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Mark Li.

Es war lange her, dass er diesen Namen gehört hatte.

„Die Lis waren eng mit Ihren Eltern befreundet“, sagte Azone.

Fast dreißig Jahre.

Azone sagte, „Mark Li war ein gebildeter Mann, Dozent für Soziologie. Und er war auf Ihren Vater angesetzt. Vom chinesischen Geheimdienst. Aber Ihr Vater wusste das, nicht wahr?“

Fast dreißig Jahre, und trotzdem nicht lange genug.

Er sagte, „Die westlichen Diplomaten wussten, dass sie von chinesischen Geheimdienstlern überwacht wurden, und die Chinesen wussten, dass die westlichen Diplomaten das wussten. Das war damals so üblich. Ist es vermutlich heute noch. Die Verhältnisse waren recht entspannt. Niemand machte dem anderen einen Vorwurf. Kommen Sie zum Punkt.“

„Ihr Vater und Li verstanden sich sehr gut“, sagte sie. „Bald gingen er und seine Frau ... Linda? Ja, Linda, bei Ihnen zuhause ein und aus. Und der junge Josh Palmer hat den beiden bald ganz besonders am Herzen gelegen. Vielleicht, weil sie selbst keine Kinder hatten? Wer weiß. Mark Li hat Sie sogar unterrichtet. Aber für den Geheimdienstler Li gab es nichts zu holen. Ihr Vater gab keine Geheimnisse preis, und Li meldete genau dies regelmäßig nach Peking. Dass der amerikanische Diplomat Jackson Denis ’Crying Wolf’ Walsh keine Geheimnisse preisgab. So wurde es Ihnen erzählt, nicht?“

Palmer sagte, „Peking verlangte von Li, sich mehr anzustrengen und Ergebnisse zu liefern, aber Li war stolz darauf, dass er sich von Peking nicht unter Druck setzen ließ. Und der indianische Name von Walsh war nicht Crying Wolf. Ihr Punkt, Agent?“

„Ja, so hat Li es Ihnen erzählt. Aber das stimmte nicht. Mark Li war einer der besten Geheimdienstler in Hong Kong. Er wurde später – wussten Sie das? – er wurde später sogar Chef des Geheimdienstes in der Stadt.“ Sie sah ihn an. „Nein, Sie wussten das nicht. Das wird man nicht so ohne weiteres, Palmer, Geheimdienstchef. Dafür braucht es mehr als gute Beziehungen zur Partei und zu den Triaden. Dafür muss man erfolgreich sein. Und Li war erfolgreich, immer. Mark Li hat Ergebnisse geliefert. Immer.“

„Was wollen Sie sagen? Dass Walsh Geheimnisse aus der Botschaft weitergegeben hat? Dass er ein Verräter war?“

Azone sagte, „Nachdem Ihre Eltern gestorben waren, hat es nicht nur eine Untersuchung durch die Behörden in Hong Kong gegeben, sondern auch durch unsere Leute.“

„Ich habe davon erfahren“, sagte Palmer. Jahre später hatte die amerikanische Botschaft ihn informiert. Der Unfall war tatsächlich ein Unfall, kein Zweifel. „Seitdem ist ihr Tod für mich abgeschlossen.“

„Aber Li war nicht der, der er vorgegeben hatte zu sein. Li hat Ergebnisse nach Peking geliefert. Wenige, denn Walsh war vorsichtig, aber Li hat geliefert. Der Abschlussbericht unserer Leute in Hong Kong beweist, dass Mark Li keinesfalls ein wahrer Freund Ihrer Eltern war. Das war alles gespielt, Palmer, alles vorgetäuscht. Li war Profi und hat die Nähe des neuen Botschaftsmitarbeiters schlicht deshalb gesucht, um ihn zu überwachen. Und genau das hat er getan.“

„Li hat mich in Mandarin unterrichtet, damit ich, wie er sagte, ’gepflegtes Chinesisch’ lerne, nicht dieses ’Kauderwelsch’, womit er Kantonesisch meinte. Er hat mit mir chinesische Mythen gelesen, Sun Tzu natürlich auch, Die Kunst des Krieges. Der Unterricht war okay, Li war sehr geduldig, wenn ich mich recht erinnere. Es ist lange her. Er hat sich meinen Mentor genannt, und es gab eine Zeit, da war ich stolz darauf. Und Sie sagen, das war alles nur gespielt?“

