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Kapitel 8 – Die Mitglieder

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Am Freitagabend traf sich Sally mit Richard in einem asiatischen Restaurant. Obwohl sie natürlich mit den Gedanken ständig bei Pablo und den Männern war, hatte sie sich sehr auf diesen Abend gefreut und sich für Richard richtig schick gemacht. Sie trug ihren schwarzen, gefütterten Ledermantel, den sie so sehr liebte. Er reichte ihr bis zu den Knöcheln. Darunter hatte sie einen weinroten Hosenanzug an, der ihre Figur sehr gut zur Geltung brachte. Maria hatte ihr die blonde Mähne lässig-elegant hochgesteckt. Richard trug eine schwarze Hose und ein helles Hemd, das hervorragend zu seiner sonnengebräunten Haut passte. Auf einen Schlips hatte er verzichtet und das gefiel Sally besonders gut. Er sah toll aus und es gab natürlich auch genügend Frauen, die ihn anschauten. Dass er diese Blicke genoss, war kaum zu übersehen, was Sally schon ein bisschen störte. Unwillkürlich versuchte sie immer wieder, seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Das Essen war einfach fantastisch und sie hatten sich angeregt über alles Mögliche unterhalten. Ab und zu versuchte Sally, das Gespräch in Richtung Polizeiarbeit zu lenken, aber Richard ließ sich nur auf allgemeine Themen ein, über seinen aktuellen Fall sprach er nicht.

Nach dem Essen gingen sie noch in eine Bar.

„Was hast du denn am Wochenende vor?“, fragte Richard. „Wollen wir am Samstag nicht mal einen kleinen Ausflug machen, zum Beispiel an die Nordsee, uns einmal so richtig durchpusten lassen? Vielleicht mit einer Übernachtung? Sally, ich möchte so gerne mehr Zeit mit dir verbringen.“ Er schaute sie verliebt an, lächelte mit diesen reizenden Grübchen und küsste ihre Hand.

„Sicherlich können wir gerne mal etwas unternehmen. Dieses Wochenende allerdings habe ich leider keine Zeit. Ich stelle am Samstag noch einiges an Personal ein und die Bewerbungsgespräche werden den ganzen Tag dauern.“

Der Gesichtsausdruck von Richard sagte ihr, dass sie sich wohl etwas unglücklich ausgedrückt hatte. Im gleichen Moment tat es ihr auch schon leid. Es war taktlos, ihm gegenüber mit ihrem Reichtum zu protzen.

„Sicher, Personal einstellen ist natürlich eine wichtige Angelegenheit!“, sagte er in geziertem Ton. „Das geht uns doch allen so. Ich wechsle am Wochenende auch häufig meine Zofen aus und…“

Sally unterbrach ihn „Stell dich bitte nicht so an, ich bin nun mal des Öfteren in den Medien und gewisse Dinge werden einfach von mir erwartet, wie zum Beispiel, dass ich standesgemäß einen Chauffeur, einen Bodyguard, einen Gärtner, einen Hausdiener und so weiter haben muss!“

Richard schmunzelte schon wieder, er schien nicht böse zu sein „Schon gut, Sally. Hab Geduld, ich muss mich erst noch daran gewöhnen, mit einer Millionärin befreundet zu sein. Gar nicht so einfach für einen armen kleinen Bullen.“

Sally nahm sich vor, zukünftig besser aufzupassen, was sie sagte. Sie wollte ihn auf keinen Fall verletzen.

Der Abend verlief dann doch noch sehr lustig. Schließlich wurde Sally durch den Alkohol sehr müde. Bevor sie in ihr Taxi stieg, küssten sie sich noch einmal leidenschaftlich. Sally merkte immer mehr, dass ihr dieser Mann alles andere als gleichgültig war.

Als Maria sie am nächsten Morgen um acht Uhr weckte, fühlte Sally sich nicht besonders gut. Mit dem Kopf hatte sie keine Probleme, aber in ihrem Magen grummelte es. Ihr war einfach schlecht.

