Читать книгу Die einsamen Toten - Stephen Booth - Страница 11

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Ben Cooper und Tracy Udall hatten Reverend Derek Alton auf seinem Friedhof nicht gleich gefunden, da er zwischen dem hohen Unkraut und den ausgewachsenen Büschen kaum zu sehen war. Er trug Gummistiefel und Kordhosen und hielt eine Sense in den behandschuhten Händen. Disteln und Dornen hatten sich in seiner Hose verfangen. Ab und zu zog er halbherzig die Sense durch das Unkraut, das sich aber nur flach auf den Boden duckte, statt sich abschneiden zu lassen. Zwischen zwei Versuchen hielt Alton inne und starrte mürrisch auf die Pflanzen.

»Ich glaube, Sie müssen Ihre Sense mal schärfen«, sagte Cooper.

Alton blickte auf und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Ja, ich weiß. Aber ich kann den Schleifstein nicht finden.«

»Glauben Sie nicht, dass die Arbeit mit einer anständigen Heckenschere leichter zu erledigen wäre? Sie könnten sich ja eine mit Viertaktmotor ausleihen, damit Sie keine Verlängerungsschnur hinter sich herziehen müssen.«

Alton blickte zweifelnd auf seine Sense und dann auf seine Füße. Cooper bemerkte den klaffenden Schnitt in der Zehenkappe eines der Gummistiefel des Pfarrers. Vielleicht war eine motorgetriebene Heckenschere doch keine so gute Idee. Nicht, wenn er sich schon mit einer stumpfen Sense die Zehen absäbelte.

Die Kirche war klein und aus Stein erbaut. Aber es war ein dunkler Stein, beinahe schwarz, und nicht der goldfarbene Sandstein oder der fast weiße Kalkstein, den man in anderen Gegenden verwendete. Vielleicht war er nicht immer so dunkel gewesen, sondern von dem Ruß der Dampflokomotiven geschwärzt worden, die früher auf den Bahnlinien unten im Tal verkehrten.

Police Constable Udall machte sich auf den Weg zur Sakristei, in der laut Reverend Altons Anruf eingebrochen worden war.

»Sind Sie an der Reihe, den Friedhof sauber zu halten, Mr Alton? Turnusmäßig, meine ich«, fragte Cooper.

»Welcher Turnus?«, erwiderte Alton lachend. »Ich bin der Turnus.«

»Ach ja?«

»Andere Kirchengemeinden haben vielleicht einen Turnus. In meiner anderen Pfarrei, in All Saints in Heybridge, ist genau geregelt, wer sich um den Friedhof kümmert. Die Gräber sind gepflegt, und die Gemeindemitglieder erwarten vom Pfarrer nicht, dass er auch nur einen Finger rührt, geschweige denn eine Sense schwingt. Aber hier in Withens … Ich schätze, die Leute haben hier einfach zu viel zu tun.«

»Wer sind denn die hiesigen Kirchenvorsteher?«

»Michael Dearden und Marion Oxley.«

»Von den Oxleys habe ich schon gehört.«

»Kann ich mir denken.«

»Aber wer ist Mr Dearden?«

»Der wohnt in Shepley Head Lodge. Liegt etwas außerhalb des Dorfs, in die Richtung.«

»Aha.«

»Das sind zwei brave, anständige Menschen. Nur haben die selbst genügend am Hals.«

»Natürlich.«

»Und jedes Jahr im Frühjahr haben wir hier dasselbe Problem, kaum dass die Sonne mal richtig scheint.«

Cooper besah sich das Gestrüpp. Irgendwo darunter lagen Grabsteine verborgen, aber man musste schon genau hinsehen. Matten aus dicken, kräftigen Grashalmen hatten sich überall auf dem Friedhof ausgebreitet, und Dornensträucher und Efeu rankten sich an den Grabsteinen empor, so dass die wenigsten Inschriften noch zu entziffern waren. Dort, wo er jetzt stand, war einmal ein mit Platten belegter Weg verlaufen. Aber Gras und Löwenzahn hatten sich durch die Ritzen gezwängt und die Platten überwuchert. Die erwachende Natur war außer Kontrolle geraten und rückte der Kirche immer näher.

»Dann haben Sie also keine Hilfe?«, fragte Cooper.

»Doch, ein junger Mann namens Neil Granger will mir helfen. Zumindest hat er das gesagt. Er sagte, er hätte auch eines von diesen Geräten, die Sie erwähnten, eine Heckenschere und noch anderes Werkzeug. Aber er ist heute nicht gekommen. Wahrscheinlich konnte er sich doch nicht freimachen.« Alton seufzte. »Normalerweise ist er ein sehr verlässlicher junger Mann, aber was soll man machen. So ist das nun mal heutzutage auf dieser Welt. Die jungen Leute denken sich nichts dabei, andere zu enttäuschen.«

»Ich bin nicht ganz Ihrer Ansicht«, antwortete Cooper.

