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Palmer schob die leere Tasse weg und stand auf. Er war bereit für die Bars und Clubs am Bund. Er war bereit, Leo Shen zu treffen, das Notwendige zu tun und dann aus Shanghai zu verschwinden. Danach Manila, von dort zurück nach Los Angeles. Er würde nach Arizona fahren und Zeit in der Wildnis verbringen, am Grand Canyon. Zwei, drei Tage. Vielleicht eine Woche. Oder zwei Wochen. Den Fluss hinauf, dorthin, wo keine lärmenden Touristen mit Gummibooten herumfahren und mitgebrachten Proviant grillen und Sekt aus Pappbechern schlürfen. Zwei Wochen mit dem Minimum auskommen. Aufstehen, marschieren, ein einfaches Abendessen, schlafen. Zwei Wochen keinen Menschen sehen und keinen hören. Zwei Wochen nicht sprechen.

Er würde nicht einen Augenblick an Shanghai zurückdenken.

Draußen, vor dem Jacks Daniel, hatte sich nichts geändert. Es war immer noch wie auf einem Straßenfest. Immer noch wurde gelacht und getrunken und geraucht, immer noch hielten sich Menschen in den Armen, immer noch rauschte hinter den Büschen der Verkehr vorbei, immer noch war es heiß. Die Musik war eine andere. Led Zeppelin. Stairway to Heaven. Eine Liveversion.

Palmer blieb bis zum Schlussakkord.

Dann ging er die Straße hinab, vorbei an der Stelle, wo die Deutschen die Blonde geohrfeigt hatten, vorbei an anderen Restaurants und Bars, bis zu einer Kreuzung. Dort blieb er stehen und schaute nach rechts und links auf der Suche nach einem Taxi. Doch die Zeit war ungünstig. Mit ihm warteten noch sieben oder acht andere auf ein Taxi und mindestens noch einmal so viele auf der anderen Straßenseite. Es gab Taxis, aber sie waren entweder besetzt oder vorbestellt, wie er an den roten Leuchten hinter den Frontscheiben oder auf den Dächern erkannte. Eines nach dem anderen fuhr ohne zu halten vorbei, zwei Dutzend in weniger als zehn Minuten. Und hielt doch eines, dann stiegen andere ein, die länger warteten als er.

Manchmal reichte es schon, einen Block zu gehen, dahin, wo es keine Bars mehr gab. Keine Bars bedeutete auch keine Bargäste, die Taxis suchten, weil sie nach Hause wollten oder nach irgendwo.

Palmer ging los.

Zwei Blocks später wurde es ruhiger. Keine Bars und Restaurants mehr, sondern Wohnhäuser und ein paar Geschäfte, die meisten davon geschlossen. Und an den Straßen keine Wartenden.

Allerdings fuhr auch kein Taxi vorbei auf seinem Weg zu den Bars, kein einziges, nicht einmal ein besetztes.

Er wartete an der Einmündung zu einer Seitenstraße, aber es tat sich nichts. Kein Taxi.

Die Seitenstraße schien auf eine größere Straße zu führen, Palmer sah weit hinten Autos fahren. Er würde dorthin gehen. Und wenn er dort kein Taxi fand, würde er zu Fuß weitergehen. Kein Problem. Er ging los.

Rechts und links Wohnhäuser die Straße entlang, vor den Häusern Laternen und parkende Autos, dazwischen nur schmale Fußwege, weshalb Palmer auf der Straße ging. Keine Fußgänger, keine Autos, keine Elektroroller. Einmal hörte er Kinderschreien aus einer der Wohnungen, ansonsten nur das Rauschen der Stadt, weit entfernt.

Palmer hatte die Hälfte der Strecke hinter sich, als er sie sah. Neun Kerle. Sie standen über die Straße hinweg, nebeneinander, in einer perfekten geraden Linie. Wobei der letzte Chinese rechts und der letzte links nicht wirklich standen. Sie lehnten gegen Autos. Ob müde oder einfach nur lässig, das würde sich noch zeigen. Gegen einen Volvo SUV der Chinese auf der linken Seite, gegen einen japanischen Kleinwagen der Chinese auf der rechten.

Palmer könnte auf den Fußweg wechseln und versuchen, an ihnen vorbei zu kommen, aber er wusste, sie würden das nicht zulassen. Und seine Position dort wäre nicht die beste. Auf der einen Seite die Kerle und die Autos, auf der anderen die Häuserfront, da hätte er nicht viel Spielraum.