„Na, Sally, ist wohl später geworden gestern? Oder soll ich lieber sagen, früh geworden? Du siehst irgendwie etwas zerknautscht aus. Wie fühlst du dich? Möchtest du einen heißen Kakao oder lieber eine kalte Selters?“ Maria konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Ach, Maria, ich weiß auch nicht, mir geht´s nicht so gut. Am liebsten würde ich liegen bleiben, den ganzen Tag. Einfach nur Ruhe und warten, bis es mir besser geht. Wie spät ist es eigentlich?“ „Acht Uhr. Und Pablo hat angerufen, sie sind eben am Flughafen Fuhlsbüttel gelandet und werden in circa einer halben Stunde hier sein.“

„Verdammt! Dann muss ich schnell unter die Dusche, damit ich fit werde. Bring mir einfach eine kalte Selters und stell sie hier her, ich mach mich erst einmal fertig.“ Sally stand auf und tappte schlaftrunken zum Badezimmer, das direkt neben dem Schlafzimmer lag.

„Ich bin dabei, im Esszimmer das Frühstück für die Männer vorzubereiten, möchtest du mit frühstücken?“, fragte Maria.

Sally schaute mit dem Kopf durch die Badezimmertür ins Schlafzimmer. „Nein, ich will Pablo erst alleine im Kaminzimmer sprechen, danach werde ich mich mit jedem Mann einzeln unterhalten.“ Sie verschwand wieder im Bad und Maria hörte gleich darauf die Dusche rauschen.

Etwa eine Stunde später stand Pablo mit den drei Männern in der Tür, sie hatten noch auf die Koffer warten müssen. Maria und Pablo begrüßten sich erst einmal ausgiebig, sie hatte sich gegenseitig doch sehr vermisst.

„Schön, dass du wieder da bist, Pablo!“ Es war Maria anzusehen, wie glücklich sie darüber war, ihren Mann wieder in die Arme zu schließen. Sie drehte sich in die Richtung der Männer, musterte sie von oben bis unten und kam zu dem Schluss, dass ihr Mann sympathische Menschen ausgewählt hatte. Alle drei machten einen guten Eindruck. Auf die Menschenkenntnis von Pablo konnte man sich eben verlassen. „Ich habe euch ein schönes Frühstück vorbereitet, kommt einfach mit.“

Die Männer stellten ihre Koffer im Flur ab und folgten Maria.

Sally ging es nach dem Duschen schon etwas besser. Durch den Aufenthalt in Amerika sah sie immer noch leicht gebräunt aus, deshalb wirkte sie, obwohl ihr noch etwas übel war, nicht elend.

Sie föhnte sich schnell das Haar. Heute machten ihre Locken allerdings, was sie wollten, sie bekam sie überhaupt nicht in den Griff. Zum Schluss band sie sich einen Pferdeschwanz, sie nannte das immer Puschel. Einige widerspenstige Strähnen kringelten in ihre Stirn und auf der Schulter.

Sie schlüpfte in eine schwarze, etwas weitere Jeans, um möglichst wenig Druck auf ihren Bauch auszuüben, und zog noch ein weinrotes Sweatshirt über.

Der Nachdurst überkam sie und sie trank die halbe Flasche Selters aus. Das löschte zwar ihren Durst, allerdings war ihr Magen damit nicht ganz einverstanden, was sie einfach mal ignorierte.

Als sie die Treppe hinunterging, hörte sie bereits die Stimmen aus dem Esszimmer. Sie ging aber wie abgesprochen ins Kaminzimmer, das schon wieder eine mollige Wärme verströmte, setzte sich in ihren Sessel und wartete auf Pablo. Sie war sehr gespannt, was er zu erzählen hatte.

Als er eintrat, sprang Sally auf und fiel ihm um den Hals. “Schön, dass du wieder da bist!“

„Ach, Sally!“ Er drückte sie ganz fest, “Ich freue mich auch, wieder hier zu sein!“

Zuerst erzählte sie, was sich so alles getan hatte, während er unterwegs gewesen war, natürlich auch von Richard. Davon war Pablo allerdings nicht so angetan. „Ich sollte diesen Mann mal näher kennenlernen. Irgendwie habe ich kein gutes Gefühl dabei, ich kann dir aber nicht sagen, warum.“

„Ach, Pablo, er könnte mir nach langer Zeit mal wieder etwas mehr bedeuten. Nicht nur als Zeitvertreib, sondern vielleicht als richtige Beziehung.“ Für Sally war die Meinung von Pablo und Maria sehr wichtig.

