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Teil 1 Einführung › C. Spezifische Erkenntnisprobleme bei Tötungsdelikten

C. Spezifische Erkenntnisprobleme bei Tötungsdelikten

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Die Verurteilung wegen eines vollendeten Tötungsdelikts setzt die Feststellung voraus, dass das Opfer zum Tatzeitpunkt schon oder noch gelebt hat. Dies zu klären, kann im Einzelfall schwierig genug sein. Verbleiben Zweifel, kommt allenfalls Versuchsstrafbarkeit in Betracht, wie etwa im Fall eines Gynäkologen, der im Einvernehmen mit der Patientin während einer Kaiserschnittentbindung darauf hinwirkte, dass das von ihm im Mutterleib für lebend gehaltene missgebildete Kind durch das Fehlen ausreichender Sauerstoffversorgung absterben würde[1]. Ebenso problematisch kann im Einzelfall die Kausalitätsfrage sein[2].

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Die rechtliche Einordnung von Straftaten stellt den Rechtsanwender im Bereich des allgemeinen Strafrechts nur selten vor schwierige Abgrenzungsfragen. Im Bereich der Kapitaldelinquenz ist dies grundlegend anders. Aggressionshandlungen mit tödlichem Ausgang begegnen uns in unendlich vielgestaltiger Form; entsprechend breit ist die Palette der Straftatbestände, die im Einzelfall ernsthaft in Betracht zu ziehen sind. So gut wie nie ist auf Anhieb erkennbar, ob von Mord, Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge, fahrlässiger Tötung oder sogar nur von einer Rauschtat gem. § 323a StGB auszugehen ist. Wird das Opfer lediglich verletzt oder übersteht es den Angriff unversehrt, könnte sich der Tatverdächtige mangels Tötungsvorsatzes oder infolge Rücktritts vielleicht nur wegen einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Körperverletzung strafbar gemacht haben, womöglich auch allein wegen Bedrohung, Nötigung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder unerlaubten Schusswaffengebrauchs[3].

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Mord und Totschlag können auch durch Unterlassen versucht oder verwirklicht werden. Am Ende kommt es vielleicht „nur“ zur Verurteilung wegen Aussetzung (§ 221 StGB) oder unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB)[4] oder, wenn ungewiss bleibt, ob selbst schnellste Hilfe dem Opfer Rettung oder zumindest Linderung seiner Qualen bringen konnte[5], zu einem Freispruch. Umgekehrt kann ein Verhalten, das vielleicht zunächst lange Zeit wie ein Fahrlässigkeitsdelikt aussieht und auch so angeklagt wird, erstmals in der Hauptverhandlung dem Strafrichter als Vorsatztat erscheinen und Veranlassung geben, die Hauptverhandlung auszusetzen und gem. § 270 StPO Verweisung des Falles vom AG ans SchwurG zu beschließen[6]. Auch die Anklage wegen Nichtanzeige einer geplanten Straftat kann u.U. in den Vorwurf münden, an dem zugrunde liegenden Tötungsdelikt beteiligt gewesen zu sein[7]. Ist die Sache bei der allgemeinen Strafkammer rügelos „anverhandelt“ worden, ist eine Verweisung ans SchwurG jedoch unzulässig[8].

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Die Schwierigkeiten beginnen bei der stark von subjektiven Aspekten gefärbten Mordkasuistik[9]. Kopfzerbrechen bereitet in praxi auch die Beurteilung jener Fälle, in denen nicht alle Tatbeteiligten ein und dasselbe oder überhaupt ein Mordmerkmal verwirklichen. Genauso verzwickt ist mitunter die Frage nach dem Vorsatzelement, das durch die Rechtsfigur des Eventualvorsatzes[10] kaum noch feste Konturen aufweist. Auch im Kapitalstrafverfahren werden die Täter in steigender Zahl im Labor überführt. Es dominiert der Sachverständigenbeweis. Für einen Großteil der Gewalttaten gibt es ohnehin keinen unmittelbaren Augenzeugen. Zudem ist die Fähigkeit des Menschen, ein bestimmtes Ereignis in allen Facetten lückenlos wahrzunehmen, in der Erinnerung zu speichern und unverfälscht zu reproduzieren, äußerst begrenzt. Unzutreffende Zeugenaussagen sind bekanntlich an der Tagesordnung. Aber auch das Geständnis[11] des Tatverdächtigen, die „Königin aller Beweise“, bedarf grundsätzlich der Absicherung und Überprüfung. Zwar kommen die Vernehmungsspezialisten erstaunlich oft schon in den ersten Verhören des Festgenommenen zum Ziel, doch häufig folgt dem Schuldbekenntnis der Widerruf. Und keineswegs ist dies in allen Fällen der durchsichtige Versuch eines Schuldigen, das Tateingeständnis, das man mit zeitlichem Abstand bereut und als ärgerliche Torheit empfindet, nachträglich aus der Welt zu schaffen.

