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Kapitel 4

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Mitten in der Nacht werde ich von einem Klopfen an der Fensterfront des Schlafzimmers geweckt. Zuerst halte ich es für einen Ast, der durch den Wind im Takt gegen die Scheibe knallt, doch nachdem ich immer wieder drei kurz aufeinanderfolgende Schläge vernehme, reiße ich alarmiert die Augen auf.

Im Schlafzimmer ist es stockdunkel, doch aus der unteren Ecke der Fensterfront strahlt ein schwaches, goldenes Licht. Ich werfe die Beine aus dem Bett und krabble über den Boden auf das Licht zu. Es ist eine winzige Elfe, sie hat ihr Licht gedimmt, offenbar um nicht aufzufallen.

„Was ist los“, flüstere ich gegen die Scheibe, die daraufhin beschlägt.

Wild und wirr fliegt sie vor meiner Nase hin und her, wie eine Motte vor einer Glühbirne. Als sie merkt, dass ich keinen blassen Schimmer habe, was sie von mir will, beginnt sie weiter auf und ab zu fliegen. Sie verschwindet für einen kurzen Moment aus meinem Sichtfeld und taucht dann blitzartig wieder vor mir auf. Das wiederholt sie immer wieder, bis ich kurz davor bin, einfach wieder aufzustehen und zurück ins warme Bett zu gehen. Doch dann, als sie ein sechstes Mal nach unten saust und ich ihr mit meinem Blick folge, entdecke ich einen dunklen Umriss hinter den dicken Stämmen der Tannen am Boden. Der Umriss bewegt sich und schiebt sich langsam hinter den Stamm. Es war eindeutig der Umriss eines Menschen.

Erschrocken krabble ich von dem Fenster weg und zurück zum Bett.

„Chris… Chris!“, rufe ich im Flüsterton und taste den Boden nach meinem Bademantel ab.

Chris dreht sich im Bett und knurrt, dann schreckt er hoch. „Was? Was ist los?“

„Da draußen ist jemand.“

Bei diesen Worten springt er aus dem Bett. Sobald seine Füße auf dem Boden landen, ist die Verwandlung bereits vollzogen. Ich höre es an seinem Atem, der nun tiefer und rasselnder klingt.

„Wo?“

Endlich habe ich den Bademantel gefunden und werfe ihn mir auf den Knien hockend über. „Im Osten, unter der Fensterfront, hinter den großen Tannen.“

„Ich gehe raus“, lässt Chris mich wissen und überwindet mit zwei Schritten den Abstand zwischen Bett und Schlafzimmertür.

Bevor ich protestieren kann, höre ich das Knarzen des Treppengeländers, gefolgt von dem dumpfen Aufprall seiner Pranken, als er mit einem Sprung über die Treppe im Erdgeschoss landet.

Ich habe keine Zeit nachzudenken und sprinte ihm hinterher, wobei ich den Gurt meines Bademantels festzurre. Chris ist bereits zur Tür hinaus und hat sie wieder geschlossen. Der kalte Hauch der nächtlichen Herbstluft steht noch im Flur und lässt mich bereits hier schon frösteln. Doch ich gehe trotzdem nach draußen.

Die Kieseinfahrt reflektiert das spärliche Mondlicht, dahinter liegt schwarz der Waldrand vor dem sternenklaren Himmel. Ich schließe die Augen, rufe die Elemente auf und suche mit ihrer Hilfe telepathisch das Gebiet ab. Vor kurzem erst habe ich diese Art der Magie erlernt und brauche nun keinen Pendel mehr, um Personen aufzuspüren. Jedoch funktioniert es nur bis zu einer gewissen Reichweite. Sind die Wesen oder Menschen weiter als einen Kilometer entfernt, verliere ich sie.

Chris´ Energie spüre ich im Osten, doch da sind noch drei weitere Energien, die hier allerdings nicht hingehören. Zwei sind in Chris´ Nähe, die Dritte befindet sich im Bereich der Zufahrt zu unserem Haus, tief im Wald.

Ich reiße die Augen wieder auf und renne barfuß um das Haus herum zu Chris. So langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit und ich kann die Bereiche zwischen den Baumstämmen ausmachen. Wer auch immer hier herumschleicht, scheint kein magisches Wesen zu sein, weswegen ich aufpassen muss, keine offensichtliche Magie anzuwenden. Wären es magische Wesen, würde ich mit Feuer den Platz erleuchten und den Eindringlingen mit Blitzen drohen. Doch wenn es Menschen sind, darf ich mich ihnen nicht offenbaren. Es reicht schon, dass Chris in seiner Mannwolfsgestalt ist. Wenn sie ihn mit einer Taschenlampe anleuchten und sein fellbewachsenes Gesicht sehen, ist er enttarnt.

