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Sind Rückblenden gleich zu Beginn immer ein Fehler?
ОглавлениеDer meistgesuchte Mann Englands schläft mit der Frau seiner feuchten Träume
Sie wachte auf und konnte nicht fassen, was sie letzte Woche Unglaubliches erlebt hatte. Sie ging in die Küche und kochte sich Tee. Den heißen Pott in der Hand, setzte sie sich an den Tisch. Auf ihrem Gesicht erschien ein grimmiges Lächeln.
Hatte sie das alles wirklich erlebt? Hatte sie das alles wirklich getan? Das Mal auf ihrer Hand, die den Pott hielt, bewies ihr: Ja, das alles war geschehen.
Und nicht wieder gutzumachen.
Nie mehr.
Letzten Sonntag hatte alles ganz harmlos angefangen. Mit einem ungewöhnlich späten Klingeln an der Tür.
So viel, so gähn. Viele Romane fangen ähnlich an. Zu viele. Sie schicken den Leser, kaum hat er sich an die Erzählgegenwart gewöhnt, gleich wieder zurück in die aufregendere Vergangenheit. Warum den Roman nicht mit dem späten Klingeln letzten Sonntag beginnen lassen? Zudem der Leser dann auch nicht wüsste, ob die namenlose Sie die Geschichte überlebt hat, intakt genug überlebt hat, um friedlich in ihrer Wohnung aufzuwachen und sich Tee zu kochen.
Rückblenden, die sehr früh in einem Roman kommen, dienen in vielen Fällen dazu, den Leser mit einem rasanten Anfang über den drögen Beginn der eigentlichen Handlung hinwegzutragen. In zu vielen Fällen dient dieses Mittel keinem Zweck, außer dem, dem Autor selbst in seinen Roman hineinzuhelfen und ihm das Kopfzerbrechen über einen besseren Anfang zu ersparen. In den meisten Fällen finge der Roman besser zu Beginn der in die Rückblende geschobenen Handlung an.
Und lautet nicht eine der wichtigsten Regeln beim Schreiben eines Romans, nicht zu Beginn schon gleich in eine Rückblende einzusteigen?
Ach, Regeln.
Wenn Sie furios schreiben und den Leser mitreißen, reißen Sie damit auch sämtliche Regeln um. So wie Michael Robotham das in seinem Thriller »Bombproof« (Hachette 2008 / dt. »Bis du stirbst« / eigene Übersetzung) schafft. Der Roman beginnt mit einem kurzen Kapitel, treffend »A Very Bad Day« überschrieben. Das nächste Kapitel heißt dann schon »Three Days Ago«. Oder, sinngemäß und allgemein: »Wie der ganze Scheiß anfing«.
Das Buch beginnt so:
Manche Tage sind Diamanten. Manche Tage sind Steine. John Denver hat das immer gesungen, bevor er dann mit einem Flugzeug in die Bucht von Monterey stürzte. Es war kein Diamantentag für ihn.
Sami Macbeths Tag war nichts als Steine gewesen. Er kommt am Oxford Circus aus der U-Bahn, blinzelt ins Sonnenlicht und hustet so hart, dass es sich anfühlt, als käme sein Schließmuskel rauf durch seine Lungen auf der Suche nach frischer Luft. Seine Kleider sind zerrissen und blutig. Sein Gesicht ist mit Schweiß verschmiert. Seine Haut ist bedeckt von Staub.
Sami duckt sich unter einem Absperrband der Polizei hindurch, das an Verkehrsbaken aus Plastik hängt. Leute treten zur Seite und starren ihn an, als wäre er eine Art Geist.
Sechseinhalb Pfund TATP – die Mutter des Satans – haben gerade ein gähnendes Loch in einen vollgestopften Wagen der Central Line geblasen und dabei das Dach abgezogen wie ein Riese den Deckel einer großen Dose Pfirsiche.
Eine gewaltige Explosion in der Londoner U-Bahn. Ein Mann, der mit einem Rucksack unbekannten Inhalts aus dem Schacht klettert. Und wegrennt. Bald wird er verfolgt. Und kann den Polizisten entkommen, weil er behauptet, er hätte eine Bombe in seinem Rucksack. Das kurze Anfangskapitel endet sprachlich so furios, dass es den Leser in die Vergangenheit mitreißt. Rückblick? Na und? Ich will wissen, was passiert ist! Und was weiter mit Sami passiert. Dafür darf mich der Autor sogar bis zu Adam und Eva zurückschleifen. Wenn er das nur so überzeugend tut wie Michael Robotham.
Und so endet der Anfang des ersten Kapitels, vor dem Rückblick:
Eine Bombe. Er sagte ihnen, er hätte eine Bombe. Was für ein preisverdächtiger Schlamassel. Was für ein Witz! Sami hat nicht bloß Pech; er ist ein wandelnder Unglücksstein, ein Jona, eine Einmann-Abrisstruppe. Er ist Trouble mit einem großen T und das steht für Tod.
Drei Tage zuvor kam er aus dem Gefängnis und schwor sich, er würde nie wieder dorthin zurückgehen. Sechsunddreißig Stunden zuvor vögelte er Kate Tierney, die Frau seiner feuchten Träume in einer Suite des Savoy und dachte, das Leben würde endlich wieder seinen Kopf heben. Jetzt trägt er einen Rucksack durch das West End von London, der ihn für den Rest seines Lebens zurück ins Gefängnis schicken könnte, und hat sich selbst zum meistgesuchten Mann Großbritanniens gemacht.
Und so ist die Sache abgelaufen.
Noch mal: Es ist nicht der Inhalt, der den Leser hier in die Rückblende trägt – besser: schleudert –, auch wenn er seine Rolle dabei spielt. Für das Funktionieren von Robothams Rückblende sorgt etwas anderes: Die Story ist, im Gegensatz zu der in dem Tee-am-Küchentisch-Beispiel oben, noch nicht vorbei. Vielmehr folgt die Rückblende einer spannenden und noch offenen Situation. Mehr als alles aber ist es die packende Sprache, perfekt für einen Thriller, die die Rückblende hier ermöglicht und funktionieren lässt.
Es reicht nicht, wenn Sie dem Leser irgendeine vertrackte Situation vorsetzen und dann glauben, dies allein genüge. Vor allem anderen kommt es auf die Umsetzung an: Wie Sie mit Sprache umgehen und ob Ihre Erzählstimme den Leser packt.
Werden Sie Erzähler mit großem E. Das E steht für Energie, für Einfälle, für Elektrisierung des Lesers.
Schneller-Bestseller-Trick: Sie verspüren den Drang, gleich zu Anfang Ihres Romans eine ausführliche Rückblende zu schreiben? Geben Sie ihm nach. Erklären Sie darin dem Leser das Wichtigste. Machen Sie die Rückblende spannend, voller Konflikt, dramatisch. So gut eben, wie ein Anfang sein muss.
Dann löschen Sie die Rückblende. Tun Sie’s. Mit der Energie und dem aufgefrischten Wissen noch in Fingern und Hinterkopf schreiben Sie die richtige Eingangsszene. Lassen Sie später nach und nach die dramatischsten Stellen der Rückblende in die Gegenwartshandlung einfließen – ohne dadurch das Tempo (zu stark) zu drosseln.