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Kapitel 6

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„Kommen Sie bitte mit in mein Büro“, sagt Juwelier Marder und streicht sich nervös über seine glänzende Stirn.

Er wirkt fahrig und überrumpelt von meinem Anliegen. Sein Blick gleitet über die Kundschaft im Laden, dann zieht er seine braune Weste glatt und justiert danach seine Manschettenknöpfe, während er mir den Zutritt hinter die Ladentheke gewährt. Ich folge ihm durch eine Tür im hinteren Bereich des Geschäftes mit der Aufschrift Privat. Sofort wird man von stickiger Heizungsluft und dem Geruch von gebratenen Zwiebeln empfangen. Er geht voraus durch einen dunklen Flur, vorbei an offenstehenden Türen zu einem Wohnzimmer und einer Bibliothek, bis er schließlich an einer Tür stehenbleibt und einen Schlüssel aus seiner Hosentasche zieht. Seine Finger zittern, als er ihn ins Schloss führt und sein Büro aufschließt.

„So etwas kommt schließlich nicht alle Tage vor“, sagt Herr Marder und blickt nervös zu mir hoch.

Ich erwidere sein Lächeln und nicke dem nur einen Meter fünfzig großen Mann zu. „Das denke ich mir.“

Sein Büro ist ein kleiner Raum mit dunkelgrünen Wänden, in dessen Mitte ein klobiger Schreibtisch aus Eiche rustikal steht. Eine kolossale Schrankwand dahinter hat denselben Holzton und insgesamt sind drei Ledersessel um den Tisch herum verteilt.

Der alte Juwelier geht zwischen Schrankwand und Schreibtisch hindurch und nimmt in einem der Sessel Platz. Ich setze mich ihm gegenüber und betrachte die goldenen Figuren, die auf der Ecke des Tisches stehen. Es sind zwei Schwäne, dessen Bäuche aus funkelnden Kristallen bestehen.

„Dann zeigen Sie mal her, Frau Schneider“, fordert er mich auf und legt eine Briefwaage vor sich auf der dunkelgrünen Schreibtischunterlage ab.

Ich zucke bei der Erwähnung meines ursprünglichen Namens kurz zusammen, doch er scheint es nicht bemerkt zu haben. Mit vor Nervosität schwitzigen Händen greife ich in meine Hosentasche und hole die erste Handvoll Rohdiamanten heraus.

Eine von Herrn Marders buschig grauen Augenbrauen schnellt nach oben, als er sieht, wie stümperhaft ich mit den teuren Steinen umgehe. Doch sein Misstrauen weicht direkt purer Begeisterung, als sein Blick auf die Steine fällt.

„So viele?“ Seine Hände legen sich schützend um die Steine und seine Augen werden immer größer, als ich die zweite Handvoll dazulege. „Ach, du liebes bisschen!“

Ich gebe ihm einen Moment Zeit, um sich zu fassen und beobachte ihn dabei, wie er die Bänkerlampe anknipst und dann mit einer Lupe ein paar der Steine genauer betrachtet.

„Und was meinen Sie? Können wir die verkaufen?“

Seine Augen glitzern wie die Bäuche der Goldschwäne, als er von den Diamanten zu mir schaut. „Natürlich! Sie sind exquisit, soweit ich das bis jetzt beurteilen kann“, lässt er mich wissen, doch dann wird sein Gesichtsausdruck ernster. „Aber sagen Sie, wie kommen Sie zu so vielen Diamanten?“

Mit dieser Frage habe ich gerechnet und mir eine plausible Lüge zusammengedichtet. „Ich habe sie geerbt“, antworte ich und schlage die Beine übereinander. „Meine Großmutter hat sie mir vererbt.“

„Und woher hat ihre Großmutter die Diamanten?“, fragt er weiter und wirkt nun wieder etwas nervös. „Sie müssen wissen, mit Blutdiamanten will kein Juwelier etwas zu tun haben.“

Ich nicke und versuche möglichst milde und gelassen auszusehen. „Natürlich, Herr Marder. Aber meine Großmutter war früher lange Zeit in der Sowjetunion und hat die Steine dort selbst geschürft. Nach Kriegsende hat sie sie mit nach Deutschland genommen.“

Nichts davon ist wahr, aber diese Geschichte schien mir am plausibelsten und am schwierigsten zu widerlegen.