Alton sah ihn erstaunt an und lächelte. »Mein Gott, ein Polizist ohne die übliche zynische Einstellung. Ich muss unbedingt den Kuratoren des Heimatmuseums in Glossop von Ihnen erzählen. Vielleicht will man Sie dort für die Nachwelt konservieren.«

»Junge Leute haben immer einen schlechten Ruf. Aber ich denke nicht, dass sie schlimmer sind als früher. Wir sollten uns mehr engagieren und mehr Interesse für sie zeigen, statt sie von vorneherein abzuschreiben.«

»Sie beschämen mich«, erwiderte Alton. »Es sollte eigentlich meine seelsorgerische Pflicht sein, die jungen Leute in meiner Gemeinde zu fördern, wo ich kann, statt sie schlecht zu machen. Ich werde mein Bestes tun, um Ihrer Haltung nachzueifern.«

Wenn das ein anderer gesagt hätte, hätte Cooper das Gefühl gehabt, durch den Kakao gezogen zu werden. Diane Fry, zum Beispiel. Bei ihr hätten genau dieselben Wörter eine völlig andere Bedeutung gehabt. Aber dieser Reverend Alton schien es merkwürdigerweise ernst zu meinen.

»Ja, Sie müssen mehr Interesse zeigen«, sagte Cooper.

»Das werde ich. Ich danke Ihnen.«

Cooper schämte sich fast, den Mann so herablassend zu behandeln. Lächerlich, dass er einem Geistlichen erklärte, er solle mehr Interesse an seinen Gemeindemitgliedern zeigen. Aber der Pfarrer schien es ihm nicht übel zu nehmen. Wahrscheinlich hatte er sich von seinen Schäflein schon weit schlimmeren Rat anhören müssen.

»Police Constable Udall hat mir gesagt, Sie hätten hier im Dorf Probleme mit den Sprösslingen der Familie Oxley.«

»Ja, ich musste mich mehrmals bei ihrem Vater über sie beschweren«, erklärte Alton. »Sie haben die Angewohnheit, sich abends auf dem Friedhof zu treffen, vor allem hier in dieser abgeschiedenen Ecke. Hier kann keiner sehen, was sie so treiben.«

»Und was treiben sie so?«

»Ich mag es mir gar nicht vorstellen. Ich muss regelmäßig Bierdosen und andere Utensilien einsammeln. Ab und zu machen sie was kaputt oder beschmieren die Steine mit Graffiti. Es ist einfach lästig.«

»Und? Ist ihr Vater kooperativ?«

»Lucas? Er hört sich alles an. Auch Marion natürlich. Aber ich bin nicht sicher, inwieweit sie ihre Kinder noch im Griff haben.«

»Wie viele Kinder sind es denn?«

»Oh«, erwiderte Alton vage und schaute auf die Finger seiner Handschuhe, als bräuchte er etwas zum Abzählen und zweifelte, ob diese auch reichen würden. »Es sind so viele in der Waterloo Terrace. Lucas hat mindestens drei Söhne – Scott ist der Älteste, dann kommt Ryan und dann Jake. Und wahrscheinlich noch Sean. Und dann sind da noch zwei verheiratete Töchter. Das heißt, eine ist verheiratet, aber für Fran war das nie ein Thema. Die jüngeren Mädchen heißen Lorraine und Stacey. Aber dann gibt es auch noch ein paar Cousins wie Neil. Der heißt zwar Granger, ist aber ein Neffe von Lucas Oxley, glaube ich. Es ist schwer, den Überblick zu behalten, wissen Sie, vor allem, wenn sie in der Gruppe auftreten. Oft weiß ich nicht, wer wer ist. Bis auf den kleinen Jake natürlich.«

»Jake – ist das der, den sie den kleinen Teufel nennen?«

»Ja, der arme Junge. Ich glaube, dass Jake weniger auf seine Eltern und mehr auf seinen Großvater hört. Das ist der alte Mr Oxley. Eigentlich überraschend, da Jake erst neun Jahre alt ist und Eric bereits um die achtzig sein muss. Aber vielleicht kommt Jake eines Tages nach seinem Großvater. Das können wir nur hoffen, denn Eric war zu seiner Zeit ein tüchtiger Mann.«

Cooper ging es wie Alton. Auch er hatte Probleme, die Zahl der Oxleys zu überblicken. Lucas und Marion waren die Eltern, aber wie viele Kinder es waren, wusste er nicht mehr. Waren es sieben oder acht? Da waren Scott, Ryan und Jake, aber zählte Sean auch dazu? Und wie viele Cousins gab es? Hatten die verheirateten Töchter bereits eigene Kinder? Das war schon verwirrend genug, aber jetzt kam auch noch eine ältere Generation hinzu, die ebenfalls in Betracht gezogen werden musste.

