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MILCH-FRUCHT UND FLIESSGESCHEHEN – DIE BAMBUSTEXTE AUS MAWANGDUI

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1973 werden in der chinesischen Provinz Hunan drei Grabstätten aus vorchristlicher Zeit entdeckt. Die luxuriösen Gräber der Familie Li enthalten Seidenkleider, Musikinstrumente, Kosmetika, Esskörbe, Lackgeschirr – und eine Bibliothek. Unter den 20 erhaltenen Texten sind heilkundliche Schriften und zwei über Sex. Die auf Bambusplättchen gepinselten Handschriften sind die ältesten erhaltenen chinesischen Zeugnisse, die den »weiblichen leib mit einer solchen ausführlichkeit zum thema machen«51. Die anonymen Autoren, zu denen vielleicht auch Frauen gehörten, beschreiben verdichtet und zärtlich Positionen, Bewegungen, Geräusche und Flüssigkeiten. Auch die weibliche Ejakulation ist Thema der Texte, die damit zu den frühesten heute bekannten Darstellungen der weiblichen Ejakulation gehören.

Der erste Text diskussion der optimalen methode unter den himmeln besteht aus 56 Bambusplättchen, der zweite, über das vereinen von yīn und yáng, ist mit 32 Schreibplättchen etwas kürzer.52 Beide erzählen vom Sex als Fest der Körper. Woran der Mann die Erregung seiner Liebhaberin ablesen kann und was dann zu tun ist, wird en détail erläutert:

»das fliessgeschehen steigt auf, ihr gesicht erhitzt sich:

gemächliches sich anhauchen.

die brustnippelchen härten sich, ihre nase schwitzt:

gemächliches umarmen.

die zunge wird wässrig und schlüpfrig:

gemächliches näherrücken.

die säfte senken sich, ihre schenkel befeuchten sich:

gemächliches betasten.

die kehle trocknet, sie schluckt speichel:

gemächliches anregen.

diese werden die fünf nachweise genannt.

diese werden die fünf begehren genannt.

besteigt sie erst, sind die nachweise komplett!«53

Die Vulva und die Vagina werden ähnlich präzise beschrieben wie die »fünf Nachweise«, die der Penetration vorangehen sollen. diskussion der optimalen methode unter den himmeln listet allein zwölf Stellen der weiblichen Genitalanatomie auf, die heute größtenteils nicht mehr zugeordnet werden können. Wer errät, was unter Haarnadel-Glanz, Wulst-Marke, Kürbis, Assel oder Mäusin, Korn-Frucht oder Milch-Frucht, Weizen-Zähnen, Gegen-Lauf oder Wider-Lauf, Trage-Stelle oder Traglast-Verengung, Rotes Fetzenkleid, Rote Öffnung, Stein oder Bollen-Stein zu verstehen ist?54 Gemeint sind u. a. Klitorisperle, innere und äußere Vulvalippen55, Fourchette (die Stelle, an der die inneren Vulvalippen unten zusammentreffen), Muttermund und Hymenalsaum. Beide Texte beschreiben die erotische Annäherung, das »Behauchen«, Küssen, Berühren, Betasten und »Anregen«, die Zeichen und Töne weiblicher Erregung – keuchen, jammern, stöhnen – ihre Bewegungen beim Sex und die vaginale Penetration in all ihren Variationen. Über den weiblichen Höhepunkt heißt es: »nachweise für das ›grosse finale‹:

nasen-schweiss, lippen-blässe,

hände und füsse stellen sich auf,

das gesäss haftet nicht mehr auf der matte,

[sondern] steigt empor und verlässt sie!

ein reifen und absterben, ein ausbilden und entfalten der blüte.

gerade zu diesem zeitpunkt

dehnt sich am mittleren pol das fliessgeschehen aus,

dringt sämigfeiner geist in die speicher,

nunmehr entsteht geistige erhellung.«56

Das weibliche Ejakulat, hier das Fließgeschehen am mittleren Pol, seine Konsistenz und Farbe, sein Geruch und sein Geschmack, werden genau beschrieben. Es ist »rein und frisch«, grützeartig, cremig, sämig oder zähflüssig, es riecht nach Fischen oder Getreide und schmeckt »brackig«.57 Kurioserweise begegnet uns in den Texten aus Mawangdui und in weiteren altchinesischen Texten eine erogene Zone, die im 20. Jahrhundert zu den umstrittensten Quadratzentimetern weiblicher Anatomie zählen wird: Die Gräfenberg-Fläche, der legendäre »G-Spot«. Zur Darstellung und Bezeichnung dieses Bereichs in der Vagina wählen die chinesischen Autoren die kugelförmigen, orangeroten Blütenstände des Papiermaulbeerbaums (Broussonetia papyrifera). Rudolf Pfister erklärt:

