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WOLLUSTSAFT UND LIEBESWASSER – DIE WEIBLICHE EJAKULATION IN ALTINDISCHEN TEXTEN

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In enger Umarmung waren ihre Brüste zusammengepreßt, ein Schauer erfasste ihren Körper, sanfter Liebessaft überströmte reichlich das Gewand. 67

Amaru oder Amaruka

Auch in Indien kennt man die weibliche Ejakulation und beschreibt sie in zahlreichen Texten als einen wesentlichen Aspekt weiblicher Lust. Im Sanskrit gibt es ein Wort, das sowohl das männliche als auch das weibliche Ejakulat bezeichnet: śukra.68 Der eingangs zitierte Text des indischen Dichters Amaru (oder Amaruka) wird auf das 7. Jahrhundert n. u. Z. datiert und gilt als der älteste erhaltene literarische Beleg zur weiblichen Ejakulation in der altindischen Literatur. Wie in China sind auch in Indien Lust und Erotik zentral. Im Hinduismus sind drei Lebensziele wichtig: Artha, materieller Wohlstand und Erfolg, Kama, weltlicher Genuss, Lust und Sexualität, sowie Dharma, Gesetz, Recht, Sitte und ethische Verpflichtungen.69 Dem Kama widmet man sich theoretisch – durch die Lektüre liebeskundlicher Texte – und praktisch – man hat Sex. Zur Vermittlung des umfassenden Wissens rund um die körperliche Liebe entsteht die Kamashastra-Literatur. Das berühmteste dieser Liebeslehrbücher ist das Kāmasūtra von Mallanaga Vātsyāyana. Auch wenn ausgerechnet Vātsyāyana im legendären Kāmasūtra die weibliche Ejakulation oder den weiblichen Samen nicht eindeutig beschreibt, sind diese in späteren Werken der altindischen Sexualwissenschaft doch allgegenwärtig. Weibliche Ergüsse gehören zur weiblichen Lust. Sie bringen Frauen an den Rand der Ohnmacht, sie haben Zeugungskraft und sind, im Falle der tantrischen Göttin Kubjika, der Stoff, aus dem nicht weniger als das Universum entsteht.

Die von altindischen und mittelalterlichen Autoren verfassten Kamashastra-Werke sind Kompendien der körperlichen Liebe. Wie in China ist Sex auch in Indien nicht blinde, selbstvergessene Leidenschaft, sondern körperliche und spirituelle Praxis, die präzise untersucht, systematisiert, vermittelt und umgesetzt wird. Liebeshandbücher wie das Kāmasūtra sind ausführliche Zusammenstellungen dieser Techniken, die auch späteren Autor_innen wie den Tantriker_innen als Vorlage und Inspiration dienen. Mit dem Kāmasūtra des Vātsyāyana, nachfolgenden Kommentaren und Erweiterungen dieses Textes und weiteren Liebeshandbüchern entsteht eine Literatur, die Erotik und Sex, Zärtlichkeit und Beischlaf feiert und deren Autoren frühe »Bannerträger der sexuellen Lust«70 sind. Die Kamashastra-Literatur zeigt und lehrt, dass Lust kultiviert werden muss, »dass im Reich des Sex die Natur der Kultur bedarf«71. Die detaillierte Beschreibung sexueller Techniken möchte die Leser_innen mit dem Körper des anderen vertraut machen und die Intimität zwischen den Liebenden steigern.

Mallanaga Vātsyāyana schreibt das Kāmasūtra zwischen dem 3. und 6. Jahrhundert n. u. Z.,72 der Dichter Yaśodhara verfasst im 13. Jahrhundert den berühmtesten Kommentar dazu, das Jayamaṅgalā. Darin erklärt Yaśodhara gleich zu Beginn: »Da die Liebe in der fleischlichen Vereinigung von Mann und Frau besteht, verlangt sie Regeln, und diese lernt man aus dem Kāmasūtra73 Anders als die medizinischen Texte der Zeit, erörtern die Kamashastra-Texte Sex im Hinblick auf Genuss und nicht im Zusammenhang mit Zeugung und Fortpflanzung. Auch die Anatomie und die Funktion der Geschlechtsorgane werden im Kontext größtmöglicher Lust beschrieben. Für beide, Mann und Frau, ist Sex lustvoll. Der Mann ist allerdings für die Lust seiner Partnerin verantwortlich, er soll sich »als Muster von Sanftmut und Rücksicht erweisen, und jeder seiner Gedanken darf nur der Lust und Befriedigung seiner Partnerin gelten. Wenn die Inderin auch in sozialer Hinsicht völlig vom Mann abhängig ist, darf sie in der Liebe jede nur denkbare Rücksicht fordern. Lust und Erfüllung sind ihr Recht, ob sie nun eine Prostituierte, Kurtisane oder Ehefrau ist (…), sie ist es, die befriedigt werden muß (…).«74 Da der Mann dafür verantwortlich ist, seine Partnerin sexuell zu befriedigen, muss er seine Geliebte, ihre Eigenschaften, Eigenarten, Neigungen, Bedürfnisse und Gewohnheiten so genau wie möglich kennen. Die Kamashastra-Schriften entwerfen eine ausgefuchste Systematik und klassifizieren im Hinblick auf die Liebenden und die Liebeskunst beinahe alles. Männer und Frauen werden u. a. anhand ihres Aussehens, Alters, Standes, Temperamentes, Wohnortes oder ihrer Herkunft kategorisiert. Positionen, Kusstechniken (welche Stellen und wie, zuckend oder stoßend), Umarmungen (berührende, durchbohrende, reibende, pressende), »Nägelmale« (Kratzen mit den Nägeln), Beißen, Haarzausen, Schläge (wie, wo, wann) oder Schreie werden enzyklopädisch erfasst. Die Schriften schließen mit Rezepten für Aphrodisiaka, Kosmetika und Zaubermittel. Das wichtigste Ordnungsprinzip ist aber das Genitale, die Größe des Penis und die Tiefe und Weite der Vagina. Es gibt Verbindungen, die einen »niedrigen Liebesgenuss« versprechen (kleiner Penis und tiefe Vagina) und jene, die besonders große Lust schenken (mittelgroßer Penis und enge Vagina). Passen Mann und Frau gut zusammen und beherrscht er die Kunst der körperlichen Liebe, bringt er seine Partnerin zum Orgasmus und zum Ejakulieren: »Wer die Kunst des Liebesspieles versteht und die Gazellenäugige durch mannigfache Vorzüge beglückt, macht sie sich untertan, indem sie das Wasser des Liebesgottes sich ergießen läßt.«75


Ejakulierende als Wasserspeierin in einer indischen Tempelanlage

Spritzen. Geschichte der weiblichen Ejakulation

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