Читать книгу Spritzen. Geschichte der weiblichen Ejakulation - Stephanie Haerdle - Страница 7
VORWORT
ОглавлениеIs it so frightening to believe that woman can, in a sense, ejaculate too?
Juliet Richters, Bodies, Pleasure and Displeasure2
Die Gesellschaft kann die weibliche Ejakulation genau deswegen nicht anerkennen, weil sie Männer und Frauen gleich macht.
Fanny Fanzine3
Auch Frauen ejakulieren beim Sex? Aber ja doch! Bis zu 69 Prozent4 aller Frauen spritzen beim Kommen. Egal ob Frauen einen Teelöffel voll Flüssigkeit verspritzen oder ihrem Höhepunkt das Auswringen der Bettlaken folgt – Frauen und ihre Partner_innen lieben diesen Aspekt weiblicher Sexualität. Eine 2013 veröffentlichte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 78,8 Prozent der Femmes-Fontaines, wie die ejakulierenden Frauen in Frankreich genannt werden,5 und 90 Prozent ihrer Partner_innen die Ejakulation als »Bereicherung ihres Sexuallebens«6 erleben. Trotzdem wird die weibliche Ejakulation, sogar ihre Existenz selbst, auch heute noch kontrovers diskutiert. Für die Einen ist sie ein Mythos, für die Anderen sexueller Alltag. Was weiß man wirklich über diesen Aspekt weiblicher Lust, welche Forschungsergebnisse gibt es und weshalb liegen noch immer so viele Details im Dunkeln? Gibt es eine »Geschichte der weiblichen Ejakulation«? Wie dachte man, was wusste man zu anderen Zeiten über das Fließen und Spritzen der Frau? Was wurde wieder vergessen und warum? Wie wurde das Phänomen interpretiert und instrumentalisiert? Wie erklärte man sich in früheren Kulturen die Ergüsse, in welche Vorstellungen von Körper, Lust, Sex und Zeugung fügte sich die weibliche Ejakulation zum Beispiel in erotischen Schriften Chinas oder Indiens ein? Kannte die griechische und römische Antike den Freudenfluss und wie interpretierten die nahezu ausschließlich männlichen Ärzte, Philosophen und Dichter die Flüssigkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit? Wie und von wem wurde das weibliche Spritzen wiederentdeckt und von welchen Vorstellungen, Fantasien und Ängsten war diese Rückeroberung begleitet? Wie also sieht die Kulturgeschichte der weiblichen Ejakulation aus?
Die Suche nach Spuren und Zeugnissen zur Ejakulation der Frau führt bis weit in die vorchristliche Zeit und rund um den Erdball. Und die Funde überraschen: Jahrtausendelang war die Ejakulation sowohl für den Mann als auch für die Frau ein selbstverständlicher Teil sexuellen Erlebens. In Europa wurde die weibliche Ejakulation überhaupt erst ab dem späten 19. Jahrhundert geleugnet, bekämpft, verdrängt, tabuisiert und schließlich weitgehend vergessen.
Interessant an ihrer Geschichte ist aber nicht nur, in welchen Kulturen, wann und warum sie selbstverständlicher Ausdruck weiblicher Sexualität gewesen ist. Spannend ist auch, warum die weibliche Ejakulation immer wieder vergessen, abgelehnt oder als »männliche Sexfantasie«7 ins Reich des Fantastischen verbannt wurde, bis die Vorstellung einer ejakulierenden Frau geradezu obszön schien.
Ein japanischer Holzschnitt zeigt einen Mann, der das Ejakulat einer Frau auffängt
Die Geschichte der weiblichen Ejakulation ist auch eine Geschichte der Frau und ihrer Lust, des weiblichen Körpers, seiner Verehrung und Abwertung. In vielen Kulturen entsprach die ejakulierte Flüssigkeit dem männlichen Erguss. Beide Säfte wurden als manchmal gleichrangige, manchmal unterschiedlich wertvolle, immer aber als einander ergänzende »Zeugungsstoffe« gedeutet. Insbesondere in den Kulturen, in denen der weibliche Körper als ein dem männlichen Körper sehr ähnlicher interpretiert wurde und in denen Sex und weibliche Lust einen hohen Stellenwert hatten, spritzte auch die Frau. Als Ei- und Samenzelle unter dem Mikroskop sichtbar und die menschlichen Zeugungsvorgänge verstanden wurden, verschwand die weibliche Ejakulation zwar nicht aus den Betten, wohl aber aus dem medizinischen Diskurs, der jetzt die Deutung dieser Flüssigkeit prägte. Nun, da in der Eizelle der weibliche Beitrag zur Zeugung erkannt worden war, war der »weibliche Samen« bedeutungslos. »Was nicht auf Zeugung gerichtet oder von ihr überformt ist, hat weder Heimat noch Gesetz. Und auch kein Wort. Es wird gleichzeitig gejagt, verleugnet und zum Schweigen gebracht. Es existiert nicht nur nicht, es darf nicht existieren (…)«, schreibt Michel Foucault.8
Aber auch die Unterdrückung weiblicher Lust – empfand die Frau überhaupt Lust?, fragten sich Ärzte im 19. und frühen 20. Jahrhundert –, die Tabuisierung von Sex, der Entwurf des weiblichen Körpers als explizites Gegenstück zum männlichen, das »Dogma des komplementären Geschlechts« (Laura Méritt)9 sowie die Vaginafeindlichkeit eines Teiles der Zweiten Frauenbewegung trugen dazu bei, dass die weibliche Ejakulation zum Mythos erklärt wurde.
Für unzählige Frauen aber ist das Abspritzen auch heute ein selbstverständlicher Aspekt ihrer Sexualität. Warum wird der weiblichen Ejakulation mit solcher Skepsis begegnet?