Читать книгу Und die Tage lächeln wieder - Susanne Zeitz - Страница 13

Kapitel 8

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Meine Gedanken driften wieder zurück zu dem Samstag, als Konrad mir das Buch in die Hand drückte und mich eindringlich bat, es zu lesen.

Ich sehe mich in meinem Lieblingssessel sitzen. Das Buch lehnte an meinen Knien und ich tauchte ein in die Geschichte der Peruanerin.

Das erste Kapitel erzählte, wie sie ihren Mann kennenlernte. Ein junger Anwalt, der in der Kanzlei ihres Vaters arbeitete und der ihr, wie sie schrieb, schon bei der ersten Begegnung den Kopf verdreht hatte.

Ich überflog die beschriebenen Details, las über ihre Hochzeit und über den Kinderwunsch, der sich in den ersten Jahren nicht erfüllte. Ich blätterte weiter, überschlug wieder einige Seiten.

Mittlerweile wurde es draußen langsam dunkel. Ich schaltete meinen Lesestrahler an und ging in die Küche, um mir zwei Brote zu streichen. Ich hatte Hunger, denn seit dem Stückchen Kuchen am späten Vormittag hatte ich nichts mehr gegessen. Um keine Zeit zu versäumen, nahm ich die Brote mit in meine Leseecke.

Nach einem großen Schluck Kräutertee, nahm ich das Buch wieder zur Hand. Der Schreibstil und die Sprache gefielen mir, spannend war es auch, doch bis jetzt konnte ich noch nicht erkennen, was dieser Roman mit mir zu tun haben sollte. Was mich allerdings ein bisschen verwirrte, war, dass ich beim Lesen meinte, die Stimme meiner Mutter zu hören, und dass ich das Gefühl hatte, als sei es ihr Leben, über das ich las.

Und dann wurde es mit einem Mal spannend. Der Wohnsitz der Familie hätte nach Beschreibung der Autorin unsere Villa sein können.

Mein Herz schlug schneller. Was hatte das zu bedeuten?

Warum hatte Konrad es mir gegeben? Wegen dieser Ähnlichkeiten?

Und es wurde noch interessanter.

Sie beschrieb einen anderen Mann, der ihr sehr nahe stand. Keinen Liebhaber, sondern einen Jugendfreund, mit dem sie sich gut verstand und der sie in die Welt der Bücher einführte. Er hatte einen Buchladen, in dem sie ihn bei ihren Einkäufen in der Stadt des Öfteren besuchte.

Die Beschreibung hätte auf Konrad passen können, nur dass der Freund einen anderen Namen trug.

Der Roman wurde mir immer suspekter, nein, er wurde mir immer unheimlicher, je mehr Gemeinsamkeiten mit meiner Mutter auftauchten.

Auch das nächste Kapitel, in dem sie schilderte, dass dieser Freund sie ermunterte, ihre Geschichten und Märchen an einen Verlag zu schicken. Sie entwickelte sich zu einer beliebten und erfolgreichen Kinderbuchautorin.

Ich klappte das Buch zu, erleichtert darüber, dass der Text darin eingesperrt blieb, bis ich entscheiden würde weiterzulesen. Meine Hände zitterten und mein Herz klopfte holperig.

Das könnte meine Mutter geschrieben haben, wenn sie nicht tot wäre. Ach Quatsch! Aber es sind Ähnlichkeiten vorhanden, wahrscheinlich hatte Konrad das gemeint.

Eine Frau, die ein ähnliches Leben wie meine Mutter geführt hatte oder sollte ich eher sagen, eine Frau, die das Leben meiner Mutter geführt hatte?

Ich schüttelte über meine verwirrten Gedanken den Kopf. Das nahm langsam bedenkliche Formen an. Das waren Zufälle, nichts als simple Übereinstimmungen, die nichts zu bedeuten hatten.

Das Telefon klingelte. Ich nahm das Gespräch an, froh für die Unterbrechung.

„Hier Konrad. Hast du schon mit dem Roman angefangen?“ Ein leichtes Vibrieren war in seiner Stimme zu hören.

„Ja.“

„Und? Wie weit bist du?“

„Dass sie Kinderbücher schrieb“, antwortete ich knapp. „Aber ich weiß nicht, was das Buch mit mir zu tun haben soll. Es geht mir auf die Nerven.“

„Ich komme vorbei. Lies weiter und dann blättere auf Seite 215. Da wird es interessant! Bis später.“

Bevor ich noch etwas sagen konnte, hatte er schon aufgelegt.

