Читать книгу Palmer :Shanghai Expats - Stephan Lake - Страница 12
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Оглавление„Palmer? Kann ich Ihnen vertrauen?“
Palmer sagte auch nichts. Welchen Wert hätte seine Antwort schon gehabt?
Sie sagte, „Ich bin Ingenieurin, bei einer deutschen Firma in Pudong. Das ist auf der anderen Seite des Flusses.“
„Sie sind Ingenieurin? Wirklich?“
„Ja, wirklich. Wieso fragen Sie so ungläubig?“
„Nun ja, Sie sehen nicht aus wie eine Ingenieurin.“
„Nein? Wie sehen Ingenieurinnen denn aus? Schutzhelm und Latzhose und die Fingernägel kaputt?“
Palmer nickte.
„Es gibt solche und solche“, sagte sie. „Ich arbeite meist am Computer. Und, was ich sagen wollte, ich bin gut in dem, was ich tue. Ich verdiene viel Geld. Aber ich-“
„Ich bin nicht sicher, dass ich das hören will“, sagte Palmer. „Denn das andere, was ich gestern gesagt habe, stimmt auch. Ich habe nicht viel Zeit. Und die wenige Zeit, die ich habe, brauche ich. Dringend. Die kann ich nicht dazu verwenden, Ihnen zu helfen.“
„Nicht dazu verschwenden, meinen Sie.“
„Verwenden, sagte ich. Und ich meine, was ich sage.“
„Aber Sie haben mir bereits geholfen. Gestern, draußen vor der Tür.“
„Das war etwas anderes.“
„Sie waren bereit, sich für mich zu prügeln.“
„Sage ich doch. Das war etwas anderes.“
„Ich habe mich gestern schon gefragt, warum hatten Sie eigentlich die Zeitschrift in der Hand? Das hat ausgesehen ... Was wollten Sie damit?“
Bars sind voll mit Kerlen, die Messer bei sich tragen. Eine zusammengerollte Zeitschrift in der Hand ist da nicht optimal, aber allemal besser als nichts.
Palmer sagte, „Ich war am Lesen und habe die Zeitschrift mit nach draußen genommen. Gedankenlosigkeit. Kein besonderer Grund.“
Sie nickte. „Auf jeden Fall haben Sie mir geholfen. Und ich brauche Hilfe, Palmer. Sie haben das selbst gesagt. Und Sie haben recht.“
„Gegen BKA oder BND“, sagte er. Und als sie schwieg, „Wie heißen Sie eigentlich?“
„Alexandra“, sagte sie und hielt ihre Hand hin. Palmer war überrascht, wie förmlich sie plötzlich war. Er griff zu. Ihre Hand zitterte nicht, aber die Innenfläche war feucht.
„Ich habe keine Zeit, Ihnen zu helfen, Alexandra. Wenn Sie mir trotzdem erzählen wollen, was los ist, dann tun Sie das. Vielleicht kann ich Ihnen einen Rat geben. Aber wenn Ihnen das zu wenig ist, dann sagen Sie jetzt besser nichts mehr.“ Unter dem Tisch wischte er seine Hand an der Hose ab.
Sie nahm ihre dritte Zigarette aus der Schachtel. Palmer schaute zu, wie sie den Rest der Bloody Mary trank, sofort danach an ihrem zweiten Drink erst probierte, dann einen großen Schluck nahm. An beiden Gläsern klebte blauer Lippenstift.
„Ich habe erst hier damit angefangen. Denken Sie also nicht ... Ich bin keine Alkoholikerin.“
„Ich denke gar nichts.“
Sie nickte. „Gut“, und zündete die Zigarette an. „Ich bin seit etwas mehr als zwei Jahren in Shanghai. Davor war ich zwei Jahre in New York. Ich bin achtundzwanzig und verdiene zweihundertzwanzigtausend im Jahr. Euro, nicht RMB ...“ Sie guckte, „Und netto, nicht brutto ...“ Und sah Palmer wohl an, dass er nicht sonderlich beeindruckt war. „Dazu freie Wohnung und Flüge in der Businessclass. Keiner in meinem Abijahrgang verdient so viel wie ich, keiner kommt so viel herum wie ich, keiner lebt ein Leben wie ich. Keiner. Niemand. Und ich wette, Palmer, Sie haben in meinem Alter auch nicht so viel verdient.“
„Aber die zweihundertzwanzigtausend Euro haben Ihnen nicht gereicht.“
„Doch, das haben sie.“ Sie leerte ihr Glas, hielt es hoch und winkte der Chinesin im Shirt. Die Chinesin verstand und nickte. „Aber wenn sich die Gelegenheit bietet ... dann sagt niemand Nein, oder?“
Palmer hatte darauf eine Antwort, aber die behielt er für sich. Er hatte kein Interesse an einer Diskussion über Geld und Gier. „Sie haben gestern davon gesprochen, dass alle so viel verdienen. Dann meinten Sie also nicht Ihre früheren Mitschüler. Sondern ...“ Er deutete um sich.