»Ist der alte Mr Oxley Mitglied Ihrer Gemeinde hier in St. Asaph?«, fragte Cooper.

»Leider nicht.«

»Das wundert mich. Bei seinem Alter hätte ich das eigentlich erwartet. Da hat man doch noch gelernt, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen. Es sei denn, der alte Mr Oxley ist ein Nonkonformist. Hier in der Gegend gibt es viele Methodisten.«

»Hüten Sie Ihre Zunge«, sagte Alton und senkte lächelnd den Blick auf seine Sense.

»Ist er denn Methodist?«, fragte Cooper.

»Ich weiß es nicht«, antwortete der Pfarrer. »Ich hatte nie Gelegenheit, ihn das zu fragen. Seit ich in dieses Dorf kam, hat Eric Oxley noch kein Wort mit mir gewechselt. Obwohl wir uns ein paarmal auf der Straße begegnet sind und ich ihn angesprochen habe, hat er mich nicht eines Blickes gewürdigt und nicht einmal mit mir gesprochen.«

»Nicht ein Wort?«, fragte Cooper.

»Nicht ein Wort.«

»Mr Alton, glauben Sie, dass die jungen Oxleys für den Einbruch in Ihrer Sakristei verantwortlich sind?«

Alton seufzte. »Ich weiß es wirklich nicht. Sie sind auf jeden Fall verdächtig. Aber sie sind bisher noch nie so weit gegangen, in die Kirche einzubrechen, und gestohlen haben sie bisher auch noch nie etwas. Aber an den Türen und an Möbeln in der Sakristei ist beträchtlicher Schaden entstanden. Und es fehlen einige Gegenstände.«

»Mehrere Silberteller, soviel ich weiß, ja?«

»Ja. Ach, die waren nichts Besonderes, aber das Einzige von Wert, das wir hier in St. Asaph haben. Einer der Kirchengründer hat sie der Gemeinde geschenkt. So um 1850 herum.«

»Es ist durchaus möglich, dass wir sie wiederbeschaffen können.«

»Sehr freundlich von Ihnen, dass Sie mir Hoffnung machen.«

»Ganz und gar nicht.«

»Falls es sich herausstellen sollte, dass es tatsächlich die jungen Oxleys waren, dann hoffe ich, dass man eine Möglichkeit findet, ihr völliges Abgleiten in die Kriminalität zu verhindern, ehe es zu spät ist. Die Jungs werden langsam älter. Scott ist schon fast erwachsen, auch einer seiner Cousins. Glen, glaube ich, heißt er. Sie sind kein gutes Beispiel für die Jüngeren. Früher oder später passiert was Schlimmeres, und dann kommt ein Unschuldiger zu Schaden. Ich möchte nicht, dass so etwas geschieht.«

»Ich verstehe.«

Coopers Blick fiel wieder auf das dicht wuchernde Gestrüpp auf dem Friedhof. Rechts und links des Ausgangs sollten Blumenbeete die Kirchenmauern säumen, stattdessen verschwand dieser Streifen unter mehrjährigen Bäumen und Klumpen von Labkraut. Die Brombeersträucher, die sich an der Sakristei emporrankten, würden später im Jahr eine gute Ernte liefern. Und dabei war es noch nicht einmal Anfang Mai. Bei dieser Geschwindigkeit wäre die Kirche bis Juli völlig zugewachsen und im Gestrüpp verschwunden.

Alton folgte seinem Blick und stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Wollten Sie gerade etwas von verlorener Liebesmüh sagen?«, fragte er.

»So etwas in der Art«, sagte Cooper. »Oder wie heißt es in dem Kirchenlied: ›Kämpfe den gerechten Kampf mit all deiner Kraft?‹«

Alton intonierte: »›Halte es fest, das Leben, und es wird dir sein Freude und Krone für immer.‹« Dabei schwang er munter die Sense, und Cooper trat sicherheitshalber einen Schritt zurück. Nicht eine Sekunde zu spät. Denn Alton köpfte gerade ein Büschel Löwenzahn, dessen gelbe Blütenblätter wie winzige Splitter aus Frühlingssonne vor Coopers Füßen landeten.

