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IM ANFANG WAR DAS WORT

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Benennungen sind unerlässlich, um das, worüber gesprochen wird, zu identifizieren, sich darüber auszutauschen und um »das Bewußtsein für die einzelnen, unterschiedlichen Teile zu schärfen«.27 Ejakulation kommt von eiaculari, lateinisch für »auswerfen«, »herausschleudern«, und bezeichnet das Ausstoßen von Flüssigkeit, oft, aber nicht immer, während des Orgasmus. Obwohl der Anteil an Spermien im männlichen Ejakulat weniger als ein Prozent am Gesamtvolumen beträgt und der Begriff »Ejakulation« auch beim samenlosen Ejakulat (zum Beispiel beim präpubertären Jungen) verwendet wird, wird er umgangssprachlich mit »Samenerguss« gleichgesetzt und das Ejakulat auch als »Sperma« bezeichnet. Aber ejakulieren nicht auch sterilisierte Männer? Niemand würde »auf die Idee kommen, einem Mann, dessen Samenleiter durchtrennt sind, die Ejakulation abzusprechen«.28 Die Orgasmen von Mann und Frau entsprechen einander in fast jedem physiologischen Detail. Was spricht also dagegen, die homologen Vorgänge bei beiden als Ejakulation zu bezeichnen? Verwendet man den Begriff der »Ejakulation« im Sinne einer »Entleerung der Sexualstoffe«, lässt er sich sowohl auf Männer als auch auf Frauen anwenden.

Folgt man historischen Quellen zur Ejakulation der Frau, stößt man auf das Problem der Übersetzung. Nur selten kannten und kennen die Übersetzer_innen die weibliche Ejakulation. Vorgänge und Flüssigkeiten, die wir heute als Ejakulation und Ejakulat verstehen, verschwinden bei der Übertragung aus dem Originaltext. So wird lustvolles Spritzen zu »vaginaler Flüssigkeit«, »vaginaler Lubrikation«, »Ausfluss«, »Gonorrhoe«, »Leukorrhoe«, »Schleim« oder »Saft«. Und »was nicht benannt ist, wird mit der Zeit auch nicht mehr wahrgenommen und erlebt«, schreibt Sabine zur Nieden in ihrer Untersuchung zur weiblichen Ejakulation, die den schönen Untertitel »Variationen zu einem uralten Streit der Geschlechter« trägt. (Allerdings gibt es unter den Ejakulations-Skeptiker_innen auch Frauen, dazu später mehr …).

Einige wenige Wissenschaftler_innen haben alte erotische oder sexualwissenschaftliche Texte mit dem Wissen um weibliche Prostata und weibliche Ejakulation übersetzt. So zum Beispiel der Sinologe Rudolf Pfister, die Indologin Renate Syed oder der Mediziner Karl F. Stifter. Wie kann die weibliche Ejakulation in den Flüssigkeitsbeschreibungen alter Texte »identifiziert« werden, wenn die Terminologie nicht eindeutig ist? Um die weibliche Ejakulation von anderen sexuellen Flüssigkeiten unterscheiden zu können, sollte sie mindestens eine der folgenden Eigenschaften haben: Die Flüssigkeit tritt beim Sex aus Harnröhre oder Vulva aus, ist aber kein Urin,29 der Erguss tritt kurz vor, nach oder parallel zum Höhepunkt aus und wird von einem intensiven Lusterlebnis begleitet, die Flüssigkeit unterscheidet sich quantitativ deutlich von »normaler« Scheidenflüssigkeit, sie ergießt sich schneller, spritzender oder mit mehr Druck als die vaginale Lubrikation.

Die in der Literatur angegebene Zahl der Frauen, die beim Sex ejakulieren, schwankt erheblich und liegt zwischen 10 und den bereits erwähnten 69 Prozent.30 Bei einer Umfrage unter 5000 Nutzerinnen des Erotik- und Datingportals JOYclub geben knapp 70 Prozent der befragten Frauen an, schon einmal »gesquirtet«, gespritzt zu haben.31 Trotz dieser hohen Zahl ist es wahrscheinlich, dass viele Frauen nicht wissen, dass sie ejakulieren. Sie halten jede ihrer Sexualflüssigkeiten für Vaginalflüssigkeit und für größere Flecken im Bett ist der Mann »verantwortlich«. Ist sie doch ganz sicher, beim Sex Flüssigkeit verspritzt zu haben, muss es – meinen viele peinlich berührt – Urin sein. Auch dazu später mehr.

Details der urogenitalen Anatomie unterscheiden sich oft deutlich von Frau zu Frau. Auch die weibliche Ejakulation und Prostata überraschen mit beeindruckender Varianz und Vielfalt. Es variieren nicht nur Größe, Form und Lage der Prostata, auch das Ejakulat ist mal so, mal so: durchsichtig oder milchig, dünnflüssig oder cremig, mal werden Teelöffelmengen beschrieben, mal ein halber Liter aufgefangen und auch Duft und Geschmack verändern sich. Manche Frauen erkennen und beschreiben, wie Zyklus, Ernährung und Stress die Menge und Beschaffenheit ihres Ejakulats beeinflussen. Jüngere Studien erklären die große Variabilität damit, dass beim weiblichen Spritzen zwei unterschiedliche Säfte parallel oder kurz nacheinander ausgestoßen werden: das weißliche, dickflüssige Prostatasekret und eine zweite, klare und wässrige Flüssigkeit, die aus der Blase stamme, aber kein Urin sei. Da sich die Flüssigkeiten deutlich unterscheiden, solle im ersten Fall von »weiblicher Ejakulation«, beim zweiten von »Squirting« gesprochen werden, empfehlen beispielsweise Alberto Rubio-Casillas und Emmanuele A. Jannini.32

Wo Frauen sich stimulieren oder stimuliert werden, ist für die Ejakulation unerheblich. Sie ejakulieren bei vaginaler Stimulation, Stimulation der Klitorisperle oder beim Analverkehr.33 Auch Frauen haben »feuchte Träume«. 13 von 320 Befragten haben, so eine 2013 publizierte Studie,34 schon eine Ejakulation im Schlaf erlebt. Die Femmes-Fontaines und ihre Partner_innen stehen der Ejakulation ganz klar positiv gegenüber. »Weibliche Ejakulation ist im Paarbetrieb ein Feieranlass für jeden Mann. Als konkretes Zeugnis weiblicher Lust und Hingabe zeigt es an, dass Mann irgendetwas richtig gemacht haben muss. High Five!«,35 schreibt ein glücklich Betroffener im Online-Forum JOYclub.

Trotzdem: Bald 40 Jahre nachdem die feministische Frauengesundheitsbewegung und der US-amerikanische Weltbestseller Der G-punkt. Das stärkste erotische Zentrum der Frauen die weibliche Ejakulation popularisiert und ins Bewusstsein Vieler gerückt haben, enden noch immer etliche Forschungsarbeiten zum Thema mit dem eindringlichen Appell, weiter zu forschen. Was in den letzten Jahrtausenden über die weibliche Ejakulation gewusst, geschrieben und gedichtet wurde, zeigt dieses Buch. Rollen wir den roten Teppich aus für nasse Betten, weibliche Säfte, feuchte Orgasmen und die Femmes-Fontaines.

Spritzen. Geschichte der weiblichen Ejakulation

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