„Na gut, wir werden sehen“, lenkte er ein. Dann holte er seinen Notizblock raus und begann, von den neuen Mitarbeitern zu sprechen.

„Das Ganze war nicht so einfach, und du hast ja gemerkt, dass ich länger weg gewesen bin. Trotzdem ist es mir gelungen, drei wirklich sehr fähige und vertrauenswürdige Männer zu finden. Ich werde dir jetzt zu jedem Einzelnen einige Informationen geben. Danach möchtest du dich bestimmt auch persönlich mit ihnen unterhalten, um dir ein eigenes Bild zu machen. Also, der erste Mann heißt Marc Renom und ist fünfundvierzig Jahre alt, ein Franzose, der aber sehr gut deutsch spricht. Allerdings hörst du seinen französischen Akzent noch etwas. Außerdem spricht er fließend englisch, arabisch und spanisch. Er hat fünfzehn Jahre als Söldner in verschiedenen Ländern gearbeitet. Zuletzt war er in Mexiko, dort habe ich ihn auch getroffen. Er hat dort mit José, übrigens der zweite Mann, den ich mitgebracht habe, zusammengearbeitet. Vielleicht hast du schon mal davon gehört, dass seit einigen Jahren junge Mädchen und Frauen in Mexiko verschwinden, keiner kümmert sich darum. Die Mädchen werden teilweise als total verstümmelte Leichen wieder aufgefunden. Die beiden haben versucht, herauszubekommen, was dahintersteckt, leider hatten sie keinen Erfolg. Marc wurde aus dem Hinterhalt angeschossen, jedoch nicht lebensgefährlich verletzt, José wurde bös zusammengeschlagen. Über José erzähle ich dir später mehr, jetzt bleiben wir erst einmal bei Marc. Seine Mutter war eine Indianerin, sein Vater Franzose und in seiner Jugend bei der französischen Fremdenlegion, beide sind tot. Weiter hat er sich darüber allerdings nicht geäußert. Er beherrscht mehrere Kampftechniken und ist körperlich in Topform. Ich mag ihn sehr, er ist ein großer, zurückhaltender, sehr sympathischer Mann. Durch seine jahrelange Erfahrung als Söldner hat er viele Fähigkeiten, die für uns wichtig sein könnten.“

„Hört sich wirklich gut an, er scheint der optimale Kandidat als Bodyguard für mich zu sein.“

Pablo schaute Sally verdutzt an. Sie grinste.

„Na ja, nach außen hin, muss ich meinen neuen Mitarbeitern doch eine offizielle Aufgabe zuweisen, es werden von verschiedenen Seiten Fragen aufkommen.“ Sally erzählte Pablo von Britta und dass sie auch für Richard eine passende Ausrede brauchte. Das gefiel Pablo nicht sonderlich.

„Mensch Sally, das mit diesem Richard könnte gefährlich für dich werden, das ist dir schon klar, oder?“

„Natürlich weiß ich das“, schulterzuckend lehnte sie sich wieder in ihren Sessel.

„Gut, du bist alt genug, ich nehme an, du weißt, was du tust und wo deine Grenzen sind. Nun noch mal zu Marc, er ist ein sehr zuverlässiger Mensch, der, wenn er sich erst einmal für etwas entschieden hat, alles für die Sache gibt. Ich habe ihm einiges über unsere Organisation erzählt, was wir vorhaben und wie wir arbeiten werden. Er ist sich der Konsequenzen voll bewusst und trotzdem davon überzeugt, dass wir das Richtige tun. So wie er sich ausdrückte, hat er auch schon viele Dinge erlebt, die mit sexuellem Missbrauch an Kinder zu tun hatten. Wenn man so zwischen den Zeilen liest, dann hat er wohl auch schon das eine oder andere Mal unrechtlich dazwischengehauen. Natürlich haben wir auch über Geld gesprochen. Sollte er aus dieser Sache irgendwann heil herauskommen, so möchte er sich zur Ruhe setzen können, also finanziell abgesichert sein. Ich habe ihm gesagt, dass es keine Probleme geben wird. Wie das Ganze genau über die Bühne gehen soll, das musst du mit ihm persönlich besprechen, ich denke, das ist so in Ordnung für dich, oder?“

