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Kapitel 9 – Gefühle

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Roy saß in Untersuchungshaft, und auch hier ergaben sich wieder Probleme wegen seiner Hautfarbe, wie er es schon immer gewohnt gewesen war. Manchmal hatte er gar keine Lust mehr, weiterzuleben. Hätte man ihn damals nicht aus seinem Dorf in Namibia nach Deutschland geholt, wäre er wahrscheinlich sowieso längst tot. Sexuelle Übergriffe gab es überall, auch in Afrika. Als seine Adoptiveltern noch lebten, hatte er ein schönes Zuhause, aber als sie bei einem Autounfall ums Leben kamen, ging für ihn die Hölle los. Nun saß er hier im Knast, und wie es aussah, würde er wohl noch einige Zeit hier verbringen. Das würde kein Zuckerschlecken werden. Als der Wärter kam, schaute Roy auf. „Na, was habe ich denn nun schon wieder verbockt?“ Seine Frechheit war das Einzige, was ihm noch geblieben war. „Pack deine Sachen, du kommst auf Kaution frei, hast wohl doch noch Freunde“, sagte der Wärter grimmig.

„Toller Scherz, vielen Dank.“ Roy reagierte nicht auf die Anweisung des Wärters.

„Hey, sieh zu! Das ist kein Scherz! Deine Kaution wurde bezahlt und da draußen wartet jemand auf dich, also hol deinen Krempel und komm mit.“

Roy konnte es zwar immer noch nicht glauben, aber noch mal ließ er sich nicht auffordern. Viel hatte er ja nicht zu packen. Nachdem er dann noch seine persönlichen Dinge abgeholt hatte, wurde er zum Tor gebracht.

„Na dann, wir werden uns bestimmt wiedersehen.“ Der Wärter schaute ihm abfällig hinterher. Ein rassistisches Schimpfwort ihm gegenüber konnte er sich nicht verkneifen.

„Vielen Dank für die nette Verabschiedung“, erwiderte Roy und schaute sich um. Er war gespannt auf die Person, die ihn hier erwarten würde. Ein südländisch aussehender Mann kam auf Roy zu. Er wirkte sehr sympathisch. “Hallo Roy, mein Name ist Pablo. Deine Kaution wurde bezahlt.“

„Warum? Und wer will jetzt was von mir?“ Roy traute so schnell keinem Menschen mehr. Dass es jemand gut mit ihm meinte, konnte er schon gar nicht glauben.

„Ich möchte dich zum Essen einladen und mich mit dir unterhalten.“ Pablo mochte diesen jungen Namibier auf Anhieb.

„Okay, Hunger habe ich und unterhalten kann man sich ja mal.“ Roy war sehr gespannt, was auf ihn zukommen würde.

Am Abend saßen alle beim Essen zusammen und Pablo erzählte von Roy.

„Ich habe mich heute mit ihm getroffen und auch unterhalten, für die nächsten Tage ist er in einem Hotel einquartiert.“

„Und was hast du für einen Eindruck von ihm?“, fragte Sally.

„Nun, er ist ein netter, sympathischer Junge. Etwas hibbelig und noch sehr jugendlich. Ich könnte mir vorstellen, dass es ihm guttun würde, in eine Gemeinschaft zu kommen, die ihn und sein Können respektiert. Allerdings bin ich mir noch nicht sicher, ob er sich mit den Grundsätzen der ‚GfdO‘ identifizieren kann. Wir müssen ihm Zeit geben. Ich werde mich weiter mit ihm treffen und deine gesammelten Zeitungsartikel mitnehmen.“

Sally nickte „Okay, geben wir ihm Zeit, über alles in Ruhe nachzudenken. So, und jetzt hab ich noch eine tolle Nachricht für euch. Der Kauf des Anwesens ist über die Bühne gegangen! Ich habe heute über einen Botendienst alle erforderlichen Unterlagen erhalten. In einigen Tagen möchte ich mit euch dort hinfahren und alles begutachten. Wir wollen schließlich so schnell wie möglich mit unserer Arbeit beginnen.“

