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2. Wirtschaftsaufsicht und Wirtschaftsregulierung
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Ein genauso zentraler wie umstrittener Begriff des öffentlichen Wirtschaftsrechts ist derjenige der Wirtschaftsaufsicht. Sucht man nach den zentralen Merkmalen der Wirtschaftsaufsicht[60], so handelt es sich um Verwaltungstätigkeit[61] zur Überwachung der für die selbstverantwortliche Teilnahme am privatrechtlichen Wirtschaftsverkehr geschaffenen Rechtsregeln. Außer von Gewerbeaufsicht spricht man insbesondere von Banken-, Versicherungs- und Kapitalmarktaufsicht, s. § 2 FinDAG. Schon diese Bereiche zeigen, dass der Begriff keineswegs homogen verwandt wird und damit offen genug ist, um als formaler Oberbegriff für verschiedene, aber eben nicht überzeugend voneinander abgrenzbare Erscheinungsformen staatlicher Einflussnahme auf die Wirtschaft zu fungieren, der auch die vermeintlich modernen Erscheinungsformen umfasst.
Soweit man sich in der Literatur gegen den Aufsichtsbegriff ausspricht und diesen vor allem durch den Begriff der Wirtschaftsüberwachung ersetzt, so will man auf die Unterscheidung von der dem Innenbereich des Staates zuzuordnenden Rechts- und Fachaufsicht hinweisen[62] oder aber sich von der Tradition des wohlfahrtsstaatlichen Etatismus, aus dem der Aufsichtsbegriff stammt, abgrenzen[63]. In der Sache ist mit einem solchen Austausch der Begrifflichkeiten allerdings nicht viel gewonnen. Der Begriff der Wirtschaftslenkung indiziert mit deutlich unterschiedlichen Schwerpunkten eine stärker intervenistische oder aktiv gestaltende Einflussnahme wie man sie etwa im Energiewirtschaftsrecht, Telekommunikationsrecht, aber auch im Recht der Banken- und Versicherungsaufsicht findet[64]. Eine solche Abgrenzung ist aber weder trennscharf möglich noch lassen sich die beispielhaft genannten Teilbereiche einheitlich klassifizieren, stehen doch klassisch aufsichtsrechtliche und lenkende Erscheinungsformen häufig innerhalb eines Rechtsgebietes nebeneinander. Zum Teil bezieht sich der Begriff aber auch auf den Zusammenhang mit dem allgemeinen Verwaltungsrecht, wenn beispielsweise gefordert wird, die klassische Ordnungs- und Leistungsverwaltung um einen dritten Typus der „lenkenden“ oder „vermittelnden Verwaltung“ zu ergänzen[65]. Insoweit interpretiert man Regulierungsrecht als „moderne Form indirekter staatlicher Steuerung“[66], obwohl viele Varianten von Regulierung mit sehr direkten (und intensiven) staatlichen Eingriffen verbunden sind.
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Neben diese Aufsichtsfunktion tritt klassischerweise die Aufgabe der Daseinsvorsorge (s. dazu und den „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ unten Rn 735 ff), die traditionell jedenfalls in Deutschland (und den meisten europäischen Staaten) vor allem durch staatliche Monopole erbracht wurde[67]. Insoweit vollzog sich – besonders deutlich im Telekommunikationsrecht – ein Paradigmenwechsel. Infolge der Privatisierung der staatlichen Monopole wurde die staatliche Leistungserbringung ersetzt durch eine besondere, verfassungsrechtlich verankerte Gewährleistungs- oder Infrastrukturverantwortung des Staates[68]. Gleichzeitig wurde der Staat vom Leistungserbringer zur Regulierungsinstanz[69], im öffentlichen Wirtschaftsrecht tauchte der Begriff des Regulierungsrechts[70] auf. Für die klassische ökonomische Theorie umfasst Regulierung alle hoheitlichen Eingriffe in die Gewerbe- und Vertragsfreiheit, die nicht allein der Durchsetzung allgemein gültiger Spielregeln gelten[71]. Im juristischen Kontext tauchte der Regelungsbegriff in Deutschland erstmals im Telekommunikationsrecht auf und wurde damit zu einem in seiner Bedeutung freilich häufig überschätzten Rechtsbegriff[72]. Regulierung im Rechtssinn lässt sich als Verhaltenssteuerung von Wirtschaftssubjekten durch hoheitliche Ge- und Verbote – normativ oder im Einzelfall – insbesondere zur Sicherung von Gemeinwohlerfordernissen – des unverfälschten und funktionsfähigen Wettbewerbs sowie angemessener Leistungsbedingungen – verstehen[73]. Das Regulierungs(verwaltungs)recht ist jedenfalls Bestandteil des öffentlichen Wirtschaftsrechts bzw Wirtschaftsverwaltungsrechts. Zu klären bleibt das Verhältnis zu dem oben als formalem Oberbegriff definierten Terminus der Wirtschaftsaufsicht. Teilweise sieht man in der Regulierung eine Form der eher indirekten Steuerung[74] oder ein Mittel zur Erreichung gesetzlich vorgegebener Zwecksetzungen[75], typischerweise der Beeinflussung der Marktstruktur sowie des Verhaltens der Wettbewerber am Markt[76]. Selbst wenn es solche Unterschiede gibt, machen sie den Begriff des Regulierungsrechts nicht zu einem Systembegriff. Seine primäre Aufgabe besteht in der staatlichen Aufsicht über die privaten Leistungserbringer. Regulierungsrecht ist damit eine Erscheinungsform des Wirtschaftsaufsichtsrechts[77].