Herr Marder nickt und sein Lächeln kehrt zurück, was mich wieder entspannter werden lässt. „Herkunftszertifikate haben Sie wahrscheinlich nicht, oder?“

Ich lege den Kopf leicht schief und verneine wehmütig.

Der Juwelier betrachtet ein paar besonders große Exemplare eingehend mit einer Kaltlichtlampe und nickt schließlich. Dann lehnt er sich zurück und sieht mich zufrieden an. „Da sind ein paar wirklich wunderschöne Steine dabei, Frau Schneider.“

„Können wir sie verkaufen?“, hake ich nach und räuspere mich, als mir die Ungeduld in meiner Stimmlage auffällt.

„Sie haben Glück“, sagt er und legt die Lupe auf den Tisch. „Ein alter Freund und geschätzter Kollege von mir wollte mich Ende der Woche eh besuchen. Er ist auf den An- und Verkauf von Diamanten spezialisiert. Wenn Sie wollen, können wir uns noch einmal zusammensetzen und ihm die Steine zeigen. Er hat auch Adressen, wo man ungeschliffene Steine ohne Herkunftszertifikat am besten verkaufen kann. Oder vielleicht möchten Sie die Steine zuerst schleifen lassen. Geschliffen bringen Sie natürlich noch mehr ein.“

Ich schüttle mit dem Kopf und lege die Fingerspitzen auf die Schreibtischkante. „Herr Marder, ich will ganz ehrlich mit Ihnen sein. Ich brauche Geld, und zwar eine Menge. Bald. So schnell wie möglich.“

Wieder wischt er sich über die Stirn und lächelt, diesmal wirkt es aber zerknirscht. „Frau Schneider, so funktioniert das Geschäft nicht.“

„Ende der Woche. Würde das klappen?“

Er lacht. „Wissen Sie, ich bin nur ein kleiner Dorf-Juwelier. Ich habe nicht täglich mit Diamantenankäufern Kontakt. Dass mein Kollege Ende der Woche vorbeikommt, ist reiner Zufall.“

Ich lehne mich wieder zurück und falte die Hände überm Knie. „Aber ihr Kollege würde doch sicher früher kommen, wenn Sie ihm erzählen, worum es geht, oder?“

Der Juwelier wiegt den Kopf von einer Seite zur anderen.

„Ich schlage vor, Sie rufen ihn an und fragen. Vielleicht hat er Interesse, zumal ich die Steine im Konvolut verkaufen möchte und eine genaue Preisvorstellung habe. Was Sie und ihr Kollege danach mit den Steinen machen, und ob Sie sie geschliffen weiterverkaufen, soll nicht mehr meine Sorge sein.“

Seine Augen werden groß und er hat Mühe, dass ihm nicht der Mund offenklappt. „Warum machen Sie das, Frau Schneider?“, fragt er, lehnt sich vor und legt die Hände um die Steinchen. „Sie könnten mit ein wenig Zeit und Geduld eine Menge Geld mit den Diamanten machen.“

„Herr Marder, ich brauche keine Menge Geld, ich brauche nur eine gewisse Summe. Und Zeit und Geduld habe ich leider nicht. Ich brauche das Geld bis Ende der Woche. Und da Sie meine einzige Anlaufstelle sind, sollen Sie auch nicht leer ausgehen.“

Noch immer ein wenig verdutzt nickt Herr Marder langsam. „Darf ich fragen, welche Summe Sie sich vorgestellt haben?“

Ich zögere einen Moment, beschließe dann aber, meine Karten offenzulegen. „Einhundertachtzigtausend.“

Angespannt warte ich seine Reaktion ab, rechne schon damit, dass er in schallendes Gelächter ausbricht. Doch stattdessen besieht er die Steine zwischen seinen Händen erneut, zieht einige davon zur Seite, während seine Lippen sich wispernd bewegen.