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Immer wieder sorgen Falschgeständnisse für Aufsehen und Verwirrung. Sie führen nicht nur zu katastrophalen Fehlurteilen, sondern versperren zugleich den Blick auf den unbehelligt gebliebenen wahren Täter und begünstigen womöglich ein folgenschweres Wiederholungsdelikt. Auch der Verteidiger lässt sich von der suggestiven Kraft des Geständnisses blenden. Im Innersten misstraut er den neuerlichen Unschuldsbeteuerungen seines Mandanten und steuert eine maßvolle Strafe an, anstatt auf rückhaltlose Aufklärung zu drängen. Die Blamage ist riesig, wenn sich im Nachhinein erweist, dass der Verteidiger einen wirklich Unschuldigen vom Widerruf abgehalten oder zur Erneuerung des widerrufenen Geständnisses ermuntert hat[12].

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Kaum verwunderlich also, dass dem Sachbeweis nicht zuletzt dank neuer oder verbesserter kriminaltechnischer Untersuchungsmöglichkeiten ständig wachsende Bedeutung zukommt. Unproblematisch ist dies jedoch nicht. Es beginnt mit höchst umstrittenen Methoden der Beweisgewinnung. Da werden mittlerweile ganze Dorfgemeinschaften einem DNA-Vergleich unterzogen. Im Mordfall einer 11-Jährigen aus Stücklingen (Kreis Cloppenburg) wurden im Frühjahr 1998 etwa 18.000 Männer zwischen 18 und 30 Jahren zur freiwilligen Speichelprobe gebeten. Etwa 15.000 haben teilgenommen; unter ihnen auch der später festgenommene mutmaßliche Mörder, der sich offensichtlich zur „freiwilligen“ Mitwirkung „genötigt“ gesehen hat, um nicht Tatverdacht auf sich zu lenken. Die Kosten allein dieses Gen-Massentests beliefen sich auf etwa 4,5 Millionen DM. Der damals 30 Jahre alte Täter, ein Familienvater mit drei Kindern, gestand weitere Missbräuche und einen zweiten Mord. Im Prozess erhielt er die Höchststrafe. Der Reihengentest und die Teilnahme auf freiwilliger Basis wird nun durch § 81h StPO ausdrücklich geregelt.

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Und häufig genug werden auch in Schwurgerichtsverfahren durch Experten interpretierte Untersuchungsbefunde zur reinen Glaubensfrage, weil die angewandten Untersuchungsmethoden aus Juristensicht wenig durchschaubar, geschweige denn in allen Details nachvollziehbar und überprüfbar sind. Die Interpretation von Spurenbildern und Befunden birgt Tücken, wenn es darum geht, Aufschlüsse über die Person des Täters oder den Tathergang zu gewinnen und einen bestimmten Tatverdächtigen zu überführen oder als Täter auszuschließen. Nicht immer ist rechtsmedizinisch sicher zu klären, ob der Tod einer Person auf Fremdverschulden, Selbstmord, einen Unglücksfall oder auf eine natürliche Todesursache zurückgeht. Bei 31.832 gestorbenen Personen wurde im Jahr 2009 ein Unfall, Suizid oder eine vorsätzliche Handlung als Todesursache ermittelt. Allein 7.533 Personen starben laut Leichenschauschein bei häuslichen Unfällen[13].

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Wie schnell man in falschen Verdacht geraten kann, zeigt der Fall eines vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochenen Angeklagten, dem zur Last gelegt worden war, seine damalige Lebensgefährtin während einer Auseinandersetzung aus Eifersucht durch Schläge auf den Gesichtsbereich körperlich so schwer misshandelt zu haben, dass diese nach hinten mit dem Kopf auf ein Möbelstück oder auf den Boden fiel und wenige Tage später an den Folgen des dabei erlittenen beidseitigen subduralen Hämatoms verstarb. Den Ausführungen der 3 hinzugezogenen medizinischen Sachverständigen folgend war das LG davon ausgegangen, dass die Geschädigte die zum Tode führenden Verletzungen im Schädel-Hirn-Bereich bei einem Sturz mit Anprall auf das Hinterhaupt erlitt. Ein Tod durch fremde Hand war jedoch nicht nachweisbar, insbesondere nicht, dass ein Handeln des Angeklagten, etwa ein Faustschlag auf die Kopfregion der Geschädigten, zu diesem Sturz führte. Es erschien vielmehr aufgrund der Darstellung des Angeklagten nicht ausgeschlossen, dass die Lebensgefährtin während des Duschens auf dem nassen Untergrund der Duschbadewanne ausgerutscht war und die subdurale Blutung sich erst später bemerkbar gemacht hat, als die Lebensgefährtin über Unwohlsein klagte und zusammenbrach, woraufhin der Angeklagte den Rettungswagen und den Notarzt alarmierte[14].