Wirtschaftsregulierung in diesem Sinne überschneidet sich mit dem Begriff der Wirtschaftslenkung[78], soll sich aber insbesondere dadurch auszeichnen, dass „neuartige Aufgaben der Regulierung … mit zum Teil neuartigen“[79] und vor allem marktkonformen[80] Instrumenten bewältigt werden. Andererseits sei „der Begriff der Regulierung wie dessen Stellung im System des allgemeinen Verwaltungsrechts alles andere als klar“[81] bzw eine abschließende Definition nicht möglich[82]. Die weit verbreitete Charakterisierung als Privatisierungsfolgenrecht[83] war allenfalls für das deutsche Telekommunikationsrecht zutreffend, da es sich erst nach dem Abbau des staatlichen Monopols entwickelt hat. Diese Entwicklung fand aber etwa im Bereich der Energiewirtschaft so nie statt, so dass Regulierungsrecht keinesfalls notwendigerweise die Folge einer Privatisierung sein muss[84]. Erst recht ist es kein Übergangsrecht, das sich mit dem Herstellen von Wettbewerb sozusagen selbst überflüssig macht. Ganz im Gegenteil, je besser Wettbewerb funktioniert oder erkennbar wird, dass er – wie im Energiewirtschaftsrecht – ohne staatlichen Eingriff gerade nicht funktioniert, desto mehr treten die „klassischen“ Funktionen der Wirtschaftsaufsicht in den Vordergrund[85]. Auch die Charakterisierung als sektorspezifisches Wettbewerbs- bzw Kartellrecht greift zu kurz, da trotz teilweise gleicher Ziele (Schaffung von Wettbewerb) das Instrumentarium erheblich divergiert[86]: Auf kartellrechtlicher Grundlage können Markteingriffe außer in der Fusionskontrolle nur nachträglich und bei nachgewiesenen Verstößen gegen bestimmte Verhaltenspflichten erfolgen, während das Wirtschaftsverwaltungsrecht primär der präventiven Kontrolle dient. Damit handelt es sich letztlich nicht so sehr um einen klar konturierten Rechtsbegriff als aus Sicht der modernen Verwaltungsrechtswissenschaft um einen „Kompass für die dogmatische Systembildung und Analyse“[87]. Aus historischem Blickwinkel zeigen sich erstaunliche Parallelen zur Entwicklung Anfang des 20. Jahrhunderts. Zwar systematisierend, aber eben außerhalb des herkömmlichen Systems der Unterscheidung von öffentlichem und Zivilrecht entwickelte Lehmann sein „Industrierecht“, was verschiedenartige Rechtsmaterien unter diesem Oberbegriff zusammenfasst. Die meisten Zeitgenossen sahen es jedoch als temporäres und (als Antwort auf die Industrialisierung) zeitbedingtes Phänomen[88] an. Staatliche Eingriffe in die Wirtschaft konzentrierten sich aber von Anfang an auf die hier unter dem Begriff des Regulierungsrechts zusammengefassten Materien. Auch die Deutung des Regulierungsrechts als „Instrument politisch-gestaltender Wirtschaftslenkung“[89] wiederholt allerdings nur die genauso wenig ergiebige kartellrechtliche Diskussion der 1960er-Jahre[90] und letztlich die Diskussion um die „Wirtschaftsverfassung des GG“ (s. bereits Rn 3 ff).
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Für die Rechtsdogmatik blieb die Diskussion um ein einheitliches Regulierungsrecht eher unergiebig. Die von Masing auf dem 66. DJT erhobene Forderung nach einem Netzregulierungsgesetz des Bundes stieß auf Ablehnung[91]. Umso dringlicher ist daher die genuine Aufgabe der Rechtswissenschaft, gemeinsame Strukturen dieser sektorenspezifischen Regulierung herauszuarbeiten und in das System von Wirtschaftsaufsichts- und allgemeinem Verwaltungsrecht zu integrieren, ohne die bereichsspezifischen Besonderheiten zu ignorieren. Die Wurzeln der aktuellen Regulierungsdiskussion liegen im US-amerikanischen Verwaltungsrecht[92] und dem dortigen, vor allem in den 1960er Jahren entwickelten Konzept der „regulated industries“, das zunächst das Telekommunikationsrecht beeinflusste[93]. Von dort stammt insbesondere das für das europäisierte Regulierungsrecht typische[94] Grundmodell der unabhängigen Regulierungsbehörde (independent agency)[95]. Gerade die Rechtsvergleichung kann helfen, den „Mythos Regulierungsrecht“ zu entzaubern[96]. Nach amerikanischem Verständnis bedeutet regulation schlichtweg Regelung, ist also nicht mit der (vermeintlichen) Dichotomie von Regelung und Regulierung verbunden, wie sie im deutschen Verständnis teilweise behauptet wird[97]. Die weitreichende Autonomie der Verwaltungsbehörden genauso wie die besondere Betonung des Verwaltungsverfahrens sind kein Spezifikum der „regulated industries“, sondern Grundentscheidungen des amerikanischen (allgemeinen) Verwaltungsrechts, als dessen Referenzgebiet insbesondere das Telekommunikationsrecht denn auch verstanden wird[98].