„Ja“, sagte sie. „Ich verkaufe-“, unterbrach sich und lächelte zwei Frauen zu, die sich ihren Weg an ihren Tisch bahnten. „Alex, haiii“, Lachen, jetzt die unvermeidlichen Küsse rechts und links, mehr Lachen.
Palmer lehnte sich zurück.
„Wir sitzen dahinten ... Danny ist da, Michelle und ... na, halt noch’n paar and’re. Komm rüber, okay? Und bring deinen Freund mit.“ Augenzwinkern in seine Richtung.
„Später, okay? Und dann trinken wir etwas. Sag das schon mal den anderen.“
„Gut, bis gleich.“ Lachen, Winken. Und weg.
Alexandra sagte, „Die sind nett, die beiden.“
Palmer schwieg.
Ihr Drink kam. Sie nahm das Glas und drehte es in der Hand. „Das ist nicht so Ihre Sache“, sagte sie und nahm einen Schluck.
„Huh?“
„Etwas trinken. Freunde treffen. Spaß haben. Ab und zu mal lachen.“
„Sie bezeichnen die beiden als ihre Freunde?“
„Ja, natürlich. Und Danny auch. Ihm gehört das JD. Ihm und Jack. Dahinten der. Die beiden sind ein Paar.“
Palmer schaute nicht hin und sagte, „Jacks Daniel.“
Sie nickte.
Er sagte, „Ihre beiden Freundinnen, verdienen die auch so viel?“
„Sie wollen wissen, ob die auch mit drin hängen?“
„Und?“
„Ich weiß es nicht.“ Sie tippte ihre Fingernägel gegen das Glas. „Ich glaube mittlerweile, dass viele mit drin hängen. Das Gleiche tun, was ich tue. Getan habe.“
„Ausschließlich Deutsche?“
„Deutsche. Amerikaner, Franzosen, Australier ... International.“
„Keine Chinesen“, sagte er.
„Ich glaube ... Nein, ich glaube nicht.“
„Warum sind Sie so nervös? Ich dachte, Sie haben im Moment von denen nichts zu befürchten.“
Sie hörte mit dem Tippen auf, nahm das Glas und trank es leer.
Palmer schüttelte den Kopf. „Sie brauchen mal etwas anderes.“ Er winkte und bestellte Kaffee und Wasser. Sie wehrte sich nicht, was ihn überraschte.
„Kommen Sie heute mit zu mir?“, sagte sie, und als sie sein Gesicht sah, „Okay, okay, schon gut. Und wahrscheinlich wollen Sie auch nicht mit zu denen kommen?“ Sie nickte in Richtung ihrer Freundinnen und Jacks Daniel, der vermutlich immer noch bei ihnen stand.
Als er nicht antwortete, sagte sie, „Und ich hätte so schön mit Ihnen angeben können. Dann geben Sie mir wenigstens einen Rat, Palmer. Die beiden ... Die beiden von gestern Abend, die wollen, dass ich ihnen Informationen aus meinem Unternehmen verkaufe. Ich habe das gemacht. Nicht oft. Zwei oder drei Mal. Aber ich will das nicht mehr. Das hab ich denen gesagt. Aber anstatt mich in Ruhe zu lassen, schüchtern sie mich ein. Die haben gesagt, nur noch ein Mal, es wäre das letzte Mal, aber ich müsste liefern. Diese letzte Lieferung wäre für ihren Boss die wichtigste, haben sie gesagt.“
„Wie viel haben Sie dafür bekommen?“
„Viel.“
„Nur zwei oder drei Mal.“
„Vier Mal vielleicht.“
Palmer gab ihr Gelegenheit, noch etwas zu sagen, aber sie schwieg. „Ich glaube nicht, dass die beiden den Tod dieses Deutschen zu verantworten haben“, sagte er dann.
„Sie glauben nicht, dass die damit etwas zu tun haben?“
„Sie müssen zuhören, Alexandra: nicht zu verantworten haben. Kerle wie die werden nicht dafür ausgesucht, jemanden zu töten. Schon gar nicht tot zu prügeln und das in aller Öffentlichkeit. Das bekämen die nicht hin. Die beiden sind gerade gut genug, eine junge Frau wie Sie einzuschüchtern.“
Die Getränke kamen; sie trank vom Kaffee, nippte am Wasser, trank wieder vom Kaffee.
„Aber da gibt es ein paar andere, die dafür in Frage kommen. Hatten Sie schon einmal mit einem Chinesen mit Westernhut und Cowboystiefeln zu tun? Ist überall tätowiert, Gesicht, Hals, Arme? Ein drahtiger Typ, etwas kleiner als ich?“
„Im Gesicht tätowiert? Nein, daran würde ich mich erinnern. Was ist mit dem?“
Palmer erzählte, wie der Tätowierte und seine Gang ihn gewarnt hatten, wieder ins Jacks Daniel zu gehen und mit der blonden Frau zu sprechen und sich einzumischen, und wie sie ihm dann Platz gemacht und ihn haben gehen lassen. Was der Tätowierte mit seinem Rivalen angestellt hatte, erzählte er nicht.
