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3.

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Es dauerte einige Tage, bis Sophie und Karl davon hörten, dass Rikus im Krankenhaus lag. Als die Ärztin in der Notaufnahme gefragt hatte, ob sie jemanden informieren solle, hatte er um einen Anruf bei den Bauers in Boen gebeten. Deren Sohn Hermann arbeitete seit etwa acht Jahren bei ihm auf dem Hof, ziemlich genau seitdem Beene nicht mehr zu ihm gekommen war. Hermi war etwas zurückgeblieben und hatte nach dem Ende seiner Schulzeit an der Förderschule in Weener keinen Ausbildungsplatz bekommen. Nach einigen Jahren der Verwahrung in Fördermaßnahmen, die in Wirklichkeit eine Zeit voller monotoner Handgriffe in tristen Werkstätten waren, sprach Hermis Vater Rikus an, den er von einigen Jagdgesellschaften kannte. Rikus erklärte sich bereit, dem Jungen einfache Arbeit auf dem Hof zu geben und dann zu schauen, wie er sich machte. Vielleicht war später eine Ausbildung möglich, beide Männer hofften darauf. Zunächst sollte Hermi aber nur ein Taschengeld bekommen.

Hermi hatte sich auf dem Hof gut eingearbeitet; die Arbeit mit den Tieren machte ihn glücklich. Er kannte alle Kühe und ihre Vorlieben genau, obwohl er sich die Namen nicht merken konnte. Wenn Rikus ihn fragte, warum er Molly immer in die letzte Box am Melkstand führte, schaute er nur verwirrt. Tat er das? Schon möglich. Die wollte das wohl so. Rikus gewöhnte es sich bald ab, Hermi Fragen zu stellen. Seine Kühe waren zufrieden mit seinem neuen Hofhelfer, und nur darauf kam es an.

Im Sommer übernahm Hermi das Kühe Treiben vor und nach dem Melken, dazu imitierte er Rikus‘ Art, durch die Zähnen zu pfeifen. Jeder Hof hatte seinen eigenen Ruf für die Tiere, einige der Nachbarn riefen sie mit einem schrillen ‚jiiiih‘ oder einem schnellen ‚hepp hepp hepp‘, doch Rikus’ Kühe wurden seit Generationen mit einem Pfeifton angelockt, der für sie so unwiderstehlich klang wie der Ruf des Rattenfängers. Und Hermi pfiff voller Inbrunst in betörender Monotonie, als gelte es wirklich, die Tiere allein durch das Pfeifen zusammenzurufen.

Wenn die Kühe mit schwankenden Eutern über die Wiese auf ihn zukamen, lobte er sie so überschwänglich, als seien sie junge Hunde, denen man das Apportieren beibrachte.

„Ihr Lieben, da kommt ihr schon, brave Viecher, ganz brave Viecher, kommt ihr zu Hermi, das ist toll, ihr seid lieb ...“

Mit leiser, zärtlicher Stimme sprach er auf sie ein und lockte zwischendurch immer wieder mit einem langen Pfiff. „Pfüiiih, pfüiiih ...“

Wenn Rikus Hermi pfeifen hörte, wurde er oft schwermütig. Der Ton klang so berauschend schön und Hermi beherrschte ihn so wunderbar, als hätte Gott ihn als seinen Nachfolger geschickt. Doch Hermi würde niemals allein zurechtkommen, nicht auf dem Hof und auch sonst nicht im Leben. Immer gleiche Abläufe konnte er sich merken und er konnte mit den Tieren umgehen, doch darüber hinaus konnte er nur wenig, sodass ein selbständiges Arbeiten nicht infrage kam. Die Idee einer Ausbildung war schnell wieder vom Tisch, den schulischen Anteil daran hätte Hermi niemals geschafft. Trotzdem hatte Rikus ihn ins Herz geschlossen wie einen eigenen Sohn.

Wenn man Hermi nicht verunsicherte, konnte er die Melkmaschine bedienen, denn er hatte es so häufig gesehen, dass er jeden Handgriff kannte. Doch wenn ihn jemand gefragt hätte, wie es funktionierte, wäre er – ähnlich wie mit den Kühen – sofort ins Schleudern geraten und hätte den Knopf für die Pumpe mit dem für die Kühlung verwechselt. Knöpfe waren ein Risiko, ebenso wie Namen. Hermi konnte sich auch niemals merken, welche Kühe gerade Medikamente bekamen und daher nicht in den Melkstand durften. Er verwechselte auch manchmal die Wochentage und parkte dann zur Unzeit den Trecker vor der Tür zur Kühlkammer, sodass der Milchwagenfahrer die Tür nicht öffnen konnte.

