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Kapitel 5

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„Fötus-Asche?“, wiederholt Chris und verzieht angewidert das Gesicht.

Meine Nase kräuselt sich unwillkürlich, während ich das kleine, ovale Fläschchen in meiner Hand betrachte, dessen hellblaues Glas im schrägstehenden Licht der Morgensonne schimmert. „Du willst gar nicht wissen, was noch alles in den anderen Flaschen war.“

Chris schüttelt sich. „Wenn es nicht unbedingt sein muss, dann lieber nicht.“ Er geht um die Kücheninsel herum und stellt sich neben mich. Sein Blick ruht auf dem Fläschchen in meiner Hand, in der die gräuliche Asche wie Sand von einer Seite zur anderen rieselt. „Wo hat Elvira diese Asche bloß her?“

„Das habe ich mich auch schon gefragt“, gebe ich zu und streiche mit dem Daumen über den mit Wachs versiegelten Korken am Flaschenhals. „Wahrscheinlich von einer anderen Hexe. Vielleicht gab es eine magische Haushaltsauflösung.“

Ich blicke hoch in Chris´ Gesicht und sehe zu meiner Erleichterung ein kleines Grinsen auf seinen Lippen. „Bei eBay findet man sowas auf jeden Fall nicht.“

„Wer weiß“, sage ich und zucke mit den Schultern. „Vielleicht gibt es ja ein eBay nur für magische Wesen, und wir wissen bloß nichts davon.“

Sein Mundwinkel zuckt und er schüttelt mit dem Kopf. „Auf jeden Fall steckt hinter diesem Fläschchen eine traurige Geschichte. Irgendjemand hat sein Kind verloren und alles was davon übrig ist, hältst du nun in den Händen.“

Bei diesen Worten stelle ich die Asche auf die Kücheninsel und wische mir die Hände an den Oberschenkeln ab. Chris hat recht. Wir können diesen Schutzzauber nur wirken, weil jemand sein ungeborenes Kind verloren hat. Aber so ist das mit der dunklen Magie, sie fordert Opfer.

„Hast du sonst alles für den Zauber?“, fragt er und geht wieder zu seinem Platz, wo die noch immer dampfenden Spiegeleier schon auf ihn warten.

Ich nicke und atme erleichtert auf. „Ja, sonst habe ich alles. Samen vom Wurmfarn und Benediktenkraut hatte ich noch vom Sommer. Das Kraut brauche ich zum Räuchern und die Samen um den Kreis auszulegen. Zum Glück habe ich drei große Gläser voller Samen.“

Dann greife ich in meine Hosentasche und hole die Diamanten heraus. Ich lege sie auf dem Tisch ab, wo sie in alle Richtungen kullern. „Und die hier brauchte ich noch.“

Zuerst kaut Chris unbeeindruckt weiter und beobachtet die gräulich gelben Steinchen dabei, wie sie sich in den Fliesenfugen sammeln. Dann schnellen seine Augenbrauen nach oben und er verschluckt sich beinahe. „Sind das… Diamanten?“

„Rohdiamanten, ja.“ Ich versuche mir den Stolz nicht anmerken zu lassen, außerdem sage ich ihm nicht, dass ich nur vier davon für den Zauber brauche. Irgendwie sind die Pferde mit mir beim Zaubern durchgegangen und ich habe so lange weitergemacht, bis ich nicht mehr konnte. Dabei sind mehrere kleine, doppelpyramidenförmige Diamanten herausgekommen und einige ziemlich große, die mir einiges meiner magischen Kraft abverlangt haben.

„Das hast du also die halbe Nacht gemacht“, bemerkt er staunend und nimmt einen der größten Steine zwischen Daumen und Zeigefinger. „Der hier ist ganz schön groß.“

„Ja, die längste Seite ist gut zehn Millimeter breit“, lasse ich ihn wissen.

Er sieht mich mit einem verschmitzten Gesichtsausdruck über den Stein hinweg an, sagt aber nichts. Ich begegne seinem Blick möglichst unbeteiligt und zucke mit den Schultern. Meine Fingerspitzen streichen über die kleinen Steinchen, die noch so unscheinbar wirken.

„Und was hast du nun mit den vielen Steinen vor?“, fragt er schließlich und legt den großen Diamanten in der Mitte einer Fliese auf der Kücheninsel ab.