Ich erreiche die Fensterfront und bleibe an der Ecke stehen. Zwischen den Stämmen der dicken Tannen ist niemand mehr, aber es liegt noch der Rest einer dunklen, menschlichen Aura in der Luft.

„Sie sind weg. Ich rieche Panik“, lässt Chris mich flüsternd wissen.

Ich zucke zusammen und entdecke ihn schließlich seitlich hinter mir. Ich war so auf die menschliche Aura fokussiert, dass ich ihn glatt übersehen habe.

„Es waren Menschen, oder?“

„Ja, gewöhnliche Menschen. Allerdings waren ihre Absichten nicht gut.“

Ich nicke, in der Gewissheit, dass er mich mit seinen Wolfsaugen in der Dunkelheit sehen kann. „Zwei waren hier am Haus, einer schien im Wald zu warten.“

„Ja, ich höre ein Auto. Sie fahren weg.“

Ich halte den Atem an und lausche, bis ich schließlich auch das leise Motorengeräusch in der Ferne höre. Erleichtert darüber, dass wir sie in die Flucht geschlagen haben, ohne dass es zu einer Auseinandersetzung kam, lasse ich die Schultern sacken.

Chris geht an mir vorbei und ich höre ihn tief einatmen. „Lederjacke. Neugier und Argwohn. Vielleicht auch Neid, oder Missgunst. Teures Parfum. Neuwagengeruch.“ Er saugt immer wieder die Luft durch seine Nasenlöcher und wittert den noch in der Luft hängenden Geruch, den nur er und seine Artgenossen wahrnehmen können. „Dann leichte Panik.“

„Wie riecht Panik?“, will ich aus reiner Neugierde heraus wissen und beginne selbst in der Luft zu riechen, obwohl ich nichts anderes als Moos und vielleicht noch den harzigen Geruch der Tannen wahrnehmen kann.

„Leicht säuerlich, milchig und ranzig.“

Eine Windböe fegt um uns herum und schiebt die nassen Blätter am Boden vor sich her. Ich schlinge die Arme um meinen Oberkörper und versuche nicht zu zittern. „Das klingt ekelig.“

„Man gewöhnt sich dran.“ Er kommt zur Stelle zurück, an der ich auf ihn warte und legt seine Hand auf meine Schulter. „Lass uns reingehen.“

Mir entgeht nicht, dass er weiterhin in seiner Mannwolfgestalt bleibt. Offenbar hat er Dinge gewittert, die ihn beunruhigen, oder zumindest dazu veranlassen, kampfbereit neben mir herzugehen.

Drinnen angekommen kontrolliert Chris alle Fenster im Haus und verschließt sie. Er lässt die Rollläden herunter und sichert die Haustür zusätzlich mit einem Riegel, während ich am Kaffeeautomaten Milch nachfülle und zwei Kakaos zubereite.

„Hast du die Männer gehört, oder wovon bist du wach geworden?“, fragt Chris, als er zu mir in die Küche kommt. Er hat wieder seine menschliche Gestalt angenommen und nimmt nur in Boxershorts bekleidet an der Kücheninsel Platz.

Ich hole den fertigen Becher Kakao und stelle ihn vor ihm ab. „Eine Elfe hat an die Scheibe geklopft“, erkläre ich und hole auch meinen Becher aus dem Automaten. „Erst hielt ich es für Äste im Wind, doch dann hab ich ihr schwaches Leuchten gesehen.“

Chris nickt und bedankt sich für das warme Getränk, auch wenn er nicht wirklich etwas zum Aufwärmen braucht, im Gegensatz zu mir.

„Erst habe ich nicht verstanden, was sie von mir wollte. Doch sie hat meinen Blick auf die Tannen gelenkt, und da habe ich einen von ihnen gesehen.“ Ich setze mich ihm gegenüber hin und lege die kalten Finger um den heißen Becher. „Gestern Abend, als ich von dem Treffen mit Elvira nach Hause lief, hatte ich auch schon das Gefühl, von einem Auto verfolgt zu werden.“

Ruckartig blickt Chris von seinem Becher auf und sieht mich grimmig an. „Und das wolltest du mir verschweigen?“

