Читать книгу Scarlett Taylor - Libelle - Stefanie Purle - Страница 6
Kapitel 3
Оглавление„Scarlett“, weckt mich die warme, raue Stimme von Chris nach unbestimmter Zeit.
Ich blinzle und schaue verschlafen in sein vom warmen Licht der Nachttischlampe beschienenes Gesicht. „Hey, da bist du ja.“ Ich strecke mich, während Chris seine Lippen auf meine Wange drückt. „Wie spät ist es?“
„Kurz nach elf“, antwortet er und streicht mir ein paar Strähnen aus dem Gesicht. „Wir haben dich im Booh vermisst. Jason, Kitty, Naomi und Fletcher waren da. Sie hatten alle Pläne, Zeichnungen und Strategien für den Laden mitgebracht, die sie dir zeigen wollten.“
Ich setze mich auf und gebe einen Seufzer von mir, als die harte Realität wieder auf mich einprasselt. „Ach, Chris…“. Ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll und schüttle mit dem Kopf.
„Was ist los?“, will er sofort wissen und setzt sich im Schneidersitz neben mich auf die Bettdecke.
„Elvira und Mama wollen an die Küste ziehen und das Reisebüro und Elviras Wohnung verkaufen. Sie war schon bei einem Makler und Ende dieser Woche sind sie bereits weg!“, sprudelt es dann plötzlich aus mir heraus.
Chris sieht mich mit großen Augen an. Sein Mund klappt auf, dann wieder zu. Er schluckt. „Ende dieser Woche schon?“
„Ja!“ Ich schlage mit den Händen auf die Bettdecke. „Sie planen es schon länger, wollten mich aber erst einweihen, wenn es sicher ist.“
„War Ella auch dabei?“
Ich schüttle mit dem Kopf und spüre, wie mir wieder Tränen in die Augen steigen. „Nein, sie war nicht dabei. Wahrscheinlich hatte sie Angst, dass ich sie verhexen könnte, sie in Stein verwandeln würde, oder sowas, damit sie nicht umzieht.“
Chris sieht mich mitfühlend an und streicht beruhigend über meinen Oberarm. „Das hat sie sicherlich nicht gedacht.“
„Oh doch, bestimmt hat sie das! Sie kann ja noch nicht einmal mit mir über das Wetter sprechen, ohne Angst zu haben!“
Wir schweigen einen Moment und Chris gibt mir Zeit, mich wieder zu sammeln. Nach einer Weile sehe ich ihn an.
„Das Büro wird auch verkauft. Elvira meint, ich könnte es in dein Arbeitszimmer verlegen, aber das will ich nicht.“
Er zieht die Augenbrauen zusammen. „Wieso nicht? Es ist ebenso dein Arbeitszimmer, und wenn du es als Parapsychologen-Büro nutzen willst, dann kannst du das tun.“
Vor meinem inneren Auge sehe ich das Arbeitszimmer, das eh schon mit meinen Kräutern, Edelsteinen, Tinkturen und Pülverchen vollgestopft ist. Wenn ich dort nun auch noch all die Ordner und Unterlagen aus dem Büro, sowie den Computer und all die Masken und Reliquien von den Wänden reinquetsche, ist dort kaum noch Platz zum Durchlaufen.
„Nein, das möchte ich nicht“, sage ich und schüttle mit dem Kopf. „Allein der Gedanke, dass dort dann ewig das Telefon klingelt…“ Ich schlage die Hand vor mein Gesicht und reibe meine Stirn.
Chris nickt und blickt grüblerisch zur dunklen Fensterfront hinaus. „Vielleicht können wir im Booh nachfragen, ob dort noch ein Raum für das Büro frei ist.“
„Das Gute an Elviras Büro war ja, dass man es hinter der Wand verstecken konnte. Es war geheim, kaum jemand wusste, dass es sich im hinteren Teil des Reisebüros verbirgt.“ Ich hebe die Schultern und atme gequält ein. „Es war einfach perfekt, so wie es war. Das Büro zu unserem Treffpunkt zu verlegen, würde uns zu angreifbar machen.“
„Das stimmt“, gibt Chris mir recht. „Das wäre nicht gut.“
Eine Weile hängen wir beide schweigend unseren eigenen grüblerischen Gedanken nach, bis Chris sich plötzlich räuspert und mich wieder ansieht.