Also blieb er auf der Straße. Aber nicht rechts und nicht links, sondern genau in der Mitte. Denn er war sich sicher, dass der Boss der Truppe ebenfalls in der Mitte stand. Denn der Boss stand immer vorne, oder, wenn es vorne nicht gab, in der Mitte. Das war ein ungeschriebenes Gesetz bei allen Gangs dieser Welt. Und diese neun Kerle waren eine Gang. Auch da war sich Palmer sicher. Er hatte schon oft mit chinesischen Gangs zu tun gehabt.

Und da neun eine ungerade Zahl war, wusste Palmer genau, wer von ihnen der Boss war. Vier Chinesen rechts. Vier Chinesen links. Einer in der Mitte.

Der Boss.

Palmer ging direkt auf ihn zu.

Denn das war sein ungeschriebenes Gesetz: wenn du von einer Gang angegriffen wirst, suche dir den Boss und handle mit ihm. Oder, besser, schlage ihn zu Brei, schnell und brutal. Das macht Eindruck und verbessert deine Chancen bei den anderen ganz enorm.

Noch zwanzig Schritte.

Es war hell genug, und Palmer konnte sehen, dass der Chinese in der Mitte einen Hut trug. Und etwas im Gesicht hatte. Wie Schmutz. Verbrennungen vielleicht. Oder nur der Schatten der Straßenlaterne.

Keiner von ihnen bewegte sich.

Noch zehn Schritte.

Der Kerl links an dem Volvo richtete sich auf.

Saß jemand in dem Volvo? Palmer glaubte eine Gestalt auf dem Fahrersitz zu sehen, konnte es aber nicht genau erkennen. Er schaute auf das Nummernschild. Shanghaier Kennzeichen FW1928.

Noch fünf Schritte.

Der Kerl rechts an dem Japaner tat dasselbe.

Lässig beide, urteilte Palmer, nicht müde.

Noch zwei Schritte.

Palmer blieb stehen, direkt vor dem Chinesen mit dem Hut. Eine Art Westernhut, das konnte er jetzt sehen. Dazu trug der Chinese Stiefel mit langer Spitze und auf den Spitzen Totenköpfe aus Metall und am Gürtel eine breite Schnalle aus Material, das wie Silber aussehen sollte. Hut und die Absätze seiner Stiefel brachten ihn auf Palmers Größe. Ein Cowboy. Oder eher die chinesische Kopie eines Cowboys: auf den ersten Blick gut gemacht, aber mit Problemen im Detail. Und Palmer sah, was der Kerl im Gesicht hatte. Keine Verbrennungen, kein Schmutz und keinen Schatten, sondern Tätowierungen. Stirn, Wangen, Kinn, genauso Hals und die drahtigen Arme waren dunkel davon. Wahrscheinlich auch der Rest des Oberkörpers unter dem lose hängenden T–Shirt. Wahrscheinlich auch die Hände in seinen Hosentaschen. In seinem Mundwinkel hing eine Zigarette.

Der Kerl sagte, „What de fack are ye lookin at?“ Der Stängel hüpfte auf und ab.

Palmer nickte. Na klar. Die Standarderöffnung. Was guckst du? Palmer hatte auch schon gehört: Was machst du hier? Und: Wenn du hier durch willst, dann musst du bezahlen. Oder: Gib uns alles, was du hast und zwar jetzt. Manchmal war es auch sofort zur Sache gegangen, was für Palmer genauso in Ordnung war.

Die anderen lachten, schlugen sich gegenseitig auf die Schultern, ballten die Fäuste als Zeichen ihrer Anerkennung und Unterwürfigkeit. Ihr Boss sprach Englisch mit dem Laowai. Sie waren beeindruckt oder taten zumindest so.

Und das Englisch war gar nicht mal schlecht nachgemacht. Breite Vokale, wie Palmer es aus Texas kannte. Oder aus alten Western. John Wayne.

Der Tätowierte guckte nach rechts und nach links, Grinsen im Gesicht, zog den Hut ab und schwenkte ihn wie ein Bullrider nach seinen acht Sekunden, und alle Konkurrenten lagen im Sand. Schlug den Hut jetzt sogar gegen den Oberschenkel und wischte mit der Hand die fettigen Strähnen nach hinten, bevor er ihn wieder aufsetzte.

Aber einer seiner Soldaten verweigerte die Gefolgschaft. Palmer bemerkte es und der Tätowierte ebenso. Der Kerl neben dem Tätowierten. Während die anderen lachten, verzog er keine Miene in seinem runden Gesicht. Vermutlich die Nummer Zwei, und sein Verhalten zeigte Palmer, dass er die Nummer Eins werden wollte. Aber der Tätowierte tat nichts und grinste weiter.

