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Wie Sie Träume wirkungsvoll einsetzen – oder Ihre Leser vergraulen

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Die bessere Methode, eine Zehe zu amputieren

Träume im Leben können schön oder verstörend sein. Als Instrument im Roman sind sie fast immer problematisch. Sind sie realistisch – also surreal und ohne Sinn – bringen sie den Roman nicht weiter. Bestenfalls fügen Sie eine gewisse Gestimmtheit hinzu. Doch die ließe sich auch anders erzeugen und das vermutlich weit wirkungsvoller. Belädt der Autor die Träume jedoch mit zu viel Sinn und Symbolik und verleiht er ihnen dadurch Relevanz für den Roman, sind sie nichts weiter als Einmischungen des Autors selbst – seine Kommentare, seine Erklärungen – oder (allzu) hilfreiche Zufälle. Mit Träumen macht es sich mancher Autor zu leicht und schafft ein für seine Leser weniger befriedigendes Erlebnis.

Besonders hüten sollten Sie sich vor jenem Taschenspielertrick, mit dem manche ihre Leser an der Nase herumführen wollen. Frei nach dem – bei Autoren so beliebten, bei Lesern zurecht so verhassten – Motto: »Du hast geglaubt, Leser, das wäre real? Ätsch-Bätsch, alles nur geträumt!« (Die Fernsehserie aus den 1980ern, »Dallas«, und einer ihrer Helden, Bobby Ewing, lassen grüßen – über zwanzig Folgen der Serie wurden den Zuschauern später als »nur geträumt« verkauft, weil der Darsteller des Bobby, Patrick Duffy, zwischenzeitlich ausstieg und dann doch wieder zum Mitmachen überredet wurde. Immerhin konnte sich die Serie durch diesen Trick eine Menge Medienaufmerksamkeit sichern – was Ihnen, sorry, durch einen Traum im Roman nicht gelingen wird.)

Falls Sie jedoch felsenfest davon überzeugt sind, mit dieser Methode ein Spannungselement in den Roman zu bringen, so tun Sie wenigstens Folgendes: Geben Sie dem Leser im Nachhinein das Gefühl, er hätte den Traum als Traum erkennen können: »Ja, wenn ich aufmerksamer gelesen hätte, hätte ich mir denken müssen, dass Billy nur geträumt hat.«

Die Freude über die vermeintliche Spannung, die Sie auf solch billige Weise fabrizieren, heben Sie durch die Verärgerung des Lesers gleich wieder auf. Letztlich kommunizieren Sie mit dem Trick vor allem eins: »Ich bin ein toller Autor und mache mit dir, Leser, was ich will.«

Mein Verständnis vom Vertrag zwischen Leser und Autor ist ein anderes. Ja, ich möchte als Leser durchaus manipuliert werden. Aber ich will nicht, dass der Autor mich für dumm verkauft.

Versucht das der Autor, lege ich ein Buch schnell beiseite. Wie den so hoffnungsvoll beginnenden Roman »Die tote Schwester« (Eichborn 2011) von Stephan Brüggenthies. Eine Traumsequenz hat mir das Lesen dieses womöglich sogar guten Romans vergällt.

Der Roman wird aus Sicht des Polizisten Zbigniew Meier aus der nahen dritten Person erzählt. Seine Freundin Lena wurde entführt, die Polizei sucht sie, Zbigniew macht sich Sorgen. Kapitel 6 beginnt so:

Langsam kam sie wieder zu Bewusstsein.

Ihre Hände waren ohne Gefühl. Sie konzentrierte sich auf die Finger, spürte eine Schwere in ihnen. Sie wollte die Fingerspitzen bewegen, doch sie gehorchten ihr nicht.

Panik erfasste Lena.

Die Beine. Die Füße. Auch sie waren irgendwie vorhanden, ließen sich aber nicht bewegen.

Lena öffnete vorsichtig die Augen. Um sie herum war es fast dunkel. Von rechts schien ein schmaler Lichtschein zu kommen, der den Raum um sie herum in ein diffuses Grau hüllte.

Waren ihre Augen in der Lage, richtig zu sehen? Oder lag ein Schleier vor ihnen? War das, was sie sah, gar nicht der wirkliche Raum?

Sie musste sich konzentrieren. Sie musste rekonstruieren, was passiert war. Sie musste überlegen, wie sie hier herauskam.

Das geht noch zwei Seiten so weiter. Dann kommt eine Frau in den Raum, eine Feindin von Zbigniew.

Jeanne Duhamel setzte das Messer etwas oberhalb ihres [Lenas] kleinen Zehs an. Fast lag ein Bedauern in ihrem Blick.

Lena schrie.

Sie schrie, so laut sie konnte.

(…)

Der Schmerz.

Jeanne betrachtete den kleinen Zeh, mit dem kleinen, schwarz lackierten Zehennagel von Lena, nun über und über mit Blut befleckt.

Das Blut, es lief aus ihrem Fuß.

Lena schrie weiter.

Er schrie.

Zbigniew schrie laut, er war wie von Sinnen.

Schweißgebadet zuckte er im Bett und schrie, und es war so, als ob er von seinem eigenen Schrei aufwachte. Er hörte sich einige Sekunden lang weiter schreien.

Dann erstarb der Schrei.

Und Zbigniew (und mit ihm der Leser) kapiert so langsam, dass die Lena-Szene nur ein Traum war.

Das Problem dieses Traums, mal davon abgesehen, dass er mit drei Seiten sehr lange dauert und zu viel geschrien wird: Die Szene wird aus Lenas Sicht geschildert, in der nahen dritten Person. Hätte Zbigniew die Szene im Traum gesehen, etwa hilflos hinter einer Glasscheibe, aber eben aus seiner Perspektive erzählt, hätte ich weitergelesen.

Aber hier fühlte ich mich (sorry, Herr Brüggenthies) einfach nur verarscht.

Niemand träumt auf diese Weise aus der Perspektive eines anderen. Der Traum hatte nur einen Zweck: Er sollte Spannung erzeugen, ein bisschen Schrecken verbreiten, als die Zehe abgeschnitten wird, und am Ende den Leser überraschen.

Oder tue ich dem Autor Unrecht? Hat er hier zwei reale Sequenzen übereinandergelegt? War es ein Spiel mit doppelter Täuschung? Wie auch immer, bei mir hat es nicht funktioniert.

Das heißt nicht, Sie dürften grundsätzlich keine Träume verwenden. Nur wenn Sie es tun, sollten Sie sich auf deren wichtigste Bedeutung besinnen und sich auch im Text darauf konzentrieren: Wie reagiert der Protagonist, die Heldin, der POV-Charakter, wie reagiert der Träumende auf den Traum? Welche Konsequenzen (Innensicht: Entscheidungen; Außensicht: Handlung) zieht er aus dem Traum, welche Gefühle (Innensicht) verbindet er mit ihm? Dann wird der eigentliche Inhalt, werden Wort- und Bildlaut des Traums nebensächlich.

Und dann dürfen Sie in der Traumsequenz so richtig vom Leder ziehen und die Naturgesetze, die Realität und selbst Metaphern einen guten Mann sein lassen. Viel Spaß dabei.

Schneller-Bestseller-Trick: Ihr Protagonist hat einen Traum. Er wacht auf, erinnert sich an nichts von dem Geträumten. Aber da ist ein Gefühl ... es ist stark, es begleitet ihn den ganzen Tag, beeinflusst seine Stimmung, seine Entscheidungen. Was ist das für ein Gefühl? Wie verändert es die nachfolgenden Szenen? Werden sie dadurch besser? Ja? Worauf warten Sie noch?

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