Wenn ein solches Missgeschick passierte, dann ärgerte Rikus sich zwar, war aber nicht wirklich böse auf Hermi. Er sah sich vielmehr selbst in der Pflicht, die nötigen Voraussetzungen zu schaffen, damit Hermi seine Aufgaben gut erledigen konnte.

Da Hermi praktisch Analphabet war, konnte Rikus ihm nicht einfach Zettel schreiben, aber Zahlen waren für ihn einfacher zu erkennen, das hatte Rikus im Laufe der Zeit festgestellt. Also klebte an der Eingangstür zum Melkstand bald eine gelbe Liste, auf der die Nummern der Kühe standen, die Hermi nicht hereinlassen durfte, sondern zum alten Gatter führen musste, wo die Milch in zwei große Flaschen gepumpt wurde. Hermi prüfte bei jeder Kuh die Nummer auf der Ohrmarke, was sehr lange dauerte, viel länger, als wenn Rikus es selbst getan hätte. Aber zumindest das Kontrollieren der Nummern vergaß Hermi nie. Sobald er mit der Herde vor dem Stall ankam und den gelben Zettel sah, begann er, die Zahlen zu vergleichen.

Für verschiedene Orte wie die Tür zur Kühlkammer hatte Rikus rote Zettel, die er immer dann anbrachte, wenn Hermi hier etwas nicht tun durfte, wie zum Beispiel den Trecker parken. Am Anfang war der Milchwagenfahrer etwas verwirrt gewesen, weil er dachte, es handele sich um eine Warntafel für ihn, doch dieses Missverständnis konnte schnell ausgeräumt werden. Auch Hermi wusste manchmal nicht so genau, warum irgendwo ein Schild hing. Die rote Karte bedeutete für ihn einfach: "Bleib hier weg!", und daran hielt er sich. Denn wenn er auch nicht besonders schlau war, so hatte er doch ein feines Gespür für das Wohlwollen, das Rikus ihm entgegenbrachte, und war dankbar für dessen Nachsicht. Wenn er einen Fehler gemacht hatte, überlegte er sich, wie er es wieder gutmachen könne, und kam immer auf die gleiche Idee. Er würde heute besonders hart und lange arbeiten, damit sein Freund Rikus stolz auf ihn wäre. Und das tat er dann auch und blieb so lange, bis der ihn mit einem freundschaftlichen Klaps auf die Schulter nach Hause schickte. Für Rikus hätte Hermi alles getan.

Außer Hermi war nur noch Gerd Ostmann gelegentlich auf dem Hof. Er kam immer zu den Stoßzeiten, zum Silofahren und Heumachen und manchmal brachte er für Rikus Kälber zu einer Auktion, doch das war selten.

So kam es, dass Rikus zuerst mit Hermi sprach, nachdem der Krankenwagen ihn im Klinikum eingeliefert hatte, und der versprach, am Nachmittag pünktlich zum Melken auf dem Polder zu sein und auch am nächsten Morgen. Die Nummernliste hing noch an der Wand und Kraftfutter war noch genug da, sodass Hermi auch das Füttern übernehmen konnte. Einen Tag würde er es schaffen.

Und am darauffolgenden Tag rief Rikus bei Gerd Ostmann an, denn die Ärzte konnten zwar nicht viel für ihn tun, wollten ihn aber wegen der starken Schmerzen einige Zeit auf der Station behalten. Nachdem so alles geregelt war – wie schnell man doch zu ersetzen ist, wenn es wirklich darauf ankommt, dachte Rikus bei sich – ergab er sich dem Krankenhausalltag.

Ein Anruf an die Familie erging von seinem Krankenhauszimmer erst drei Tage später, und das auch nur, weil der 26. August zufällig Karls Geburtstag war, und Rikus es selbst in den Jahren, in denen sie sich nicht so wohlgesonnen waren, niemals versäumt hatte, seinem Bruder zum Geburtstag zu gratulieren.

