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1. Entwicklungsphasen

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Hinsichtlich der Einflüsse von nationalen Grundrechten und unionalen Grundfreiheiten und Grundrechten auf das öffentliche Wirtschaftsrecht lassen sich seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes drei Phasen unterscheiden[7]. Zunächst stand die Verfassungskonkretisierung im Verwaltungsrecht im Vordergrund, die mit einer Liberalisierung des Gewerberechts und zudem einer Expansion subjektiver Rechte einherging[8]. Bereichsspezifische Sachkundenachweise, etwa für den Einzelhandel, wurden anhand von Art. 12 GG auf ihre Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit überprüft[9]. Mit dem Abbau staatlicher Bedürfnisprüfungen bei der Berufszulassung begann das Bundesverwaltungsgericht im Gaststättenrecht[10] schon vor dem bundesverfassungsgerichtlichen „Apothekenurteil“[11]. Die zweite Phase war von der Europäisierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts geprägt. Insoweit wirkten zunächst die Grundfreiheiten deregulierend, indem der EuGH Vorschriften des nationalen (öffentlichen) Wirtschaftsrechts als Eingriff qualifizierte und diese Eingriffe nur selten für gerechtfertigt hielt. Mit der zunehmenden Anerkennung ungeschriebener Rechtfertigungsgründe hat sich dies allerdings relativiert. Das Nebeneinander von Grundfreiheiten und Verfassungsrecht führt zu einer Konvergenz der Prüfungsmaßstäbe (s. vor allem das Kohärenzgebot am Beispiel der Bekämpfung des Glücksspiels, Rn 126, 175 ff)[12].

Da das Unionsrecht in Deutschland auf ein weitgehend liberales Wirtschaftsverständnis traf, waren die Konflikte eher punktuell. Besonders eindrucksvoll ließen sie sich im Handwerksrecht verfolgen, in dem sich lange das „zünftige“ Denken gehalten hatte[13]. Ausgelöst wurde die Liberalisierung des Handwerksrechts durch das Unionsrecht. Dies betraf zunächst grenzüberschreitende Sachverhalte, wie Fall 3a (Rn 45) veranschaulicht. Während das BVerfG im Anschluss an seine ausführliche und sorgfältig begründete Entscheidung von 1960 über Jahrzehnte das Erfordernis der Meisterprüfung für die selbstständige Handwerksausübung als grundrechtskonform erachtete[14], sah der EuGH darin einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten (s. im Einzelnen Rn 125)[15]. Mit der Handwerksnovelle 2004 vollzog der nationale Gesetzgeber einen Paradigmenwechsel (ausf Rn 125, 465 ff). Aber auch das BVerfG änderte seine Auffassung und stützte sich dabei ausdrücklich darauf, dass angesichts der europäischen Entwicklung die nationalen Vorschriften zur Erreichung des (verfassungsrechtlich an sich legitimen) Zieles nicht mehr geeignet seien (s. dazu Rn 125)[16]. In der Zwischenzeit werden viele Sachverhalte vom Sekundärrecht erfasst, für deren Auslegung jedoch regelmäßig die vom EuGH entwickelten Standards herangezogen werden können, die die Richtlinien häufig konkretisieren und um prozedurale Bestimmungen ergänzen (s. zur „grundfreiheits- und grundrechtskonformen Auslegung“ von Sekundärrecht Rn 96). Allerdings werden diese Grundsätze über die Richtlinien auf reine Inlandssachverhalte erstreckt; insbesondere die für das öffentliche Wirtschaftsrecht zentrale DienstleistungsRL verlangt keinen grenzüberschreitenden Sachverhalt (s. Rn 53).

