Читать книгу Spritzen. Geschichte der weiblichen Ejakulation - Stephanie Haerdle - Страница 14
FLÜSSE UND ERGÜSSE – WEIBLICHE FLÜSSIGKEITEN IN DEN KAMASHASTRA-HANDBÜCHERN
ОглавлениеDie Texte kennen zwei genitale Sexualflüssigkeiten der Frau: Das Feuchtwerden (syandana), also die vaginale Lubrikation ab Beginn der Erregung, und den schwallartigen Erguss zum Höhepunkt (viṣrsṭi).76 Die Flüssigkeit, die Frauen beim Erguss verspritzen, wird als retas oder śukra, Samen, bezeichnet,77 das Wort, das auch für das männliche Ejakulat verwendet wird. Yaśodhara schildert diese Flüssigkeiten in seinem berühmten Kommentar zum Kāmasūtra und differenziert deutlich: »Beim Stillen des Juckens (der Erregung der Frau) und beim Fließen ist die Lust/der Orgasmus (sukha) der Frauen zweifach. Das Fließen (kṣaraṇa) ist zweifach: (Es gibt) das Feuchtwerden (syandana) und den Erguß des Samens (viṣrsṭiś ca ś krasya). Die Nässe (klinnatā) kommt allein vom Feuchtwerden (syandana), die Lust/der Orgasmus (sukha) durch die Erschütterung des Ergusses (viṣrsṭi). Am Ende aber hat (die Frau) durch wilde Bewegung/durch heftiges Hervorsprudeln (vega) einen Erguß (viṣrsṭi) wie ein Mann.«78
Kokkoka, altindischer Gelehrter und Dichter, hat einen der bedeutendsten mittelalterlichen Texte über die Liebeskunst geschrieben. Im Ratirahasya, verfasst vermutlich im 11. oder 12. Jahrhundert, differenziert auch er zwischen zwei Flüssigkeiten: »Infolge der Beseitigung des Kitzels durch die feurigen Stöße mit dem Penis und danach infolge des Ausströmens (des kāmasalila) empfinden sie (die Frauen) die Wonne der viṣrsṭi, die ihrem Wesen nach ein Fließen ist. Von Anfang an ist dies Fließen mit Unbehagen verbunden und gewährt nur geringen Genuß; am Ende aber haben sie, wie die Männer, infolge der Ergießung eine Wonneempfindung bis zur Ohnmacht. Einen Augenblick schreit die Frau, weint, wirft sich hin und her und ist ganz verwirrt; darauf wird sie kraftlos und schließt die Augen.«79
Die Kamashastra-Texte unterscheiden und klassifizieren Frauen nicht nur nach dem Aussehen, der inneren Beschaffenheit und dem Duft ihres Geschlechts, sondern auch nach ihren genitalen Säften. Noch einmal Kokkokas Ratirahasya: Die mṛgī (Gazellenfrau) hat ein »wie Blumen duftendes Wollustsekret«, die vāḏāvā (Stutenfrau) hat nicht nur starke, längliche Ohren, »üppige, pralle Brüstekrüge«, ein unbeständiges Herz, sondern auch einen »zu Anfang und zuletzt überreichen Samenstoff, [ein; S. H.] Wollustsekret, wohlriechend wie Sesambrei und gelblich«. Die hastinī (Elefantenfrau) ist an ihrer Stimme zu erkennen, tief wie die eines Elefanten, an ihren starken, dunklen Haaren und ihrem »reichlichen Liebeswasser«. Ihre Liebesflüssigkeit duftet »wie der Brunstsaft der Elefanten«, während die Klitoris der padminī (Lotusfrau) »von der Gestalt einer Menge aufgeblühter Lotusse« ist und ihre »Wollustflüssigkeit« an »blühenden Lotus«80 erinnert. Auch Frauen aus unterschiedlichen Regionen Indiens riechen und fließen anders. Frauen aus Dravida werden »nur ganz langsam feucht, wenn sie von der Annäherung an gerieben« werden und lassen »nur ganz wenig Flüssigkeit und ohne die Wonne wollüstiger Ohnmacht zu empfinden, entströmen, da sie keine Geilheit besitzen.