Karl reagierte etwas ungehalten auf die Auskunft von Rikus, er könne leider nicht zum Tee vorbeikommen, weil er im Krankenhaus läge.

„Warum hast du denn nicht sofort angerufen?“, polterte er los.

„Warum denn?“, entgegnete Rikus mit vom Liegen etwas belegter Stimme. „Ihr hättet doch gar nichts tun können.“

Das war zutreffend, aber so leicht ließ Karl nicht mit sich reden.

„Glaubst du etwa, es interessiert mich nicht, wenn mein Bruder im Krankenhaus liegt, oder was?“

Ein Vorwurf über den vermuteten Vorwurf war aus seiner Stimme klar herauszuhören.

Rikus lenkte sofort ein.

„Nein, nein, aber ihr habt doch immer genug zu tun, da müsst ihr nicht auch noch im Krankenhaus herumsitzen“, versicherte er seinem Bruder.

In Wirklichkeit lag ihm nicht allzu viel an den oberflächlichen Gesprächen, wie sie an Krankenhausbetten geführt wurden. Es gab nach Rikus‘ Auffassung viel zu viele Situationen, in denen unnütze Gespräche geführt wurden. Wörter, die die Luft verschmutzten und das Leben nur anstrengender machten. Wörter, auf die man sich ständig konzentrieren musste, nur um dann festzustellen, dass man es auch hätte bleiben lassen können. Auch deswegen kam er so gut mit seinem Hofhelfer zurecht. Er beschränkte sich Hermi gegenüber auf die Mitteilung des Wesentlichen, anstatt ihn mit unnützem Gerede zu verunsichern.

Man konnte weder Karl noch seine Frau als ausgemachte Quasselstrippen bezeichnen, ganz im Gegenteil. Karl war eher wortkarg, es sei denn, er hatte zu viel Wein getrunken, dann wurde er philosophisch. Und Sophie versponn alle Gedanken in ihre Bücher, sodass sie bei Gesprächen häufig stumm, aber aufmerksam daneben saß und die Wörter aufzusaugen schien, als sammelte sie neue Nahrung zum Schreiben. Aber das machte ein Gespräch mit den beiden für Rikus nicht einfacher. Denn so mussten sie Themen suchen, sich mühsam von Frage zu Frage hangeln, obwohl es gar nichts zu sagen gab.

Für Rikus wäre es am angenehmsten gewesen, wenn Karl mit telefonischen Auskünften zufrieden gewesen wäre, aber er fand nicht die richtigen Worte, um es ihm zu sagen. Karl versicherte ihm also, er würde kommen, sobald die Gäste nach dem Tee wieder gegangen wären.

Über lange Jahre hinweg war das Verhältnis zwischen den Brüdern so schlecht gewesen, dass Karl sich nicht an das Krankenbett seines Bruders bemüht hätte, und ihm sogarein Telefonanruf zu viel gewesen wäre.

Bis er heiratete und auszog, hatten sich die Brüder auf dem Hof den großen Raum im Obergeschoss als Schlafzimmer geteilt. Und bis dahin hatte Karl eine Lehre als Groß- und Außenhandelskaufmann absolviert, sich von seinem ersten Gehalt einen Roller gekauft, später den Führerschein fürs Auto gemacht und außerdem viel Geld auf Dorfpartys und in Kneipen gelassen, in denen er der Schwarm der Mädchen war.

Da war Rikus schon lange die erste Arbeitskraft auf dem Hof gewesen, hatte stundenlang auf dem Trecker gesessen, um je nach Jahreszeit zu düngen, zu mähen oder Heu einzuholen. Am frühen Morgen und am späten Nachmittag trieb er die Kühe zusammen, half seinem Vater beim Melken und danach seiner Mutter beim Kälberfüttern. Und dafür bekam er ein fettes Abendbrot und auch ansonsten alles, was ein junger Bauer zum Leben gebraucht hätte, aber niemals ein eigenes Gehalt auf einem Konto, dass nur er selbst verwaltete.

