Читать книгу Palmer :Shanghai Expats - Stephan Lake - Страница 11
9
ОглавлениеMittag des nächsten Tages. Samstag. Palmer blieben noch vierundfünfzig Stunden, und er war zurück im Jacks Daniel. Vor ihm Kaffee und ein Burger und ein Foto von Leo Shen.
Nach acht Stunden Schlaf und ein paar Übungen zum Lockern seiner Muskeln und einer langen Dusche hatte er den Rest des Vormittags in der Shanghai Bibliothek verbracht und die Archive chinesischer Zeitungen durchforstet. Mit Erfolg. Das Foto von Shen war fünfzehn Jahre alt, noch aus seiner Zeit als Beamter in Peking. Bei irgendeiner Feier der Partei hatte Shen den Fehler gemacht, neben dem Bürgermeister der Hauptstadt zu stehen. Rundes Gesicht, eine auffällige Warze unter dem linken Auge, volles, schwarzes Haar; nicht größer, nicht kleiner und nicht schlanker als die Männer um ihn herum.
Nicht so klein und nicht so alt wie der Chinese von der Nacht zuvor.
Was Palmer nicht wusste und ihn in den vergangenen Stunden beschäftigt hatte: was er mit den zwei Millionen machen sollte, die Shen ihm schuldete. Er hatte genug Geld; keine zwei Millionen, aber genug. Und mehr als genug brauchte er nicht. Er könnte es spenden, hatte er überlegt, an Waisenhäuser in Afrika oder an Schulen in China; auf dem Land, nicht in Shanghai, da gab es genügend Schulen und genügend Geld. Aber er hatte keine Lust, die korrupten Beamten reich zu machen, die es überall gab. Er musste weiter darüber nachdenken.
Am Abend hatte er noch in sieben weiteren Bars nach Shen gefragt. Nicht nur die Barmänner, auch die Gäste, sofern sie Chinesen und alt genug waren und wohlhabend genug schienen um Shen zu kennen. Mal hatte er Shen als seinen Geschäftspartner ausgegeben, mal als einen Betrüger, dem er es heimzahlen würde, mal als einen guten Freund.
Seine Hoffnung war natürlich nicht, zufällig in einer der Bars Shen zu finden. Das würde nicht passieren. Solche wie Shen verkehrten in Privatclubs, in die Palmer keinen Zutritt bekommen würde. Also musste er den Spieß umdrehen. Shen musste zu Palmer kommen. Und das würde Shen tun, sobald er erfahren würde, dass Palmer in der Stadt war und nach ihm suchte. Diesen Teil allerdings, dass Shen von seiner Suche erfahren würde, konnte er nur bedingt beeinflussen. In vielversprechende Bars gehen und mit vielversprechenden Leuten sprechen, das war das eine. Aber tatsächlich die eine richtige Person treffen? Dazu gehörte eine Portion Glück.
Jetzt musste er bis zum Abend warten, bevor er herausfinden konnte, ob er dieses Glück hatte. Bis dahin konnte er nichts tun, weshalb er zurück war.
Palmer trank und aß und schaute wieder auf den Bildschirm – wieder Baseball – da sah er sie hereinkommen. Ein Kleid genauso kurz wie gestern, aber nicht rot sondern dunkelblau.
Suchende Blicke, dann sah sie ihn und hatte sofort wieder dieses Lächeln im Gesicht, das wohl verführerisch sein sollte. Sie zwängte sich durch die Menge und vorbei an dem einzigen freien Tisch in seine Richtung.
Palmer faltete das Blatt mit Shens Foto zusammen und steckte es ein.
Sie setzte sich mit einer Selbstverständlichkeit, als hätten sie eine Verabredung. Nur die Küsschen fehlten. Aber sein Gesicht war regungslos, das mochte sie davon abhalten.
„Du hast doch mehr Zeit ... als Sie gestern behauptet haben, Palmer“, sagte sie, nahm eine Zigarette aus der Schachtel, ihre Fingernägel wieder passend zum Kleid genau wie ihr Lippenstift. Winkte. Winkte nochmal.
„Lassen Sie mich“, sagte er. „Was möchten Sie haben?“
„Bloody Mary.“
Er hob den Arm und bestellte und aß weiter.
Sie zündete die Zigarette an und legte die Schachtel auf den Tisch. „Was haben Sie denn gestern noch so gemacht?“
„Ich bin um die Häuser gezogen.“
„Und das war besser, als mit zu mir zu kommen?“
„Das weiß ich noch nicht“, sagte er und konnte in Ruhe weiter essen.
Ihr Drink kam, sie hielt die Chinesin am Arm fest und bestellte noch einen Wodka Orange und sagte, „Die beiden ... Rüpel haben Sie heute aber noch nicht gesehen?“
Er schüttelte den Kopf. „Sie?“
„Nein.“
„Warum machen Sie immer eine Pause, bevor Sie Rüpel sagen?“
„Dieses Wort ... Rüpel ... das hab ich seit zwanzig Jahren nicht gehört. Und auch damals haben das nur alte Leute gesagt. So, wie auch nur alte Leute sich siezen. In Bars zumindest.“
Palmer nickte, sagte aber nichts.
Sie nahm einen tiefen Zug und blies wieder den Rauch an ihm vorbei, wie am Tag zuvor. „Ich habe gehofft, Sie würden noch einmal herkommen, Palmer. Deshalb bin ich hier.“
„Sie sehen besorgt aus. Ihre Hand zittert schon wieder.“
„Ich hatte vor, auf Sie zu warten. Wenn nötig, den ganzen Nachmittag. Und Abend.“
„Sie sind halb so alt wie ich und sehen ziemlich gut aus, trotz Ihrer blauen Lippen. Sie verkaufen sich unter Wert.“
„Sie mögen meinen Lippenstift nicht?“
„Er irritiert mich, sagen wir einmal so.“
„Gut“, sagte sie und lächelte schon wieder.
Er schob den leeren Teller weg und wischte mit der Serviette seinen Mund. „Und wenn die beiden gekommen wären, was hätten Sie dann gemacht?“
„Im Moment habe ich von denen nichts zu befürchten. Glaube ich.“
„Im Moment“, sagte er. „Glauben Sie.“
Sie zog an ihrer Zigarette und warf einen prüfenden Blick in sein Gesicht. „Stimmt das, was Sie mir gestern gesagt haben? Dass Sie erst seit drei Stunden in der Stadt sind?“ Der Rauch flatterte ihr stoßweise aus Mund und Nase.
„Jetzt achtzehn, ungefähr.“
„Und Sie sind kein Polizist? BKA oder BND oder sowas, meine ich?“
„BKA oder BND?“
Sie nickte.
„Was haben Sie mit BKA oder BND zu tun?“
„Antworten Sie, Palmer. Sind Sie?“
„Nein, bin ich nicht.“
Sie sagte, „Ich frage mich, ob ich Ihnen vertrauen kann“, und schien wirklich darüber nachzudenken, denn sie machte eine Pause. „Kann ich Ihnen vertrauen?“