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4. Öffentliches und privates Wirtschaftsrecht als komplimentäre Rechtsdurchsetzungsregime

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Das öffentliche Wirtschaftsrecht steht – jedenfalls auf der Grundlage der spezifisch deutschen Differenzierung von Zivil- und Öffentlichem Recht – selbstständig neben dem privaten Wirtschaftsrecht. Wenn deswegen auch in der juristischen Ausbildung „Wirtschaftsrecht“ kein einheitliches Prüfungsfach mehr ist, bedeutet dies deswegen keinen Rückfall „hinter den Stand am Anfang der Weimarer“ Zeit[115], sondern ist Ausdruck einer Arbeitsteilung, die im deutschen Recht über den Rechtsweg entscheidet, aber vor allem dadurch begründet ist, dass das öffentliche Recht über eigene Organisations- und Handlungsformen verfügt und insbesondere mit den Grundrechten auch verfassungsrechtlichen Bindungen unterliegt, die für Private nicht in der gleichen Weise gelten. Zur Abgrenzung von öffentlichem und privatem Wirtschaftsrecht kann die sog. modifizierte Subjektstheorie herangezogen werden. Danach kommt es darauf an, ob die anzuwendenden Normen den Staat einseitig berechtigen oder verpflichten[116]. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Behörden zur Überwachung der Einhaltung der Normen und deren Durchsetzung eingesetzt sind.

Die jedenfalls für das deutsche Recht dogmatisch bedeutsame Trennung zwischen privatem und öffentlichem Wirtschaftsrecht wird in einzelnen Gesetzen verwischt. So enthalten vor allem die kapitalmarktrechtlichen Gesetze sowohl öffentlichrechtliche wie zivilrechtliche Vorschriften[117]; ebenfalls zivilrechtlich sind die Verbraucherschutzvorschriften des TKG. Strukturbildend und entscheidend für die Qualifikation des Telekommunikationsrechts als öffentliches Recht sind die staatlichen Aufsichtsbehörden und ihr – öffentlichrechtliches – Handlungsinstrumentarium. Geschuldet ist diese zunehmende Verzahnung dem europäischen Konzept, das zwischen „Rechtssetzung“, der Begründung von Verhaltenspflichten durch Gesetz und Behörden, und der „Rechtsdurchsetzung“ differenziert, als Durchsetzungsmechanismen aber neben dem öffentlichen Recht auch das Zivil- und nicht zuletzt das Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht heranzieht. Ausprägung eines „private enforcement“ sind aber auch die Verbandsklagebefugnisse[118] und die voraussetzungslosen Informationsansprüche in den Informationsfreiheitsgesetzen und ihren bereichsspezifischen Parallelvorschriften (zum Verbraucherinformations- und Lebensmittelrecht Rn 131).

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Die Bedeutung des öffentlichen Rechts nimmt dabei stetig zu. Gerade wenn man sich die regulierten Wirtschaftszweige in ihrer Gesamtheit betrachtet, lässt sich ein häufig als „Re-Regulierung“ bezeichnetes Phänomen beobachten: Das Vertrauen in die Selbstregulierung des Marktes ist ein allenfalls temporäres. Ein plastisches Beispiel liefert die Netzregulierung: Sofern nicht – wie im Telekommunikationsrecht – von Anfang an eine staatliche Regulierungsbehörde eingeschaltet wird, erfolgt dieser Schritt jedenfalls aufgrund der Erfahrungen mit kooperativen Strukturen und kartellrechtlicher Kontrolle (s. zum Energiewirtschaftsrecht Rn 498). Dabei ist Regulierungsrecht auch, „aber doch nicht nur eine Rückkehr zur Gefahrenabwehr und dem alten Modell der Gewerbeordnung“[119].