„Ich kann natürlich nur grob schätzen, da die Steine geschliffen noch immens an Größe und Gewicht verlieren werden. Aber ich bin mir fast sicher, dass Sie mit einhundertachtzigtausend weit unter Wert verkaufen.“

Mir fällt ein Stein vom Herzen und ich stehe beschwingt vom Sessel auf. „Umso besser für Sie“, sage ich grinsend und ziehe eine Visitenkarte aus meiner Manteltasche. „Unter dieser Nummer können Sie mich jederzeit erreichen.“

Perplex nimmt er die Karte entgegen und runzelt mit der Stirn, als er den Namen Taylor darauf liest. „Scarlett Taylor? Para…“

„Parapsychologin, ja. Taylor ist sozusagen mein Künstlername“, erkläre ich und mache eine abwinkende Handbewegung. „Wie dem auch sei, Sie kontaktieren Ihren Kollegen und melden sich wieder bei mir, sobald Sie die Steine geschätzt haben, okay?“

Er schiebt den Haufen Diamanten zusammen. „Wollen Sie die Diamanten gleich hierlassen?“

Ich halte schon die Klinke in der Hand und nicke ihm hastig zu. „Ja, natürlich. Sonst können Sie sie ja nicht schätzen lassen.“

Nun wirkt er noch verwirrter. „Ja, ist gut. Dann schließe ich sie im Tresor ein, da sind sie sicher.“ Er sieht über seine Schulter zu einer großen Tür in der Schrankwand und blickt dann mich wieder an. „Vielen Dank für Ihr Vertrauen.“

„Ich habe zu danken.“ Ich komme zurück und reiche ihm die Hand. „Und bitte beeilen Sie sich. Ich brauche Ende der Woche das Geld. Der Rest ist dann für Sie. Hand drauf!“

Herr Marder weiß gar nicht wie ihm geschieht. „Das ist wirklich sehr großzügig, Frau Schneider.“

Auf der Fahrt zum Booh bekomme ich das Grinsen kaum noch aus dem Gesicht. Zum einen freue ich mich, weil meine Magie mir tatsächlich mal aus einer misslichen Lage helfen konnte, und zum anderen freue ich mich für Herrn Marder, auch wenn mir klar ist, dass mein Geschenk viel zu überzogen ist, aber manchmal muss man zu solchen Mitteln greifen, um jemanden zur Eile anzutreiben. Hätte Elvira mir bereits früher von ihren Umzugsplänen erzählt, hätte ich vielleicht nicht zu so drastischen Mitteln greifen müssen. Andererseits schadet es einer zukünftigen Geschäftsinhaberin auch nicht, bei den hiesigen Kollegen einen Stein im Brett zu haben.

Ich kann es kaum erwarten, die Gesichter meiner Team-Mitglieder zu sehen, wenn ich ihnen erzähle, dass das Reisebüro doch nicht verloren ist und wir den Traum vom Hexenladen nun wirklich in die Tat umsetzen können!

Ich stelle meinen Bulli am Straßenrand hinter Chris´ Transporter ab. Kittys weißer Flitzer und der alte, orangene Jeep von Berny stehen bereits neben dem Gebäude, Naomis türkises Fahrrad lehnt an der Mauer vor dem Treppenabgang zum Booh. Freudig springe ich die Stufen hinunter und drücke die schmuddelige Tür mit der Aufschrift „Lager – Zutritt nur für Personal“ auf. Warmer Geruch von Schinken, Bratkartoffeln und Kaffee empfängt mich, als ich um die Ecke gehe und ins Innere der Kneipe blicke.