Der Pfarrer schien die Blütenblätter ebenfalls zu bemerken. »Kämpfe den gerechten Kampf«, sagte er. »Die Dunkelheit und das Licht.«

Police Constable Udall machte sich auf den Weg zur Dienststelle, um nachzusehen, ob die Verdächtigen zur Vernehmung bereit waren. Unterdessen versuchte Ben Cooper die Waterloo Terrace ausfindig zu machen, wo die Oxleys wohnten.

Viele Möglichkeiten gab es nicht. Außer der Kirche, dem Pub und den Farmen hatte das Dorf nur noch ein paar Einfamilienhäuser und ein halbmondförmiges, von Bungalows gesäumtes Sträßchen zu bieten. Aber auf der anderen Seite des Parkplatzes, unterhalb der Straße, konnte Cooper eine Reihe Dächer und eine Ansammlung gemauerter Schornsteinköpfe ausmachen, die hinter einem dichten Schirm aus Bergahorn und Kastanienbäumen hervorlugten. Langsam setzte er sich in diese Richtung in Bewegung. Er wollte nur mal einen Blick darauf zu werfen.

Ohne Jugendliche, die Krawall machten, war es gespenstisch ruhig in Withens. Kein Auto fuhr auf der Straße, die durch das Dorf führte, das ringsum von den schwarzen Hügeln aus Torfmoor vor dem Lärm der A628 geschützt war. Cooper hörte überhaupt nur zwei Geräusche. Das eine war der grelle Missklang eines Schwarms krächzender Krähen, die irgendwo unterhalb der Straße auf den Bäumen hockten. Das andere war das ebenso grelle, aber viel höhere Kreischen einer Kettensäge.

Um zu den Häusern zu gelangen, die er gesehen hatte, musste Cooper an der Einfahrt zu einem der Gehöfte vorbei. Am Tor blieb er stehen und blickte auf eine Ansammlung von Gebäuden. Direkt daneben befand sich eine alte, steinerne Scheune mit schmalen, unverglasten Fenstern wie Schießscharten. Die Häuser, die weiter weg von der Straße lagen, waren jüngeren Datums. Auf der freien Fläche dazwischen war ein Traktor abgestellt. Wie durch einen Tunnel aus Gebäuden fiel Coopers Blick auf die von Heidekraut bewachsenen Hänge in der Ferne. Eine spektakuläre Aussicht. Die dunkle Masse des Bleaklow lag genau auf der anderen Seite des Tales.

Cooper ging ein paar Meter weiter und hielt sich dabei auf dem Rasensaum, da es keinen Gehweg gab und der Straßenbelag am Rand abgebröckelt war. Das von den Bergen herabfließende Wasser hatte haufenweise kleine Steine an den Straßenrand geschwemmt. Hier und da lagen schwarze Plastikfetzen auf der Grasnarbe, zerrissene Silagesäcke, die sich wie glänzende Ölteppiche ausbreiteten.

In Withens schien das Wasser zu fließen, wohin es wollte. In diesem Moment lief es direkt durch die Einfahrt zur Waterloo Terrace. Da die Häuserreihe unterhalb der Straße lag, strömte das Wasser in großen Bächen den Hügel hinab. Und das schon seit längerem, zumindest den tiefen Löchern nach zu schließen, die den Weg, der zu den Häusern führte, fast unpassierbar machten. Cooper musste über breite schlammige Pfützen steigen, um sich auf trockenen Boden zu retten.

Die breite Einfahrt war rechts und links von Torpfosten gesäumt, aber das Tor selbst fehlte. Daneben waren Leitungsrohre aus Keramik zu geometrischen Formen aufgestapelt. Vielleicht beabsichtigte man, eines Tages doch eine anständige Entwässerungsanlage zu bauen. An die Torpfosten waren verkehrt herum Hufeisen genagelt, entweder, um Glück zu bringen, oder aber, um den Teufel fern zu halten – je nachdem, woran man glaubte.

Die Waterloo Terrace hatte nichts an sich, das dem romantischen Bild einer Reihe von Feriencottages im Peak District entsprochen hätte. Keine Stabwerkfenster, keine rosenbewachsenen Vorgärten, kein Geißblatt, das die Mauern emporwuchs. Die acht Häuser waren aus schwarzem Backstein erbaut, der stark verwittert war und an den Kanten bereits zu bröckeln begann. Zwischen jeweils zwei Häusern konnte Cooper die gemauerte Wölbung eines engen Durchgangs erkennen, der auf die Rückseite der Häuserreihe führte. Die tunnelartigen Gänge zogen sich wahrscheinlich unter den Schlafzimmern im ersten Stock durch.