Diese im öffentlichrechtlichen Schrifttum wohl einhellige Qualifikation des Regulierungsrechts als Teil des öffentlichen Wirtschaftsrechts wird von den Wettbewerbsrechtlern nicht uneingeschränkt geteilt. So werden von Säcker[120] die „privatrechtlichen Grundlagen der Netzinfrastrukturregulierung“ betont, ohne dass allerdings aus diesem Ansatz Konsequenzen gezogen werden: An der Dominanz öffentlicher Strukturen scheitert letztlich auch der Versuch einen „Allgemeinen Teil des Besonderen Wirtschaftsrechts“ zu entwickeln und diesen dem allgemeinen Wirtschaftsrecht gegenüber zu stellen[121]. Zumindest missverständlich war die Bezeichnung der telekommunikationsrechtlichen Vorschriften als „sektorspezifische Regelungen als Ergänzung zum allgemeinen Wettbewerbsrecht“[122].

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Zu einer Verzahnung zwischen dem öffentlichen und privaten Wirtschaftsrecht kommt es nicht nur dort, wo an die Verletzung von Verhaltenspflichten (auch) zivilrechtliche Schadensersatzansprüche geknüpft werden, sondern insbesondere auch dadurch, dass der Verstoß eines Privaten gegen öffentlichrechtliche Vorschriften zugleich einen Verstoß gegen das UWG darstellen kann; für die Klage eines Konkurrenten, der sich darauf beruft, dass ein (privater) Wirtschaftsteilnehmer öffentlichrechtliche Vorschriften verletzt hat, sind daher die Zivilgerichte zuständig, die vorfrageweise auch über öffentlichrechtliche Fragen entscheiden. Davon zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit nicht nur das erwerbswirtschaftliche (dazu Rn 711), sondern auch öffentlichrechtliches Handeln von Hoheitsträgern Anknüpfungspunkt für wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche sein kann[123]; praktisch relevant wurde dies insbesondere bei Verstößen gegen das beihilferechtliche Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV[124]. Anknüpfungspunkt ist in beiden Fällen § 3a UWG, der den „Vorsprung durch Rechtsbruch“ unter den dortigen Voraussetzungen als Wettbewerbsverstoß qualifiziert. Konsequenz aus der Anwendung des UWG sind nicht nur die Ansprüche des Wettbewerbers auf Beseitigung, Unterlassung und Schadensersatz, sondern auch die Rechtsdurchsetzung mittels der Verbandsklage (§ 8 Abs. 3 Nr 2–4 UWG).

Aus dieser Reglung in § 3a UWG, aber auch dem Telos des UWG folgt, dass ein Normverstoß nur dann wettbewerbsrechtlich als unlauter zu qualifizieren ist, wenn die Vorschrift zumindest auch zur Regelung des Marktverhaltens dient und so gleiche Voraussetzungen für die Wettbewerber schaffen soll. Dies ist hinsichtlich Privater anerkannt für die Bestimmungen des Jugendschutzes[125], des Ladenschlusses[126] und des Nichtraucherschutzes, aber auch produktbezogene Vorschriften, zB Versandhandelsverbote[127] und Werbeverbote (zB §§ 19 ff TabakerzG, §§ 3 ff HWG), aber auch die berufsrechtlichen Werbebeschränkungen[128]. Ein „Vorsprung durch Rechtsbruch“ kann aber auch in einem Verstoß des Privaten gegen wirtschaftsverwaltungsrechtliche Erlaubnispflichten (dazu Rn 32) sowie in Vergaberechtsverstößen liegen[129]. Allerdings bietet hier ein Vorgehen gegen den öffentlichen Auftraggeber in der Regel effektiveren Rechtsschutz, da auf diese Weise nicht nur das wettbewerbswidrige Handeln des Konkurrenten, sondern die Zuschlagserteilung verhindert werden kann[130].

