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Kapitel 8

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„Ach Herrje, da seid ihr ja endlich. Kommt doch rein, kommt doch rein“, sagt das zierliche Persönchen mit den grauweißen Haaren und zieht die schwere Eichenholztür offen. „Ich konnte es kaum erwarten, dass ihr endlich hier seid.“

Naomi geht an der kleinen Frau vorbei ins Innere des Hauses. Ich folge ihr und schenke der Dame ein Lächeln.

„Sie sind bestimmt die Hexe“, sagt sie, hebt einen krummen, dürren Zeigefinger und zwinkert mir zu. „Sie sehen schon aus wie eine Hexe.“

Dasselbe könnte ich zu ihr sagen, verkneife es mir aber, da sie mich bestimmt nicht beleidigen wollte. Stattdessen nicke ich nur freundlich.

Muffiger Geruch liegt in der viel zu trockenen Heizungsluft. Wir legen unsere Jacken ab und hängen sie an die Garderobe, während die Dame des Hauses ihre dunkelgrüne Strick-Stola enger um ihren knorrigen Körper wickelt. Sie ist alt, ziemlich alt. Dazu sehr klein und sehr dünn. Sie trägt eine graue Bundfaltenhose, dazu selbstgestrickte Wollsocken und Lammfellpantoffeln. Oben herum ist sie in mehreren Lagen aus geblümter Seidenbluse, gehäkelter Weste und eben erwähnter Strick-Stola gewickelt, die von ihrem Eigengewicht immer länger und länger zu werden scheint.

„Sind Sie auch eine dunkle Hexe? Mein Mann war eine dunkle Hexe, aber das hat Naomi Ihnen bestimmt schon erzählt.“ Sie geht an uns vorbei und winkt mit der knochigen Hand, damit wir ihr folgen.

„Ich bin beides, weiß und schwarz“, rufe ich hinter ihr her. „Also dunkel und hell, ich kann mich beider Seiten bedienen.“

Wir folgen ihr durch den dunklen Flur, vorbei an der Treppe und hinein in eine Art Esszimmer. Am Boden liegt ein staubiger Orientteppich und mitten darauf steht ein Tisch mit je drei Stühlen an den langen Seiten. Mehrere Teeschränkchen stehen dicht an dicht an den Wänden und ich erspähe hinter bauchigen Glasscheiben einige Fläschchen mit dubiosen Inhalten.

„Ach, das funktioniert?“, sagt die alte Dame und dreht sich um, während sie sich an eine Stuhllehne festkrallt. „Man kann heutzutage beides sein? Weiß und schwarz?“

Naomi ergreift das Wort. „Sie ist genaugenommen eine Druidenhexe, die erste ihrer Art.“

Skeptisch zieht die alte Frau eine graue, dürre Augenbraue hoch und mustert mich von oben bis unten. „Sind Sie denn dann für diese Aufgabe überhaupt geeignet?“, fragt sie berechtigterweise.

„Ich denke schon, Frau…“

„Nennt mich Daphne. Einfach nur Daphne.“

„Und ich bin Scarlett“, stelle ich mich ebenfalls vor. „Ja, Daphne, ich denke schon, dass ich dafür geeignet bin. Wie schon gesagt, ich trage beide Seiten der Magie in mir und kann mich beider bedienen.“

Daphne legt den Kopf schief. „Mein Mann war eine starke dunkle Hexe“, sagt sie und strafft die dürren Schultern. „Er war mächtig!“

Respektvoll senke ich den Blick. „Ich kann Ihre Zweifel nachempfinden, Daphne. Aber glauben Sie mir, ich werde mein Möglichstes versuchen.“

Der anfangs freundliche Blick der alten Dame wandelt sich und ihr Gesicht wird zu einer erbosten, faltigen Fratze. „Ihr Möglichstes wird vielleicht nicht genug sein“, faucht sie, sodass ich unwillkürlich einen Schritt zurücktrete. „Ich brauche eine mächtige Hexe, keine Promenadenmischung!“

Naomi kichert, wohingegen ich mich tatsächlich von dieser kleinen, alten Dame eingeschüchtert fühle.

Dann macht Naomi einen Schritt nach vorne, legt ihre Hand auf meine Schulter und sieht zu Daphne hinab. „Daphne, Scarlett ist die Tochter des schwarzen Königs“, beginnt sie und wir können zusehen, wie die alte Dame vor Ehrfurcht erstarrt. „Ich würde doch keine Wald- und Wiesenhexe mitbringen, um die Magie ihres Mannes zu brechen.“

„Nein, nein… Das würden Sie nicht“, stammelt Daphne und verschränkt die Hände unterm Kinn. „Die Tochter des schwarzen Königs.“

Sie sieht mich lange an und ich weiß nicht so recht, wie ich mit ihrem Ausdruck von Ehrfurcht und Anerkennung in ihrem Blick umgehen soll. Ich bin nicht stolz darauf, die Tochter des schwarzen Königs zu sein.