Ein neuer Anzug für Rikus reihte sich stets ein in eine lange Liste anstehender Ausgaben wie die Reparatur des Mähwerks oder die Rechnung für den Abdecker. Dabei war durchaus genug Geld da. Neben einer Magd und einem Knecht, die mit auf dem Hof wohnten, hatten sich die Boekhoffs lange Zeit sogar einen Vorarbeiter geleistet, der ein kleines Häuschen an der Straße etwa fünfzig Meter vom Hof entfernt bewohnte. Er starb an einem Herzinfarkt, als Rikus mit vierzehn Jahren gerade die Volksschule beendet hatte. Und so nahm er in stillem Einverständnis mit seinen Eltern die Vorarbeiterstelle ein, ohne aber die Lohntüte zu bekommen. Die Frage war einfach ungeklärt geblieben, wohl auch, weil Rikus damals für einen Lohn noch zu jung war. Doch diese undefinierte Stellung im Haushalt war an ihm kleben geblieben wie zähes Pech;er hatte zwar mehr zu sagen gehabt als der Knecht, aber der Chef auf dem Hof blieb für weitere lange fünfundzwanzig Jahre sein Vater.

Rikus war nicht dumm, doch ihm war eine ausgeprägte Einfalt zu eigen, alle Fragen des menschlichen Zusammenlebens betreffend. Er erkannte nicht, von welcher Seite sein Ungemach herrührte, und so beneidete er still seinen Bruder und warf ihm vor, von seinen Eltern bevorzugt und verhätschelt worden zu sein. Da er nie heiratete, lebte er weiterhin in seinem Zimmer im Obergeschoss, wurde immer verschrobener, und die Zeit, die er nicht auf Arbeiten verwendete, verbrachte er mit dem Knecht beim Kartenspiel oder am Wochenende mit den Nachbarn auf der Jagd.

Als seine Eltern das Rentenalter erreichten, hatten sie genug Geld angespart, um das kleine Landarbeiterhäuschen renovieren zu lassen, das die letzten fünfundzwanzig Jahre vermietet gewesen war. Die Alten zogen um und kamen von nun an nur noch wochentags um die Zeit des Melkens, halfen beim Viehtrieb und beim Füttern der Kälber. Sie lebten von der Pacht, die Rikus ihnen zahlte und um die zu feilschen sein Vater nicht verlegen gewesen war.

Erst Karls Künstlerleben hatte die beiden Brüder einander nähergebracht. Es erschien Rikus als etwas völlig Eigenständiges, das sich der Jüngere ohne die Hilfe der Eltern erarbeitet hatte und das er deswegen neidlos bewundern konnte und ihn die bitteren Ungerechtigkeiten seiner Eltern vergessen ließ. Dass Sophie ihm die finanzielle Freiheit dazu geschenkt hatte, konnte er akzeptieren. Dafür hatte Karl sie schließlich am Anfang der Ehe auch ernährt – und außerdem ihre Eigenheiten ertragen.

Im Gegenzug ließ auch Karls Eifersucht auf den großen Bruder, der den Hof als völlig selbstverständliches Erbe erhielt, während er sich, noch dazu mit fünf Kindern, als Landmaschinenvertreter durchschlagen musste, mit Sophies zunehmendem Erfolg als Schriftstellerin nach, und er konnte endlich die Freiheit von der Erblast genießen, um die Rikus ihn schon immer beneidet hatte.

Karls Besuch verlief ungefähr so, wie Rikus es erwartet hatte. Es gab nichts Neues zu berichten, außer dass ein Arzt von Reha gesprochen hatte. Rikus versicherte Karl, er könne nichts tun, die Angelegenheiten auf dem Hof regele Gerd Ostmann mit Hermis Hilfe. Dann herrschte Schweigen, bis Karl das einzige Thema anschnitt, das eines Gesprächs bedurfte.

„Rikus, hast du eine Vorstellung, wie es weitergehen soll mit dem Hof?“, fragte er.

„Ich habe mir noch keine Gedanken über Rente gemacht“, antwortete Rikus ausweichend, „ich bin ja noch keine siebzig.“

Er versuchte die Antwort mit einem gequälten Lachen als Witz zu tarnen. Er würde den Hof verkaufen müssen, und diese Vorstellung tat ihm so schrecklich weh, dass er jetzt nicht darüber nachdenken konnte. Karl drängte ihn dennoch:

„Du musst aber langsam eine Entscheidung treffen.“

„Und wo soll ich dann hin?“ Rikus schnaufte. „Der Hof ist mein Zuhause, ich habe nichts anderes.“

„Der Hof ist aber auch eine Last, dein ganzes Leben war er eine Last. Jeden Tag melken, niemals ein Tag Urlaub, die ständige Arbeit im Stall. Alles hat sich doch immer nur um die Kühe gedreht. Jetzt bist du mal dran.“

„Und das heißt dann, dass ich alles aufgeben soll, mein ganzes Leben? Und das soll gut sein?“

Rikus sprach atemlos, gehetzt. Warum musste Karl ausgerechnet jetzt damit anfangen, wo es ihm so schlecht ging, dass er nicht einmal atmen konnte, ohne zu leiden? Karl merkte, dass er seinen Bruder unter Druck setzte, doch er ließ nicht locker und versuchte es mit Überredung.