„Auf jeden Fall, Geld ist das kleinste Problem, das weißt du. Wichtig ist, dass er es nicht nur wegen des Geldes tut, sondern wegen der Sache. Aber so wie ich dich verstanden habe, ist seine Einstellung okay.“

„Du musst dir bei keinem dieser drei Männer Gedanken machen, sie stehen hundertprozentig zu unserer Organisation, das habe ich mehr als einmal abgecheckt. Du kannst mir vertrauen.“ Pablo schaute Sally in die Augen und legte seine Hand auf ihren Arm.

„Das tue ich, das weißt du. Was ist mit diesem José? Erzähl mir von ihm.“

„José Zirkon ist einunddreißig Jahre alt und Mexikaner. Er hat ein Jurastudium absolviert und als bester seines Jahrgangs abgeschlossen. Dadurch, dass er auch zwei Jahre in Frankfurt studiert hat, beherrscht er die deutsche Sprache recht gut. Mit Hilfe seines Studiums wollte José als Staatsanwalt gegen die Ungerechtigkeit in Mexiko kämpfen. Er merkte aber sehr schnell, dass sich die Netze der Korruption und Bestechung bis in die höchsten Kreise zogen. Das Einzige, was er erreicht hatte, war eine blutige Nase. Und wenn er Marc nicht gehabt hätte, dann wäre er wohl auch nicht mehr am Leben. José ist im Gegensatz zu Marc zierlich und schmal, er sieht ein bisschen aus wie ein Bürokrat. Man sollte ihn allerdings nicht unterschätzen. Er hat zwar keinen kräftigen Körper, dafür liegt bei ihm die Kraft im Geist. Er hat eine hohe Allgemeinbildung und in Bezug auf die Rechtsprechung ist er ein Ass. José hat ein Jahr in einer Kanzlei in Frankfurt gearbeitet. Gerade aus diesem Grunde ist er wohl derjenige, der am besten weiß, mit welchen erheblichen Folgen wir rechnen müssen, sollte man uns erwischen. Er wird uns mit Rat und Tat, vor allem natürlich juristisch, zur Seite stehen. Trotz allem ist es auch für ihn wichtig, dass seine Familie finanziell abgesichert ist. Er hat noch eine Mutter und zwei jüngere Schwestern, die in Mexiko leben, sein Vater ist dort erschossen worden, er kam zwischen die Fronten. José wünscht sich für seine Familie ein schönes Haus in einer besseren Gegend und für seine Schwestern eine vernünftige Berufsausbildung.“

„Ich werde mit ihm darüber sprechen und das Nötige in die Wege leiten.“ Sally war mit dem, was sie bis jetzt gehört hatte, sehr zufrieden.

Pablo fuhr fort „Ja und auch der Dritte ist Mexikaner. Er heißt Sandro Rodriguez, ist dreiundfünfzig Jahre alt. Ich kenne ihn schon eine Ewigkeit, ein feiner Kerl. Bei den Unruhen in Mexiko hat er seine gesamte Familie verloren und viel Leid gesehen. Er hatte sich und sein Leben aufgegeben. Ich war eine Woche bei ihm und wir haben lange geredet. Für ihn sind wir jetzt seine Familie, außer seinem Leid und seiner Trauer hat er nichts in Mexiko zurückgelassen, nun möchte er hier mit uns ein neues Leben beginnen. Er will Menschen helfen, eben diesen Menschen, denen sonst keiner hilft. Ihn kannst du als offiziellen Hausmeister einstellen, er ist handwerklich sehr begabt und ein kleines Organisationstalent.“

Erwartungsvoll schaute Pablo Sally an und erkannte zufrieden, wie begeistert sie war.