Pablo lächelte. „Schön, ich bin schon sehr gespannt. Ach, Sally, die Fahrzeuge, über die wir gesprochen haben, sind in Auftrag gegeben. Ende der Woche fahre ich mit Marc, José und Sandro los, um sie zu holen.“

„Sehr schön, ich verabschiede mich dann von euch, ich werde gleich abgeholt. Schönen Abend noch!“ Marc schaute ihr träumerisch hinterher. Er hatte schon mitbekommen, dass sie einen Freund hatte. Natürlich, das war zu erwarten gewesen, sie war ja eine tolle Frau. Er wollte diesen Mann an ihrer Seite unbedingt kennenlernen.

Sally ging auf ihr Zimmer, um sich zurechtzumachen. Als Richard kam, um sie abzuholen, ließ Maria ihn ins Haus. Während er auf Sally wartete, ging Marc durch den Flur. Die beiden dunkelhaarigen, gut aussehenden Männer grüßten sich kurz und kühl. Marc stellte für sich fest, dass er diesen Mann nicht mochte, was kaum verwunderlich war. Als er die Treppe zu seinem Zimmer hochging, kam ihm Sally entgegen. Sie sah fantastisch aus, ihre Haare trug sie offen, wie eine Löwenmähne. Die eng geschnittene helle Jeans zeigte, wie schlank sie war, das dazu passende Top und die kleine kurze Jacke brachten ihre Proportionen sehr gut zur Geltung. Als sie sich begegneten, roch Marc ihr Parfüm, Opium. Das mochte er sehr. Er schaute ihr kurz in die Augen, spürte ein Knistern, ging jedoch, ohne sich etwas anmerken zu lassen, weiter nach oben in sein Zimmer. Auch Sally hatte dieses Knistern gespürt, ignorierte es aber ganz bewusst, da sie sich auf Richard fixiert hatte. Der stand am Fuß der Treppe und schaute Sally entgegen.

„Du siehst einfach toll aus!“ Er riss sie in die Arme und küsste sie sehr fordernd. Natürlich waren ihm die Blicke des anderen Mannes nicht entgangen. Aber Sally gehörte ihm, etwas anderes würde er nicht zulassen. Sally genoss seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit und freute sich auf diesen Abend. Heute Nacht wollte sie Richard mit nach Hause nehmen. Im Auto sprach Richard Sally auf Marc an. Die Eifersucht in seiner Stimme war nicht zu überhören.

“Dieser Mann da eben, in deinem Haus, im Flur.“

„Du meinst Marc, meinen Bodyguard?“, warf Sally ein.

„Ja, genau. So ein Riesenkerl. Will der was von dir? Was ist das für ein Typ? Nur Muskeln und nichts im Kopf?“

Sally musste lachen. Ihr gefiel es, wenn Richard eifersüchtig war.

“Da mach dir bitte keine Gedanken, er ist sehr nett und auch intelligent, aber ich bin mit dir zusammen und er ist nicht mein Typ.“ Sally wusste genau, dass sie Richard mit dem zweiten Punkt angelogen hatte, aber sie konnte ihm schließlich nicht sagen, dass sie Marc durchaus anziehend fand. Außerdem wollte sie ja nichts von Marc. Nein, sie war fest entschlossen, mit Richard eine vernünftige Beziehung aufzubauen, wenn sie denn überhaupt dazu in der Lage war.

Sie verbrachten wieder einen schönen Abend. Richard kam wirklich noch mit zu Sally nach Hause, allerdings blieb er nicht die ganze Nacht. Sie lagen gemeinsam im Bett und kuschelten und schmusten. Für Sally ein schönes Gefühl, aber sie merkte auch, dass sie noch nicht in der Lage war, weiter zu gehen. Richard stellte sehr schnell fest, dass er in dieser Nacht noch nicht zum Zug kommen würde. Er entschloss sich zu gehen. „Sally, ich mach mich jetzt mal auf den Weg“, murmelte er plötzlich und begann, sich anzuziehen. An seinem Tonfall war leicht zu erkennen, dass ihm der Verlauf des Abends nicht gefiel.

