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„An den Bund“, sagte Palmer, und der Taxifahrer fuhr los.

Palmer lehnte sich in dem durchgesessenen Sitz zurück und forderte den Fahrer auf, seine Zigarette aus dem Fenster zu werfen. Der tat es sofort und ohne Widerrede, lenkte dabei jedoch den alten Santana zu weit nach rechts und streifte den Bordstein, der Wagen wackelte und schwankte tief in den Federn, er steuerte noch rechtzeitig gegen und das Gefährt rollte wieder geradeaus. Der Fahrer lächelte und nickte in den Rückspiegel, als würde jede Taxifahrt in Shanghai genau so beginnen.

Palmer schaute regungslos zurück. Und sein regungsloses Gesicht war kein angenehmer Anblick.

Es dauerte keinen Kilometer bis ihm wirklich klar war, wie schlecht dieser Kerl Auto fuhr. Fortwährend wechselte er die Fahrspuren, stets ohne Blinkzeichen zu geben, fuhr dicht auf, um anderen keine Lücke zu bieten, bremste, wo es nichts zu bremsen gab. Drückte aufs Gaspedal, kuppelte aus, ließ den Wagen rollen, kuppelte wieder ein, wenn es ihm zu langsam wurde, gab wieder Gas, kuppelte wieder aus. Hupte ohne Unterlass.

Einen weiteren Kilometer später hatte Palmer herausgefunden, dass er sich nicht anschnallen konnte.

Die Sitze hatten keine Gurte. Mehr.

Er legte den Daumen an den Hals – acht Schläge in zehn Sekunden.

Eine halbe Stunde verging, entgegen jeder Wahrscheinlichkeit ohne Unfall, dann fuhren sie über eine mächtige Brücke. Unter ihnen der Huangpu, der Fluss, der Shanghai zweiteilte und den Stadtteilen ihre Namen gab: Pudong, östlich des Huangpu, woher sie gerade kamen – Puxi, westlich des Huangpu, wohin sie fuhren. Auf beiden Seiten Hochhäuser bis zum Horizont.

Eine Stadt wie eine Wüste aus Beton. Geteilt von einem Fluss.

Hinter der Brücke ging es hinunter nach Puxi. Enge Straßen wurden breiter, der Verkehr dichter, die Gehsteige belebter, die Läden teurer.

Der Fahrer nutzte weiter jede Lücke und erzwang sich weiter Lücken dort, wo es keine gab und bog wieder auf eine vierspurige Straße. Zhongshan Lu. Der Bund.

„Wohin genau, mein Herr?“

Eine berechtigte Frage. Der Bund war mehr als zwei Kilometer lang.

„Genau hier“, sagte Palmer.

Ein harter Tritt auf die Bremse, Reifen quietschten, der Santana schwankte wie eine alte Pferdekutsche und stand.

Palmer bezahlte und stieg aus.

Der Kerl gab Gas, lenkte zu weit nach rechts, die Reifen schrammten hart gegen den Bordstein.

Kein Scherz.

Wo er ausgestiegen war, führte eine Treppe auf die Promenade. Palmer ging die Stufen nach oben. Vor ihm der Huangpu, dunkel, träge, stinkend, dahinter die Skyline von Pudong – Hochhaus neben Hochhaus, Baustelle neben Baustelle, wie es aussah Hunderte Meter über dem Boden. Palmer erkannte Pearl Tower und Flaschenöffner, den neuen Shanghai Tower noch, der alles überragte, bei anderen war er sich nicht sicher.

Pudong jedoch interessierte ihn nicht. Er drehte sich um, zu den Häusern am Bund. Neunzehntes Jahrhundert oder frühes zwanzigstes die meisten, er hatte es gelesen und wieder vergessen. Aber er hatte sich gemerkt, dass es genau zweiundfünfzig waren. Eine imposante Kulisse, wenn man Sinn für Geschichte hatte und für Architektur.

Hatte er nicht. Ihn interessierte nur ein einziges dieser Häuser. Das, in dem der Mann lebte, der ihm sein Erbe genommen hatte. Vor dreißig Jahren, in Hong Kong. Der Stadt, in der seine Mutter und sein Stiefvater bei einem Unfall ums Leben kamen und auf deren Straßen er danach, mittellos und allein, aufgewachsen war. Heutiger Wert dieses Erbes: an die zwei Millionen Dollar. U.S., nicht Hong Kong Dollar.

Der Mann war Chinese und kannte seinen Namen und seine Telefonnummer, die doch nur wenige kannten. Der Chinese hatte ihn angerufen und gesagt, „Ich habe gehört, du bist auf der Suche nach mir?“ Er würde in seinem Club am Bund sitzen, mit einem phantastischen Blick auf den Huangpu, hat er gesagt, und „Du willst also herkommen, um mir wegzunehmen, was mein ist?“

Mein ist.

„Nun, Palmer, ich warte auf dich“, hatte der Chinese dann noch gesagt.

Der Chinese hieß Leo Shen. Damals, vor dreißig Jahren, war er hoher Regierungsbeamter in Peking, mit besten Beziehungen in Hong Kong. Beste Beziehungen bedeutete in seinem Fall: Triaden. Und seine Beziehungen hatten es ihm ermöglicht, Palmers Erbe zu stehlen. Nach seiner Pensionierung war Shen in seine Heimatstadt zurückgekehrt, Shanghai, und hatte investiert. Bordelle, Glücksspiel, Wettbetrug – Shanghai ist eine solche Stadt. Und Shen hatte sein Vermögen vervielfacht.

Palmers Vermögen.

Woher Palmer das alles wusste? Er kannte Leute in Hong Kong, die ihm Gefallen schuldeten. Leute mit Beziehungen.

Was ihm aber niemand sagen konnte: wo genau Shen lebte. Niemand wusste das. Seit Jahren hatte niemand Shen gesehen.

Leo Shen war ein Gespenst.

In welchem der zweiundfünfzig Häuser Shens Club war? Palmer hatte keine Ahnung.

Palmer betrachtete die alten Gebäude, einen Kilometer die Zhongshan Lu hoch, einen Kilometer hinunter.

Du wartest auf mich, Shen? Nun, ich bin da.

Palmer :Shanghai Expats

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