„Ich brauche sie für den Schutzzauber“, antworte ich, ohne den Blick von dem Diamanten zu nehmen. „Bevor ich zum Büro fahre, werde ich ihn sprechen.“ Auch wenn ich nicht wirklich gelogen habe, was die Steine angeht, merke ich, dass meine Wangen warm werden. Schnell hebe ich meinen Kaffeebecher an meine Lippen und nehme einen Schluck. „Und was ist dein Plan für heute?“

Chris sieht mich schief an, spießt das letzte Stück seiner Spiegeleier auf und hält es vor seinen Mund. Ich kann die Zweifel in seinem Blick sehen. „Ich gehe später ins Booh, aber erst will ich mich im Wald umschauen. Vielleicht kann ich die Männer von gestern wittern und eventuell sogar ihre Spur aufnehmen.“

„Sei bitte vorsichtig, okay? Solange wir nicht wissen, wer sie sind oder was sie wollen, sollten wir beide sehr vorsichtig sein.“

Er nickt kauend und legt seine Gabel auf dem Teller ab. „Wollen wir uns zum Mittagessen im Booh treffen? Du musst doch bestimmt auch dort hin, um die Aufträge abzuliefern.“

„Gute Idee“, sage ich und lächle ihn an.

Chris erwidert mein Lächeln, doch die Zweifel und unausgesprochenen Fragen liegen noch immer in seinem Blick.

Nachdem Chris im Wald verschwunden ist, sammle ich die Rohdiamanten wieder auf und stecke sie in meine Hosentasche. Die vier kleinsten und unscheinbarsten verstaue ich separat in meiner linken Tasche, sie werde ich für den Schutzzauber verwenden.

Ich ziehe meine Regenjacke über und gehe nach draußen. Der Himmel ist grau und das meiste Sonnenlicht dahinter verschwunden. Ein Schwarm Krähen wird hoch über den Baumwipfeln vom Wind erfasst und segelt wirr am Himmel, während die hohen Tannen sich zum Lied des Herbststurmes wiegen. Ich schiebe das Glas mit den Wurmfarnsamen in die eine Jackentasche und stecke das mit Baumwollband umwickelte Benediktenkraut zusammen mit einem Feuerzeug und dem Fläschchen Asche in die andere. Dann mache ich mich auf zur östlichen Hausseite.

Auch wenn ich weiß, dass ich bei diesem Vorhaben nicht auf die Unterstützung meines Schutztieres Queenie hoffen darf, schaue ich mich trotzdem nach ihr um. Meine Hoffnung, dass sie als weißer Schutzgeist meine neutrale Druidenhexen-Natur akzeptiert, ist noch nicht gestorben. Doch wie schon erwartet, kann ich sie nirgendwo erspähen.

Als ich die östliche Hauswand mit der Fensterfront erreicht habe, gehe ich kurz in mich, um mich zu vergewissern, dass ich alleine bin. Nach einer kurzen Verbindung mit den Elementen nehme ich Chris ungefähr fünfhundert Meter von mir entfernt im Wald wahr, aber ansonsten niemanden. Ich bin allein, also kann ich mit dem Schutzzauber beginnen.

Ich sage den lateinischen Spruch auf und zünde das Kräuterbündel an. Der Wind reißt den Rauch in die Luft und schürt die glimmende Glut, die an den Spitzen der bröseligen Blätter frisst. Nun hocke ich mich am östlichsten Punkt auf den feuchten Boden. Meine Fingerspitzen graben ein schmales Loch in die kalte Erde, in das ich den ersten Rohdiamanten kullern lasse. Danach folgt eine kleine Prise Fötus-Asche, bevor ich die Erde wieder in das Loch schiebe und dabei weiter den einstudierten Zauberspruch aufsage. Ich stehe auf, nehme eine Handvoll von den Samen und begebe mich zum südlichsten Punkt des Hauses, wo ich wieder ein kleines Loch grabe, Diamant und Asche hineinwerfe und uralte lateinische Wörter aufsage. Dasselbe mache ich auch am westlichen und nördlichen Punkt, bis ich wieder beim östlichen Punkt ankomme und somit einmal das Haus umkreist habe. Die Wurmfarnsamen haben knapp ausgereicht und das Kraut ist soweit heruntergebrannt, dass ich es wie einen Zigarettenstummel über dem zugeschütteten ersten Loch ausdrücke, genau wie das Buch es verlangt hat.