Jason sitzt am Tresen, wie üblich einen Laptop, Tablet und diverse Handys vor sich ausgebreitet. Kitty und Naomi sitzen an einem der runden Tische im hinteren Teil und unterhalten sich bei einer Tasse Kaffee und einem Glas Limonade. Ich blicke um die Ecke und entdecke Chris und Berny auf der Eckbank. Mein Brustbein kribbelt eine Millisekunde bevor Chris den Kopf hebt und mich lächelnd ansieht.

„Hey“, sage ich und gehe auf die beiden zu.

„Hey Scar“, ruft Jason und hebt, ohne sich umzusehen, die Hand zum Gruß.

Auch Naomi und Kitty begrüßen mich, widmen sich dann aber wieder ihrem Gespräch, was mir eigentlich ziemlich gelegen kommt, da ich zuerst mit Chris alleine sprechen möchte.

Ich setze mich neben ihn und drücke ihm zur Begrüßung einen Kuss auf die Lippen. „Hast du noch Spuren der Eindringlinge im Wald gefunden?“, frage ich zuallererst.

Sofort wird Chris´ Blick ernster. „Ich habe sie bis zu der Stelle verfolgen können, wo ihr Wagen stand. Die Reifenspuren führen aber nur über den Waldweg aus dem Wald hinaus, dann verliert sich ihre Spur auf der Landstraße.“

Berny zieht die Augenbrauen hoch und blickt von Chris zu mir. „Eindringlinge?“

Chris seufzt und streicht sich durch sein halblanges, strubbeliges Haar. „Ja, vergangene Nacht war jemand am Haus.“ Und dann erzählt er ihm die ganze Geschichte und ich füge noch hinzu, warum ich gestern Abend nicht mehr zum Booh gekommen bin.

„Du wurdest verfolgt?“ Bernys Stimme fährt hoch und er räuspert sich, als er merkt, dass er die Aufmerksamkeit aller auf uns gezogen hat.

„Wer wurde verfolgt?“, ruft Kitty vom anderen Teil des Raumes herüber und kippelt mit ihrem Stuhl nach hinten, sodass sie unsere kleine Sitzgruppe besser im Blick hat.

Auch Naomi und Jason haben ihre Köpfe in unsere Richtung gedreht und warten gespannt auf eine Antwort. In Naomis Augen liegt Besorgnis, Kitty und Jason jedoch sind nur neugierig.

„Ich“, rufe ich und hebe die Hand. „Deswegen bin ich gestern Abend nicht mehr hierhergekommen. Ich wollte sie nicht direkt zum Booh führen.“

Einen kurzen Moment huscht etwas über Kittys Gesicht und ihre Miene wird tatsächlich sanfter. „Ach, ich dachte schon, du hättest bloß keine Lust gehabt, wieder unserem Geplapper vom Hexenladen zuzuhören“, bemerkt sie und wirft mit einer ihrer kalkweißen dünnen Hände eine schneeweiße Haarsträhne über die Schulter. Ihre violetten Augen blitzen auf und ich wende mich ab.

„Wer war es denn?“, setzt sie nach und ich höre ihre klackernden Schritte über den hölzernen Kneipenboden auf uns zukommen. „Wer hat dich verfolgt?“

Sie legt die Hände auf die Rückenlehne eines freien Stuhles an unserem Tisch und blickt auf mich herab. Mit einem Seufzer begegne ich ihrem Blick.

„Ich konnte sie nicht fragen, Kitty“, antworte ich und halte ihrem Blick stand. „Sie flüchteten, als ich mich ihrem Wagen näherte.“

Sie grinst auf diese fiese Art, die ihr offenbar schon in Fleisch und Blut übergegangen ist. Auch wenn ich, im Gegensatz zu ihr, nicht die Fähigkeit des Gedankenlesens besitze, kann ich mir dennoch gut vorstellen, welcher dumme Spruch ihr gerade auf den Lippen liegt.