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In Fall 2 (Rn 2)[131] könnte K vor den Zivilgerichten einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch nach §§ 3, 3a, 8 Abs. 3 Nr 1 UWG iVm § 1 Abs. 1 HwO auf Unterlassung der Ausübung handwerklicher Tätigkeiten geltend machen. Nach § 3a UWG setzt dies voraus, dass die öffentlichrechtlichen Vorschriften der HwO nicht nur als Marktzutrittsregelungen, sondern auch als wettbewerbsbezogene Marktverhaltensregeln gedeutet werden können, was die Rechtsprechung bejaht[132]. Die Vorschriften der HwO stellten Qualifikationsanforderungen an den Unternehmer und dienten jedenfalls auch dazu, die Interessen der Abnehmer von Handwerksleistungen zu schützen (vgl zum Paradigmenwechsel der Neuregelung Rn 457 f); entsprechendes wird angenommen hinsichtlich der Erlaubnispflichten nach der GewO[133] oder dem sonstigen Wirtschaftsrecht[134]. Allerdings sehen sich die Zivilgerichte nicht an die Auslegung der öffentlichrechtlichen Vorschriften durch die Verwaltungsgerichte gebunden. Auch das Unterlassen der Werbung könnte auf das UWG gestützt werden. Wer mit Leistungen wirbt, die Handwerksbetrieben vorbehalten sind, selbst aber nicht in die Handwerksrolle eingetragen ist, handelt außerdem unlauter iSd §§ 3, 5 Abs. 1 S. 2 Nr 3 UWG[135]. Den irreführenden Charakter seiner Werbung wird man nur dann annehmen können, wenn die Voraussetzungen einer Eintragung in die Handwerksrolle nicht vorliegen[136]. Ebenso wird man nicht von einem Verstoß ausgehen können, wenn die zuständigen Stellen bzw auch der Bund-Länder-Ausschuss Gewerberecht in ihrer Auslegung divergieren[137].

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Vorschriften des öffentlichen Wirtschaftsrechts können auch Verbotsgesetze im Sinne von § 134 BGB darstellen. Dazu gehören nicht nur gesetzliche Vorschriften, sondern auch die Satzungen von berufsständischen Kammern (vgl Rn 206)[138]. Daher sind Verträge zur Umgehung öffentlichrechtlicher Erlaubnispflichten grundsätzlich nichtig[139]. Trifft das Verbot allerdings nur einen Vertragspartner, wie es bei gewerberechtlichen Erlaubnispflichten der Fall ist, so folgt aus der Verletzung einseitiger Verbote nur dann die Nichtigkeit des Vertrages, wenn der Zweck des Gesetzes anders nicht zu erreichen ist und die durch das Rechtsgeschäft getroffene Regelung nicht hingenommen werden kann. Im Ergebnis wird die Nichtigkeitsfolge daher häufig verneint (vgl zB § 15 Abs. 5 KWG), soweit sie nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt ist. Von der Qualifikation als Verbotsgesetz zu unterscheiden ist die Frage nach dem Charakter als Schutzgesetz iSv § 823 Abs. 2 BGB[140]. § 134 BGB soll einen bestimmten rechtsgeschäftlichen Erfolg wegen des „Wie“ des Zustandekommens des Inhalts des Rechtsgeschäfts verhindern, § 823 Abs. 2 BGB dient dem Individualrechtsschutz.

Bei der Eintragung in die Handwerksrolle in Fall 2 (Rn 2) hielt der BGH die öffentlichrechtlichen Möglichkeiten des Einschreitens für ausreichend[141], so dass die fehlende Eintragung in die Handwerksrolle die Wirksamkeit der mit Kunden eingegangenen Verträge nicht beeinträchtigt. Allerdings ist auch das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz Verbotsgesetz[142], so dass sich daraus eine Nichtigkeit des Vertrages ergeben kann. Bei den Erlaubnispflichten für das Reisegewerbes hielt der BGH die zivilrechtlichen Widerrufsmöglichkeiten bei Haustürgeschäften als ausreichend[143]. Kontrovers und teilweise differenziert werden die Konsequenzen des Fehlens einer Bankerlaubnis nach § 32 KWG beurteilt[144]. Der Verstoß gegen Anordnungen der BaFin führt dagegen nicht zur Nichtigkeit entsprechender anordnungswidrig abgeschlossener Verträge[145].

§ 1 Wirtschaft und Verwaltung › III. Öffentliches Wirtschaftsrecht als Referenzgebiet des (allgemeinen) Verwaltungsrechts

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