„Jason hatte die Idee, den Laden im leerstehenden Reisebüro zu eröffnen. Alle waren davon begeistert, aber daraus wird dann ja wohl auch nichts.“
Es ist, als lege sich noch eine zusätzliche Tonne Gewicht auf mein eh schon erdrückendes Gefühl der Hilflosigkeit. Ich weiß, wie sehr sich meine Leute einen gemeinsamen Laden gewünscht haben. Sie wollen damit nicht nur ihre monatlichen Einnahmen erhöhen, sondern vor allem jungen Hexen und Neugewandelten einen Zufluchtsort geben, wo wir sie dann auf den richtigen Pfad bringen können. Und was würde sich dafür besser eignen, als ein sogenannter Esoterik-Laden?!
„Das wäre echt eine gute Idee gewesen“, sage ich traurig.
„Scarlett, wieso kaufen wir das Reisebüro und die Wohnung darüber nicht einfach?“
Ich blicke auf und sehe ihn entgeistert an. „Wir?“
Er nickt und seine Augen blitzen aufgeregt. „Ja, genau. Wir könnten einen Kredit aufnehmen. Ich habe das Haus als Sicherheit für die Bank und…“
„Nein!“, unterbreche ich ihn und lege die Handfläche auf seine Brust. „Nein, Chris, das geht nicht.“
„Warum nicht?“
Ich schüttle vehement mit dem Kopf. „Du wirst nicht dein Elternhaus aufs Spiel setzen für die Schnapsidee von einem Hexenladen!“
Sein Ausdruck wird ernster und das Blitzen in seinen Augen erlischt. „Das ist keine Schnapsidee, Scarlett. Ich bin wirklich der Meinung, dass der Laden eine super Anlaufstelle für Hexen, Vampire und Gewandelte sein könnte. Und das alles unter dem legalen Deckmantel eines Esoterik-Ladens!“
„So meinte ich das auch nicht. Es ist auch keine Schnapsidee. Aber trotzdem möchte ich nicht, dass du dein Elternhaus für sowas aufs Spiel setzt.“
Er kräuselt die Augenbrauen. „Aber ohne eine für die Bank anerkannte Arbeitsstelle werden wir keinen Kredit bekommen.“
„Das weiß ich“, sage ich. „Wir können das Haus nicht kaufen, keine Bank der Welt gibt uns ohne richtige Arbeit einen Kredit. Und wir haben einfach zu wenig angespart, als das es für eine Anzahlung reichen würde.“
„Deswegen habe ich vorgeschlagen, mein Elternhaus als Sicherheit zu nehmen.“ Seine Stimme ist ernst und bestimmt, als ließe er keine Widerworte gelten.
„Chris, das kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren“, lasse ich ihn wissen und sehe zu, wie seine Stirn sich immer mehr in Falten legt. „Ich wäre nie wieder froh, wenn ihr euer Elternhaus verliert, weil der Laden nicht genug einbringt.“
„Wir könnten die Ratenzahlungen bereits von unseren monatlichen Einnahmen als Dämonologe und Parapsychologin begleichen. Wir sind nicht davon abhängig, ob der Laden gut läuft oder nicht.“
„Trotzdem bin ich nicht damit einverstanden, dein Haus als Sicherheit zu nehmen.“
Er sieht mich ernst an, seine Zähne mahlen aufeinander, was den edlen Schwung seines Unterkiefers betont. „Dass du nach mehr als einem Jahr immer noch von diesem Haus sprichst, als gehöre es nur mir und meinen Geschwistern alleine…“
Er lässt den Satz unvollendet, doch ich weiß, worauf er hinauswill.
„Es ist aber euer Haus und nicht meins“, schießt es aus mir heraus, bevor ich wirklich darüber nachdenken konnte.
Chris zuckt, als hätten ihm meine Worte körperliche Schmerzen zugefügt.
„Es tut mir leid“, sage ich sanfter und strecke meine Hand nach ihm aus. „Du weißt doch, wie ich das meine.“
Zu meinem Entsetzen entzieht sich Chris meiner Berührung und sieht mich mit kalten Augen an. „Du bist meine Gefährtin, Scarlett. Was mein ist, ist auch dein, und was dein ist, ist auch mein. So ist es zwischen Gefährten.“
„Ja, das weiß ich doch“, stimme ich ihm mit flehendem Unterton zu, doch er steht trotzdem vom Bett auf.
Seine moosgrünen Augen sehen mich auf eine Art und Weise an, wie sie es noch nie zuvor getan haben. Ein dunkler Schatten huscht über sein Gesicht. Mein Herz setzt ein paar Schläge aus, als er mich so schweigend anblickt.