«81 Einer der wichtigsten spätmittelalterlichen indischen Texte über Sex ist ein Auftragswerk. Der Dichter Kalyanamalla wird von einem nordindischen islamischen Herrscher beauftragt, einen Beziehungs- und Sexratgeber für Ehemänner zu schreiben und darzustellen, dass auch eine monogame Ehe sexuell erfüllend sein kann. Im Ananga Ranga, 1885 von Richard Francis Burton ins Englische übersetzt, erklärt Kalyanamalla, wie eine Frau befriedigt werden müsse, denn nur das sexuelle Glück beider führe zu einer harmonischen Ehe. Kalyanamalla gibt detaillierte Anleitungen zum Vorspiel und stellt eine Reihe von Sexstellungen vor. Auch er entwirft eine Typologie der Frau (und eine des Mannes). Die vier Frauentypen – padminī (die zarte Lotusfrau), citriṇī (die kokette Frau der Künste), die cholerische śaṇkhinī und hastinī, die Elefantenfrau – unterscheiden sich aufgrund ihres Temperaments, ihres Verhaltens, ihrer Haut, ihrer Augen, ihrer Stimme und zahlreicher weiterer physischer Details und Eigenschaften. Auch das Aussehen der yoni, des weiblichen Genitales, und die Beschaffenheit des Liebessaftes werden in die Typologie aufgenommen. Kama salila, das hier für die weiblichen Säfte verwendete Sanskrit-Wort, entspricht dem für das männliche Ejakulat (nicht dem für den männlichen Samen).82 Die yoni der schönen citriṇī ist eine »inwendig weiche, geöffnete, runde und stets an Wollustwasser reiche Wohnung des Liebesgottes«, ihr Liebeswasser duftet nach Honig.83 Das Ejakulat der großen, kleinbrüstigen śaṇkhinī riecht hingegen »scharf«. Die yoni der hastinī ist »derb, rothaarig, grausam«, ihr Ejakulat »ein stark nach Elefantenbrunstsaft riechendes Wollustsekret«.84 Auch das Ananga Ranga beschreibt die orgiastische Ejakulation: »Wenn sich am Ende des Liebesaktes (ratante) das Wasser des Liebesgottes ergießt, führt die Frau einen Tanz auf, der von Preisungen und von Weinen begleitet ist, und ihre schönen Augen zu Knospen schließend, gibt sie sich der Erschöpfung hin und kann, überaus glücklich, nichts mehr ertragen.«85 Anders als in China ist der Erguss (viṣrsṭi) für beide, also auch für den Mann, Teil des Orgasmus (sukha). Männer sollen kommen und sie dürfen ejakulieren. Frauen schätzen beim Sex Zeit und Langsamkeit und ihre Lust potenziert sich durch kunstfertiges Liebesspiel. Deshalb bringen erfahrene Liebhaber ihre Partnerin zum Orgasmus und zur Ejakulation, bevor sie selber kommen.
Richard Schmidt (1866–1939) ist Indologe und Übersetzer. 1900 überträgt er das Kāmasūtra ins Deutsche. Mit Beiträge zur indischen Erotik (1902) stellt er dem interessierten Publikum das »Liebesleben des Sanskritvolkes« vor, so der Untertitel des vielfach aufgelegten Buches. Der langjährige Privatdozent für Indologie an der Universität Halle und Professor für Indologie an der Universität Münster macht zahlreiche Sanskrit-Quellen zugänglich, insbesondere aber Texte der Erotologie (Kamashastra). Er übersetzt, ordnet und zitiert auch Rezepturen und magische Praktiken. Die von Schmidt zusammengestellten »Geheimlehren« (upanisad) enthalten Mittel gegen schlechten Atem und Pickel, Tipps zum Zurückhalten der männlichen Ejakulation oder Hilfestellungen zum Überwinden weiblicher Orgasmusprobleme. Um die Geliebte zum »Fließen« zu bringen, helfe beispielsweise eine Mischung aus Tamarindenrinde und Bienenhonig, die sich die Frau in die Vagina einführt. Die Frau erlange so »das Fließen des Samens noch früher« als ihr Partner. Reibt der Mann seinen Penis mit Mahesa-Samen, Borax, Honig und Kampfer ein, verursache dies »bei den Schönen schnell Samenergießung«.86