Seufzend begab ich mich ins Schlafzimmer und zog eine andere Hose an. Der Pulli konnte bleiben, entschied ich.

Zurück im Wohnzimmer setzte ich mich wieder in meinen Sessel und schlug die nächste Seite auf.

Endlich war sie schwanger. Sie freute sich sehr darauf und die Ehe schien ein bisschen besser zu werden.

Der nächste Satz brachte mich völlig aus dem Konzept. Schnell blätterte ich weiter und schlug die Seite auf, die mir Konrad empfohlen hatte.

Dieses Kapitel, das ich mit klopfendem Herzen überflog, setzte dem Ganzen die Krone auf. Die Autorin beschrieb, wie sie mit ihrem Mann Urlaub in Peru machte.

Wie meine Mutter!

Sie war anscheinend gar keine Peruanerin.

Mittlerweile klopfte mein Herz wie verrückt und ein dumpfer Druck breitete sich in meinem Magen aus. Ich klappte das Buch zu und trug es in den Flur. Nur weit weg. Das konnte doch nicht sein! Das waren zufällige Übereinstimmungen, mehr nicht.

Ich ging aufgeregt hin und her. Hoffentlich kam Konrad bald. Das Buch würde ich nicht mehr aufschlagen. Ich merkte, wie eine diffuse Angst von mir Besitz ergriff.

Aber was ist denn los, fragte ich mich. Um mich abzulenken, ging ich in die Küche und schaltete den Wasserkocher an. Ein Lavendeltee würde mir sicher guttun. Gerade als ich das heiße Wasser über den Teebeutel goss, klingelte es an der Haustür. Ich betätigte den Türöffner und kurz darauf erschien Konrad.

„Hallo, meine Süße, da bin ich und schau, was ich uns mitgebracht habe.“ Er schwenkte eine Rotweinflasche hin und her.

„Den kann ich brauchen“, brachte ich leicht ächzend heraus.

Konrad sah mich ernst an. „Du hast es also gelesen?“

Ich ging voraus in die Küche, wo ich meinen Tee, zwei Rotweingläser und den Flaschenöffner auf das Tablett stellte. Konrad blieb mir dicht auf den Fersen.

„Und, hast du?“

„Ja, ich hab’s gelesen.“

Wir gingen ins Wohnzimmer. Konrad ließ sich mit einem tiefen Seufzer in den Sessel sinken. Ich kuschelte mich auf das Sofa, das ihm gegenüberstand und blickte ihn erwartungsvoll an.

„Was bedeutet das alles?“, fragte ich.

„Was denkst du?“, stellte er mir die Gegenfrage.

„Ich weiß es nicht. Aber irgendetwas bringt mich total aus der Fassung. Man könnte meinen, dass das Buch von meiner…“ Ich unterbrach den Satz, denn ihn auszusprechen, würde etwas Ungeheuerliches bedeuten, würde meine ganze Welt durcheinanderbringen.

„Dass deine Mutter das Buch geschrieben hat“, vervollständigte er meinen Satz. „Das ist die Geschichte deiner Mutter!“ Seine Stimme zitterte mittlerweile und mit Entsetzen sah ich, wie sich seine Augen mit Tränen füllten.

„Konrad!“ Ich sprang auf und setzte mich auf die Armlehne. Dann schlang ich den Arm um seine Schultern und legte den Kopf an seine Wange. So blieben wir eine kleine Weile.

Dann entzog er sich sanft meiner Umarmung und griff nach seinem Weinglas. Er nahm einen großen Schluck und atmete tief ein und aus.

„Das ist das Buch deiner Mutter!“ Seine Stimme klang nun fest und bestimmt.

„Aber meine Mutter ist tot! Abgestürzt und verschollen in den Anden. Hast du das schon vergessen?“

„Deine Mutter lebt!“

Ich spürte, wie eine heiße Welle meinen Körper erfasste. Mein Herz raste und mir wurde schwarz vor Augen.

„Alex, Süße, wach auf. Komm schon.“

Ich spürte sanfte Schläge auf meinen Wangen und schlug die Augen auf. Ich lag auf dem Boden, Konrad kniete neben mir und hielt meine Hand.

„Geht’s wieder?“, fragte er und schaute mich besorgt an.

Ich nickte schwach.

„Was ist denn passiert?“ Doch ich hatte die Frage kaum ausgesprochen, da wusste ich es wieder.

