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Zehntausend Meilen entfernt in der Bronx, New York City

Sein Gegner lächelte. Und zog ein Messer aus der Jacke.

„I’cut your head off, asshole.“

Fünfzehn Zentimeter Klinge, beidseitig geschliffen.

Ich schneide dir den Kopf ab, Arschloch.

Palmer stand still. Der Kerl hörte sich ernst an. Als ob er das wirklich so meinte. Dabei war Palmer nur nach New York gekommen, weil er Doc einen Gefallen tun wollte. Viel lieber wäre er vor seinem Trailer in der Wüste sitzen geblieben mit dem Becher Kaffee in der Hand, das Gesicht in die kalte Wintersonne gestreckt, der Blick in die Wüste.

Weites Land.

Palmer hatte bei dem Kerl auf Einsicht gehofft, auf eine unkomplizierte Einigung zwischen zwei Erwachsenen. Aber das kam dabei heraus, wenn er anderen einen Gefallen tat. Irgendwann stand jemand mit schlechter Laune und jugendlichem Starrsinn vor ihm. Und manchmal sogar mit einem Messer in der Hand. Obwohl, jetzt, in diesem Fall hatte Palmer eine Pistole erwartet. Berettas sind sehr verbreitet bei denen, Glocks auch. Sie konnten sich ihre Dienstwaffen aussuchen, oder?

Sein Gegner machte einen schweren Schritt über seine golden glitzernde Marke hinweg. City of New York Police. Das falsche Lächeln in dem feisten Gesicht verschwand. Der rechte Arm weit ausgestreckt, die harte Baumwolle der Jacke spannte über den massigen Schultern, die Klinge zwischen Daumen und Zeigefinger zeigte auf Palmer.

Jetzt noch drei Schritte entfernt.

Palmer stand immer noch still. Der rechte Fuß vorne, beide Ellbogen vor dem Körper, die Hände offen.

Bereit.

„Du kannst mein Angebot immer noch annehmen“, sagte er. Und meinte es. So, wie er alles meinte, was er sagte.

Der Cop machte einen zweiten Schritt, die Lippen jetzt zusammengepresst vor Wut und vor Schmerz. Sein linker Arm schlaff, gebrochen, aber er hatte Palmer angefasst, obwohl der ihm das verboten hatte. Dont touch. Was ist daran nicht zu verstehen? Nicht anfassen.

„Ich kann ja verstehen, dass du nicht bester Laune bist. Der gebrochene Arm und so? Aber du bist das selbst schuld. Das siehst du ein, nicht?“

Der Cop machte den dritten Schritt, schneller als die beiden zuvor, so schnell er konnte bei seiner Masse, aber immer noch zu langsam für Palmers Welt. Krümmte zugleich den Arm, um ihn im nächsten Moment wieder zu strecken.

Die Klinge würde Palmers Hals knapp oberhalb des Adamsapfels durchbohren.

Aber nicht heute.

Palmer wich zur Seite.

Der Cop streckte den Arm, die Klinge verfehlte ihr Ziel.

Mit beiden Händen zugleich packte Palmer das wulstige Handgelenk und drehte sich, eine halbe Drehung nur, der ausgestreckte Arm wich mit ihm zur Seite und weg aus der Richtung, in die der träge Körper noch unterwegs war. Der Cop verlor das Gleichgewicht, taumelte, balancierte für einen kurzen entscheidenden Moment seinen Körper auf dem rechten Bein.

Palmer trat das Bein unter ihm weg.

Hundert Kilogramm verteilt auf einen Meter neunzig klatschten auf den kalten Asphalt.

Palmer stand über ihm, weiter das Handgelenk haltend und streckte den Arm mit einem Ruck.

Die Hand öffnete sich, das Messer fiel heraus.

Noch bevor die Klinge den Boden berührte, ließ sich Palmer mit seinem Knie voran auf den Ellbogen fallen.

Achtzig Kilo und angewinkeltes Knie gegen ausgestreckten Ellbogen. Die Wirkung war furchtbar.

Der Ellbogen platzte mit dumpfem Knall auseinander, zugleich knickte der Unterarm nach oben. Der Cop? Stierte auf seinen Arm, der in die völlig falsche Richtung zeigte. Stumm, weil der Schmerz auf seinem Weg über das Rückenmark noch nicht im Gehirn angekommen war, und entsetzt, weil er zu verstehen begann, was gerade passierte.

Und immer noch hielt Palmer das Handgelenk mit beiden Händen, drehte jetzt den Unterarm nach rechts – das Gelenk knirschte – und nach links – das Gelenk knirschte wieder. Palmer spürte, wie die Bänder rissen.