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Gleichwohl herrscht weitgehend Einigkeit über den Gegenstand des Regulierungsrechts. Zusammengefasst werden unter diesem Begriff mindestens die Bereiche, für die die Bundesnetzagentur zuständig ist, dh neben dem Telekommunikationsrecht, an dem man den juristischen Begriff des Regulierungsrechts zunächst zu entwickeln versuchte, auch das Energiewirtschafts- und das Eisenbahn- und Postrecht[99]. Aus diesem Blickwinkel scheint naheliegend, von Netzregulierung zu sprechen[100]. Zunehmend wird aber dieses Verständnis als zu eng erachtet. Aus ökonomischer Sicht, aber auch von denjenigen Autoren, die von Wirtschaftslenkung sprechen, wird die Aufsicht über Finanzdienstleistungen einbezogen[101]; auch das Börsenrecht spricht seit 2007 vom „regulierten Markt“. Angesichts der Lissabon-Strategie (s. bereits Rn 17) ist es daher auch kein Zufall, dass es sich gleichermaßen um die zentralen Bereiche des europäisierten Wirtschaftsrechts handelt. Was die wirkliche Bedeutung eines Regulierungsrechts ausmacht, wird sich nicht am Begriff, sondern erst anhand der Strukturen ermitteln lassen (s. näher Rn 495 ff).
Die Regelungsmuster lassen die gewerberechtlichen Wurzeln erkennen, auch die eingesetzten Handlungsformen sind nicht neu, gilt doch als typisches Instrument des Regulierungsrechts insbesondere der Verwaltungsakt. Allerdings macht das Regulierungsrecht deutlich, dass die Intensität der Wirtschaftsaufsicht bzw -überwachung variiert. Sie reicht von der mehr punktuellen gewerberechtlichen Überwachung bis hin zur Ausbildung von „Dauerrechtsverhältnissen“, etwa in der Kapitalmarktaufsicht, von der bloßen Pflicht zur Anzeige eines Gewerbes bis zu unterschiedlichen Formen der Genehmigungspflicht, von einer Zuverlässigkeitsprüfung (s. zum Grundmodell der GewO Rn 250 ff) bis hin zu Sachkunde- und Solvabilitätsnachweisen (s. Rn 123, 263, 305). Aus diesem Blickwinkel könnte man die eher punktuelle Wirtschaftsüberwachung und die intensivere, dauerhaft angelegte Regulierungsüberwachung zu unterscheiden versuchen[102] bzw von Wirtschaftsaufsicht mit zusätzlichem Gestaltungsauftrag[103] sprechen. Bei näherer Hinsicht zeigt sich jedoch, dass selbst innerhalb der regulierten Bereiche – insbesondere im Bereich der Regulierung des Marktzutritts – unterschiedlich intensive Formen der Wirtschaftsaufsicht nebeneinander bestehen (s. unten Rn 510, 531 ff). Andererseits gleichen sich die eingesetzten Instrumente, die sich allerdings weitgehend am Vorbild der GewO als dem Grundmodell staatlicher Wirtschaftsaufsicht orientieren[104].
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Insgesamt lassen sich drei Stufen der Wirtschaftsaufsicht unterscheiden. Die intensivste Form findet sich dort, wo – wie besonders deutlich im Kapitalmarkt- und Versicherungsaufsichtsrecht, aber auch im Energie- und Telekommunikationsrecht – die Geschäftstätigkeit im Einzelnen behördlich überwacht und bestimmender Einfluss auf die Geschäftsorganisation genommen wird, was nach der hier vertretenen Auffassung den zentralen Aspekt des sog. Regulierungsrechts darstellt. Auf der mittleren Stufe stehen die „geregelten Berufe“ wie das Handwerk, aber beispielsweise auch die Freien Berufe, bei denen allerdings auch die Möglichkeit einer Selbstregulierung durch Kammern im Zentrum steht. Die geringste Regelungsdichte findet sich im allgemeinen Gewerberecht, wo sich die Überwachung des nicht genehmigungspflichtigen Gewerbes auf nachträgliche Maßnahmen für den Fall der Unzuverlässigkeit beschränkt (s. Rn 250 ff, 280 ff). An dieser Trias orientiert sich auch das unionale Regelungsregime: Im Bereich der ersten, regelungsintensivsten Stufe erfolgte eine Sachrechtsangleichung auf der Grundlage von Richtlinien, auf der mittleren Ebene favorisiert das Europarecht das Modell der gegenseitigen Anerkennung, (nur) auf der untersten Stufe gilt im Interesse des Binnenmarkts weitgehend das Herkunftslandprinzip ohne Rechtsvereinheitlichung[105].