„Nach dem Tod Ihrer Eltern haben Mark und Linda Sie aufgenommen“, sagte Azone. „Drei Monate haben Sie bei den beiden gelebt. Besuchten sogar eine gute chinesische Privatschule. Und dann sind Sie verschwunden. Warum?“

Linda hatte sich um ihn gekümmert wie um ein eigenes Kind, fürsorglich, warmherzig. Bei Li war das anders. Li war immer schon distanziert gewesen, auch als er ihn unterrichtete, immer. Nach dem Tod seiner Mutter und dem Tod von Walsh verstärkte sich das noch. Als er mehr über den Unfall wissen wollte, ging er zur Polizei, aber mit einem Dreizehnjährigen wollte dort niemand sprechen. Dann hat er sich an Li gewandt, den Erwachsenen, den Geheimdienstler mit besten Kontakten zur Polizei, für den es ein Leichtes gewesen wäre, die Unfallakten einzusehen. Aber Li hat nur gelächelt und gemeint, er könnte ihm nicht helfen. Li hat es nicht einmal versucht. Am Morgen darauf hat er seinen Pass eingesteckt und seine dreißig gesparten Dollar und ist gegangen. Und es sollte sechs Jahre dauern, bis er wieder in einer Wohnung mit fließendem Wasser und Klimaanlage leben und nicht mehr täglich um sein Leben kämpfen würde.

All dies jedoch behielt Palmer für sich und sagte nur, „Ich war ihnen dankbar. Aber beide waren traditionell chinesisch erzogen und wollten die gleiche Erziehung an mich weitergeben. Das musste schiefgehen.“

Azone nickte.

„Ich kenne Li aus einer Zeit, als ich Kind war“, sagte er. „Mit dreizehn habe ich ihn zuletzt gesehen. Das ist siebenundzwanzig Jahre her. Und nehmen wir an, dass Ihre Leute recht haben und Li hat uns damals tatsächlich etwas vorgespielt. Wie kommen Sie dann darauf, dass ich weiß, wie er denkt und wie er entscheidet?“

„Weil Sie anders waren als andere Kinder. Erwachsener. Sie haben bereits als Kind sehr viel erlebt. Das hat Sie sehr schnell reifen lassen. Sie mögen vom Alter her ein Kind gewesen sein, aber in ihrem Inneren waren sie bereits ein Erwachsener. Sie haben Mark Li sehr gut kennen gelernt.“

„Wovon reden Sie, Agent?“

„Sie wissen, wovon. Dass Sie mit dreizehn Jahren in einer Stadt wie Hong Kong untergetaucht sind und auf eigenen Füßen gestanden und überlebt haben. Sie waren sehr früh sehr reif, Palmer.“

Azone machte eine Pause.

Palmer ebenso.

„Ich habe vorhin ein Ereignis ausgelassen“, sagte sie. „Ihre Kindheit ist eigentlich ganz normal verlaufen, bis zu dem Zeitpunkt, als Sie mit Ihren Eltern nach Hong Kong gezogen sind. In Hong Kong jedoch haben Sie sofort Ärger mit Jugendgangs bekommen. Nichts Dramatisches, hat uns die Polizei gesagt. Aber dann ist etwas passiert.“

Sie wartete und sagte dann, „Der Mann war Chinese und gehörte zu den Triaden, nicht? Er hat den Besitzer des Clubs erpresst, in dem Sie trainiert haben. Schutzgeld. So steht es in den Polizeiakten. Alle haben davon gewusst. Sie, die anderen Schüler, die anderen Clubs, die Polizei. Es war kein Geheimnis, dass die Triaden die Stadt unter sich aufgeteilt hatten. Jede Woche kam dieser Chinese, immer am selben Tag, zur selben Stunde und hat sich sein Geld abgeholt. Eines Tages sind Sie ihm nachgelaufen, hinaus auf die Straße und haben ihm gesagt, es wäre jetzt Schluss und er sollte nicht wieder zurückkommen. Er hätte sie ausgelacht und verhöhnt und dann geschlagen. Ins Gesicht, so haben Sie bei der Polizei zu Protokoll gegeben. Sie hätten sich gegen weitere Schläge gewehrt und mit ihm gerungen und ihm dabei das Genick gebrochen. Versehentlich. Es war Notwehr, haben Sie gesagt, Notwehr und ein Unfall.“

