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Das perfekte Timing für Ihren Roman

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Garantierte Abhilfe bei peinlichen Beziehungsproblemen

Leiden auch Sie unter einem Problem, das den meisten Autoren nur allzu vertraut und vielen von ihnen peinlich ist? Ja, Sie ahnen es schon: Ich spreche vom frühzeitigen Informationserguss (FIG), einem Verwandten des Infodumps, aber auf keinen Fall mit ihm zu verwechseln.

Der frühzeitige Informationserguss tötet die Spannung, vergrätzt den Leser und führt bei Wiederholung zu einer ernsthaften Gefährdung der Beziehung zwischen ihm und dem Autor. Zum Glück gibt es Abhilfe. Und Sie müssen dafür nicht einmal zur Apotheke.

Wie äußert sich der FIG? Vor allem im Unvermögen, sich so lange mit einer Information zurückzuhalten, bis auch der Leser so weit ist und auf seine Kosten kommt. Das ist weniger eine Frage der erzählerischen Potenz als vielmehr eine der Dramaturgie.

Beispiel:

Die Heldin Ihres Romans, Eva-Maria, gelangt auf Seite 49 in den Besitz eines wertvollen USB-Sticks mit Geheimdaten über einen Plan der Bundesregierung, die alternativen Energien bloßzustellen, um die Energiewende zurückzunehmen. Sie brennt darauf, jemandem davon zu erzählen – wer aber vor allem darauf brennt, sind Sie, der Autor. Der Leser weiß lediglich, dass Eva-Maria den Stick hat, seinen Inhalt kennt er nicht. Er wüsste es schon gern. Ihm ist klar, dass es etwas Wichtiges sein muss. Auf Seite 56 schließlich halten Sie es nicht länger aus und lassen Eva-Maria gegenüber ihrem Boyfriend Julian ausplaudern, dass sie den Stick hat und was Brisantes darauf zu finden ist.

Ah, so ist das also! Interessant, aber die Spannung lässt nach.

Sie haben die Information zu früh vermittelt. Im Roman.

Aber auch in der Szene findet sich der FIG und richtet Unheil an: Er macht Ihren Roman schlechter.

Die Szene beginnt so:

»Julian, ich muss dir was erzählen.«

»Der Stick?«

»Ja. Infos der Regierung über die angebliche Ineffizienz von Windkraft. Ihre Daten – Fälschungen! – sollen belegen, dass die Studien Pro-Windenergie alle massiv geschönt sind.«

»Verbrecher!«

»Das kannst du laut sagen. Aber du solltest es nicht. Zu gefährlich.«

»Aber wir müssen etwas tun.«

Danach ergehen sich Julian und Eva-Maria seitenlang darüber, wie fies die Regierenden doch sind und dass sie zur nächsten Wahl aus Protest nicht wählen gehen werden.

Bissel schwach, diese Szene, finden Sie nicht?

Eva-Maria hätte Julian zumindest hinhalten müssen. Sie schläft zwar mit ihm, aber sie weiß nicht, ob sie ihm trauen darf. Er ist schließlich Mitglied einer der Regierungsparteien.

Julian hätte die Szene über versuchen müssen, Eva-Maria die Information zu entlocken. Und sie hätte sich zieren sollen. Erst am Ende wäre ihr, zermürbt und ausgetrickst von Julians raffinierten Fragen, die Information entwischt.

Und das ist nur eine Möglichkeit, dem Protagonisten den Zugang zu wichtigen Informationen zu erschweren.

Noch besser wäre es gewesen, wenn Eva-Maria erst dreißig Seiten später davon gesprochen hätte. Denn dann hätte sie den Leser lange genug hingehalten, um die Information genau in die Pressekonferenz der Kanzlerin hineinplatzen zu lassen, exakt im dramatischsten Moment. Eine großartige Szene. Die so leider nie geschrieben wurde.

Eine mögliche Abhilfe zeigt uns Julian Cronin indirekt in seinem (übrigens auch gut getimten) Roman »The Passage« (Ballantine 2010 / dt. »Der Übergang« / eigene Übersetzung):

Er erzählte Olson nichts von dem Bunker, sein Schweigen deutete darauf hin, dass der Ort, von wo sie kamen, gut mit Waffen ausgestattet war. Es wird der Moment kommen, dachte Peter, wenn er Olson die Wahrheit würde sagen müssen, oder zumindest das meiste davon. Aber der Moment war noch nicht da, und Olson schien die Ausflüchte in seiner Erklärung zu akzeptieren.

Versetzen Sie sich in folgende Situation: Sie als Autor oder Autorin sitzen in einem Verhörzimmer. Ihnen gegenüber sitzt Ihr Leser. Er stellt die Fragen. Er versucht, aus Ihnen herauszubekommen, was hinter der Story steckt, was passieren wird, er will ihre Geheimnisse lüften.

Sie aber sind gut. Sie halten dicht.

Obwohl Sie wissen, dass Sie irgendwann die Wahrheit werden sagen müssen, wissen Sie auch: Der Zeitpunkt ist noch nicht gekommen.

Sie sind raffiniert. Sie lügen. Sie erzählen Halbwahrheiten, geben falsche Hinweise, lenken die Aufmerksamkeit des Lesers in eine verkehrte Richtung, suchen Ausflüchte, tricksen mit fadenscheinigen Erklärungen. Und erst nach und nach, wenn Sie merken, dass Ihr Leser nervös wird und kurz davor ist, die Geduld zu verlieren und wütend aus dem Verhörzimmer zu stürzen, erst dann rücken Sie mit der Wahrheit heraus. Mit einem Stück davon, gerade genug, dass Ihr Leser sich wieder hinsetzt und Ihnen weitere Fragen stellt.