„Du willst nicht hierbleiben?“ Damit hatte Sally nicht gerechnet. „Nein. Ich werde den Rest der Nacht in meinem Bett verbringen.“ Sally fragte nicht, warum er gehen wollte, sondern nahm es traurig hin. Sie wollte den schönen Abend nicht mit irgendwelchen sinnlosen Diskussionen beenden. Richard gab ihr einen schnellen Kuss und meinte: „Ich finde alleine raus, wir telefonieren!“ Dann verschwand er. Sie sollte merken, dass es besser war, sich nach seinem Willen zu richten.

Richard fuhr keineswegs nach Hause. Er hatte heute Abend noch ein ‚geschäftliches’ Treffen, das er nun nicht mehr verschieben musste. Er bekam einen nicht unerheblichen Betrag dafür, dass er Kleinigkeiten übersah.

Sally, nur mit einem Slip bekleidet, zog sich ein längeres Shirt über, ging in die Küche und holte sich noch ein kaltes Corona. Gerade als sie der Raum verlassen wollte, betrat Marc die Küche, ob Absicht oder Zufall, war schwer zu sagen. Auf jeden Fall bekam Sally einen Schreck, ihm plötzlich gegenüber zu stehen.

„Oh, hallo, Sally, mit dir habe ich ja nun überhaupt nicht gerechnet“, Marc schaute Sally an und was er sah, gefiel im ausgesprochen gut.

„Ähm, hallo, Marc…“ Hier, so mit dem Bier in der Hand und in dem Aufzug, das war Sally doch etwas peinlich. „Ich hatte noch Durst.“

Wieder spürte sie, dass dieser Mann irgendetwas in ihr auslöste. Sie hatte plötzlich das Bedürfnis, von ihm in die Arme genommen zu werden.

„Du bist mir weiß Gott keine Rechenschaft schuldig und übrigens, ich hatte auch Durst, allerdings ziehe ich eine Selters vor.“ Ein Grinsen konnte Marc sich nicht verkneifen. Sofort wurde Sally zickig, sie fühlte sich ertappt „Ich kann trinken, wann und was ich will!“

„Aber natürlich!“ Marc ging zum Kühlschrank und holte sich eine Selters heraus. Er hatte nur eine Boxershorts an, Sally konnte jeden Muskel an diesem fantastischen Körper erkennen. „Gute Nacht.“ Sie verließ fast fluchtartig die Küche. Zurück in ihrem Zimmer dachte sie noch lange über den Abend nach. Es war doch sehr schön gewesen mit Richard, aber die unvorhergesehene Begegnung mit Marc brachte sie völlig durcheinander.

Einige Tage später brachte Pablo Roy mit nach Hause. Sally befand sich in ihrem geliebten Kaminzimmer, als die beiden den Raum betraten.

„Hallo Sally, ich habe dir jemanden mitgebracht!“ Pablo nickte Roy zu, der langsam auf Sally zuging. Roy war sehr groß und dabei dünn wie eine Bohnenstange, seine Hautfarbe war nicht richtig dunkel, seine Haare hatten allerdings die typische Krause. Da er sie aber sehr kurz trug, konnte man nur die Ansätze erkennen. „Hallo Roy, komm, setz dich zu mir! Ich habe schon einiges von dir gehört, schön, dass ich dich persönlich kennenlerne!“ Sally lächelte ihn an. Er gefiel ihr sofort, leichte Mutterinstinkte machten sich bei ihr bemerkbar.

