Читать книгу Palmer :Shanghai Expats - Stephan Lake - Страница 14
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ОглавлениеLiz gab die Richtung vor. Sie bogen links ab, wieder links, dann rechts. Vorbei an Tattooläden, DVD-Geschäften mit den neuesten amerikanischen Blockbustern, überfüllten Straßenrestaurants. Sie ging zügig, offensichtlich kannte sie sich aus und hatte ein bestimmtes Ziel, aber sie sagte nichts und Palmer fragte nicht.
Es ging an der Shanghai Bibliothek vorbei, wo er kaum zwei Stunden zuvor Zeitungen nach Shens Foto durchsucht hatte, und zwischen hupenden Autos die Huaihai Lu hinüber in eine ruhige Allee mit sauberen Gehwegen und hohen Platanen rechts und links. Liz ging langsamer. Keine Tattooläden mehr und keine DVD-Geschäfte, stattdessen koloniale Villen hinter dicken Mauern und gelegentlich offenen Toren, die Blicke in gemütliche und ohne Zweifel sehr teure Hinterhöfe ermöglichten. Kleine Cafés, nette Restaurants, viele Westler. Als wären sie in einer anderen Stadt. Palmer vermutete, dass sie ihrem Ziel nahe waren.
Nachdem Liz gesagt hatte, dass sie nicht hinter Alexandra her war, hatte sie eine Weile still ihren Kaffee getrunken und über seine Schulter hinweg auf den Bildschirm geguckt. Er hatte sie beobachtet. Und gewartet. Dann hatte sie ihn gefragt, ob er sie begleiten würde, und sie waren losgegangen.
„Ein bisschen wie Paris, finden Sie nicht?“, sagte sie jetzt. Als er nicht antwortete, sagte sie, „Kennen Sie sich in Shanghai aus?“
Sie hielten sich im Schatten der Bäume. Liz hatte ihren Kopf in den Nacken gelegt, um besser zu ihm hochschauen zu können, und schob ihre Sonnenbrille nach oben, über die Stirn. Keine dieser sonderbaren Brillen, wie er sie schon bei vielen Frauen gesehen hatte, mit übergroßem Rahmen und Gläsern, die das halbe Gesicht verdeckten. Ihre Brille war klein und schmal und passte gut zu ihr.
Der Bügel drückte ihre kurzen Haare auseinander, und er konnte über der Schläfe deutlich die Narbe sehen. Drei Zentimeter lang, ein Zentimeter breit. Von einem stumpfen Gegenstand verursacht, nicht von einem scharfen, vermutete er. Ein scharfer Gegenstand hätte eine schmale Narbe zur Folge. Ein Messer zum Beispiel. Aber eine ein Zentimeter breite Narbe? Ein Schlag vielleicht, mit einem Stab aus Holz oder Metall. Oder mit einer Flasche, in irgendeiner Kneipe in Deutschland, während eines verdeckten Einsatzes, der aufgeflogen war. Oder ein Streifschuss. Vielleicht hatte sie sich aber auch nur gestoßen, an einem Hängeschrank in ihrer Küche oder der Duschbrause in ihrem Bad. Aber nicht vor kurzem. Die Narbe war gut verheilt.
Er sagte, „Ich war noch nie in Paris und erst ein Mal in Shanghai, und das ist lange her. Seitdem hat sich viel verändert.“
„Ich weiß, was Sie meinen. Überall wird wie wild abgerissen und gebaut. Vergangene Woche noch bin ich nicht weit von hier – auf dieser großen Schnellstraße? – gefahren, mit dem Taxi, und eine Ausfahrt raus, die ich ab und zu nehme. An dieser Ausfahrt standen zwei Häuser, jedes dreißig oder vierzig Stockwerke hoch. Heute Morgen bin ich wieder dort vorbei, da waren die zwei Hochhäuser weg. Verschwunden. Nichts war mehr übrig. Aber es fuhren LKW auf der Baustelle, Material wurde angeliefert“, sie schüttelte den Kopf, „die fingen bereits wieder an zu bauen.“
Er wartete.
„Sie wissen also nicht, wo wir hier sind? Wo genau wir hier sind?“
Er wusste nicht, was sie meinte. „In der FFC? Der Früheren Französischen Konzession?“
„Ja, aber was sich hier in der Nähe befindet?“
Er schüttelte den Kopf.
„Sie sind Deutscher, oder? Mit deutschem Pass?“
„Was hat mein Pass mit allem zu tun?“
„Ein deutscher Pass und Sie wüssten vielleicht, wovon ich spreche“, sagte sie, wieder von unten zu ihm hoch guckend. „Ah, vielleicht auch nicht.“ Ihr Blick sprang zwischen seinen Augen hin und her. „Ich frage mich, ob ich Ihnen vertrauen kann.“
Genau wie diese Alexandra, dachte er. Aber anders als Alexandra war Liz nicht auf Vertrauen angewiesen. „Sie könnten mich überprüfen lassen. Sie haben die Ressourcen.“
„Ja, das könnte ich. Aber jede Anfrage wird gespeichert.“
„Und das wollen Sie nicht.“
„Ich weiß nicht, wer davon erfährt.“
„Das heißt, Sie trauen Ihren eigenen Leuten nicht.“
Sie sagte, „Ich rede zu viel.“
Hinter Palmer und Liz, in zwanzig Metern Entfernung, gingen vier Chinesen, alle bereits im Rentenalter. Zwei von ihnen trugen Pyjamas und Hausschuhe, was die beiden anderen nicht und auch sonst niemanden auf der Straße zu stören schien, alle vier rauchten und, zumindest die meiste Zeit, alle vier schwiegen. Nur gelegentlich sagte einer von ihnen ein Wort oder einen kurzen Satz, wozu die anderen dann stumm nickten oder, wenn ihnen danach war, leise eine Zustimmung murmelten.
