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Palmer überquerte den Parkplatz und die Rhinelander Avenue. Kein Auto, kein Bus mit Fahrgästen auf dem Weg irgendwohin, kein Truck mit Ladungen von frischem Gemüse oder Milch oder den neuesten Zeitungen. Kein Mensch, niemand.

Ein rostiges Eisentor führte in einen dunklen Park. Mit dem Fuß stieß Palmer es auf, es kratzte leise in den Angeln, er ging hindurch auf dem Weg aus Schotter und Sand. Hinter ihm kratzte das Tor erneut und fiel dumpf gegen den Rahmen.

Der Park mit dem erfrorenen Rasen und den dünnen Sträuchern und kahlen Laubbäumen war menschenleer und still wie die Rhinelander Avenue um drei Uhr in der Früh. Genau, wie er es erwartet hatte in der Stadt, die angeblich niemals schläft. Kein Spaziergänger, der noch den Hund ausführte, kein Jogger, kein Obdachloser unter einem Stapel Pappkarton, keine trinkenden, kiffenden, sich prügelnden Jugendlichen.

Vor allem: keine Cops.

Der Untergrund knirschte leise bei jedem Schritt.

Palmer legte den Daumen an seinen Hals und fühlte seinen Puls. Zehn Sekunden, neun Schläge. Er nickte zufrieden.

Dann legte er zwei Finger auf seine Brust, rechts, auf die Stelle zwischen der dritten und vierten Rippe nahe dem Solar Plexus. Er drückte.

Nur noch ein leichter Schmerz. Vielleicht noch eine Woche, dann würde er gar nichts mehr spüren.

Palmer kam zu einem zweiten Tor, verrostet wie das erste, er stieß es auf, Kratzen, ging hindurch, Kratzen und es fiel dumpf gegen den Rahmen.

Zwei Blocks und keine fünfzehn Minuten später, die U-Bahn-Station Morris Park.

Er war der einzige, der auf einen Zug wartete. Er stieg in den Wagen, der direkt vor ihm hielt. Der Wagen war leer.

An der 180sten Straße wechselte Palmer in die Linie zwei. Der Wagen war ebenfalls leer, aber vier Männer und eine Frau stiegen mit ihm ein und verteilten sich auf die Sitze und beachteten niemanden.

Auch Palmer vermied Blickkontakt und tat, was New Yorker in der Nacht taten, wenn sie mit dem Zug unterwegs waren. Er döste vor sich hin.

Palmer hatte sich mehrere Strategien zurechtgelegt, wie er den Cop aus der Bar herauslocken würde, aber er hatte Glück gehabt. Gerade als er hineingehen wollte, wurde die Tür aufgestoßen und der Cop kam heraus, eine Zigarette im Mundwinkel, „Fuck you!“ in das Telefon am seinem Ohr brüllend. Der Cop hatte nach Bier und Bar gestunken und es nicht für nötig gehalten, Palmer Platz zu machen, so, wie der ihm Platz machte. Sein Arm landete in Palmers Schulter.

Ein richtiges Arschloch eben.

Er hatte den Cop angesprochen, ruhig, höflich, „Good evening.“

Der Cop hatte nur geguckt.

„Ich möchte mit dir über deine Familie sprechen. Lass es mich kurz machen. Du kannst nicht Frau und Kinder prügeln. Das tut man nicht.“

Der Cop hatte sein Telefon eingesteckt. „What the fuck?“

Palmer hatte gelächelt, freundlich, nett, nicht provozierend. Er wollte eine Einigung, sonst nichts. Ganz bestimmt wollte er keinen Ärger. „Du musst deine Frau und deine Kinder in Ruhe lassen. Zwei Kinder, nicht? Ein Sohn, eine Tochter? Gebrochene Rippen, Prellungen, ausgeschlagene Zähne. Habe ich gehört. In den vergangenen Monaten waren sie öfter im Krankenhaus als zuhause. Habe ich auch gehört. Und jetzt hast du deinen Sohn so sehr geprügelt, dass er ein Auge verloren hat? Wie alt ist dein Sohn, sieben? Also, das reicht, du musst sie in Ruhe lassen, wirklich. Ab sofort in Ruhe lassen. Ich bin sicher, du verstehst das.“

Aber der Cop, zehn Zentimeter größer und zwanzig Kilogramm schwerer und berauscht von Alkohol und Aggressivität und Cop-Selbstvertrauen, hatte gelacht. Die Zigarette weggespuckt, mit der linken Hand seine Dienstmarke aus der Jacke gezogen und hochgehalten, mit der rechten an den Gürtel gegriffen, ins Leere. Dann hatte er Palmer am Arm gepackt. „You son of a bitch“. Ohne zu wissen, wie Recht er damit hatte.