„Du verhältst dich aber nicht so.“ Sein Ton ist so kalt wie sein Blick. Dann dreht er sich um und verlässt das Schlafzimmer.
Ich bleibe benommen und geschockt zurück.
Nachdem ich eine Weile wie erstarrt auf dem Bett gesessen und vergeblich versucht habe, die Scherben meines Lebens gedanklich wieder zu kitten, stehe ich auf. Noch nie habe ich mich wirklich mit Chris gestritten. Wir hatten zwar immer mal wieder Meinungsverschiedenheiten, doch noch nie sind wir im Streit auseinandergegangen oder waren länger als ein paar Stunden auf den jeweils anderen böse. Allerdings ging es bei diesen kleinen Streitereien auch nie um wirklich ernste, existentielle Dinge. Dieses Mal scheint es anders zu sein, ich spüre es als einen schweren Stein auf meinem Brustbein. Eine Art Kälte ist an die Stelle getreten, wo sonst kribbelnde Wärme verströmt wurde.
Ich halte es nicht länger aus und stürme aus dem Schlafzimmer.
„Chris?“, rufe ich und sprinte schon die Treppe hinunter.
Aus Richtung der Küche dringt ein murmelndes Knurren. Ohne meine Geschwindigkeit zu drosseln renne ich durch den Flur und das Wohnzimmer hinein in die Küche.
Chris sitzt auf einem Hocker an der Kücheninsel und blickt in eine halbvolle Tasse Kaffee. Sein Haar sieht zerzauster aus als noch vor wenigen Minuten, seine Stirn ist aber noch immer in diese grüblerischen Falten gelegt.
Mit langsameren Schritten gehe ich nun auf ihn zu und ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, lege ich die Arme um seine Schultern. Sein Körper ist so warm und ich bemerke, dass ich damit instinktiv versuche, die Kälte aus meinem Brustbein zu vertreiben.
Chris erwidert meine Umarmung nicht, legt aber seinen Kopf so, dass ich seinen Atem in meinem Nacken spüren kann.
„Scarlett“, flüstert er und küsst mein Haar.
Ich lege den Kopf ein wenig zurück, um ihn anzusehen. Seine Stirn hat sich ein wenig gelockert, aber seine Augen haben noch immer einen finsteren Ausdruck. Ich studiere sein Gesicht und suche darin nach einer Antwort auf die Frage, wie ich alles wieder in Ordnung bringen kann.
„Bist du immer noch der Meinung, dass dies einzig und allein mein Haus ist?“, fragt er leise, doch in seinem Ton kann ich hören, wie ernst er es meint.
Natürlich ist es sein Haus. Seine Eltern haben es vor langer, langer Zeit erbaut. Es ist das Haus, in dem er und seine Geschwister geboren und aufgewachsen sind. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schlimm es für sie alle sein müsste, dieses Haus an die Bank zu verlieren.
Er dreht seinen Oberkörper, legt seine starken Arme um meine Mitte und zieht mich noch dichter an sich, bevor er seine Frage wiederholt. „Wem gehört dieses Haus, Scarlett?“
Mein Kinn zittert, als ich seinem ernsten Blick begegne. Ich möchte sagen, dass es auch mein Haus ist, weil ich weiß, dass es das ist, was er hören will. Aber ich kann es nicht. Ich habe kein Recht der Welt, dieses Haus als mein Eigentum anzusehen.
„Das Haus gehört dir, Bianca und Arturo.“
Ein dunkler Schatten legt sich über seine moosgrüne Iris und er nickt. „In Ordnung“, antwortet er, ohne mich loszulassen. Zu meiner Überraschung drückt er einen zarten Kuss auf meine Stirn. „Dann werde ich morgen zur Bank gehen und einen Kredit beantragen. Dieses Haus, also mein Haus, wie du eben bestätigt hast, werde ich als Sicherheit nehmen.“
„Nein“, hauche ich gegen seinen Hals. „Tu das nicht. Nicht für so ein leerstehendes Reisebüro und eine renovierungsbedürftige Oberwohnung.“
Ich spüre, wie er mit den Schultern zuckt. Seine Hände gleiten, als sei nichts gewesen, über meinen Rücken. Er sagt nichts mehr und auch ich lasse es für heute gut sein.
Die Stelle an meinem Brustbein kribbelt lauwarm. Nicht so heiß wie sonst, aber immerhin lauwarm.