„Und diese Narbe… Aber sie sind nicht die Hexenkönigin, oder?“, fragt sie schließlich, nachdem sie eine Weile nachgedacht hat.

„Nein, die amtierende Hexenkönigin ist meine Tante Roberta.“

„Roberta“, wiederholt sie und nickt. „Stimmt, mein Mann hat sowas erzählt. Er hatte auch im Sterbebett noch Kontakt zu anderen Hexen. Doch seitdem er das Zeitliche gesegnet hat, hat sich keiner dieser sogenannten Freunde mehr hier blicken lassen.“

„Deswegen sind wir ja nun hier“, sagt Naomi lächelnd.

Daphne seufzt. „Ja, nun muss ich für die Gesellschaft von Hexen und Schamanen bezahlen.“ Sie schüttelt mit dem Kopf, sodass sich ein paar ihrer weißen Strähnen aus dem Ungetüm ihrer Frisur lösen. „Wenn Arthur das noch erleben würde…“

„Wir leisten Ihnen ja nicht nur Gesellschaft, Daphne. Sie brauchen unsere Hilfe“, macht Naomi ihr klar, woraufhin die alte Dame sich umdreht und eine wegwerfende Handbewegung macht.

Wir folgen ihr um den Tisch herum zu einem hohen, zweitürigen Schrank, der zwischen den Teeschränkchen steht. Sie öffnet die Tür und zu meinem Erstaunen befindet sich dahinter ein Treppenabgang. Ich schaue verdutzt Naomi an, doch sie wirkt nicht sonderlich überrascht. Wahrscheinlich kennt sie diesen Geheimgang schon.

Müßig nimmt Daphne Stufe für Stufe der steinigen Treppe in Angriff, wobei sie stöhnt und ächzt. Ich wedle die Spinnenweben vor meinem Gesicht weg und muss leicht nach hinten gebeugt herabgehen, um mir in dem niedrigen Gang nicht den Kopf zu stoßen. Die Luft wird immer kälter und feuchter, je tiefer wir hinabgehen. Nach sechsundzwanzig Stufen erreichen wir einen viereckigen Raum, in dem nur noch Daphne aufrecht stehen kann. Wände und Decken sind aus grauem Beton und nur der schmale Lichtstrahl von oben erhellt den kühlen Raum.

Daphne geht auf die gegenüberliegende Wand zu und stemmt ihre Hände dagegen. Ein Knirschen ertönt und inmitten der Wand gibt der Beton nach. Ächzend schiebt sie weiter, bis ein rechteckiger Quader so weit nach hinten geschoben wurde, dass man durch den entstandenen Spalt hindurchgehen kann. Daphne geht vor, tastet sich an der Wand entlang und betätigt einen Schalter, der den Raum dahinter in gelblich, surrendes Licht hüllt.

Naomi geht zuerst durch die schmale Luke hindurch, dann folge ich. Ich muss vornübergebeugt gehen und stoße zu beiden Seiten mit meiner Hüfte gegen den kalten Beton. Doch was ich dahinter entdecke, lässt jeden Anflug von Klaustrophobie vergessen.

„Wow!“, flüstere ich und stelle mich wieder aufrecht hin, während mein Blick durch den Raum schweift.

Es ist ein runder Raum mit einem Durchmesser von schätzungsweise sechs Metern, dessen Wände bis zur kuppelartigen Decke mit Regalen, Schubladen und Schränken bestückt sind. An einer Seite ist ein niedriger Kamin aus dicken Findlingen erbaut, mit einem verklinkerten Schornstein, der sich zwischen den Regalen emporschlängelt. Auf der anderen Seite ist ein Schreibtisch in die Konstruktion aus Schränken und Schubladen eingelassen, davor steht ein kleiner Hocker mit einem Bezug aus Kaninchenfell. Hunderte von Büchern stapeln sich in den Regalen, neben ominösen Fläschchen und dubiosen Döschen. An die runde Decke ist ein riesiges Pentagramm gemalt und darunter baumelt ein eiserner Kronleuchter, dessen Kerzen durch Glühbirnen ausgetauscht wurden. Statuen von geflügelten Dämonen, gefallenen Engeln, Gargoyles, Pan und anderen gehörnten Wesen in allen erdenklichen Winkeln bewachen das Ganze.

Daphne, die mir einen Moment Zeit gelassen hat, um den Raum zu betrachten, schlurft nun zum Schreibtisch und hebt eine dunkle Kiste auf, mit der sie wieder auf mich zuläuft.