„Ich verstehe dich ja, aber stell dir vor, du könntest in einem kleinen Häuschen wohnen. Keine Arbeit mehr, keine Kühe, höchstens einen Hund, damit du nicht so allein bist. Wenn du den Hof verkaufst, hast du Geld genug dafür.“

Er gab seinen Worten einen unbeschwerten Klang, obwohl die eigene Betroffenheit ihm fast die Tränen in die Augen trieb. Er konnte Rikus‘ Anblick kaum ertragen, seine Schmerzen, seine Einsamkeit. Und er fühlte sich auf unverständliche Weise dafür verantwortlich. Als hätte er ihn jemals zu irgendeiner Entscheidung in seinem Leben gedrängt. Rikus hatte genau das Leben geführt, das er sich selbst ausgesucht hatte. Aber vielleicht hätte er ihm dabei helfen können, einen Nachfolger zu finden. Mit ein wenig Ermunterung wäre Heddo vielleicht dazu bereit gewesen. Doch wenn Karl ehrlich war, musste er sich eingestehen, dass er es seinen Söhnen immer ausgeredet hatte, auf dem Hof zu arbeiten.

Er selbst hatte als Jugendlicher nur weggewollt. Runter vom Hof, weg von den Eltern. Nie wieder Kühe treiben, nie wieder den Alltag in Gummistiefeln verbringen müssen. Das wunderbare Bild eines Lebens in Freiheit, dass er seinem Bruder gerade gezeichnet hatte, war in Wirklichkeit sein eigener Antrieb gewesen, als er vor langer Zeit weggezogen war. Und genauso hatte er auch nicht gewollt, dass einer seiner Söhne dieses Leben führen musste, dass er für sich selbst abgelehnt hatte wie sauren Wein.

Sicher, die Entscheidung, den Hof aufzugeben, würde auch ihn schmerzlich treffen. Schließlich hatte er hier seine Kindheit verbracht. Und es war noch immer ein wunderschönes Fleckchen Erde, der weite Hammrich, der Dollart mit seinem Möwengeschrei, aber diese Sentimentalität galt nur dem Ort, nicht dem damit verbundenen Beruf des Bauern. Wie schön wäre dieser Ort erst ohne die elende Plackerei. Karl wünschte sich sehr, dass Rikus sich ebenfalls eine solche Zukunft vorstellen könnte, doch er wusste, dass beide Dinge, der Hof und die Tiere, für seinen Bruder untrennbar verbunden waren. Resthof war ein Unwort, das für Rikus nicht infrage kam. Die Entscheidung würde also eine umwälzende sein, eine das ganze Leben seines Bruders erfassende, ihn vielleicht erdrückende. Doch die Veränderung wäre immer noch besser, als gar nichts zu tun, denn die Zukunft erschien Karl wie ein dunkler Strudel, in den Rikus unweigerlich hinabgezogen werden würde, wenn er weiter nichts tat.

Rikus fürchtete das nicht, denn es war sein Leben, es war ihm zu nahe. Es sollte einfach noch ein bisschen so weitergehen wie bisher, nur eine kurze Pause für eine Erholung, dann würde er schon einen Weg finden. Nur jetzt gerade fühlte er sich zu schwach, um Karl eine Lösung zu präsentieren. Genau genommen war er sogar zu schwach, um überhaupt noch etwas zu sagen. Zu sehr beanspruchte der Schmerz in seinem Rücken seine Aufmerksamkeit. Er schloss seine Augen und schwieg, bis Karl seine Hand drückte und resigniert den Raum verließ. Rikus blieb mit einem Gefühl der Erleichterung zurück, als hätte nicht der Bruder, sondern sein Problem soeben das Weite gesucht.

Polderblues

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