geschichte in der anderen Gruppe ist mir zu Ohren gekommen. Meine offene Gestalt ist: meine unausgedrückte Angst, dass die Teilnehmerin vielleicht besonders schwierig ist.

Jegliches Vorwissen, das ich über einen Gruppenteilnehmer von Dritten habe, wirkt für mich wie eine offene Gestalt. Mein Dilemma: Einerseits möchte ich es ansprechen, um die Gestalt für mich schließen zu können, andererseits wurde mir solche Information meist im Vertrauen mitgeteilt. Sie war nicht für die Gruppenöffentlichkeit bestimmt.

Besonders zu Beginn einer Gruppe können Gruppenteilnehmer es als Vertrauensbruch empfinden und sich bloßgestellt fühlen, wenn ich Informationen von außerhalb der Gruppe einbringe.

Offene Gestalt, die die ganze Gruppe betrifft

Eine eher banale offene Gestalt zu Beginn einer Gruppe besteht, wenn einer oder gar mehrere Teilnehmer erst später kommen oder gar unklar ist, wer überhaupt noch kommt.

Das sind Startbedingungen, die Unsicherheit mit sich bringen, die Wertigkeit der Gruppe schmälern und ihre zuverlässige Tragfähigkeit von Anfang an in Frage stellen. Viel freudige Erwartung und Aufregung kann so verpuffen. Gleich zu Beginn droht dann eine für die Gruppenkohäsion ungünstige Norm der Unverbindlichkeit.

Verschärft wird diese unterminierende Dynamik, wenn einzelne Gruppenteilnehmer sich offen halten, ob sie in der Gruppe bleiben werden und das bis zum Schluss des ersten Treffens oder sogar noch länger ungeklärt bleibt. Es verhält sich hier wirklich wie mit der besagten Fliege auf der Nase, sie ist nicht bedrohlich, erzeugt aber einen Reiz, der eine Reaktion erfordert.

Grundsätzlich gibt es mindestens zwei Möglichkeiten, mit diesen Situationen jeweils umzugehen:

Erst mal nichts zu tun

Was dafür spricht: Das Thema kann von der Gruppe selbst angesprochen werden.

Was dagegen spricht: Das Thema schwelt im Hintergrund und lähmt die Energie der Gruppe.

Das Offensichtliche zu benennen

Wenn das Thema die ganze Gruppe angeht, lenkt diese Intervention bereits zu Beginn die Aufmerksamkeit der Teilnehmer auf die Tatsache, dass das Verhalten jedes einzelnen Mitglieds Wirkung auf die anderen Teilnehmer und auf die Gruppe insgesamt hat. Es zieht jeden in die Mitverantwortung für das gesamte Gruppengeschehen: für die Entstehung von Normen, Regeln, Atmosphäre und Kultur. Eine Tatsache, die nicht von allen Teilnehmern widerstandslos hingenommen werden wird.

Als Gruppenleitung können Sie Ihr Gewicht mit in die Waagschale geben, oder den Konflikt bei der Gruppe lassen. Sie könnten die Stellvertreter der beiden Pole Zugehörigkeit und Autonomie darin unterstützen, ihre jeweilige Position zu finden, zu vertreten und zu verteidigen. Der erste Konflikt zwischen Gruppenmitgliedern nähme Gestalt an. Die Arbeit mit Polaritäten ist dabei ein wesentlicher Bestandteil, wenn es um die Bewusstwerdung und Lösung von Konflikten geht (Zinker 1998: 191 ff.).

Wenn Sie als Gruppenleitung gleich zu Beginn Ihr Gewicht deutlich mit in die Waagschale legen, gehen Sie in Konflikt mit Gruppenteilnehmern, was früher oder später sowieso passieren wird. Denn auch Sie werden Vorstellungen darüber haben, welche Kultur in der Gruppe herrschen sollte, damit Sie sich zum Arbeiten ausreichend wohl fühlen.

Sie könnten also klar sagen, dass es Ihnen wichtig ist, dass die Teilnehmer zur vereinbarten Zeit da sind, so dass Sie gemeinsam anfangen können. Oder Sie könnten ankündigen, dass Sie von jetzt an zur vereinbarten Zeit anfangen werden, mit denen, die da sind.

Wichtig für mich ist, ein reiches Repertoire an Interventionsmöglichkeiten zu haben, um solch eine recht übersichtliche offene Gestalt aktiv für mich schließen zu können. Ob ich dabei den Konflikt in die Gruppe gebe und mich soweit wie möglich raushalte oder mich selbst in den Konflikt begebe, hat unterschiedliche Konsequenzen.

Die meisten Gruppen sind erschrocken, wenn es gleich zu Beginn einen Konflikt mit der Leitung oder unter den Gruppenmitgliedern gibt.

Zusammenfassend erlebe ich mich als Gestaltgruppenleiter wie ein Spürhund nach offenen Gestalten (Unerledigtem), die im Hier und Jetzt der Gruppe wirken und nach Schließung drängen. Darüber hinaus möchte ich es den Gruppenteilnehmern schmackhaft machen, dass es sich lohnt, sich diesen offenen Gestalten zuzuwenden. Wird die Gestalt geschlossen, gehen die Gruppenteilnehmer gestärkt und gereift aus diesem Prozess hervor.

Gestalttherapie mit Gruppen

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