„Das ist die Box“, sagt sie und hält sie mir hin. „Naomi hat mit Arthurs Geist gesprochen, so haben wir erfahren, dass die Unterlagen für die Lebensversicherung und das Testament hier drinnen sind. Ich brauche sie dringend, denn ohne die Dokumente habe ich kein Geld und verliere das Haus.“

Ich nehme ihr die Kiste ab und sobald meine Haut mit dem alten Holz in Kontakt kommt, spüre ich die dunkle Macht darin. Sie pulsiert in meinen Fingerspitzen und jagt mir einen Schauer über den Rücken.

„Sie müssen nur den Spruch aufsagen, dann öffnet sich die Kiste und ich komme an die Unterlagen“, sagt Daphne und sieht mich flehend an.

Erneut schaue ich auf die Kiste, drehe sie in meinen Händen und lese den darauf eingeschnitzten Spruch in Gedanken durch. Er ist in uraltem magischem Latein geschrieben und ich übersetze ihn in meinem Kopf.

Sicher verwahrt, für all die Zeit.

Sicher verwahrt, bis zum Ende meiner Ewigkeit.

Nur dunkle Magie hat hier die Macht,

zu öffnen, was die Box für meine Lebenszeit bewacht.

Erfülle jetzt, wozu du einst warst gedacht.

Sicher verwahrt, die Zeit in dir stand still.

Sicher verwahrt, öffne dich nur, wenn dunkle Macht es will.

„Scarlett?“

Ich blinzle und löse den Blick von der Kiste, als ich Naomi meinen Namen sagen höre.

„Öffnest du die Kiste dann jetzt?“, fragt sie und sieht mich mit leicht gesenktem Kopf an.

Ein paar Mal öffne ich den Mund, ohne etwas zu sagen. Dann finde ich endlich meine Sprache wieder und wende mich Daphne zu. „Warum hat ihr Mann die Dokumente in einer Kiste verwahrt, die ihren Inhalt bis in die Ewigkeit beschützen soll?“

Die Augen der alten Dame werden zu schmalen Schlitzen. „Das weiß ich nicht“, sagt sie leise, mit drohendem Unterton. „Ich weiß nur, dass ich ohne die Papiere aus der Box bald obdachlos sein werde!“

Mit gerunzelter Stirn löse ich den Blick von ihr und schaue erneut auf die Kiste. Ich kann nicht leugnen, dass ich die dunkle Magie in ihr spüre und mein Instinkt mir rät, die Kiste einfach in die Ecke zu pfeffern und zu verschwinden. Aber ich weiß auch, dass dunkle Magie solche Gefühle manchmal bei mir auslöst. Sie kann berauschend und beängstigend zugleich sein.

„Sie wird die Box doch öffnen, oder?“, wendet sich Daphne nun an Naomi und umfasst mit beiden Händen ihren Unterarm. „Sie muss einfach! Sonst verliere ich alles!“

Naomi blickt von Daphne zu mir und ich sehe die Fragezeichen in ihrem Gesicht. „Kannst du die Box öffnen?“

Ich atme tief ein und wäge ab. Soll ich auf meinen Instinkt hören, der mich auch trügen könnte, da ich noch nicht so erfahren bin? Oder soll ich den Auftrag einfach abschließen und die Kiste öffnen, damit eine alte Frau nicht ihr Haus verliert?

„Was meinst du denn?“, frage ich schließlich Naomi. Immerhin ist sie hellsichtig, sie müsste doch spüren, was hier die richtige Entscheidung ist.

Sie deutet mit der Hand auf sich selbst. „Ich?“

Ich nicke nur, während Daphne verwirrt, ungeduldig und verärgert zwischen uns hin und herblickt.

„Ich denke, du solltest die Kiste öffnen“, antwortet sie und zuckt mit den Schultern. „Deswegen sind wir doch schließlich hier, oder? Und Daphne braucht diese Papiere wirklich schnell.“

Wie eine schnurrende Katze blickt die alte Frau zu Naomi auf und nickt ihr zu. „Genau.“

Ein weiteres Mal hole ich tief Luft und sende diesmal noch ein Stoßgebet gen Himmel, dass sich meine üblen Vorahnungen nicht bewahrheiten mögen und es nur an der dunklen Magie selbst liegt, dass ich so ein seltsames Gefühl in der Magengegend habe. Dann beginne ich den Spruch in seiner Originalsprache vorzulesen.

