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Warum »literarische« Romane so oft nicht funktionieren

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Die Zweit-Akter

Viele »literarische« Romane funktionieren erzählerisch nicht. Der schönen Sprache und dem hohen formalen Anspruch steht erzählerisch oft nichts Adäquates gegenüber. Wieso ist das so?

Sehen wir uns dazu Thomas Glavinics Roman »Lisa« an (Hanser 2011). In dem Roman hat sich ein Mann mit seinem Sohn in ein einsam gelegenes Ferienhaus zurückgezogen, weil er Angst hat. Über diese Angst schwadroniert der Ich-Erzähler Nacht für Nacht via selbstgemachtem Internet-Radio. Der Grund für die Angst: Bei ihm daheim wurde eingebrochen. Aber nicht von irgendwem. Sondern von jener berüchtigten Frau, die mehrere Jahre als das »Phantom« durch die Presse geisterte und der man etliche Verbrechen einschließlich grausamer Morde nachgewiesen zu haben glaubte. Weil man an etlichen Tatorten ihre DNA fand. Auch in der Wohnung des Erzählers entdeckte man nach einem Einbruch diese DNA.

Der Erzähler nennt das Phantom Lisa.

Während der Erzähler sich abwechselnd Kokain und Alkohol zu Gemüte führt, berichtet er von Lisas Fall – und quasselt nebenher, durchaus unterhaltsam und witzig, über Gott und die Welt. Das moderne Pendant für das Pfeifen im Walde gegen die Angst: Schwallen im Web. Doch das eigentliche Nebenher ist die Geschichte des Phantoms, der rote Faden. Weitaus mehr Raum nehmen besagte launige Abschweifungen ein. Anders als vergleichbare literarische Romane liest sich »Lisa« weg wie nix.

Was dem Roman fehlt, um ihn für mich zu einem guten Roman zu machen: Struktur. Der Erzähler fängt mittendrin in der Geschichte an und hört, ein paar Tage später zwar, aber immer noch mittendrin, wieder damit auf.

Legt man die (nicht von ungefähr) klassische Drei-Akte-Struktur zugrunde, so fehlen dem Roman der erste und der dritte Akt. Der Zweit-Akter ist also ein Ein-Akter. Leider entfallen damit die drei wichtigsten Punkte, die einen spannend erzählten Roman ausmachen: der erste und der zweite Wendepunkt und, zu allem Unglück, auch noch Höhepunkt und Schluss. Was am Ende kommt, ist eine Pointe, mehr nicht. Einen Höhepunkt und Schluss ersetzt sie nicht.

Mit dem ersten Akt fehlt dem Leser die rechtzeitige emotionale Verbindung zum Protagonisten oder Erzähler. Durch das Fehlen eines Höhepunktes fehlt, bei »Lisa« ganz konsequent, auch die Zuspitzung, die ansonsten den zweiten Akt bestimmt. Denn wozu eine Zuspitzung, wenn sie doch auf nichts hinausliefe?

So mag ein solcher Zweit-Akter möglicherweise lebensnäher daherkommen – Ausschnitte aus dem Leben haben auch keine Zuspitzung –, doch als Geschichte funktioniert er weniger gut.

Sie müssen sich nicht an die Drei- oder Fünf-Akte-Struktur halten, um einen guten Roman zu schreiben. Aber Sie sollten Wendepunkte in den Plot einbauen, in denen Sie die Geschichte die Richtung wechseln lassen und ihr damit zugleich neuen Drive geben.

Noch wichtiger ist es, den Leser so früh wie möglich emotional an Ihren Helden binden. Ohne ein emotionales Interesse am Schicksal des Helden und an seinen Handlungen muss jedes Buch scheitern – spätestens dann, wenn die ursprüngliche Neugier, die wir automatisch jeder uns unbekannten Geschichte entgegenbringen, aufgebraucht ist.

Und der Höhepunkt? Der heißt bei den Drehbuchautoren nicht umsonst die »obligatorische Szene«. Weil er die Szene ist, auf die jeder Film und Roman hinausläuft, auf die er sich zuspitzt, auf die er thematisch hinauswill. Der Höhepunkt ist die konsequent erarbeitete Antwort auf die durch den zentralen Konflikt aufgeworfene Frage. Der Leser wartet von Anfang an darauf. Ein Roman, der keinen zentralen Konflikt zu lösen hat, kann auf einen Höhepunkt verzichten – bloß sollte das Werk dann treffender nicht als Roman bezeichnet werden, sondern etwa als Erzählung.

Nicht nur bei Glavinics »Lisa« wartet der Leser vergeblich auf einen Höhepunkt, auch andere literarische Werke, die auf dem Titel das Versprechen »Roman« tragen, verzichten darauf. Die Folge: Nach dem Lesen fühlt man sich seltsam unbefriedigt. Wie nach dem Verzehr eines Stückes Fleisch ohne Beilagen. Das Wichtige dabei: So unbefriedigt fühlt man sich immer, selbst wenn das Fleisch ausgezeichnet war.

Das sollte Ihnen nicht passieren. Schreiben Sie ein Menü. Wie viele Gänge und welche genau Sie einbauen, bleibt Ihnen überlassen. Aber sie sollten abwechslungsreich sein und einer Dramaturgie gehorchen. Dann wird Ihr Leser und Gast am Ende zufrieden von Ihrer Tafel aufstehen. Und Ihr Restaurant noch häufiger beehren.

Schneller-Bestseller-Trick: Vergessen Sie für einen Moment den ersten und den dritten Akt Ihres Romans. Tun Sie so, als wäre der zweite Akt der komplette Roman. Legen Sie dieselben Kriterien für ihn an. Gibt es ein auslösendes Ereignis? Einen ersten Wendepunkt? Einen Midpoint? Einen Höhepunkt? Sorgen Sie dafür, dass alles davon da ist.

Falls nicht: Schreiben Sie diese Meilensteine neu. Macht das Ihren zweiten Akt besser? Macht es Ihren gesamten Roman besser?

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