„Du wirst schon wieder ganz weiß im Gesicht. Bleib liegen. Ich hole dir ein Glas Wasser.“ Konrad stand auf und eilte in die Küche.

Das kalte Wasser tat gut und langsam erholte sich mein Kreislauf. Vorsichtig setzte ich mich auf und lehnte mich an den Sessel. Ich trank noch einen Schluck und tat einen tiefen Atemzug.

„Meine Mutter lebt? Woher willst du das wissen?“

Konrad fuhr sich mit den Händen durch die Haare und brachte sie damit in Unordnung.

„Ich habe sie gesehen.“

„Wie gesehen? Wo gesehen?“ Meine Stimme war zwar noch schwach, aber sie gehorchte mir wieder. Ich stand langsam auf und wankte zum Sofa.

„Als dein Vater damals ohne deine Mutter aus Peru zurückkam, war das ein großer Schock für mich. Ich konnte einfach nicht glauben, dass sie tot sein sollte Dann hatte ich zwei Jahre lang beinahe jede Nacht die Träume.“

Er schüttelte den Kopf und trank einen Schluck Rotwein. „Es war einfach unheimlich.“

„Was für Träume?“, bohrte ich nach.

„Es waren immer dieselben. Ich war in Peru und sie kam mir entgegen, doch sie erkannte mich nicht. Mit leeren Augen sah sie durch mich hindurch. Diese Träume belasteten mich damals sehr.“

Konrad stand auf und begann, im Zimmer auf und abzulaufen. Mit meinem Blick versuchte ich, ihm zu folgen, doch ich spürte, wie mir dabei schwindelig wurde.

„Konrad, bitte setz dich wieder hin und erzähle weiter.“ Mittlerweile hatte sich mein Zustand wieder stabilisiert. Der Rotwein, den ich in kleinen Schlucken trank, tat langsam seine Wirkung. Die Anspannung ließ nach.

„Ich kaufte mir damals, also ungefähr vier Jahre nach ihrem Verschwinden, ein Flugticket und flog nach Lima. Ich hatte keine Ahnung, was ich dort wollte. Ich glaube, ich wollte ihr einfach irgendwie nahe sein. Das klingt natürlich verrückt, denn auch wenn sie noch gelebt hätte, hätte sie überall in Peru sein können, aber außer Lima fiel mir einfach nichts ein.“ Er schluckte und versuchte krampfhaft, die neuen Tränen zurückzuhalten.

„Es war Februar, also Sommer in Peru und es war unerträglich heiß. Ich war am Abend zuvor in Lima angekommen und wollte mir die Stadt anschauen. Ich schlenderte durch die Altstadt und trank einen Kaffee auf der Plaza San Martin.“

Wieder stand Konrad auf und stellte sich hinter seinen Sessel. Die Hände lagen verkrampft auf der Lehne.

„Und dann?“

„Ich spürte sie schon den ganzen Morgen. Ich kann es dir nicht erklären, aber ich spürte ihre Präsenz hier drinnen.“ Er hielt sich die Hand auf den Solarplexus. „Ein ganz tiefes Gefühl“, murmelte er leise.

Ich beugte mich ein wenig vor, um ihn besser verstehen zu können.

Leise sprach er weiter.

„Und dann sah ich sie. Isabella rief ich. Isabella. Doch sie reagierte nicht. Lief an der Seite ihrer Begleiterin einfach weiter. Ich legte hastig den Geldbetrag für den Kaffee auf den Tisch und rannte ihr hinterher. Eine Straße weiter hatte ich sie eingeholt. Ich überholte sie und blieb vor ihr stehen. Isabella, rief ich wieder. Erkennst du mich denn nicht? Deinen alten Freund Konrad? Und wie in meinem Traum starrte sie mich nur an. Nicht erkennend und nicht verstehend. Ich wollte nach ihrer Hand greifen, doch ihre Begleiterin schob mich weg und gestikulierte drohend. Die ersten Passanten blieben stehen, um die Frauen gegen mich zu verteidigen.

Dann gingen sie weiter, bogen in eine andere Straße ein und waren kurz darauf verschwunden.

Wie in meinem Traum. Wie in meinem Traum.“

Erschöpft hielt er inne. Seine Anspannung verschwand und er ließ sich in den Sessel fallen. Mit einem Mal ein müder, alter Mann.