„Danke!“ Roy setzte sich, Pablo verließ den Raum und gleichzeitig steckte Maria ihren Kopf durch die Tür „Möchtet ihr etwas trinken?“

„Für mich bitte einen Kaffee!“ Sally schaute Roy an. “Und du?“ „Kann ich einen Spezi haben, einen großen?“

„Roy, du kannst alles haben, was du willst.“ Sally lächelte ihn an. „Toll, danke.“

„Entspann dich Roy, sei ganz locker, du bist hier unter Freunden.“ „Daran muss ich mich erst gewöhnen, ist aber ein schönes Gefühl.“

Im Laufe des Abends fühlte Roy sich immer wohler, er mochte Sally sehr gerne, aber auch Maria und Pablo waren nett. Das, was Sally alles über ‚GfdO‘ erzählte, gefiel ihm. Er hatte sämtliche Zeitungsartikel gelesen und war entsetzt über diese Vorfälle. Dabei erinnerte er sich wieder an sein eigenes Schicksal. Wenn man alle Artikel so geballt auf einmal sah und gelesen hatte, wurde einem erst richtig bewusst, wie viele Fälle es gab. Von Pablo wusste er schon eine Menge, ihm war aber noch nicht so ganz klar, was er dabei sollte. In diesem Moment betrat Marc das Kaminzimmer. „Störe ich, oder darf ich dazu kommen?“

„Sicher Marc, komm ruhig zu uns.“ Die Begegnung der letzten Nacht hatte Sally verdrängt. Trotzdem spürte sie immer eine innere Aufregung, wenn Marc in ihrer Nähe war. Roy schaute Marc etwas skeptisch an, aber der ging einfach auf Roy zu und reichte ihm die Hand. „Hallo Roy, ich bin Marc! Schön, dass du bei uns bist.“ Damit war das Eis gebrochen und Roy hatte gleich Vertrauen zu diesem Mann.

„Ähm, ich wurde ja nun aus der U-Haft geholt, aber da wird demnächst noch einiges auf mich zukommen! Wie soll es denn weitergehen?“

„Da mach dir mal keine Sorgen, Roy, meine Anwälte werden sich um alles kümmern. Ich werde dafür sorgen, dass du auf keinen Fall in Haft kommen wirst, wir brauchen dich schließlich.“ Sally legte beruhigend ihre Hand auf seinen Arm. „Ja, da sind wir auch irgendwie beim Thema. Was kann ich denn für die Organisation tun, wie kann ich euch unterstützen?“

„Tja, Roy, du bist ein guter Hacker, soweit ich gehört habe. Du wirst die beste Hard- und Software bekommen, die aktuell auf dem Markt zu haben ist. Alles, was du willst, wird Pablo dir beschaffen. Und wenn ich sage alles, dann meine ich auch alles. Wir werden öfter Informationen brauchen, an die man normalerweise nicht rankommt. Damit bist du im Spiel. Ich denke, du weißt genau, was ich mir vorstelle, oder?“

„Ich nehme an genau das, weswegen ich in den Bau gewandert bin, oder liege ich da falsch?“

„Doch das ist richtig. Aber wir werden mit der entsprechenden Technik dafür sorgen, dass du nicht wieder erwischt wirst, da kannst du mir vertrauen. Des Weiteren brauche ich ab und zu Informationen oder auch Recherchen aus dem Internet, auch diese Aufgabe wirst du übernehmen, ich denke, das ist so dein Ding, oder?“

„Doch, ja, das könnte mir gefallen.“

Die anderen gesellten sich auch noch dazu und es wurde eine sehr lustige Runde. Sally hatte das Gefühl, dass sich alle gut verstanden, sie schaute sehr positiv in die Zukunft.

Sie kam Marc nun auch näher, durch den Alkohol wurde sie sehr locker. Er saß neben ihr und hatte seinen Arm auf die Lehne des Sofas gelegt. Er berührte sie dabei zwar nicht, aber Sally rückte doch näher an ihn heran und empfand ein großes Gefühl der Geborgenheit. Sie fühlte sich nach langer Zeit wieder richtig wohl.

Schmetterlinge im Bauch hatte sie auch bei Richard, aber hier war es anders, intensiver.

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