Alexandra starrte ihn an. „Neun Chinesen warnen Sie, wieder hierher zu kommen und mit mir zu sprechen und sich einzumischen, und Sie haben nichts Besseres zu tun, als gleich am nächsten Tag wieder hierher zu kommen? Oh verdammt“ – sie sah sich um – „und wir sitzen hier für jedermann sichtbar am selben Tisch. Verdammt nochmal, Palmer, was ist, wenn uns diese Schlitzaugen beobachten und draußen auf uns warten?“
„Niemand wartet draußen auf Sie, Alexandra.“
„Aber vielleicht auf Sie.“
„Das wäre dann mein Problem.“
„Oder sind die Schlitzaugen der Grund, weshalb Sie mir nicht helfen wollen?“
„Nein, die Chinesen sind nicht der Grund. Wie ich es Ihnen erklärte: Ich habe keine Zeit.“
„Warum sind Sie nicht weggelaufen? Sie hätten sich doch nur umdrehen müssen und ...“ Wieder trank sie vom Kaffee und hielt die Tasse mit beiden Händen, aber sie zitterte trotzdem.
„Alexandra, Sie sollten versuchen, sich zu beruhigen. Sie haben im Moment nichts zu befürchten, das haben Sie selbst gesagt. Also, wem haben Sie denn Ihre Informationen gegeben? Und-“
„Dem Größeren der beiden.“
„-von wem haben Sie Ihr Geld bekommen?“
„Auch von dem Größeren.“
„In bar?“
Sie nickte.
„Und der kleine Dicke?“
„War immer mit dabei.“
„Und andere?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Sie hatten nie mit anderen zu tun? Nicht der tätowierte Cowboy, aber vielleicht mit anderen?“
„Nein, nie.“
„Gucken Sie sich nochmal um. Fällt Ihnen jemand auf, den Sie hier schon öfter gesehen haben?“
„Gott, Palmer, ich habe hier viele schon öfter gesehen.“
„Ich meine nicht Ihre Bekannten. Andere. Es muss hier Leute geben, die Sie nicht kennen. Leute, die keinen Kontakt mit den übrigen haben. Fremde, so wie mich. Gucken Sie sich um.“
Es dauerte einen Augenblick, dann schüttelte sie den Kopf.
Palmer sagte, „Wie ist es mit der kleinen Dunkelhaarigen hinter Ihnen? Neben dem Billardtisch, am Pfeiler? Kurze Haare, weiße Bluse. Kennen Sie die?“
Sie wollte sich erneut umdrehen.
„Nicht“, sagte er.
„Wie soll ich denn sagen können, ob ich die kenne, wenn ich nicht hingucken darf?“
„Sie haben sich doch gerade umgeguckt.“
„Ich gucke mich einmal um, da kann ich mich doch nicht an eine einzelne Person erinnern.“ Sie schüttelte den Kopf. „Eine kleine Dunkelhaarige. Es würde meinem Ego gut tun, wenn Sie jetzt sagen, dass Sie ausschließlich auf kleine, dunkelhaarige Frauen stehen, Palmer. Und nicht auf langbeinige Blondinen wie mich.“
„Ich möchte wissen, ob Sie die Dunkelhaarige hier schon einmal gesehen haben, sonst nichts.“
„Mensch, Palmer, Sie könnten ruhig ein bisschen netter zu mir sein.“ Sie zündete sich die nächste Zigarette an, nippte am Wasser und sagte, „Ich brauche etwas anderes. Ich bin schließlich kein Hund.“
„Jetzt gehen Sie erstmal zu Ihren Freundinnen. Reden Sie irgendetwas mit denen, dann kommen Sie zurück. Und zwischendurch schauen Sie sich die Dunkelhaarige noch einmal an. Wenn es geht, unauffällig. Tun Sie, als ob Sie auf den Bildschirm über ihr gucken.“
Es dauerte ein paar Minuten. Hin, wieder Lachen, Küsschen – auch von einem dünnen Menschen, der wohl dieser Danny sein musste – zurück. Sie sagte, „Kenne ich nicht.“
„Sind Sie sicher?“
„Die habe ich noch nie gesehen, Palmer.“
Als er schwieg, sagte sie, „Glauben Sie, die hat was mit den beiden zu tun? Oder mit den Chinesen?“
„Ich weiß nicht, ob sie mit irgendetwas zu tun hat.“ Er sagte, „Passen Sie auf, Alexandra. Ich denke, Sie haben drei Möglichkeiten. Erstens, Sie machen weiter wie bisher. Liefern weiter Infos, verdienen weiter viel Geld und betrügen weiter Ihren Arbeitgeber und brechen weiter die Gesetze. Zweitens, Sie gehen zur Polizei; riskant, sehr riskant hier in China, nicht zuletzt, weil Sie selbst kein Unschuldsengel sind, aber Sie bleiben vermutlich am Leben. Drittens, Sie setzen sich in ein Flugzeug und kommen nie wieder zurück. Und hier ist mein Rat, Alexandra: Fahren Sie nach Hause. Jetzt. Packen Sie Ihre Sachen, fahren Sie auf den Flughafen, kaufen Sie sich ein Ticket in der Businnessklasse und fliegen Sie. Noch heute. Deutschland soll um diese Jahreszeit sehr schön sein.“