Azone hatte ihr Glas wieder genommen und hielt es fest, ohne zu trinken. Sie sah ihn an, und Palmer bemerkte erst jetzt, dass ihre Augen tatsächlich stahlblau waren.

Sie sagte, „Ein Zwölfjähriger ringt mit einem fünfundzwanzigjährigen Mitglied der Triaden und bricht ihm das Genick. Wie um alles in der Welt haben Sie das fertig gebracht? Und warum haben Sie das getan? Warum sind Sie diesem Kerl hinterher? Sie waren zwölf Jahre alt, Palmer.“

Warum er das getan hatte? Für wen das wirklich eine Frage war, der würde Antwort nie verstehen.

Er schwieg.

„Uh, jetzt haben Sie wieder diesen Blick“, sagte sie.

Er war versucht zu fragen, welchen Blick sie meinte, sagte aber nur, „Und warum haben Sie mit der Polizei in Hong Kong gesprochen? Und sogar Akten gelesen?“

„Ich meinte den Blick, den Sie auch vorhin hatten. Als ich Sie fragte, ob Sie bereits einmal in Nordkorea waren. Waren Sie?“ Sie wartete auf eine Antwort, bekam aber erneut keine. „Wir mussten sehen, ob Sie der richtige Mann für uns sind, Josh Palmer, deshalb haben wir in Hong Kong nachgeforscht. Das ist kein Grund, sauer auf uns zu sein. Oder auf mich.“ Sie sagte, „Also, warum haben Sie das getan? Sie waren ein ganz normales Kind. Schon sehr früh sehr reif, geistig, offensichtlich auch körperlich, aber eben doch ein Kind. Und dann, von einem Tag auf den anderen, waren Sie ein Kind, das von der Polizei den Spitznamen Breaker Breaker bekam, weil es einem Erwachsenen das Genick gebrochen hatte.“

Die Polizei hatte ihm keinen Gefallen damit getan. Breaker Breaker. Der Name forderte die Gangs geradewegs dazu auf, sich mit ihm anzulegen und diesem Jungen zu beweisen, dass man keine Angst vor ihm hatte, nur weil er Breaker Breaker genannt wurde und anderen die Knochen brach. Immer wieder musste Palmer diesen Typen beweisen, dass er den Namen zu Recht trug. So lange, bis jeder es glaubte.

Palmer fragte sich, wie Agent Azone aufgewachsen war. Wohlbehütet? Ein halbes Dutzend älterer Brüder, die sie vor den Rowdys auf der High School beschützt hatten? Die Schwester die beste Freundin, die Mutter immer für sie da? Der Vater mit viel Verständnis für die Jugendstreiche seiner kleinen Prinzessin?

Palmer schwieg.

Und Azone überraschte ihn.

„Ich bin Special Agent geworden, weil ich auf der richtigen Seite stehen wollte. Aber ich weiß, dass – ich habe gelernt, dass wir manchmal machtlos sind. Und glauben Sie mir, Palmer, ich weiß, was das bedeuten kann“, sagte sie.

Als ob sie es meinte. Dass man schon mal selbst dem Recht zum Recht verhelfen musste; dass sie das verstand.