»Mit der ›Milch-Frucht‹, jenem orangeroten Ball, der aus zahlreichen von einer fleischigen Hülle umgebenen Nussfrüchten gebildet wird, wählte man eine überaus treffende florale Vergleichsform. Auf Fotografien der oberen Vaginalwand zeigen sich feine Fleisch-Ausstülpungen, die sich bei Erregung vergrössern und dabei eine dunklere Farbe annehmen. Diese werden mit Himbeeren (Rubus idaeus) verglichen, eine weitere häufig zu findende Form hingegen sei eher knopfartig. Der reife Fruchtstand des Papiermaulbeerbaumes weist dieselbe Gliederungsart und Saftigkeit wie die Himbeere auf, beide haben eine kräftige rote Färbung: Genau diese Merkmale sind es, die sprachlich auf die Gräfenberg-Fläche übertragen wurden.«58 Das Bild der anschwellenden, spritzenden Milch-Frucht wird auch in chinesischen Texten verwendet, die deutlich jünger sind als die Bambustexte aus Mawangdui. Im mittelalterlichen Meister des Grotten-Dunkels (Dong Xuan Zi) stimuliert der Mann seine Partnerin »bis zum Beben« und bearbeitet »mit der Yáng-Spitze ihre Milch-Frucht«.59 Der spätkaiserliche Text Wundersame Abhandlung der Blanken Frau (Su Nü Miao Lun) veranschaulicht, wie »ihr roter Ball« gereizt wird: »Lasst die weibliche Person den linken Oberschenkel gerade und locker gestreckt halten, während sie den [rechten; S. H.] Oberschenkel beugt. Der Mann kauere hinter sie und egge die Jade [Vagina] nach Belieben; er klopfe ihre rote Perle und vollziehe das Verfahren siebenmal tief und achtmal flach. Hat sich ihr roter Ball (…) stark vergrößert, bewegt er sich flink und spritzt (…).« Der Mann nimmt das Ejakulat dann mit seinem Penis auf: »Die Methode ähnelt der Gold-Zikade, die sich an einen Baum klammert und Tau einsaugt; während des reinen Zirpens hält sie ihn im Mund gespeichert und spuckt ihn nicht mehr aus.«60

Nicht nur Darstellungen der G-Fläche, auch Beschreibungen der weiblichen Sexflüssigkeiten ziehen sich wie ein roter Faden von den altchinesischen Handbüchern bis zu jüngeren Handbüchern der Erotik. Diese Texte dokumentieren weibliche Ergüsse mit großer Selbstverständlichkeit. Ein Handbuch aus der Sui-Dynastie (618–907 n. u. Z.) erklärt, wie Sex als Pingpong-Spiel von Aktion und Reaktion richtig gespielt wird und Feuchtes sich in Nasses wandelt: Wird ihre Vagina feucht, kann er seine Partnerin langsam tiefer penetrieren. Tropft ihr Ejakulat die Hinterbacken entlang, weiß er, dass sie seine Liebeskunst genießt.61 Auch das Hsiu-chen-yen-i, ein am Ende der Ming-Dynastie (1368–1644) populärer Text, schildert die gesundheitlichen Vorzüge der weiblichen Flüssigkeiten ausführlich. Hier sind es drei: Speichel, eine Flüssigkeit der Brüste und vaginale Sekretionen. Beim Sex soll der Mann diese »großartige Medizin der drei Hügel« trinken. Die Säfte stärken seine Sinne, vervielfachen die Lebenskraft und erneuern sein Blut. Die Medizin des unteren Hügels, der Vulva, komme aus dem Inneren der Vagina. Wenn die Frau erregt ist und sich ihre Wangen röten, öffnet sich das Tor in der Vagina und ihre Säfte fließen. Sammeln sich ihre Säfte im Innern der Vagina, nimmt der Mann die Medizin dort mit seinem Penis auf.62

Auch jenseits des Diskurses der Aufklärungs- und Sexhandbücher wird die ejakulierende Frau beschrieben. Ihr Saft ist nicht nur Nahrung und Medizin, er ist klares Indiz ihrer Lust und Entspannung. Was und wie erzählen literarische, erotische Texte von Milchfrucht, Jadewasser und Melonensaft?

Spritzen. Geschichte der weiblichen Ejakulation

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