Читать книгу Das poetische Theater Frankreichs im Zeichen des Surrealismus - Susanne Becker - Страница 6
1 Einführung 1.1 Einleitung
Оглавление„Le nouveau théâtre mérite attention puisque c’est celui qu’on jouera demain.“1 So äußerte sich der Schauspieler Henri Tisot, der in der Uraufführung von Romain Weingartens La Mandore mitspielte. Über vierzig Jahre später stellt sich die Frage, ob das nouveau théâtre tatsächlich zum Repertoire gehört. Ein regelmäßiger Blick in die Wochenzeitschrift L’officiel des spectacles, in der die aktuell in Paris und Umgebung laufenden Theaterstücke aufgelistet sind, belegt das Gegenteil. Es fällt auf, dass das nouveau théâtre, wenn überhaupt, fast ausschließlich in seiner absurden, nicht aber in seiner poetischen Ausprägung vertreten ist. Dies ist vor allem dem wohl bekanntesten Vertreter des absurden Theaters, Eugène Ionesco, zu verdanken. Mit den seit 1957 nicht abreißenden Aufführungen von La cantatrice chauve und La Leçon hat das Pariser „Théâtre de la Huchette“ Ionesco ein Denkmal gesetzt. Seit mehr als sechzig Jahren werden beide Stücke ununterbrochen in ihren Originalinszenierungen von 1950 bzw. 1951 gezeigt. Sie halten damit den Weltrekord der am längsten ohne Unterbrechung an einem Ort gespielten Stücke und haben über zwei Millionen Besucher angelockt, sodass es auf der Website des Theaters zu Recht heißt, das Spectacle Ionesco sei „[u]ne avant-garde devenue un classique“2. Doch auch abseits des ständig im Repertoire vorkommenden Ionescos ist das absurde Theater mit Stücken Arrabals, Becketts, Genets und Pinters immer wieder vertreten.
Einen anderen Eindruck gewinnt man dagegen vom poetischen Zweig des nouveau théâtre, von dem heute fast nur noch Tardieu und Obaldia übrig geblieben sind. Was sagt dies über das poetische Theater aus? Liegt der Grund für die Nichtbeachtung des poetischen Theaters bei den Autoren, deren Texte sich nur schwer auf die Bühne übersetzen lassen und besser gelesen als gespielt werden? Oder bei risikoscheuen Theaterschaffenden, die auf bewährte Erfolge setzen? Oder vielleicht doch beim Publikum, für das Poesie am Theater negativ konnotiert ist, wie eine britische Theaterkritikerin des Guardian3 vermutet? Oder ist das poetische Theater ganz einfach aus der Mode geraten, weil es von anderen Theaterformen überholt wurde?