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6.

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Die Hand seines Onkels war verschwitzt, als Beene sie kurz drückte. Eine Umarmung erschien nicht angebracht, auch nach einer Woche im Krankenhaus hatte Rikus noch große Schmerzen, das war offensichtlich. Beene zog einen der Besucherstühle ans Bett und setzte sich. Rikus‘ Augen blickten müde, doch er versuchte zu lächeln.

„Na, mien Jung, wo geiht di dat?“

Sophie und Karl hatten mit ihren Kindern nie Plattdeutsch gesprochen, und so beschränkte Rikus seine Ansprache auf die gängigen Floskeln, die in Ostfriesland jeder verstand. Beene wiegte sachte seinen Kopf hin und her, was für Rikus als Antwort ausreichend war.

„Und du?“, fragte er stattdessen.

Rikus schnaufte. Einen kurzen Moment blieb es still, bevor Beene zum Thema kam.

„Ich möchte den Hof übernehmen“, verkündete er schlicht, jede Unsicherheit diesbezüglich war inzwischen von ihm abgefallen.

Rikus seufzte und ließ seinen Blick zur Decke wandern. Beene wäre kein Grund eingefallen, der gegen sein Ansinnen gesprochen hätte, im Gegenteil, er glaubte fest daran, dass sein Onkel sich darüber freute, trotzdem fühlte er sich plötzlich unwohl. Den Hof von einem Bauern zu erbitten, erschien ihm auf einmal vermessen. Er hätte auf das Angebot von Rikus warten und nicht selbst mit der Tür ins Haus fallen sollen. Seine Hände wurden so feucht wie die seines Onkels, während er auf eine Erwiderung wartete, doch dann sagte Rikus aufgeräumt:

„Gut.“

Er hob den Arm, so hoch er konnte, um seinem Neffen noch einmal die Hand zu drücken. Beene hielt sie diesmal einen Moment länger, in Rikus‘ Blick lag Wärme.

„Wir müssen sehen, wie es gehen kann. Du weißt schon eine Menge, wahrscheinlich genug, aber irgendwann wirst du den Schein brauchen, sonst macht die Kammer Stress,“ erklärte er Beene, der sich mit organisatorischen Fragen zur Übernahme des Hofes bislang überhaupt noch nicht beschäftigt hatte. Ihm wurde etwas mulmig, als ihm bewusst wurde, dass auch ein Bauernhof ein Betrieb war, für dessen Leitung man eine Ausbildung und Erfahrung brauchte, nicht nur im Melken, sondern auch in der Buchführung und vielen anderen Bereichen.

„Welchen Schein?“, fragte er verunsichert, doch Rikus beruhigte ihn.

„Mach dir keine Sorgen. Du bist doch ein schlauer Junge. Du hast Abitur, du kannst denken und rechnen. Und du bist oft bei mir gewesen. Praktisch kannst du schon fast alles. Aber einen Facharbeiterschein wirst du brauchen, sonst hast du Probleme bei der Beantragung von Fördergeldern und bei der Bank. Die Landwirtschaftskammer bietet aber Abendkurse für Hofnachfolger an, die schon mitgearbeitet haben, dann brauchst du keine Ausbildung über drei Jahre zu machen. Das heißt, du könntest sowieso auf zwei Jahre verkürzen, weil du ja Abitur hast.“

Beene solle am besten sofort auf dem Hof anfangen, dann hätte er die Hilfe von Gerd Ostmann, der noch von der Versicherung bezahlt werde und der ihn einarbeiten könne. Um die Frage der Ausbildung könnten sie sich auch in einem halben Jahr kümmern, wenn es Rikus besser ginge. Bis dahin sei er ja in der Nähe und könne zu allen wichtigen Dingen befragt werden.

Während Rikus sprach, erschien es Beene, als wollte sein Onkel nicht nur ihn informieren, sondern auch sich selbst der Machbarkeit ihres Planes vergewissern. Beene hatte ihn bisher als verschrobenen Eigenbrötler kennengelernt, der mit seinen Tieren lebte. Ihn so sachlich und präzise sprechen zu hören, war für Beene neu. Er vermutete, dass Rikus schon früher über die Möglichkeit nachgedacht hatte, den Hof abzutreten, an ihn oder einen seiner Brüder, und dass Rikus selbst schon diese Vorstellung gehabt hatte, bestärkte ihn mehr als alles andere darin, diesen Weg zu gehen.

Beene blieb noch etwa eine Viertelstunde. In das sich zwischen ihnen ausbreitende Schweigen hinein warf Rikus immer wieder neue Aspekte, die ihm gerade eingefallen waren und die bedacht werden mussten. Zuletzt nahm er Beene das Versprechen ab, seinen Hofhelfer weiter zu beschäftigen.

Auf dem Weg zu seinen Eltern nach Charlottenpolder betrachtete er die Landschaft, die draußen an den Fenstern des Busses vorüberflog, mit anderen Augen. Die fetten, saftigen Wiesen des Hammrichs, auf denen schwarzbunte Kühe grasten. Die Alleebäume, die die schnurgeraden Straßen der Polder säumten, links und rechts begleitet von den Tiefs zur Entwässerung. Die geschwungenen und mit Kopfsteinpflaster ausgelegten Straßen in den alten Ortskernen. Er ertappte sich bei dem Wunsch, diese Bilder mit dem rothaarigen Mädchen aus dem Zug zu teilen. Wie ein Touristenführer präsentierte er ihr in Gedanken die Schönheiten der Landschaft, und erst dadurch entfalteten sie ihre volle Pracht. Dies war seine Heimat. Und jetzt war sie auch seine Zukunft.


Zwei Tage später zog er mit Haukes Hilfe auf den Hof in Josefspolder. Viel hatte er nicht mitzubringen. Sein alter Schreibtisch passte auseinandergebaut in Haukes Golf, und seine Eltern schenkten ihm ein neues Bett, das direkt dorthin geliefert wurde. Das alte hatten sie bei seinem Umzug ins möblierte Studentenwohnheim in Göttingen entsorgt.

Das Wohnhaus war so riesig und unmodern eingerichtet, wie er es aus seiner Kindheit in Erinnerung hatte, aber Beene war das egal. Er schlüpfte wie ein dankbarer Einsiedlerkrebs in dieses viel zu große Schneckenhaus, das seine Großeltern hinterlassen hatten, wie es vor ihm auch Rikus getan hatte.

Der Sommer war warm und trocken. Noch bevor sein Wecker klingelte, wurde Beene jeden Morgen vom Rauschen der Pappeln und dem Zwitschern der Stare geweckt, die sich zu Dutzenden darin niedergelassen hatten; dann hatte die Sonne sein Schlafzimmer schon in goldenes Licht getaucht. Innerhalb weniger Tage hatte er sein unglückliches Studentendasein vergessen. Er genoss die Arbeit an der frischen Luft und die Konzentration auf unmittelbar sinnvolle Tätigkeiten: das tägliche Melken und Füttern, die Beobachtung der Tiere, die seine Hilfe bei Krankheiten oder beim Kalben benötigten, das Mähen und Silomachen. Wenn er Fragen hatte, fuhr er zu Rikus ins Krankenhaus.

Ein Gefühl der Einsamkeit überkam ihn das erste Mal, als sich im Oktober tagelang eine Schlechtwetterfront hielt. Der Himmel war trübe und grau und die Sonne schien hinter den Wolken niemals aufgegangen zu sein. Im steten Regen fielen die Blätter von den Bäumen und das Gras verlor seine satte Farbe. Der Winter hier würde lang sein, länger, als Beene es für möglich gehalten hatte.

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