„Aber wieso? Ich verstehe es nicht! Wie kann sie am Leben sein? Wenn sie leben würde, dann wäre sie doch sicher hierher, zu mir, zurückgekommen. Ich verstehe es nicht. Vielleicht hast du dich ja getäuscht. Genau. Du hast sie verwechselt!“

Das war die Lösung. Eine Frau, die ihr ähnlich sah und jetzt eine Autorin, die Lebensumstände beschrieb, die denen meiner Mutter ähnelten.

Zufälle, nichts als dumme Zufälle! Das Leben konnte manchmal grausam sein und Hoffnungen erwecken, die sich nicht erfüllen konnten.

Ich wartete auf die Erleichterung, die mich nun erfassen würde, aber sie stellte sich nicht ein.

„Nein Alex, ich habe mich nicht getäuscht. Sie war es hundertprozentig. Ich hätte sie überall auf der Welt wiedererkannt!“

„Du hast sie geliebt!?“

Konrad nickte. „Ich habe sie schon immer geliebt und ich liebe sie noch“, flüsterte er und blickte über mich hinweg. Für einen Moment verlor er sich.

„Aber, was ist denn damals geschehen?“, fragte ich ihn und holte ihn in unsere Gemeinsamkeit zurück.

„Ich weiß es nicht. Aber da sie den Unfall überlebt hat, konnte natürlich keine Leiche gefunden werden.“

„Aber warum hat sie dich dann nicht erkannt? Oder wollte sie dich nicht erkennen?“

„Alex, ich weiß es nicht. Ich habe mich das die ganzen Jahre hindurch gefragt. Ich habe bis heute keine Antwort darauf gefunden.“ Er schüttelte resigniert den Kopf.

„Hast du es Vater erzählt?“

Sein Nein peitschte wie ein Schuss durch den Raum. Erstaunt schaute ich ihn an. Was ist los, fragte ich mich.

„Konrad?“

„Nein, ich wollte ihn nicht damit belasten, ihm vielleicht Hoffnungen machen, die sich nicht erfüllen.“ Seine Stimme war wieder ruhig.

„Was soll ich machen?“ Mir war nicht klar, was er jetzt von mir erwartete.

„Lies das Buch zu Ende. Am Montag sprechen wir darüber. Und versprich mir, dass du mit niemandem darüber redest. Versprochen?“

„Ja, versprochen“, antwortete ich, ein wenig erstaunt über die Dringlichkeit seiner Bitte.

Konrad erhob sich mit einem Blick auf seine Armbanduhr.

„Ich muss jetzt heim. Ich bin sehr müde.“

Ich nickte. Man sah ihm seine Erschöpfung und Erschütterung an.

Ich begleitete ihn zur Tür.

Kurz darauf stand ich allein im Flur. Ich fröstelte und plötzlich erfasste mich eine riesige Welle der Einsamkeit. Mein Herz tat mir so weh, dass ich dachte, es bliebe stehen.

Die große Trauer, die ich als Kind erlebt hatte, kam wieder an die Oberfläche. Meine Knie wurden weich wie Pudding und so ließ ich mich an der Wand zu Boden gleiten.

Die Jahre meiner Kindheit zogen an mir vorbei wie in einem Film. Unsere gemeinsame, glückliche Zeit, der Abschied, als sie nach Peru flogen, ihr Tod, meine Einsamkeit, die Abschiebung ins Internat und mein starkes Heimweh nach ihr.

Die Tränen flossen wie Sturzbäche über meine Wangen und hinterließen nasse, dunkle Flecken auf meinem Pullover.

Irgendwann klingelte das Telefon, doch ich wollte mit niemandem reden. Als ich das penetrante Geräusch nicht mehr ignorieren konnte, hangelte ich mich mühsam am Schrank nach oben. Müde, unendlich erschöpft wankte ich zum Telefon.

„Alex, geht’s dir gut?“ Konrads Stimme tönte besorgt.

„Ja, es geht so einigermaßen“, beruhigte ich ihn und versuchte, meiner Stimme Gehalt zu geben.

„Ich habe dich einfach alleingelassen. Hätte ich bleiben sollen?“

„Nein Konrad. Es ist alles in Ordnung. Ich gehe jetzt ins Bett.“

„Dann telefonieren wir morgen?“

„Ja, wir telefonieren morgen. Gute Nacht, Konrad.“

Ich legte auf, bevor er noch etwas erwidern konnte. Ich wollte jetzt nicht mehr sprechen.

Und die Tage lächeln wieder

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