Sobald die Glut auf die krümelige Erde trifft, ertönt ein Zischen und ich spüre ein Surren in der Luft. Es fühlt sich wie eine elektrostatische Aufladung an, die sich kuppenförmig über das Haus legt. Ich trete ein paar Schritte zurück und blicke die Hauswand empor. Ganz leicht ist ein silberner Schimmer zu sehen, fast so, als flirre die Luft vor Hitze. Zufrieden betrachte ich mein Werk in der Gewissheit, dass Menschen nun nicht mehr ins Haus eindringen können.

Später im Büro stellt sich bei mir ein sentimentales Gefühl ein. Auch wenn ich erst seit etwas mehr als einem Jahr von diesem geheimen Parapsychologen-Büro weiß, ist es mir doch sehr ans Herz gewachsen. Hier in diesem Raum habe ich von Elviras Tätigkeiten der vergangenen Jahre erfahren. Ich bekam zum ersten Mal einen Einblick in eine Welt, die mir bis dahin verborgen war. Dieses Büro war der Anfang von allem. Allein der Gedanke daran, dass sich hier vielleicht bald so etwas Profanes wie eine Versicherung niederlassen könnte, stößt mir sauer auf. Genau wie der Umstand, dass ich nie wieder Elviras Wohnung betreten könnte. Diese Wohnung war, nachdem Mama ins Koma gefallen ist, mein zweites Zuhause. In diesem ganzen Haus stecken so viele Erinnerungen, gute wie auch schlechte, die ich nicht einfach so aufgeben will. Auch wenn ich nichts dagegen unternehmen kann, dass Mama und Elvira wegziehen, aber dieses Haus nehmen sie mir nicht weg!

Hastig sammle ich die Papiere mit meinen Notizen von den Anrufern auf und stecke sie in meine Handtasche, bevor ich festen Schrittes das Reisebüro verlasse und um die Hausecke herum auf Elviras Eingangstür zumarschiere. Ich drücke dreimal hintereinander energisch auf den Klingelknopf, als ich beim dritten Klingeln Elviras Stimme höre.

„Ich komme ja schon, immer mit der Ruhe!“, höre ich sie dumpf rufen und die Treppen hinuntersteigen. Die Tür wird aufgerissen und ich blicke in das mürrische Gesicht meiner Tante. „Scarlett“, japst sie, halb wütend, halb verwirrt.

„Elvira, ich möchte, dass du mir das Vorkaufsrecht einräumst.“ Meine Stimme ist klar und deutlich, trotzdem wirkt meine Tante noch verwirrter, als noch in der Sekunde davor.

„W-was?“

Ich straffe die Schultern und ziehe den Gurt meiner Tasche zurecht. „Du hast mich schon verstanden. Ich bitte dich um das Vorkaufsrecht. Bestelle den Makler wieder ab, denn ich werde das Haus kaufen.“

Einen Moment lang sehen wir uns schweigend in die Augen, dann beginnt der Mundwinkel meiner Tante zu zucken.

„Kindchen, du hast doch gar nicht so viel Geld, was soll…“

„Wieviel Geld ich habe oder nicht, geht nur mich etwas an“, unterbreche ich sie barsch. „Wieviel verlangst du?“

Sie schluckt. „Zweihunderttausend.“

Ich schaue an der Hausmauer empor und wieder hinunter. „Einhundertachtzig. Es ist doch arg renovierungsbedürftig.“

Ihre Augen werden groß. „Hat Chris dir…“

Wieder unterbreche ich meine Tante. Unter normalen Umständen hätte sie das niemals zugelassen, doch in diesem Moment sind wir nicht Tante und Nichte, sondern Verkäufer und Käufer.

„Chris hat hiermit nichts zu tun. Bist du mit Einhundertachtzig einverstanden?“

Ihre Lippen zucken, sie wägt ihre Antwort ab. Dann endlich, als ich fast vor Anspannung zu platzen drohe, nickt sie. „Okay, aber nur, wenn du es dir wirklich leisten kannst.“

Meine Hand schnellt vor und sie ergreift sie zögerlich. „Abgemacht. Bis Ende der Woche bringe ich dir das Geld“, sage ich großspurig, ohne wirklich zu wissen, ob mein Plan überhaupt aufgeht.

Wir schütteln einander die Hände und ich verabschiede mich rasch, bevor ich meine seriöse Haltung nicht länger aufrechterhalten kann und zu kichern beginne.

Erst, als ich um die Hausecke herum aus ihrem Blickfeld verschwunden bin, breitet sich ein dickes Grinsen auf meinem Gesicht aus und ich hüpfe vor Freude.

Scarlett Taylor - Libelle

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