Wage es bloß nicht, denke ich und es scheint, als sei die Botschaft angekommen, denn sie verkneift sich den Kommentar über mein schreckliches Aussehen, das alles und jeden in die Flucht schlägt. Manchmal ist es doch ganz praktisch, dass sie Gedanken lesen kann.

Sie setzt sich auf den Stuhl und schlägt die Beine übereinander. Naomi und Jason kommen auch dazu und nehmen auf den noch freien Sitzen Platz.

„Hast du dir das Kennzeichen merken können?“, will Berny wissen.

Ich nicke. „Ja, aber ich hatte noch keine Zeit es Daniel Stahl durchzugeben.“

„Pff“, macht Jason und schüttelt mit dem Kopf. „Wir brauchten noch nie einen Bullen, um ein Kennzeichen zu überprüfen!“ Er zieht sein Tablet hervor, tippt ein paarmal darauf herum und sieht mich an. „Wie lautet das Kennzeichen?“

Ich sage es ihm und wir alle warten gespannt, was er dazu herausfindet. Nach wenigen Sekunden kräuselt sich seine Stirn.

„Das kann nicht stimmen“, sagt er, mehr zu sich selbst und schüttelt den Kopf. „Bist du sicher, dass du es dir richtig gemerkt hast?“

Doch bevor ich antworten kann, spricht Naomi mit glasigem Blick. „Es ist kein gültiges Kennzeichen“, sagt sie in dieser monotonen Singsangstimme, die sie immer bekommt, wenn sie eine Vision empfängt. „Es ist nur eine Täuschung.“ Sie blinzelt und ihre Augen sehen wieder normal aus.

„Es muss so sein, denn LEL gibt es gar nicht als Kennzeichen.“ Jason kratzt sich am Kopf und macht einen verwirrten Eindruck. „Und du bist dir sicher, dass es mit LEL begann?“

„Ganz sicher“, bestätige ich, als Kitty eine Hand auf meine Schulter legt. Verunsichert sehe ich sie an.

„Zeig es mir“, fordert sie mich auf.

Ich hasse es, Kitty in meinen Kopf zu lassen. Sie tut es ungefragt schon oft genug, aber es ist etwas anderes, ihr Zutritt zu Erinnerungen zu gewährleisten.

Sie legt den Kopf schief und lächelt. „Ach, komm schon“, säuselt sie und klimpert mit ihren langen weißen Wimpern, die wie hauchdünne Schmetterlingsflügel aussehen. „Ach, danke, Scarlett. Das ist aber ein hübscher Vergleich!“

Ich schüttle ihre Hand ab und ärgere mich über meine eigenen Gedanken. „Okay, dann mach es halt! Aber nur das Kennzeichen, verstanden? Stöbere nicht in meinem Kopf herum, als hättest du mein Tagebuch gefunden!“, ermahne ich sie mit erhobenem Zeigefinger.

Anstelle einer Antwort, legt sie die Hand wieder auf meine Schulter und schließt die Augen. Rasch konzentriere ich mich auf den gestrigen Abend, den Weg zum Booh, den Regen und das schwarze Auto hinter mir. Ich überspringe die Szene im Geschäft und denke stattdessen wieder an den nächsten Moment, wo ich auf der Straße laufe und der Wagen vor mir ist. Das Kennzeichen. LEL-LB:13.

„Sie hat recht“, sagt Kitty und öffnet die Augen. „LEL-LB:13, so lautet das Kennzeichen. Aber was noch viel wichtiger ist, Elvira wird uns verlassen.“

„Kitty!“, schnauze ich sie an und schlage ihre Hand von meiner Schulter. „Ich hatte dich doch gebeten, deine Schnüffelei auf das Kennzeichen zu beschränken!“

„Elvira wird uns verlassen?“, wiederholen Jason und Berny aus einem Mund.