Palmer starrte den Tätowierten an. „Ich habe kein Wort verstanden“, sagte er auf Mandarin. „Welche Sprache soll das gewesen sein?“

Das vertrieb das Grinsen aus dem Gesicht.

Der Kerl neben dem Tätowierten nutzte die Gelegenheit und machte seine Ambitionen deutlich, indem er laut lachte. Wegen der Hitze hatte er sein Shirt bis unter die Achseln hochgezogen, was er nicht tun sollte, denn sein Bauch hing weit über den Bund seiner Jeans und schaukelte beim Lachen hin und her. Wie ein mit Wasser gefüllter Luftballon, dachte Palmer, mit dem Kinder auf der Straße spielen und zum Platzen bringen.

Der Tätowierte verschränkte die Arme vor der Brust und zog zweimal hintereinander an der Zigarette und biss dann darauf, weil sie sonst heruntergefallen wäre. Gar nicht mehr so lässig. Und sagte zu Palmer, „Ich habe etwas mit dir zu klären.“ Auf Mandarin.

„Und du hast da etwas falsch verstanden“, sagte Palmer. „Mit deinen Haaren, meine ich. Du sollst nur im ersten Monat des neuen Jahres nicht zum Friseur. Hat deine Mama dir das nicht erklärt? Das heißt ab dem zweiten Tag des zweiten Monats darfst du dir wieder die Haare schneiden. Und jetzt haben wir, was, den fünften Monat? So schwierig ist das doch nicht. Der zweite Tag des zweiten Monats.“ Palmer grinste. „Keine Angst, deinem Onkel passiert nichts.“

Der Tätowierte nahm den Zigarettenstummel aus dem Mund, warf ihn auf den Boden und trat ihn aus. Palmer sah ihm an, dass er sich zusammenriss und fragte sich warum. Natürlich kannte der Tätowierte die Legende – im ersten Monat des neuen Jahres nicht die Haare schneiden, weil sonst der Onkel stirbt. Jeder Chinese kannte sie. Und natürlich glaubte er nicht daran, ein cooler Cowboy wie er. Warum aber riss er sich zusammen, anstatt endlich anzufangen?

Palmer sagte, „Und waschen darfst du dir die Haare ohnehin. Sogar jeden Tag, wenn du willst. Die meisten tun das.“ Und wartete, ob das reichte.

Wieder lachte die Nummer Zwei. Und dieses Mal guckte der Tätowierte und sagte etwas in seine Richtung, was Palmer nicht verstand. Shanghaier Dialekt vielleicht. Der andere hörte auf zu lachen, grinste aber weiter und guckte sich sogar um, ob er Anhänger hatte. Hatte er nicht.

„Was ist jetzt“, sagte Palmer, „willst du das mit ihm klären“ – er nickte zu dem Ballonbauch – „oder das mit mir? Was immer du glaubst, mit mir klären zu müssen.“

Der Tätowierte starrte zurück auf Palmer, wie er es vorher getan hatte, ohne zu blinzeln. Nahm jetzt ein Feuerzeug aus der Hosentasche, klappte mit einer Bewegung aus dem Handgelenk den Deckel auf, steckte eine neue Zigarette in den Mundwinkel und zündete sie an.

Wieder ganz der Cowboy, der Revolverheld.

„Was ich mit dir zu klären habe, mmh. Halte dich raus. Denn sonst muss ich dich töten. So einfach ist das.“ Und zog an der Zigarette, wieder zweimal hintereinander, klappte den Deckel zu und steckte das Feuerzeug ein.

Jetzt war Palmer verdutzt. Der Überfall entwickelte sich in eine Richtung, die er nicht verstand. Aus was sollte er sich heraushalten? Und warum sollte er getötet werden, wenn er sich nicht heraushielt?

„Aha“, machte Palmer. „Sonst musst du mich töten. Warum?“

Der Tätowierte kniff die Augen zusammen. Die Frage schien ihm noch nicht in den Sinn gekommen zu sein.

„Denke darüber nach“, sagte Palmer. „Und während du darüber nachdenkst, überlege dir auch, ob du das wirklich willst. Denn es könnte anders ausgehen, als du glaubst. Und dann würde der Kerl neben dir dich beerben und die neue Nummer Eins sein.“

„Du musst dich raushalten, oder ich werde dich töten“, sagte der Tätowierte.

