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Positionserwartungen für Desktop-Sites

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Wenn die nutzerseitig investierte Zeit für das Scannen der Inhalte knapp ist, dann lautet die erste Empfehlung: Standardkomponenten sollten genau dort stehen, wo sie von den Nutzern erwartet werden. Erwartungskonformität ist folglich das A und O, sie unterstützt die schnelle Orientierung – und gehört deshalb zu den wichtigsten Usability-Faktoren im Webdesign. Nachzulesen ist das in der DIN-Norm EN 9241-110 über die Grundsätze der Dialoggestaltung für Software-Oberflächen.

Der Usability-Forscher Michael Bernard befasste sich bereits in den Nullerjahren intensiv mit den Konturen des Website-Schemas und befragte damals in mehreren Studien weit über 1.000 Testpersonen, an welchen Positionen sie typische Site-Komponenten auf einer Desktopsite üblicherweise erwarten. Um die Platzierungserwartungen herauszufinden, wurden die Bildschirmflächen dazu in 56 Zellen eingeteilt, und die Probanden sollten benennen, in welcher dieser Zellen sie die einzelnen Seiten-Elemente üblicherweise suchen würden. In seiner ersten Studie aus dem Jahr 2001 befragte Bernard 346 Testpersonen und unterteilte seine Probandengruppe in Neulinge und erfahrene Web-User. Nebeneinander gestellt zeigen die Befunde, inwieweit generelle Platzierungserwartungen für Standardkomponenten in Abhängigkeit von der Nutzungserfahrung voneinander abweichen. Im Einzelnen ergab sich in der Untersuchung folgendes Bild (ausgewählte Befunde):


Abb. 17: Erwartete Position für den »Zurück zur Startseite«-Link im Jahr 2001 bei Nutzern mit weniger als einem Jahr Internet-Erfahrung (links) und bei Nutzern mit drei und mehr Jahren Internet-Erfahrung (rechts); das Blau in den Zellen ist auf den Ergebnisbildern umso dunkler, je öfter die betreffende Zelle von den Probanden als »erwartete Position« angegeben wurde. Quelle: surl.org (nicht mehr im Netz)


Abb. 18: Erwartete Position für die Hauptnavigationslinks. Quelle: surl.org (nicht mehr im Netz)


Abb. 19: Erwartete Position für die site-interne Suche. Quelle: surl.org (nicht mehr im Netz)


Abb. 20: Erwartete Position für Werbebanner. Quelle: surl.org (nicht mehr im Netz)

In unregelmäßigen Zeitabständen (2002 und 2004) wiederholte Bernard seine Tests und stellte dabei fest, dass sich im westlichen Kulturkreis, also dort, wo von links nach rechts gelesen wird, in vielen Fällen bereits ein deutlicher Konsens über das Website-Schema eingestellt hatte. Allerdings gab es im Zeitverlauf für zwei Standardkomponenten auch deutliche Bewegungen in den Positionserwartungen: Die Hauptnavigation wurde 2001 klar in einer linken Spalte erwartet, in 2004 und später sind aber verstärkt auch Positionserwartungen in einer horizontalen Linie am Seitenkopf dokumentiert – hier zeichnete sich also ab, dass Hauptnavigationslinks nicht nur links in einer Spalte angemessen sind, sondern auch in einer quer laufenden Zeile am Seitenkopf. Ähnliches war zu beobachten für die erwartete Position der site-internen Suche: 2002 wurde sie von den Probanden mehrheitlich am Seitenkopf in der Mitte erwartet, in einer Folgestudie von A. Dawn Shaikh und Kelsi Lenz aus dem Jahr 2006 (in leicht veränderter Methodik) dann tendenziell aber eher rechts oben auf der Startseite.

Auch wenn die genannten Studien sicher nicht mehr taufrisch sind, so sind die Erkenntnisse für praktische Fragen nach wie vor tragfähig, wurden und werden regelmäßig für Relaunch-Planungen prominenter Websites herangezogen. Auch für Web-Publishing-Projekte, die einem Mobile-First-Ansatz folgen, bleibt das für die Desktop-Varianten so gültig. Wer also ein Responsive Design entwickelt, sollte weiterhin unbedingt auch eine irritationsfreie Usability seiner Desktop-Site im Blick behalten – zumindest solange die Inhalte in nennenswertem Umfang auch über Desktops abgerufen werden.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Die schematischen Positionserwartungen für einzelne Website-Standardkomponenten bedeuten auf keinen Fall, dass alles immer genau dort zu stehen hätte, wo es von den Nutzern erwartet wird. Gezielte Positionsabweichungen von den generalisierten Nutzererwartungen sind zuweilen durchaus nützlich, sollten allerdings immer gut durchdacht und gut begründet sein. Von den Platzierungserwartungen kann also auch abgewichen werden, sofern nicht gleich mehrere Standardkomponenten an ungewohnter Stelle stehen. Und selbst das kann im Grenzfall freilich Konzept sein. Web-Publishing ist eben keine Mathematik, in der es nur die eine richtige Lösung gäbe, sondern psychologisch determiniert. Im Einzelfall kommt es auf den Gesamtzusammenhang an. Sonst wär’s ja auch irgendwie langweilig. Im Web Style Guide von Patrick J. Lynch und Sarah Horton sind die vorliegenden Befunde zu den nutzerseitigen Positionserwartungen für Websites grafisch zusammengefasst worden (s. Abb. 21).

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