„Nein, natürlich nicht“, entgegne ich schnell und strecke die Hand nach seinem Unterarm aus. Seine Haut fühlt sich fast so warm wie die Tasse an. „Ich bin nur darüber hinweggekommen, nach unserem Gespräch gestern. Aber das ist der Grund, warum ich gestern Abend nicht mehr ins Booh gegangen bin… Einer der Gründe… Ich wollte sie nicht zu euch führen, falls es wirklich Verfolger waren.“

Chris´ Miene wird wieder sanfter und er nickt verständnisvoll. „Hast du ihre Gesichter gesehen? Oder das Kennzeichen?“

„Ihre Gesichter konnte ich nicht sehen, der Wagen hatte verdunkelte Scheiben. Aber ich habe mir das Kennzeichen gemerkt.“

„Gut“, antwortet Chris und wirkt erleichtert. „Wir sollten Daniel Stahl bitten, das Kennzeichen zu überprüfen. Ich will wissen, wer das war.“

„Ob es dieselben waren, die gerade eben noch um unser Haus geschlichen sind?“

Er zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber es wäre schon ein seltsamer Zufall, wenn es nicht so wäre.“

Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube nicke ich. „Was sind das wohl für Leute? Und was wollen sie?“, grüble ich laut vor mich hin.

„Nach dem, was ich gewittert habe, sind es keine Jugendlichen mehr. Sie rochen wie gestandene Männer. Der Geruch von einem Neuwagen haftete an ihnen, und dann das teure Parfum. Um Geld schien es dabei nicht zu gehen, ich glaube nicht, dass es Diebe waren, die ihr nächstes Objekt ausspionieren wollten.“

„Aber du hast auch Neid gewittert. Vielleicht waren es doch Diebe. Reiche Diebe“, gebe ich zu bedenken.

Chris kräuselt die Lippen und legt den Kopf schief. „Es war eher so eine Mischung aus Missgunst, weniger materieller Neid. Da war auch zu wenig Adrenalin für Kriminelle. Aber ganz ausschließen kann ich es natürlich nicht.“

Der Gedanke, dass jemand um unser Haus herumschleicht mit der Absicht, uns eventuell auszurauben, verstärkt das ungute Gefühl in meinem Bauch nur noch mehr. „Ich werde einen Schutzkreis ziehen. Auch wenn es nur Menschen sind. Ich will nicht, dass hier jemand einsteigt, während wir schlafen!“

„Es gibt auch nicht-magische Wege, um sich vor Einbrecher zu schützen“, wendet er schmunzelnd ein.

„Ja, Alarmanlagen und sowas.“ Ich werfe die Hände in die Luft. „Das ist viel zu wenig und auch zu unsicher. Ich werde einen Schutzkreis ziehen, den nur magische Wesen betreten können!“

Chris wischt sich über die Stirn. „Puh, da bin ich aber erleichtert. Ich dachte schon, du wolltest jeden, der die magische Grenze übertritt, in Flammen aufgehen lassen!“

„Das wäre auch eine gute Idee!“

Nachdem wir unseren Kakao getrunken haben, checke ich die unmittelbare Umgebung noch einmal mithilfe der Elemente auf Eindringlinge. Wir sind allein, zum Glück. Im Wald ist niemand, außer den üblichen Tieren und Geistwesen. Doch trotzdem kann ich nicht mehr einschlafen. Meine Gedanken überschlagen sich, ich denke an die Zutaten für den Schutzkreis und frage mich, ob ich alles im Hause habe. Dann kommen mir wieder Elvira und Mama in den Sinn, dessen Abreise nun bereits einen Tag näher gerückt ist. Das Reisebüro, mein Parapsychologen-Büro und der Hexenladen. Chris, der tatsächlich sein Elternhaus als Sicherheit für einen Kredit benutzen will. Die Verfolger im schwarzen Wagen, die Männer, die um unser Haus schlichen.

Ruckartig setze ich mich wieder auf und werfe die Beine aus dem Bett. Chris ächzt und dreht sich um. Ich flüstere ihm beruhigende Worte zu, ziehe meinen Bademantel über und gehe auf Zehenspitzen nach unten. Ich möchte ihn wirklich nicht wecken, es reicht, wenn einer von uns keinen Schlaf bekommt.