„Wunderbar, dann habe ich einen Chauffeur und Bodyguard, meinen eigenen Anwalt und einen Hausmeister. Ich bin schon sehr gespannt, diese Männer persönlich kennenzulernen. Toll, Pablo!“

„Es gibt übrigens noch einen weiteren vielversprechenden Kandidaten“, fügte Pablo hinzu.

„Ach, ein vierter Mann? Davon hat mir keiner etwas erzählt“, antwortete Sally erstaunt. „Den hast du aber nicht mitgebracht, oder?“

„Nein, das ging nicht, er sitzt in Untersuchungshaft und kommt nur gegen eine Kaution von zwanzigtausend Euro raus.“

„Na, so was. Was hat er denn verbrochen?“

„Also, er ist ein absoluter Computerfreak. Der Hacker überhaupt. Er hat sich bei der Polizei und bei der Bundeswehr ins System eingehackt und glaube mir, es war absolutes Glück, dass sie ihn überhaupt geschnappt haben. Der Junge heißt Roy Kruse, dunkelhäutig, zweiundzwanzig Jahre alt und ein bisschen verrückt, aber, wie gesagt, auf seinem Gebiet ein Genie! Ich weiß noch nicht so viel über ihn, nur so viel: Er hat es im Leben nie einfach gehabt. Roy ist in Namibia geboren und wurde im Alter von fünf Jahren von Deutschen adoptiert. Seine Adoptiveltern waren sehr vermögend. Leider verunglückten sie bei einem Autounfall, als er vierzehn Jahre alt war. Dann ging der Streit um die Erbschaft los, die Verwandten seiner Adoptiveltern haben ihn echt mies behandelt. Was genau da lief, weiß ich nicht, jedenfalls hat er kein Geld gesehen. Diese Verwandtschaft finanzierte ihm nur eine erbärmliche Einzimmerwohnung. Roy hielt sich mit kleinen Jobs über Wasser und saß ansonsten Tag und Nacht an seinem Computer.“

„Also, natürlich könnten wir einen Hacker recht gut in unserer kleinen Familie gebrauchen.“ Sally war allerdings misstrauisch „Du solltest erst einmal mit ihm reden und herausfinden, wie seine Einstellung zu unserer Organisation ist. Ich möchte kein Risiko eingehen. Hol ihn da raus und versuch zu klären, ob er unser vierter Mann werden könnte. Lass das mit der Kaution über unseren Anwalt laufen, damit wir anonym bleiben.“

„Schön, am Montag werde ich mich darum kümmern. Wie sieht es aus, möchtest du nun die Männer kennenlernen?“

„Natürlich. Zuerst möchte ich diesen Marc sehen, schicke ihn bitte zu mir rein.“

Pablo verließ das Zimmer und einige Minuten später betrat Marc den Raum. Sie stand auf und ging ihm entgegen. „Hallo Marc, ich bin Sally, Sally von Raken, aber ich denke, wir können gleich zum Du übergehen.“

Sally bemerkte überrascht, dass dieser große Mann Ähnlichkeit mit Steven Segal hatte, für den sie schwärmte. Der riesige, breitschultrige Körper, das markante Gesicht mit dem betonten Kinn und den ruhigen, schmalen dunklen Augen. Seine leicht indianischen Gesichtszüge waren beeindruckend.

Das pechschwarze Haar hatte es zurückgekämmt, die Länge reichte aus, um es im Nacken zusammenzubinden. Marc trug eine verwaschene helle Jeans und ein kurzärmliges schwarzes T-Shirt. Sally staunte, wie muskulös seine Oberarme aussahen. Dann fiel ihr wieder ein, dass er ja verschiedene Kampfsportarten betrieb. Sie gab sich Mühe, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie von seinem Auftritt fasziniert war. Marcs dunkle Augen funkelten.