Die Abhilfe gegen den FIG ist gutes Timing, eines der anspruchsvollsten Werkzeuge des Roman-Autors. Wenn Sie einen überdurchschnittlichen Roman schreiben wollen, müssen Sie das Timing beherrschen: wann sie wie viel preisgeben.

Ein Richtig oder Falsch gibt es hier nicht. Das ist ähnlich wie beim Schalten im Auto. Der ideale Zeitpunkt, mit einer Information herauszurücken, hängt von vielen Faktoren ab. Sie müssen ein Gespür für die Situation entwickeln. Und das schaffen Sie durch analytisches Lesen von Meistern des Timings, häufig Thriller-Autoren, denn in keinem anderen Genre ist das Timing so entscheidend.

Das heißt nicht, dass Sie das Timing bei Ihrem Mainstream-Roman oder Ihrer Liebesgeschichte vernachlässigen dürfen. Bei Thrillern tritt es nur offener zutage und lässt sich entsprechend besser studieren.

Analysieren Sie den ein oder anderen guten Thriller, selbst wenn Sie das Genre sonst nicht so mögen. Lesen Sie amerikanische oder britische Thriller-Autoren. Die verstehen sich am besten darauf. Etwa Dennis Lehane, Michael Connelly, Peter Abrahams, Nicci French, John Hart, Harlan Coben, Michael Robotham.

Allein auf Ihren Instinkt müssen Sie sich jedoch nicht verlassen. Beim groben Timing, das den Roman als Ganzes betrifft, hilft Ihnen die Struktur des Plots. Beispielsweise das klassische Drei-Akte-Schema mit seinen Wendepunkten am Ende des ersten und am Ende des zweiten Akts.

Wenn Sie Ihren Roman in seiner Gesamtheit planen, ist es einfacher, den perfekten Zeitpunkt für die wichtigsten Enthüllungen, Überraschungen und Wendungen festzulegen, als auf gut Glück loszuschreiben. Zudem gibt die bewährte Struktur die optimalen Zeitpunkte für Wendungen vor.

Wenn es ums Feintuning des Timings geht, hilft eine Struktur ebenfalls. Dafür sollten Sie jede Ihrer Szenen wie eine eigene Geschichte mit eigener Dramaturgie betrachten. So ist der beste Zeitpunkt für eine wichtige Enthüllung zugleich der Höhepunkt der Szene. Eine kleinere Überraschung fühlt sich hingegen an einem Wendepunkt innerhalb der Szene gut aufgehoben.

Sie sehen, eine gute Planung ist auch dann von Vorteil, wenn Ihr Roman Elemente beinhaltet, die eines perfekten Timings bedürfen. Doch keine Sorge: Selbst wenn Sie zu denen gehören, die einfach drauflosschreiben, können Sie auch noch später, beim Überarbeiten, für gutes Timing sorgen. Auch wenn das heißen kann, Szenen umzustellen oder gar komplette Szenen zu verschieben. Diese Arbeit erspart Ihnen eine kluge Planung.

Achtung! Eine Sorte Informationen sollten Sie dem Leser früh, wenn nicht schnellstmöglich geben: Das sind die Informationen, die er bereits kennt, etwa vom Titel oder vom Klappentext. Ein Thriller namens »Atombombentod«, der auf Seite 100 als große Überraschung eine Atombombe in die Handlung einführt, hat ein Problem, genauer: Sie als sein Autor haben eins.

Was den Klappentext betrifft, stimmt es, dass Sie den beim Schreiben Ihres Romans noch nicht kennen. Selbst bei der letzten Fahnenkorrektur kann Ihnen der noch unbekannt sein. Dennoch können Sie sich mehr oder weniger gut ausmalen, was im Klappentext stehen wird. Etwa, wenn es in Ihrem Roman um eine Entführung geht und darum, dass sich die Entführte in den Entführer verliebt. Das Wort »Entführung« wird ganz sicher im Klappentext auftauchen. Für den Leser wird die Entführung also keine Überraschung mehr sein. Ergo sollten Sie keine Energie und Leserzeit darauf verschwenden, diese Entführung erst im zweiten Teil des Romans zu bringen und reichlich Hinweise zu streuen.

Schneller-Bestseller-Trick: Suchen Sie sich drei wichtige Enthüllungen oder Überraschungen in Ihrem Manuskript, die den ganzen Roman und nicht nur eine Szene betreffen. Schieben Sie jede davon eine Szene weiter. Sie zögern? Strafe für Ihr Zögern: Schieben Sie sie drei Szenen weiter.

Oder probieren Sie es einfach mal andersherum: Könnte der Roman mit einer wichtigen Enthüllung beginnen und damit den Leser gleich an den Haken nehmen, dem Helden sofort ein Problem servieren? Diese Enthüllung aber sollte auch dann funktionieren, wenn der Leser den Charakter noch nicht kennt, sprich: allgemeingültig sein.

Beispiel: Erste Szene. Sven kommt von der Arbeit nach Hause und findet in seinem Allerweltseinfamilienhaus seine Frau und seine beiden Kinder ausnahmsweise nicht vor – stattdessen einen Brief, in dem seine Frau ihm schreibt, dass sie ihn verlässt, dass sie bereits mit einem anderen Mann verheiratet ist und die beiden Kinder nicht von ihm, Sven, sind, sondern von ihrem ersten und dem Gesetz nach einzig richtigen Ehegatten. Damit diese Enthüllung wie eine Bombe einschlägt, dazu braucht es keiner großen Vorbereitung.

Fällt Ihnen etwas Vergleichbares für Ihren Roman ein?

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