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Fehlbeurteilungen aus Expertenmund lösen völlig unnötige Ermittlungen aus[15] oder leiten sie in die falsche Richtung – zuweilen mit verhängnisvollen Folgen. Im sog. Kälberstrick-Fall war der Beschuldigte Hetzel im Jahre 1955 aufgrund eines haltlosen Gutachtens wegen Mordes zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt worden. Spuren am Hals des „Opfers“, die durch Aufliegen des Leichnams auf einem Ast entstanden waren, hatte der Gerichtsmediziner bei Betrachten von Fotoaufnahmen irrtümlich als durch einen Kälberstrick hervorgerufene Drosselmarke klassifiziert[16]. 1969 wurde Hetzel im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen. Einander widersprechende gerichtsmedizinische Gutachten (beispielsweise zur Todesursache)[17], die mitunter zu heftigen Kontroversen im Gerichtssaal führen, verleiten Juristen leider allzu oft, sich in großer Selbstüberschätzung „kraft eigener Überlegungen“ auf die eine oder andere Seite zu schlagen, anstatt den einzig vernünftigen und sicheren Weg über den Zweifelssatz zu wählen.

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Zunehmend greift man zur Verbrechensaufklärung, insbesondere von Serienstraftaten auf Experten zurück, die sog. crime profiler, die in den USA seit Längerem zum Einsatz kommen[18]. Diese Kriminalpsychologen versuchen, anhand des Spurenbildes und sonstiger Tatumstände ein Profil des Täters zu erstellen. Derartige Psychogramme, die bereits in den siebziger Jahren vom FBI entwickelt worden sind, dürfen als Ermittlungsgrundlage in ihrer Aussagekraft nicht überschätzt werden. Sie können Fehlvorstellungen in Bezug auf den Täter erzeugen. Die Täteranalyse vermag ohnehin die eigenständige unabhängige Überzeugungsbildung des Gerichts nicht zu ersetzen[19].

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Crime profiling hat allerdings auch in der Bundesrepublik schon zu vereinzelten Ermittlungserfolgen geführt. Durch Analyse seines von Psychologen detailgenau zusammengefügten Charakterbildes konnte vor mehreren Jahren die Polizei eine wirksame Strategie entwickeln, den ausgebrochenen „Heidemörder“ Thomas Holst zu veranlassen, sich freiwillig den Strafverfolgungsbehörden zu stellen.

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Ist der Täter gefunden, stellt sich die Frage nach der subjektiven Tatseite. Welche Vorstellungen oder Affekte haben ihn beherrscht? War er uneingeschränkt schuldfähig? Ist er als potenziell gefährlich einzustufen? Hier sind die Psychowissenschaften gefragt. Längst nicht in jedem Fall sind sich die Psycho-Sachverständigen in der Beurteilung der Täterpersönlichkeit oder des Tatgeschehens einig.

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In Ausübung seiner Kontroll-, Entlastungs- und Schutzfunktion hat der Verteidiger, ausgehend von der Sachdarstellung des Mandanten, jeden auch nur ansatzweise zweifelhaft erscheinenden Befund akribisch zu überprüfen. Hierbei gehört das Studium einschlägiger Fachliteratur ebenso zum Handwerkszeug wie die Konsultation von Experten. Immer wieder sind in Schwurgerichtsverfahren schwerwiegende Versäumnisse, Fehleinschätzungen und Irrtümer von Sachverständigen oder Kriminaltechnikern aufzudecken. Aufklärungsdefiziten ist mit Ermittlungsanträgen oder eigenständigen Nachforschungen zu begegnen. Das Aufspüren von Entlastungsbeweisen kann in Kapitalstrafsachen von überragender Bedeutung sein und im Wirken der Verteidigung einen breiten Raum einnehmen[20]. Schließlich ist nach eingehender Beratung mit dem mord- oder totschlagsverdächtigen Beschuldigten verantwortlich zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er sich zur Sache äußert bzw. an Explorationen mitwirkt – wohl eine der schwierigsten Fragen überhaupt. Inhalt, Umfang, Zeitpunkt und Form der Einlassung entscheiden womöglich über den Verfahrensausgang und somit über die Zukunft des Mandanten.

Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren

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