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Die dritte Phase lässt sich als Renaissance der Grundrechte umschreiben. Aufgrund der unionsrechtlich angestoßenen Deregulierung kam es zunächst zu „neuen“ Berufen (vgl zum Telekommunikationsrecht Rn 20, 546) und gleichzeitig zu neuen Anwendungsfeldern für das nationale Verfassungsrecht im Zusammenhang mit der Ausgestaltung unionaler Gestaltungsspielräume (vgl zB zur Vereinbarkeit der Versteigerung von Funkfrequenzen mit Art. 12 GG Rn 562). Allerdings hat das Unionsrecht, nicht nur vor dem Hintergrund der Finanzkrise, seinen Regelungsansatz verändert. Überall da wo das Sekundärrecht nicht mehr Märkte liberalisiert und damit die Grundfreiheiten konkretisiert, sondern die wirtschaftliche Betätigung mit ordnungsrechtlichen Maßstäben gestaltet, stellt sich die Frage nach dem „höherrangigen“ Recht, das auch die Grenzen des unionalen Gesetzgebers markiert. Dazu gehören neben den Grundfreiheiten die Grundrechte. Spätestens mit dem Inkrafttreten der GRCh dominieren aber auch insoweit die unionalen Maßstäbe. Allerdings fungieren Grundfreiheiten und (europäische und nationale) Grundrechte in den meisten Fällen als Auslegungsmaßstab, damit wird gerade das öffentliche Wirtschaftsrecht zum „konkretisierten“ Primär- und Verfassungsrecht.

Seit langem gilt dies insbes für die Berufsfreiheit. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Vorschrift, die die Berufstätigkeit erlaubnispflichtig macht, vor, folgt aus Art. 12 GG ein Anspruch auf Genehmigungserteilung. Ferner sind die Tatbestandsmerkmale berufsbeschränkender Vorschriften im Lichte dieser Grundrechte auszulegen. So ist nach der Rechtsprechung das Prinzip der Verhältnismäßigkeit ein Element des gewerberechtlichen Unzuverlässigkeitsbegriffs (dazu Rn 251 ff), der unter Beachtung des Grundrechts der Berufsfreiheit auszulegen ist[17]. Entsprechendes gilt zB beim Einschreiten gegen (formell) illegal betriebenes Gewerbe (s. Rn 318). Soweit die nationalen Grundrechte verdrängt werden, lassen sich diese Ansätze auf das Unionsrecht übertragen. Die Union verfügt mittlerweile über einen auch in seiner Durchsetzung vorbildlichen Grundrechtsschutz. Auch die GRCh garantiert, durchaus orientiert an der Konzeption des Grundgesetzes, Berufsfreiheit (Art. 15 GRCh)[18], unternehmerische Freiheit (Art. 16 GRCh)[19] und das Eigentum (Art. 17 GRCh). Diese Gewährleistungen treten jedoch hinter den Grundfreiheiten als Ausdruck der „besonderen Berufsfreiheit“ der Marktbürger zurück[20], sodass sie im öffentlichen Wirtschaftsrecht kaum eine Rolle spielen. Gleichwohl übernehmen die Grundrechte, vor allem das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 7 GRCh) und das Grundrecht auf Datenschutz (Art. 8 GRCh) und sowie insbes das europäische Gebot effektiven Rechtsschutzes[21] zunehmend die lückenschließende Funktion, die traditionell dem nationalen Verfassungsrecht zukommt. Eindrucksvoll etabliert sich der EuGH als „Grundrechtsgericht“[22], das europäische Grundrechtsstandards nicht nur international, sondern gerade auch im Verhältnis zum Sekundärrecht durchsetzt. In der Konsequenz europäischer Grundrechte nimmt aber auch die Bedeutung der Garantie des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 47 GRCh zu, der der EuGH in jüngeren Entscheidungen ebenfalls weitreichende, teilweise über Art. 19 Abs. 4 GG hinausreichende Anforderungen entnimmt[23], die nicht nur das Gerichtsverfahren betreffen, sondern zB auch einen Anspruch auf Entscheidung durch unabhängige Gerichte gewähren[24], bis hin zu einem Anspruch auf wirksame Vollstreckungsmöglichkeiten[25]. Dies hat aber auch für den indirekten Vollzug eine weitere Hochzonung der „verfassungsrechtlichen“ Maßstäbe auf die unionale Ebene zur Folge und stellt damit zugleich die Frage nach der Bedeutung nationaler Verfassungsgerichte neu. Das BVerfG hat diese Herausforderung in der aktuellen, geradezu „revolutionären“ Rechtsprechung des 1. Senats aufgenommen (dazu Rn 42 ff).

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