„Was wollen Sie von Li?“

„Wir haben Leute in Südostasien, die nach Li suchen. Wir haben gute Kontakte dorthin. Aber Mark Li ist nicht der normale Terrorist, wie wir sie aus Indonesien oder von den Philippinen kennen. Also eher unterdurchschnittlich gebildet, einfache Herkunft, leicht beeinflussbar. Typ Selbstmordattentäter, der mit selbstgebastelten Bomben in eine westliche Diskothek in Bangkok oder Manila oder auf Bali spaziert und sich in die Luft sprengt und möglichst viele von uns mit in den Tod reißt. Möglichst viele der verhassten Amerikaner. Nein, Ihr Mark ist anders. Er würde sich nicht selbst in die Luft sprengen. Li ist intelligent, er kennt andere Wege. Er operiert alleine, lässt sich nicht anheuern. Er hat zwar Kontakte zu den Terrorgruppen der Region, Jemaah Islamiah in Indonesien, Abu Sayyaf auf den Philippinen. Er hatte sogar Kontakt zu dem Anführer der Singapurer Zelle der Jemaah Islamiah, einem gewissen Mas Selamat Kastari. Aber er gehört nicht zu ihnen. Niemand weiß viel über Li. Er ist ein Profi und ein Einzelgänger. Ich glaube“, sagte sie, „das haben Sie beide gemein.“

„Sagten Sie gerade ... Terrorist?“

Sie nickte. „Das war mein Punkt.“

„Sie behaupten also, Mark Li sei ein Terrorist? Und hätte Kontakte zu terroristischen Organisationen?“

Wie sie nickte, als wäre sie wirklich davon überzeugt.

„Sie ticken nicht richtig, Agent“, sagte Palmer, die Worte fast nicht zu hören im tosenden Beifall hinter ihm.

Er drehte sich um und beobachtete die Band, die gerade ihr letztes Stück für den Abend gespielt hatte, er hatte es nicht gekannt. Vielleicht doch Jazz. Die Vier kündigten ihren nächsten Auftritt an, irgendeine Bar in irgendeinem Ort in New Mexico, stellten die Instrumente zur Seite, stiegen ungelenk von der Bühne und setzten sich schwerfällig an die Theke, wo bereits ihre Drinks warteten.

Einige der Gäste hatten wohl genug und standen auf, andere blieben sitzen, die Gläser noch voll oder noch nicht alles gesagt. Die Instrumente standen einsam auf der Bühne. Palmer spürte Azones Blick in seinem Rücken.

Gegeben die Umstände, war jeder Mensch zu allem fähig. Davon war er überzeugt. Aber Li ein Terrorist?

Er drehte sich zurück zu ihr. „Verbindungen zu Jemaah Islamiyah und Abu Sayyaf? Das sind Terrorgruppen, die dem Rest der Welt den Islam aufzwingen wollen“, sagte er.

„Richtig.“

Li war ein intelligenter, aufgeklärter Mensch und ein Fan des Westens. Viele seiner Freunde waren Deutsche, Briten, Franzosen, Amerikaner. Li und Kontakte zu terroristischen Gruppen? Absurd.

Ihr Westernkostüm kam ihm jetzt noch lächerlicher vor.

„Woher wollen Sie wissen, dass Li Kontakte zu diesen Gruppen hat? Welche Beweise haben Sie dafür?“

„Sie wissen, dass ich Ihnen das nicht sagen kann, Palmer.“

„Und wie haben Sie die Verbindung zwischen Li und mir entdeckt?

„Ich habe Ihnen gesagt, ich weiß, dass Mark und seine Frau Sie nach dem Tod Ihrer Eltern aufgenommen haben.“

„Ja, aber wie haben Sie das erfahren? Wie bin ich auf Ihren Radar gekommen? Und woher glauben Sie zu wissen, dass ich fähig sein könnte Li zu finden? Und wie haben Sie mich gefunden?“

„Hören Sie mit Ihren Fragen auf, Palmer. Ich würde gerne, glauben Sie mir, aber ich kann Ihnen das wirklich nicht sagen. Ich darf nicht. Gehen Sie davon aus, dass wir alles herausfinden können, denn wir haben ganz erhebliche Ressourcen. Darauf haben Sie vorhin selbst hingewiesen. Außerdem spielt es auch keine Rolle, woher wir unser Wissen haben. Sie müssen uns helfen, Li zu finden und von seinem Vorhaben abzuhalten. Sie haben die einmalige Chance, Ihrem Land einen großen Dienst zu erweisen, Palmer.“

Er schüttelte den Kopf. „Sie geben mir keine Antworten, Agent Azone.“

„Wenn ich Ihnen antworte, verliere ich meinen Job, so einfach ist das. Und ich“, sie suchte in ihrer Tasche, „mag meinen Job.“

Er sagte, „Was genau ist denn Ihr Job? Zu welcher der zahlreichen Behörden von Homeland Security gehören Sie denn? Border Patrol? Secret Service?“

„National Protection and Programs Directorate“, sagte sie, zog eine Zigarette hervor und steckte sie zwischen die Lippen. „Haben Sie Feuer?“

Keine Handfesseln.