Cooper versuchte, in einen der Durchgänge hineinzuschauen, aber es war zu dunkel. Der Gang schien am Ende einen scharfen Knick zu machen und führte vielleicht zu einem Garten hinter dem Haus. Außer einer kahlen Wand war nicht viel zu sehen. Die Erbauer hatten offenbar nicht daran gedacht, eine Beleuchtung zu installieren.

Plötzlich ertönte über den Dächern ein Knall, der sich fast wie ein Gewehrschuss anhörte. Aber es waren nur zwei Ringeltauben, die sich mit laut schlagenden Flügeln aufschwangen und eine Runde über den Häusern drehten.

Die Häuserreihe der Waterloo Terrace erschien Cooper wie ein Fremdkörper in dieser Umgebung, in der alle Gebäude im traditionellen Stil und aus lokalem Gestein errichtet waren. In den Bergen ringsum gab es so viel Sandstein, dass man sich kaum vorstellen konnte, weshalb jemand auf die Idee kommen sollte, stattdessen mit Backstein zu bauen. Noch dazu mit schwarzem.

Vor den Häusern lag eine freie Fläche, eine Art Gemüsegarten, den man offenbar jedoch bald wieder aufgegeben hatte. Dort, wo die Erde umgegraben worden war, hatte sich ungestört Unkraut ausgebreitet. Unter einer Schicht Disteln und Gras fristeten ein paar jämmerliche Kohlköpfe ihr Dasein. Cooper wunderte das nicht. Withens war ein Ort, an dem der Wind stark genug war, um selbst Kohlköpfe aus der Erde zu fegen. Und das nicht nur im Winter.

Lediglich in einer Ecke des Gartens war man dem Unkraut offensichtlich Herr geworden, indem man eine schwarze Plastikplane über die Erde gebreitet und an den Rändern mit Steinen und allen möglichen bräunlichen Metallstücken beschwert hatte. Die rostigen Teile sahen aus, als hätten sie nur darauf gewartet, endlich für einen nützlichen Zweck verwendet zu werden. An einigen Stellen war die Plane zerrissen, und schwarze Streifen flatterten im Wind. Die Erdschicht darunter war bestimmt warm und frei von Unkraut, dafür voller Würmer und Insekten. Aber ob dort tatsächlich etwas wuchs?

Auf der anderen Seite des Wegs stand eine Reihe gemauerter kleiner Abtritte mit hellblauen Türen, deren teilweise eingesunkene Steindächer mit Gras und Moos bewachsen waren. Wie im Anstrich deutlich erkennbar, waren die eisernen Türangeln offenbar mehrmals ausgetauscht worden. Jetzt hatte man die alten Häuschen mit Vorhängeschlössern verriegelt. Benutzt wurden sie schon lange nicht mehr.

Cooper ging ein Stück weiter den Weg entlang, der sich unter seinen Füßen glatt und sandig anfühlte. Das zur Straße hinunterfließende Wasser hatte jeden Belag weggeschwemmt und eine breite Furche zwischen die schmutzbespritzten Grasbüschel rechts und links gegraben. An einigen Stellen hatten sich Spurrillen eines schweren Gefährts in den verbliebenen sandigen Belag gedrückt und darunter liegende Schichten zu Tage befördert. Unter anderem auch zerbrochene schwarze Ziegel, wahrscheinlich die Überreste vom Bau der Waterloo Terrace, vielleicht aber auch die anderer Gebäude, die man abgerissen hatte.

Die Saatkrähenkolonie, die Cooper zuvor gehört hatte, hatte in den Kastanienbäumen auf der anderen Seite des Weges Quartier bezogen. Begleitet vom Krächzen der Vögel, ging er von einem Gartentor zum nächsten. Die verwilderten Gärten dahinter wirkten feuchter, als sie eigentlich sein sollten – selbst nach den heftigen Regenschauern dieses Morgens. Der torfige Boden hatte sich schwer mit Wasser voll gesogen und war an einigen Stellen sogar völlig weggespült. Kein Wunder, dass der Kohl hier nicht gedieh. Vielleicht sollten die Bewohner eher Reis anpflanzen. Wahrscheinlich strömte das Wasser, das in Kaskaden die Berge herabfloss, geradewegs durch die Gärten.

Vielleicht war es die Müdigkeit gewesen, oder die Stille hatte ihn unaufmerksam werden lassen. Auf jeden Fall war Cooper vollkommen abgedriftet und nun völlig überrumpelt, als er die Stimme hörte.

»Keinen Schritt näher, oder Sie werden es bereuen.«

Die einsamen Toten

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