Unten angekommen, husche ich ins Arbeitszimmer und knipse die Messinglampe auf dem Schreibtisch an. Der beruhigende Geruch getrockneter Kräuter, Pergament und Möbelpolitur umfängt mich. Ich setze mich auf den Bürostuhl und ziehe einen der Stapel mit Hexenbüchern heran. Ich suche nach einem ganz bestimmten Buch, einem, dass mein Ich aus einer anderen Zukunftsdimension mir hinterlassen hat. Es handelt von Schutzzaubern, Fluchtafeln und Bannsprüchen. Ich entdecke es unter dem dicken Wälzer der von Heilkräutern und Tinkturen handelt und ziehe es hervor. Es ist ein kleines Buch, nicht sehr dick und auch nicht besonders gut erhalten. Die Seiten sind so dünn und brüchig wie Schmetterlingsflügel, doch die Schrift kann man noch entziffern. Vorsichtig blättere ich zu den Seiten auf denen die Schutzzauber beginnen. Die ersten Zauber sind vor allem gegen magische Wesen wirksam. Es gibt welche, die insbesondere Werwölfe, Vampire und Dämonen abhalten sollen. Ein anderer Zauber ist dafür gedacht, um auch Geistwesen von einem Gebiet fernzuhalten, sei es nun zu ihrem eigenen Schutz, oder weil man in seinem Tun nicht von ihnen gestört werden will. Dann endlich komme ich zu den Sprüchen, die sich gegen Menschen richten, magische Wesen aber außer Acht lassen. Zu Zeiten der Hexenverfolgung hatten diese Zauber Hochkonjunktur. Der erste Schutzzauber lässt den Menschen einfach umkehren, ohne dass er dabei bemerkt, dass er sich eigentlich in eine andere Richtung bewegt. Dazu muss man einen Knick in der Dimension herbeiführen, doch das traue ich mir ohne Robertas Hilfe noch nicht zu. Der nächste Schutzzauber ist zu brutal, dort gehen die Eindringlinge wirklich wahrhaftig in Flammen auf, sobald sie den Schutzkreis durchbrechen. Ich brauche etwas einfacheres, etwas, das niemandem groß Schaden zufügt, uns aber trotzdem ungebetene Gäste fernhält. Dann ein paar Seiten weiter werde ich endlich fündig: „Schutzzauber des Vergessens“.

Ich überfliege die Seite und nicke zufrieden. „Lässt Menschen beim Näherkommen das eigentliche Vorhaben vergessen. Legt Tarnschleier über das Gebiet, macht es für Menschen unauffindbar - Das ist es“, murmle ich in die Stille des Arbeitszimmers. „Samen des Wurmfarnes, getrocknetes Benediktenkraut, Asche eines Ungeborenen und vier Rohdiamanten.“

Langsam lege ich das brüchige Büchlein zurück auf den Schreibtisch und blicke ins Leere. Asche eines Ungeborenen, das ist wirklich grenzwertig. Aber vier Rohdiamanten, das ist doch glatt unmöglich!

Doch plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen und ich ziehe das Buch wieder heran. Dort steht nichts davon, dass man die Diamanten nicht auch selbst herstellen darf. Ein kleines Lächeln formt sich auf meinen Lippen. Diese Zutat ist also kein Problem mehr, genau wie die Samen und Kräuter. Fehlt nur noch die Asche eines Ungeborenen.

Roberta kann ich nicht danach fragen, da es sich bei diesem Schutzzauber um dunkle Magie handelt, mit der sie, als weiße Hexenkönigin, nichts zu tun haben will.

Einer meiner allerersten Zauber war ein Bannspruch, bei dem auch Asche benutzt wurde. Damals war Elvira verschwunden und hatte mir ein Buch mit Zaubersprüchen und so weiter hinterlassen, zu dem auch eine kleine Kulturtasche mit mehreren kleinen Fläschchen gehörte, unter denen sich auch Gefäße mit kleinen Mengen Asche Verstorbener befanden.

Mit fahrigen Fingern reiße ich eine Schublade nach der anderen an den Seiten des Schreibtisches auf, auf der Suche nach eben dieser Kulturtasche. Weit hinten, in einer der untersten Schubladen, entdecke ich sie schließlich, hinter einem Sammelsurium aus Kugelschreibern, Edelsteinen, Scheren und Kräuterbeuteln. Ich ziehe sie heraus und kippe ihren Inhalt über dem Hexenbuch aus.

„Vampirblut, Blut einer Jungfrau, Asche einer Jungfrau, Asche eines Heiligen, gemahlene Biberzähne…“, lese ich von den Etiketten der bunten Fläschchen ab und schiebe diejenigen zur Seite, die nicht infrage kommen. „Geraspeltes Bockshorn, getrockneter Friedhofsklee, pulverisierte Zähne (menschlich), Fötus-Asche, ägyptische Mumie gemahlen… Moment mal.“ Ich hole die vorletzte Flasche wieder heran und halte sie dichter an die Schreibtischlampe. Fötus-Asche- Das müsste genau das sein, wonach ich suche!

Scarlett Taylor - Libelle

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