Naomi nickt, als wusste sie bereits davon.

„Ja, sie zieht mit meiner Mutter an die Küste“, erkläre ich und spüre, wie meine Schultern unwillkürlich herabsacken. Chris legt mitfühlend seinen Arm um mich und streicht mit dem Daumen über meine Seite. „Sie hat es mir gestern Abend erzählt. Es ist bereits alles unter Dach und Fach. Ende der Woche sind sie weg.“

Einen Moment lang schweigen alle und sehen betroffen, enttäuscht oder traurig auf die Tischplatte.

Berny zuckt mit den Schultern und kratzt sich am Bart. „Also, verstehen kann ich sie schon. Wenn man so lange an einem Ort als Parapsychologe arbeitet, dann weiß man irgendwann einfach zu viel, um noch pfeifend durch die Gassen zu spazieren.“

Jason schüttelt mit dem Kopf. „Aber Wesen gibt es überall, nicht nur hier.“

Wieder zuckt Berny mit den Schultern. „Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß.“

„Trotzdem, sie kann vor ihrem Wissen nicht davonlaufen“, widerspricht Jason und schiebt sich die braunen Locken hinter die Ohren.

„Vielleicht geht es gar nicht darum“, sagt Naomi mit sanfter Stimme. „Vielleicht möchte sie einfach einen Neuanfang mit ihrer Schwester starten, und hofft, dass Ella an der Küste wieder zur alten Ella wird.“

„Ich weiß nicht“, meldet sich nun Kitty zu Wort. „Ich finde es irgendwie enttäuschend, dass sich der ehemalige Superstar Elvira Taylor nun einfach so zur Ruhe setzt und alles aufgibt. Sie war immerhin eine echte Nummer im Business. Elvira Taylor, den Namen kennt doch wirklich jeder in der Branche!“ Sie deutet auf die Wände im Booh, an denen unzählige Bilder von Elvira und ihrem Team hängen.

„Wir wissen aber alle, wie sie eigentlich dazu kam, sich mit dem Paranormalen zu beschäftigen“, bemerkt Berny und senkt vielsagend die Stimme. „Es war nicht wie bei uns, dass wir hineingeboren wurden oder die Leidenschaft zum Beruf gemacht haben. Elvira ist in die magische Welt hineingestolpert, weil ihre Schwester vom schwarzen König geschwängert wurde. Das dürft ihr nicht vergessen. Sie suchte all die Jahre nur nach Antworten und Rache. Und beides hat sie bekommen.“

„Der schwarze König ist tot, Ellas Fluch ist gebrochen und Scarlett hat die Prophezeiung erfüllt“, fasst Jason zusammen. „Elviras Arbeit ist hier erledigt.“

„Trotzdem!“ Kitty verschränkt die Arme vor der Brust. „Ich hätte mir einen Abgang mit mehr Tamtam gewünscht!“

„Und was wird aus dem Reisebüro und unserem Büro?“, will Jason nun wissen und bringt somit das Gespräch auf ein Thema, das ich lieber erst mit Chris unter vier Augen besprochen hätte.

„Da kümmern wir uns drum“, sagt Chris und drückt mich unmerklich fester an sich.

Ich nicke zustimmend. „Wir werden das Haus, samt Elviras Wohnung und dem Reisebüro kaufen.“

Alle Blicke sind auf uns gerichtet und ich versuche krampfhaft nicht an Herrn Marder und die Diamanten zu denken, damit Kitty nichts davon erfährt. Es geht schließlich niemanden etwas an, wie wir das Geld zusammentreiben, um das alte Haus zu kaufen.

Ich spüre eine Intensivierung des warmen Kribbelns auf meinem Brustbein. Chris sieht mich lächelnd an. Womöglich denkt er, ich hätte mich damit abgefunden, dass er sein Haus als Sicherheit für einen Kredit nimmt.

Doch das könnte ich niemals zulassen.

Scarlett Taylor - Libelle

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