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Über die Bedeutung von Entscheidungen im Roman

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»Ich werde den Ring nehmen, obwohl ich den Weg nicht weiß«

Worin unterscheiden sich Held und Gegenspieler? In ihren Taten. Diese aber sind nur die Symptome, der Ausdruck von etwas anderem: Taten sind umgesetzte Entscheidungen. Der wesentliche Unterschied zwischen Protagonist und Antagonist liegt darin, wie sie sich in den Schlüsselsituationen der Geschichte entscheiden. Der Held wählt das Gute (sofern er kein tragischer Held ist), sein Gegenspieler entscheidet sich für das Böse.

In den besseren Romanen verwischen die Unterschiede zwischen Gut und Böse – und damit werden auch die Entscheidungen von Held und Gegenspieler schwieriger und für den Leser spannender.

Behalten Sie im Hinterkopf, dass der Leser diese Entscheidung auch für sich selbst treffen soll: Wie würde er anstelle der Romanfigur handeln? Je stärker seine Identifikation mit der Figur ist, desto mehr wird er sich den Kopf über die Entscheidung zerbrechen: War sie richtig? War sie unumgänglich? Kam sie zur richtigen Zeit? Was sind die Konsequenzen? Wie wirkt sie sich auf andere wichtige Figuren aus? Wie auf das Romanziel?

Die wichtigsten Entscheidungen fallen in den großen Wendepunkten des Romans – und zwar dort, wo sich der Held in eine neue Richtung entwickelt. Eine zentrale Stelle ist die, an der der Held sich endgültig entscheidet, die Herausforderung anzunehmen: der erste Wendepunkt in der Drei-Akte-Struktur. Die Wendepunkte im Plot, in der Handlung liegen meist dicht bei den Wendepunkten im Charakter(bogen) oder decken sich sogar mit ihnen.

Je stärker ein Roman auf seine Charaktere fokussiert, desto zentraler sind die Entscheidungen, die diese treffen müssen. Ja: müssen. Ein gelungener Plot erzwingt schwierige Entscheidungen, selbst und gerade dann, wenn der Held in einem Dilemma gefangen ist.

In einem eher charaktergetriebenen Roman liegen die Entscheidungen in den Charakteren und vertiefen diese zugleich. In einem stärker vom Plot bestimmten Roman sind es eher die Handlungen, die eine zentrale Rolle in der Geschichte einnehmen. In einem besseren Roman mit Bestseller-Potenzial aber hält sich beides die Waage.

Das, was Entscheidungen interessanter macht als die reine Action, sind die Gefühle, die bei den Entscheidungen mitschwingen. Große Entscheidungen gehen meist mit großen Gefühlen einher. Sprich: Ein Held, der eine essenzielle Lebensentscheidung trifft, tut das in aller Regel nicht emotionslos. Manchmal aber verlangt es der Charakter, keine Gefühle zu offenbaren oder tatsächlich kühl zu bleiben. Dann sollte zumindest der Leser be- oder gerührt werden.

In Tolkiens »Der Herr der Ringe« (Klett-Cotta, Ausgabe von 1998) sind die Entscheidung des Helden und die Tat im ersten Wendepunkt deckungsgleich. In Bruchtal, wo der Ringträger ausgewählt werden soll, sagt der Hobbit Frodo den entscheidenden Satz:

»Ich werde den Ring nehmen, obwohl ich den Weg nicht weiß.«

Der Wendepunkt im Innern Frodos, die Entscheidung, die er selbst für sich getroffen hat, wird von Tolkien nicht gezeigt. Sein Roman konzentriert sich stärker auf die (äußere) Handlung. Die Überraschung, als Frodo mit dem Satz herausplatzt, ist daher umso größer – für die anderen Charaktere, aber auch für den Leser.

Dennoch ist die Entscheidung glaubhaft, hat Tolkien doch viele Seiten auf diesen Moment hingearbeitet und Frodo entsprechend aufgestellt. Ganz wichtig: Der Augenblick, in dem Frodo den entscheidenden (sic!) Satz sagt, ist gefühlsintensiv – und das vermittelt sich auch dem Leser.

Sie vertiefen Ihre Charaktere – gerade auch die Schurken, die Gegenspieler –, wenn Sie solche Entscheidungen zeigen, etwa mittels innerer Monologe. Und zwar nicht nur ein »Ich werde es tun« oder »Ich werde es nicht tun«, sondern den Prozess, der zu dieser Entscheidung führt.

Eine Sekunde lang, nur eine, dachte er es. Es strich über ihn wie ein Flügel: der Wunsch, dass er eine andere Art Mensch wäre, dass der Blick in das Auge des Kindes ihm etwas bedeuten würde.

Hier erleben wir den Gedankengang eines der von einem Virus verwandelten Monster in Justin Cronins »The Passage« (Ballantine 2010 / dt. »Der Übergang« / eigene Übersetzung). Wir sehen den Rest von etwas Gutem in ihm, erleben kurz die Hoffnung mit, er möge sich doch noch zurückverändern zu der Person, die er einmal war, und die richtige Entscheidung treffen: die zum Guten hin.

Das Monster erhält eine menschliche Seite, wird vertieft, wird interessanter und trägt den Keim in sich, den Leser zu überraschen: Steckt womöglich noch genug Menschliches in ihm, etwas Gutes zu tun?

Wir wollen es herausfinden. Wir lesen. Wir werden umblättern, auch wenn wir den Weg nicht wissen.

Schneller-Bestseller-Trick: Sehen Sie sich die Szene an, an der Sie gerade arbeiten. Enthält sie eine Entscheidung, die den Roman als Ganzes betrifft und die Geschichte voranbringt? Eine Entscheidung, die der Geschichte eine neue Wendung gibt? Nein? Bauen Sie eine ein. Und dann verfolgen und verschärfen Sie ihre Konsequenzen.

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