Palmer hatte die Hand weggestoßen, „Don’t touch“, und gesagt, „Du hast deine Waffe vergessen? Unglaublich. Aber egal, sie würde dir eh nichts nützen und du brauchst sie heute auch nicht. Denn ich gebe dir eine Chance, eine ehrliche Chance, okay? Du lässt deine Frau und deine Kinder in Ruhe. Ab sofort, ab jetzt, ab heute und hier und jetzt. Okay? Du folgst ihnen nicht mehr, du bedrohst sie nicht mehr, du lässt sie in Ruhe. Als ob sie nicht mehr existierten. Sie existieren für dich nicht mehr. Okay? Wenn du das tust, dann lasse ich dich in Ruhe.“ Und er hatte wieder gelächelt, freundlich, nett, nicht provozierend. „Das ist mein Angebot. Wir einigen uns darauf. Was sagst du?“

Der Cop hatte wieder gelacht und Palmer an der Schulter gefasst und geschüttelt.

Don t touch.

Palmer hatte das Handgelenk gepackt und fest an seine Schulter gedrückt und zugleich mit einem Ruck den Oberkörper eingedreht. Der Arm des Cops wurde gestreckt, gegen die Beugerichtung, seine Marke flog auf den Asphalt.

In derselben Bewegung hatte Palmer mit seiner offenen Hand den Ellbogen gebrochen.

Ein lautes Knacken. Ein glatter Bruch. Nichts wirklich Schlimmes.

Der Cop hatte vor Schmerz geschrien und den Arm festgehalten, eingeatmet und ausgeatmet, dreimal, viermal. Kräfte gesammelt.

Dann gelächelt. Und ein Messer aus der Jacke gezogen.

„I’cut your head off, asshole.“

Dreizehn Stationen später hatte Palmer die Bronx und den Harlem River hinter sich gelassen. Er verließ die U-Bahn am nördlichen Teil des Central Parks in Manhattan. Auch hier keine Spaziergänger, keine Jogger, Obdachlosen, Jugendlichen, keine Cops. Bald würde es ganz dunkel sein, die dunkelste Zeit der Nacht, kurz vor dem Morgen. In der Stadt machte es keinen Unterschied.

Zwei Tage zuvor hatte er einen Anruf von Doc bekommen.

„Meine Schwester hat so oft gebettelt und gefleht, wenigstens die Kinder sollte er verschonen. Schließlich hat sie Anzeige erstattet. Aber die Richter, Palmer“, hatte sie gesagt, „die Richter haben diesen Kerl frei gesprochen. Gestern.“

„Ich bin nicht in New York“, hatte Palmer geantwortet.

„Die Richter haben die Beweise ignoriert“, hatte Doc gesagt. „Sie meinten, die Verletzungen zählten nicht, weil es keine Zeugen gäbe. Chef und Kollegen haben für ihn gesprochen, achtzehn Dienstjahre als Cop in New York, angeblich nie eine Beschwerde. Aussage gegen Aussage. Sie haben ihn frei gesprochen, Palmer, gestern. Er wird sich betrinken und sie prügeln, bis sie tot sind. Sie brauchen Hilfe.“

„Ich bin nicht in New York, Doc.“

„Aber Sie können herkommen.“

Er hatte vor seinem Trailer gesessen, Telefon in der einen Hand, Becher mit dampfendem Kaffee in der anderen, die letzten Sonnenstrahlen des Tages über dem Land, die Luft kalt und klar. Er hatte zugesehen, wie das Wildkaninchen aus dem Gebüsch gelaufen war, hakenschlagend, in das ausgetrocknete Flussbett hinein. Kurz darauf der Coyote, cool, joggend, seiner Sache sicher.

„Nicht wahr, Palmer? Sie können herkommen?“

Er hätte seinen Kaffee trinken und am Abend ins Roadhouse gehen sollen.

Jetzt hatte er Homeland Security am Hals.

Palmer :Black Notice

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