„Das sagtest du bereits. Verrätst du mir denn auch, aus was ich mich heraushalten soll?“

„Das weißt du genau. Du hast dich gerade erst eingemischt. Vor einer halben Stunde, im JD. Das war nicht klug von dir.“

„JD?“

„Jacks Daniel, Mann.“

Jacks Daniel?

Palmer sah ein, dass er falsch vermutet hatte. Er hatte geglaubt, die Chinesen wären eine gewöhnliche Straßengang und all das wäre ein gewöhnlicher Überfall und er ein zufälliges Opfer. Aber das stimmte nicht. Die Chinesen arbeiteten für die beiden Deutschen. Oder die Deutschen für die Chinesen, das könnte auch sein. Der Größere hatte mit seinem Telefon hantiert, als er ins Taxi gestiegen war. Er hatte den Tätowierten angerufen. Oder jemanden angerufen, der den Tätowierten angerufen hatte. Die Chinesen waren Palmer dann gefolgt und ihm hier zuvorgekommen.

Die Blonde steckte wirklich in Schwierigkeiten. Und er jetzt auch. Ein bisschen zumindest.

Palmer war still und starrte den Tätowierten weiter an. Er konnte die Motive in dessen Gesicht nicht erkennen, die Bemalungen waren jämmerlich, flossen konturenlos ineinander. Gefängnistattoos vielleicht. Er fragte sich, ob das alles war oder ob der Tätowierte seine mündliche Warnung mit einer physischen Aktion unterstreichen wollte.

Palmer musste nicht lange auf eine Antwort warten.

Der Tätowierte zog ein Messer aus der Hosentasche, das er ebenso schnell aufklappte wie zuvor das Feuerzeug. Die Klinge doppelt geschliffen und sehr spitz, Palmer sah es im hellen Licht der Laterne. Handarbeit. Er fuchtelte damit in der Luft, ein Meter von Palmer entfernt.

„Also, halte dich raus, Laowai. Du wirst nicht mehr ins JD gehen und nicht mehr mit der blonden Frau sprechen. Sonst werde ich dich“, sagte er, das Grinsen zurück im Gesicht, „töten.“

Dazu durfte Palmer nicht schweigen, also sagte er, „Glaubst du wirklich, dass du das fertig bringst?“, längst bereit, das Handgelenk mit dem Messer zu packen und dem Tätowierten die eigene Klinge in den Oberkörper zu stoßen. Es reichte langsam.

Doch dazu kam es nicht.

Blitzschnell drehte sich der Tätowierte und nutzte perfekt den Schwung und rammte dem Ballonbauch die Spitze seines Stiefels mitsamt Totenkopf zwischen die Beine.

Ein sattes Geräusch. Ein Volltreffer.

Der Chinese sackte lautlos auf die Knie und stützte sich mit beiden Händen auf der Straße ab, um nicht gänzlich vornüber zu fallen. Sein Ballon hing nach unten und wabbelte hin und her. Es dauerte einige Sekunden, dann konnte er wieder atmen. Er hustete und fluchte und stöhnte zugleich vor Schmerz und Wut und drohte dann auch noch dem Tätowierten, ihn umzubringen.

Wovon Palmer ihm abgeraten hätte, solange der Tätowierte noch das Messer in der Hand hielt und er selbst auf dem Boden kniete. Aber der Kerl fragte ihn ja nicht.

Und es geschah, was geschehen musste.

Der Tätowierte griff das Messer mit beiden Händen und stieß seinem Rivalen die Klinge bis zum Griff von hinten in den Hals. Die Arme gaben nach und der Chinese klatschte vollends auf die Straße. Sein Körper zuckte, der Bauch wackelte, dunkles Blut floss seinen Nacken hinab. Die Finger krallten in den Asphalt.

Dann lag er regungslos. Kein Fluchen mehr, kein Drohen, kein Stöhnen. Nur noch Stille.

Der Tätowierte richtete sich auf und schaute zu den anderen. Wie sie reagierten. Ob sie auf seiner Seite waren oder ob sie sich auf die Seite seines Rivalen stellten. Niemand rührte sich. Kein Protest, aber auch kein Beifall.

Das Ergebnis schien ihm nicht zu gefallen, denn er holte aus und trat dem leblosen Chinesen mit der Spitze seines Stiefels ins Gesicht. Mit dem Totenkopf. Ein klares Statement an seine Leute.

Der Tätowierte drehte sich zu Palmer, grinsend, die Zigarette wie zuvor im Mundwinkel. „What was your kwestion?“

Palmer :Shanghai Expats

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