Und zehn Meter dahinter, die Chinesen als Schutzschild nutzend, ging Vincent Dannenberg. An normalen Tagen war Dannenberg zwei Meter und eins groß. Jetzt, in gekrümmter Haltung hinter den Chinesen gehend, waren es zehn Zentimeter weniger. Aber es bereitete ihm Mühe, so gebeugt und so langsam zu gehen. Er war weit ausholende, kraftvolle Schritte gewohnt, das Schlendern machte ihn müde und ließ seinen Gang hölzern aussehen. Aber er durfte nicht schneller gehen, er würde sonst den beiden zu nahe kommen. Und er durfte sich nicht aufrichten, weil er dann noch weiter über die Köpfe der Chinesen hinausragen würde.
Im Gehen klopfte sich Dannenberg mit der Hand gegen die Schulter, abwechselnd rechts und links, und hielt seinen Blick an der Gruppe vorbei auf die zwei gerichtet. Die Frau kannte er gut. Sie war seit fünf Wochen in Shanghai, wohnte in einem Hotel nahe der Yan’an, der Schnellstraße, die quer durch die Stadt führte. Sie trieb sich in Expatbars herum und erzählte jedem, sie würde Deutsch unterrichten, während sie doch in Wirklichkeit ihretwegen hier war; er hatte von der BND–Agentin erfahren, kaum, dass sie in Pudong gelandet war. Seitdem hatte er sie wiederholt observiert. Fleißig war sie und klug, und sie ließ einfach nicht locker. Mehrere Sicherheitsebenen hatten sie installiert, und sie hatte bereits die ersten geknackt und ein halbes Dutzend ihrer wichtigsten Informanten identifiziert. Ziemlich bemerkenswert. Und ziemlich gefährlich.
Dannenberg hatte den anderen gestern noch gesagt, dass sie bald etwas tun müssten, aber sie hatten widersprochen. Die Kleine wäre schließlich eine BND–Beamtin, da müssten sie vorsichtig sein. Wir können vorsichtig bei ihr sein oder wir können riskieren, dass sie uns auffliegen lässt, hatte er geantwortet, aber nur Kopfschütteln geerntet. Und damit war die Sache erledigt.
Und jetzt tauchte ein Neuer auf. Wer war dieser Kerl? Seit die beiden aus dem JD herausgekommen waren, war er ihnen gefolgt. Er hatte einen guten Blick auf ihn gehabt und sogar ein Foto von ihm machen können und war sich sicher, den Kerl noch nie hier gesehen zu haben.
Er würde den Tätowierten auf ihn ansetzen. Der Chinese sollte diesem Kerl klar machen, dass er sich besser raushält.
Mit dem Ärmel seines Hemdes trocknete sich Dannenberg die Stirn, mit dem Kragen wischte er sich über den Nacken. Verdammte Hitze. Er nahm sein Telefon aus der Hosentasche und wählte aus dem Kopf die elfstellige Nummer und sprach in langsamem Englisch, damit der Tätowierte ihn verstand. Dann schickte Dannenberg ihm das Foto. Und jetzt tue deinen Job.
Er wollte das Gespräch schon beenden, als er eine ganz erstaunliche Antwort bekam. Der Tätowierte kannte den Mann. Er wäre ihm bereits am Abend zuvor gefolgt und hätte ihn gewarnt, nie wieder ins JD zu gehen und nie wieder mit der blonden Frau zu sprechen.
Dieser Kerl? Bist du sicher?
Wieso fragst du das? Du hast mir doch selbst den Auftrag gegeben, ihm zu folgen. Ich bin sicher.
Zwei meiner Leute haben mir berichtet, dass sie mit einem Deutschen Ärger hatten. Ich wusste nicht, wie der aussieht. Und du bist dir wirklich ganz sicher? Das ist derselbe Kerl?
Mann, Dannenberg, was redest du da? Der hat einen Meter vor mir gestanden, sicher bin ich sicher. Fuck, und der ist wieder in die Bar gegangen, obwohl ich ihn gewarnt habe?
Dannenberg klopfte sich gegen seine verspannte Schulter. Offensichtlich hat er deine Warnung nicht ernst genommen.
Wird nicht wieder passieren, sagte der Tätowierte.
Will ich hoffen, sagte Dannenberg und legte auf.
Dann wählte er eine andere Nummer, ebenfalls elfstellig und ebenfalls aus dem Kopf.