Der Cop schrie auf.

Und er hatte allen Grund dazu.

Die Gelenkkapsel war zerrissen, die Bänder waren zerrissen, die Muskeln des Oberarmes und des Unterarmes waren vom Knochen abgerissen. Palmer wusste das. Er wusste es, weil es immer so war. In Hong Kong hatten sie ihm einen Namen gegeben.

Der Cop schrie weiter und sah Palmer weiter an, Tränen in den Augen. Vor Schmerz und Wut und weil ihm klar sein musste, was vor ihm lag: Krankenhaus, Operationen, Stahlschrauben. Monatelange Therapie. Die Gelenke würden vermutlich trotzdem versteifen, Muskeln und Bänder vermutlich nie wieder richtig funktionieren.

Palmer ließ nicht los, hielt weiter das Handgelenk mit beiden Händen und kniete weiter auf dem schlaffen Arm. Zwei gebrochene Arme bedeuteten nicht zwangsläufig, dass der Gegner aufgab. Es gab harte Kerle überall auf der Welt, und noch wusste Palmer nicht, ob der Cop ein harter Kerl war.

„Ich muss noch einmal fragen“, sagte Palmer, ehrlich erstaunt. „Hast du wirklich deine Waffe nicht eingesteckt? Typen wie du, ihr geht doch nie ohne Schießeisen vor die Tür. Ihr sitzt noch nicht mal unbewaffnet zuhause auf eurem Sofa und guckt ... was immer ihr guckt. Starsky and Hutch. Magnum P.I. The Rockford Files.“

Palmer mochte die Achtziger.

Der Cop sah hoch, schwer atmend, die Augen zuckten wild hin und her.

„Noch eine Frage“, sagte Palmer. „Ihr dürft euch aussuchen, was ihr als Dienstwaffe benutzt, oder? Ich meine, Beretta oder Glock? Sig? Vielleicht auch eine ganz andere, aber jedenfalls, ihr dürft euch aussuchen. Korrekt?“

Der Cop guckte immer noch. Speichel floss in Fäden aus seinem Mund und sammelte sich neben seinem Kopf auf dem Asphalt. Seine Lippen bewegten sich nicht.

„Okay, du hast keine Lust zu plaudern“, sagte Palmer, „kann ich verstehen. In deinem Zustand, huh? Dann übernehme ich mal. Das Reden, meine ich.“ Er sagte, „Du hast mein Angebot nicht angenommen. Deswegen liegst du jetzt hier auf dem Boden. Das ist kein Zufall, sondern da besteht ein ganz direkter Zusammenhang. Du verstehst das, ja?“

Der Cop guckte.

„Ich brauche jetzt eine Antwort“, sagte Palmer und drehte das Handgelenk. Nur leicht, einen halben Zentimeter. Der Cop stöhnte. „Du verstehst diesen Zusammenhang. Ja?“

Jetzt schloss der Cop die Augen und nickte.

„Du verstehst, das ist gut“, sagte Palmer. „Also, dann noch einmal von vorne: Du wirst deine Frau und deine Kinder in Ruhe lassen. Damit meine ich, du wirst ihnen nicht mehr folgen, sie nicht beschimpfen, sie nicht bedrohen. Du wirst sie nicht anrufen und ihnen keine Nachrichten schicken, und solltest du ihnen zufällig einmal auf der Straße begegnen, wechselst du die Seite und wirst sie nicht einmal ansehen.“ Er sagte, „Und das ist mein Angebot: Lässt du sie in Ruhe, dann lasse ich dich in Ruhe.“

Der Cop atmete schwer. Dann ein Nicken, die Augen geschlossen.

Palmer glaubte ihm nicht. Aber was konnte er jetzt noch tun?

„Sieh mich an.“

Der Cop gehorchte. Wieder zuckten seine Augen wild hin und her.

„Nutze diese Chance. Denn sollte ich zurückkommen müssen, werde ich dir den Kopf abreißen. Asshole.“ Er ließ das Handgelenk los und stand auf.

Der Cop lag zusammengekrümmt neben seinem Messer auf dem harten, kalten Asphalt vor seiner Lieblingsbar in der East Bronx in New York City. Fremde Leute würden ihn füttern und ihm den Hintern abwischen. Er würde kein Cop mehr sein. Sein Leben, wie er es kannte, war zu Ende.

Er begann zu wimmern.

Palmer fühlte nichts für den Cop. Irgendjemand würde ihn finden und sich um ihn kümmern.

Im Weggehen hörte Palmer, wie der Cop sich übergab.

Kein harter Kerl.

Palmer :Black Notice

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