Schon als ich die ersten Worte gesprochen habe, geht ein Vibrieren durch die Box auf mich über. Bei jedem weiteren Wort breitet es sich aus, über den Boden, die Wände und den runden Raum hinaus. Ich sehe Naomi an, doch sie nickt mir nur aufmunternd zu, genau wie Daphne, die sich dabei in froher Erwartung die Hände reibt. Ich spreche weiter, Wort für Wort, Zeile für Zeile, bis schließlich das ganze Haus zu vibrieren scheint. Die Gläser und Flaschen in den Regalen erzittern und klirren, der Boden wackelt bedenklich und als ich denke, dass jeden Moment der ganze Raum über uns zusammenbrechen wird, ist plötzlich Stille.

„Wars das?“, fragt Daphne und stellt sich auf die Zehenspitzen um auf die Kiste in meinen Händen zu schauen.

Ich lege den Finger an die hölzerne Klappe, ziehe sie hoch und werde im selben Moment nach hinten geschleudert. Mit dem Rücken pralle ich gegen eines der Regale und sehe zu, wie die Kiste in der Mitte des Raumes zu Boden fällt und auch Naomi durch die Luft geschleudert wird. Sie kommt neben dem Kamin auf, während Daphne sich lachend nach der Kiste bückt und etwas herausholt.

„Oh, Arthur, mein Liebster“, jauchzt sie und drückt sich zwei große Umschläge an die Brust, vermutlich das Testament und die Lebensversicherungspolice ihres Mannes. „Jetzt wird alles gut!“

Und dann, einen winzigen Augenaufschlag später, ist die alte Dame verschwunden. Naomi schreit erschrocken auf, doch schon im nächsten Moment hält sie sich selbst den Mund zu, als eine dichte, schwarze, ölige Masse aus der Kiste kriecht.

Unzählige schwarze Tentakel gleiten über den hölzernen Rand und schlängeln sich vorwärts über den Betonboden. Es hat Ähnlichkeit mit einem Tintenfisch, doch das Gebilde, zu dem die Tentakel führen und das sich jetzt aus der Kiste erhebt, ist eindeutig dämonischen Ursprungs.

Naomi wimmert und das Ding dreht sich hastig zu ihr um, auch wenn es schwer zu sagen ist, wo bei diesem Ungetüm vorne und hinten ist.

Der Schreck, der mich bislang gelähmt hat, fällt endlich von mir ab und ich hebe eine mit Blitzen geladene Hand und schieße sie auf den vermeintlichen Kopf des Wesens ab. Es jault einmal auf, ein Jaulen, das mir in den Ohren brennt! Dann wendet es sich mit einem dumpfen Knurren mir zu und ich feuere erneut eine Salve Blitze auf ihn ab.

Das Wesen jault und zuckt, aber es scheint durch meine Blitze keinen Schaden zu nehmen. Ganz im Gegenteil, denn anstatt zurückzuweichen, kommt es mir näher und ich kann seinen fauligen Atem auf meinem Gesicht spüren. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und ich dränge mich instinktiv von ihm weg, doch hinter mir ist nur eines dieser dummen Regale.

Die schwarze, ölige Tentakel-Wolke schnüffelt wie ein wildes Tier an mir und ich halte den Atem an. Sie ist so dicht vor mir, dass ich vom Raum nichts mehr sehen kann, außer den Rand des Schreibtisches zu meiner Linken und den Steinquader zu meiner Rechten.

Langsam schiebe ich meinen Körper nach links und flüstere mit zusammengebissenen Zähnen: „Naomi, raus hier!“

Um meine Hand sammeln sich erneut Blitze, bereit abgefeuert zu werden. Das Wesen folgt mir Zentimeter für Zentimeter, während es weiter schnüffelt und seltsame Grunzlaute von sich gibt.

Dann endlich höre ich Naomis Schritte und in dem Moment, als ihre Silhouette hinter dem Steinquader verschwindet und die ölige Wolke sich zu ihr umdrehen will, schieße ich die Blitze in seine Seite. Ich schieße und schieße, bis mein ganzer Arm zittert und brennt, und höre erst auf, als ich mir sicher sein kann, dass Naomi den Raum verlassen hat.

Dann kann ich nicht mehr und lasse den Arm sacken. Wie totes Fleisch baumelt er von meiner Schulter und ich rechne jeden Moment damit, dass das seltsame Wesen mir nun den Rest gibt. Es kommt noch näher und hinter seinem ölig schimmernden Rauch, der mit seiner Schwärze alles zu verschlingen droht, sehe ich ein schnabelartiges Maul und dahinter einen purpurroten Schlund, der mit dutzenden Reihen von Reißzähnen versehen ist. Aus dem Maul dringt ein wütender Schrei, der so sehr in meinen Ohren schmerzt, dass ich die Hände dagegen presse und die Augen zukneife.

Dann ist Stille, nur noch mein zitternder Atem ist zu hören. Ich öffne die Augen und sehe noch im letzten Moment den Rest einer einzelnen schwarzen Tentakel, die im Kamin verschwindet.

Scarlett Taylor - Libelle

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