Er schüttelte den Kopf.

Sie suchte wieder in ihrer Tasche, fand ein Feuerzeug, zündete die Zigarette an und nahm einen schnellen, tiefen Zug. „Office of Infrastructure Protection“, sagte sie und blies den Rauch an ihm vorbei.

Nicht Border Patrol. Pelosi war kein Kollege von ihr. Deshalb wusste sie nichts von New York.

„Office of Infrastructure Protection“, sagte er. „Ihr seid für die Sicherheit von öffentlichen Gebäuden zuständig.“

Sie nickte.

„Behaupten Sie jetzt, Li will ein Gebäude in die Luft sprengen? Hier in den Staaten?“

„So etwas in der Art, ja.“

„Etwas in der Art? Was heißt das denn?“

„Auch das kann ich Ihnen nicht sagen, Palmer. Aber glauben Sie mir, wir müssen Li finden. Sie müssen Li finden. Fliegen Sie nach Singapur oder nach Bangkok, Jakarta, wo auch immer er Ihrer Meinung nach sein könnte. Und suchen Sie ihn. Wir zahlen, Erste-Klasse-Flug und alles. Und ein gutes Handgeld. Und wenn Sie ihn gefunden haben, sind wir großzügig. Sie werden eine ganze Weile nicht arbeiten müssen. Und Sie können in Ruhe Ihr Leben weiterleben.“

Sie beugte sich nach vorne – ihre Bluse sprang noch ein Stück weiter auf – und sagte, „Hier in den Staaten gilt derzeit Warnstufe gelb, Palmer. Sie wissen, was das heißt. Es besteht nur eine mittelmäßige Gefahr eines terroristischen Angriffs auf amerikanischem Boden. Die Warnstufe könnte aber auf orange angehoben werden. Und Sie wissen auch, was das heißt. Mehr und schärfere Kontrollen an den Grenzen, auf Flughäfen, Bahnhöfen, Busbahnhöfen, auf Highways. In öffentlichen Gebäuden. Verstärkter Personenschutz für hochrangige Politiker, Verdoppelung der Bereitschaftskräfte bei Army und Navy. Das ganze Land wird in Aufruhr sein. Jeder, der eine Uniform zuhause im Schrank hat, wird auf Terroristenjagd geschickt. Das sind Tausende von Überstunden, Millionen Dollar Mehrkosten. Ganz alleine wegen Mark Li.“

„Mich interessieren Ihre Überstunden und Ihre Kosten nicht. Sagen Sie mir lieber, warum ich nach Singapur fliegen sollte.“

Wieder blies sie den Rauch an ihm vorbei. „Weil Li dort lebt. Wie Sie sehr wohl wissen. Und weil wir ihn dort zuletzt gesehen haben, wie ich vorhin sagte. Und weil dementsprechend dort Ihre Suche beginnen sollte. Denke ich.“

Wie sie an der Zigarette zog, hektisch, den Rauch fiel zu schnell wieder ausstoßend. Sie war eine Gelegenheitsraucherin, dachte Palmer. Rauchte, wenn sie nervös war, unter Druck stand.

Er sah Danny auf ihren Tisch zu kommen, ein freundliches Lächeln im Gesicht. „Tut mir leid, Honey, aber Sie dürfen hier nicht rauchen. So ist das Gesetz. Leider. Ich persönlich hätte ja nichts dagegen, ich finde, der Staat sollte sich aus solchen Dingen heraushalten. Aber das tut er nicht. Sie können aber nach draußen auf die Veranda gehen, das machen hier alle Raucher. Ich auch.“

„Ich bin das Gesetz“, sagte Azone.