„Hallo Sally!“ Insgeheim rang auch er um Fassung. Also, so hatte er sich seine neue Chefin, diese Frau, die so ambitioniert den Opfern helfen wollte, ganz und gar nicht vorgestellt! Sicher, Pablo hatte gesagt, Sally sei ‚sehr hübsch’, aber sie war ja viel, viel mehr als das! Wie jung sie aussah mit ihrer Löwenmähne, mädchenhaft, fast zerbrechlich. Sein Beschützerinstinkt erwachte.

„Setzen wir uns doch!“ Sally versuchte die knisternde Atmosphäre zu lockern.

Zum Glück betrat Maria gerade den Raum. “Kann ich euch etwas zu trinken bringen?“

„Ja gerne, bitte mach mir doch einen schönen Becher heißen Kakao.“

„Danke Maria, für mich im Moment nichts weiter.“ Marc lächelte Maria an. Seine Stimme klang sehr beruhigend und angenehm, Sally war fasziniert von diesem Mann. Sie musste sich unbedingt etwas locker machen, damit sie mit der Situation besser fertig wurde.

Das Gespräch mit Marc lief sehr angenehm, es wurde auch immer entspannter und sie kamen sehr gut miteinander klar, obwohl Sally immer noch ein bisschen gehemmt war. Dieser Mann hatte irgendetwas in ihr geweckt, in seiner Gegenwart fühlte sie sich so sicher und geborgen wie schon seit Langem nicht mehr.

„Okay Marc, ich werde dich offiziell als Bodyguard und Chauffeur einstellen“, meinte Sally schließlich. Als Marc den Raum verließ, musste sie erst einmal tief durchatmen. Dieser Mann hatte sie wirklich tief beeindruckt. Jetzt betrat José das Zimmer, optisch wirklich das komplette Gegenteil von Marc. Er hatte fast die gleiche Statur wie Sally, wirkte jedoch sehr sympathisch. Sie reichte ihm die Hand. „Hallo José, ich bin Sally!“

„Hallo Sally, schön, dich kennenzulernen, ich habe schon einiges von dir gehört, aber so habe ich mir dich nicht vorgestellt“, José lächelte sie an und zeigte seine schönen weißen Zähne.

„Na, ich hoffe, du bist nicht enttäuscht?“

„Im Gegenteil, ich hätte nicht erwartet, so eine hübsche Frau zu sehen, die reich ist und sich trotzdem für das Unrecht einsetzt, anstatt zu Promipartys zu gehen.“

„Nun, das freut mich. Pablo hat dir mit Sicherheit erzählt, was wir vorhaben und wenn du nicht die gleiche Meinung wie wir hättest, dann würdest du jetzt nicht hier sitzen.“

„Das ist richtig. Ich werde mein Bestes geben, um euch zu unterstützen.“

„Sehr schön, du wirst ab sofort mein Rechtsberater sein!“

José gefiel Sally immer besser. Er wirkte sehr ausgeglichen, seine dunklen Augen blickten sie aufmerksam an.

„Pablo hat mir erzählt, dass du einige Wünsche bezüglich deiner Familie hast, das werden wir noch im Detail durchsprechen. Ich sehe da absolut kein Problem. Wir werden für deine Familie sorgen.“

„Vielen Dank!“

Sandro war der Letzte im Bunde, er betrat den Raum etwas schüchtern.

„Hallo Sandro, bitte komm ruhig näher.“ Sally schaute ihn aufmuntern an. Obwohl er erst dreiundfünfzig Jahre alt war, sah er älter aus, sein Gesicht war vom Leben gezeichnet. Er hatte alles verloren, was er geliebt hatte. Sally empfand tiefes Mitleid. Seine kurzen dunklen Haare waren fast vollständig grau. Er war klein, höchstens eins fünfundsechzig, wirkte aber nicht dick, eher kräftig. Eine auffallende Narbe zog sich von seinem linken Ohr bis zu Hals.

„Guten Tag Frau von Raken…“ Etwas verloren und unsicher schaute er sich um.