„Nicht hier in meiner Bar“, sagte Danny und zeigte auf die Zigarette in Azones Hand. „Ich kann sie mitnehmen und für Sie ausmachen.“

Azone nickte und hielt ihr den Stängel hin. „Danke.“

Danny ging, die glimmende Zigarette in der Hand.

„Warum sind Sie nervös, Agent?“, sagte er.

„Ich bin nicht nervös. Wie kommen Sie darauf?“

„Nur so“, sagte er. „Wie auch immer, ich kann auch ohne Ihre Zustimmung in Ruhe mein Leben weiterleben.“

Azone sagte, „Mark Li ist eine große Gefahr. Und Sie sind der einzige, der ihn finden und ihm vielleicht auch das Leben retten kann.“

„Und wieso das Leben retten?“

„Weil Sie Li nicht töten werden, wenn Sie ihn finden, Palmer. Da bin ich mir sicher. Aber von unseren Leuten kann ich das nicht behaupten. Unsere Leute haben den Auftrag, Li zu ergreifen. Oder, falls das nicht möglich ist, ihn zu eliminieren.“

Palmer nickte. Ihre Sprache, Körperhaltung, ihr Gesichtsausdruck – sie meinte es ernst. Sie mochte frustriert sein wegen ihres blöden Westernkostüms und weil er nicht so reagierte, wie sie es wohl gehofft hatte, aber sie meinte es ernst. Was sie sagte, war im Kern wohl wahr. Li war in Gefahr. Warum und wie genau die Gefahr aussah, war ihm aber noch ein Rätsel. Aber er war sicher, dass es mit Terrorismus nichts zu tun hatte.

Palmer schaute wieder hinter sich in den Raum. Die Instrumente standen immer noch auf der Bühne, die Musiker saßen immer noch an der Theke, frische Drinks vor sich. Die meisten Besucher waren mittlerweile gegangen. Keiner konnte hören, was sie sprachen.

Er drehte sich zu ihr zurück. „Dann lassen Sie mich mal zusammenfassen, Agent. Ich soll für Sie Mark Li finden und dafür nach Singapur fliegen oder nach Bangkok oder Jakarta oder wo immer er sich gerade versteckt. Ihre Behörde hat Zugriff auf Hunderte Experten, die für solche Operationen ausgebildet sind. Ganz zu schweigen von CIA und FBI, die Ihnen sicher gerne helfen würden. Aber Ihrer Meinung nach bin ich der einzige, der Li finden kann. Sie wollen mir nicht sagen, warum Mark sich angeblich versteckt oder was er vorhat, schwafeln nur etwas von Terrorismus und oranger Gefahrenstufe. Und ich soll das glauben. Sie wollen mir auch nicht sagen, woher Sie wissen, was Sie behaupten zu wissen. Sie wollen mir ebenfalls nicht sagen, wie Sie auf mich gekommen sind und die Verbindung zwischen Li und mir entdeckt und wie Sie mich gefunden haben. Aber Sie schicken mir drei Rocker auf den Hals, die mir Druck machen sollen, und nachdem die drei nichts erreicht haben, versuchen Sie es selbst. Sie schmeicheln und drohen und glauben, ich lasse mich damit überreden.“ Er sagte, „Habe ich das einigermaßen treffend zusammengefasst?“

„Keine Drohungen, Palmer. Und für die Sache mit Hernandez habe ich mich bereits entschuldigt. Obwohl Sie das Problem ja selbst gelöst haben, auf eindrucksvolle Weise.“ Sie lächelte. „Ich mag harte Männer, die Kämpfe gewinnen. Waschlappen sind mir zuwider.“

„Und wie steht es mit Hurensöhnen, Agent?“, sagte Palmer, reichte hinüber und nahm ihre Hand in seine.

Sie schien erschrocken, wollte die Hand wegziehen, sah Palmer dann aber lächeln. Sie lächelte auch und gab nach, ihre Augenbrauen zuckten hoch, beide jetzt, fast kokett, als hätte er mit ihr flirten wollen und sie hätte Zustimmung signalisiert.

Dann griff Palmer ihren Zeigefinger und bog ihn nach hinten.

Palmer :Black Notice

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