„Bitte, setz dich zu mir. Und übrigens, ich heiße Sally. Pablo hat mir erzählt, dass du sehr viel in deinem Leben mitgemacht hast. Das ist schlimm. Ich hoffe, wir können für dich eine neue Familie werden.“

Jetzt lächelte er das erste Mal, „Ihr seid alle so nett zu mir, ich glaube schon, dass es mir hier gefallen könnte.“

„Du hast sehr lange mit Pablo gesprochen und bist also genau über die ‚GfdO‘ informiert worden. Ich wüsste gerne, welche Gedanken du dir dazu gemacht hast.“

„Nun, Sally, ich habe viel Leid gesehen und Trauer ertragen. Das Schlimmste ist wirklich, wenn Kinder gequält und missbraucht werden und wenn niemand etwas dagegen unternimmt. Hier in Deutschland versucht die Justiz wenigstens, dem Ganzen Einhalt zu gebieten. Aber es reicht nicht. Ich finde es gut, dass es Menschen gibt, die sich für die Bestrafung dieser Monster einsetzen und ich bin sehr stolz darauf, von Anfang an dabei sein zu können. Vor den Konsequenzen habe ich keine Angst.“

„Danke Sandro. Ich freue mich wirklich sehr, dass du bei uns bist. Für die Öffentlichkeit wirst du als Hausmeister und Verwalter bei mir angestellt sein.“ Sally war glücklich, diese Männer waren genau richtig für ihre Organisation. Sie würden eine eingeschworene Gemeinschaft werden. Sie holte die anderen dazu und nun saßen sie zum ersten Mal alle zusammen. Pablo, Maria, Marc, José und Sandro. Und natürlich Sally.

„Maria hat für jeden von euch ein Zimmer zurechtgemacht, für einige Tage werdet ihr hierbleiben, wir sind aber dabei, ein neues Objekt zu erwerben, dann werdet ihr umziehen und dort wohnen. Ich werde mich zum Teil auch dort aufhalten, muss mich allerdings ab und zu auch hier sehen lassen. Offiziell arbeitet Marc als mein Chauffeur und Bodyguard, José ist mein persönlicher Rechtsberater und Sandro wird der Hausmeister meines neuen Anwesens. Ich möchte, dass ihr am Montag in die Stadt fahrt und euch neu einkleidet. Maria hat euch eine Liste geschrieben, was ihr alles braucht. Jeder von euch bekommt noch eine Kreditkarte, ihr habt alle euer eigenes Konto, auf dem genügend Geld sein wird. Pablo, wir haben in unserem Fuhrpark einen BMW, einen Mercedes Kombi und einen Mercedes Sport Coupé. Das sind alles sehr auffällige Fahrzeuge. Zukünftig sollten wir uns alle möglichst unauffällig bewegen und verhalten, deswegen möchte ich, dass du noch einige Autos dazu kaufst. Mindestens noch vier Fahrzeuge, möglichst Modelle, die in Deutschland am häufigsten gefahren werden. Ich brauche natürlich eine standesgemäße Limousine, wenn ich nun schon einen Chauffeur habe.

Ich möchte noch einige Worte zu unserer Organisation sagen. Es gibt sehr viele Ungerechtigkeiten und wir werden uns nicht um alles kümmern können. Wie euch schon bekannt sein dürfte, werden wir uns hauptsächlich mit den Straftätern beschäftigen, die sich an Kindern vergriffen haben und nicht ausreichend von unserem Gesetz bestraft worden sind. Ich glaube, wir werden im Laufe der Zeit noch einige Mitglieder dazu bekommen, hauptsächlich passive Mitglieder, die sich mit unserer Organisation identifizieren werden. Die aktiven Mitglieder müssen wir uns sehr genau ansehen und überprüfen, denn ich denke, dass die Kripo irgendwann versuchen könnte, eine Person in unsere Organisation einzuschleusen. Die Justiz wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um uns dingfest zu machen. Allerdings bin ich sehr zuversichtlich, dass die Öffentlichkeit hinter uns stehen wird. Ich hoffe, ihr werdet euch hier gut einleben! Wenn es irgendwelche Probleme geben sollte, könnt ihr euch immer an mich wenden, natürlich auch an Pablo oder Maria.“

Sie saßen noch eine Weile zusammen, es war eine sehr angenehme Atmosphäre.

Und Sally fühlte sich immer mehr von Marc angezogen.

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