Читать книгу Und die Tage lächeln wieder - Susanne Zeitz - Страница 18
Kapitel 13
ОглавлениеIch hatte mich nach diesem Wochenende in der Kanzlei krankgemeldet. Ich war tief in meiner Seele erschüttert, hatte zudem keinen Appetit und litt unter Schlafstörungen. Ich brauchte Zeit für mich, wollte in aller Ruhe über alles nachdenken und mich mit meinen Reiseplänen vertraut machen.
Ich hatte meinen Vater mit meiner Krankmeldung verärgert und das ließ er mich am Telefon auch deutlich spüren. Eigentlich hätte ein richtiger Vater sich um seine Tochter Sorgen gemacht, hätte sie besucht, sich um sie gekümmert, aber er hatte nicht einmal nach meinem Befinden gefragt und mir auch keine gute Besserung gewünscht.
Ob der Satz in dem bewussten Roman tatsächlich der Wahrheit entsprach? Er würde so einiges erklären.
Für ihn war ich immer nur eine Arbeitskraft.
Als ich nach zwei Wochen wieder in der Kanzlei erschien, empfing er mich entsprechend distanziert und frostig.
Ich hatte mich nun endgültig für die Reise entschieden, hatte mit Konrads Hilfe das kleine Stadthotel in der Nähe der Plaza Mayor herausgesucht, ein Zimmer reserviert und einen Flug für den zweiten Februar gebucht.
Ich trinke einen Schluck Kaffee. Obwohl ich mich mit der Situation im Moment nicht auseinandersetzen möchte, drängt sie sich in meine Gedanken und ich spüre auch hier, ein paar tausend Kilometer entfernt, seine Kälte und Distanz. Es tut mir immer noch sehr weh.
Es war an einem kalten, regnerischen Morgen im November. Ich betrat sein Büro.
„Guten Morgen, Vater“, begrüßte ich ihn und versuchte mit einem Lächeln seine Kälte zu erwärmen.
„Alexandra, was gibt’s? Hast du die Unterlagen schon bearbeitet?“ Er musterte mich kühl.
Ich nickte und schluckte den Kloß hinunter, der sich in meinem Hals gebildet hatte, der sich eigentlich immer bildet, wenn ich mit ihm spreche.
Ich räusperte mich und versuchte, meine Angst zu ignorieren.
„Ich habe eine Reise nach Peru gebucht und dafür werde ich im Februar Urlaub nehmen.“
Es war mein gutes Recht, meine freien Tage nun endlich einmal einzufordern, denn ich hatte im Laufe der Jahre an die dreihundert Überstunden angehäuft.
„Du fährst wohin?“ Er stand auf, kam um den Schreibtisch herum und baute sich in voller Größe vor mir auf.
„Wohin fährst du?“, wiederholte er seine Frage und ein drohender Unterton lag in seiner Stimme.
Mein Vater besitzt mehrere Gesichter, die er je nach Anlass aufsetzen kann. Vor allem bei Gericht macht er davon rücksichtslos Gebrauch. Er kann seine Gegner mit sanftem Blick und Tonfall einlullen und manipulieren oder mit seiner Größe und durch eine laute, harte Stimme so einschüchtern, dass sie plötzlich zu kleinen, verängstigten Mäuschen werden.
Schmeichelnd, scheinbar verstehend, dann wieder zynisch oder ironisch. Er zieht das gesamte Register, um sich einen Vorteil zu verschaffen.
Als Kind hatte ich Angst vor ihm und auch heute noch gelingt es ihm, dass ich weiche Knie bekomme.
„Ich habe eine Rundreise nach Peru gebucht. Im Februar geht’s los.“ Ich streckte mich, um ein bisschen größer zu wirken, im Gegensatz zu ihm allerdings ein Witz. Wie eine Maus vor einer Katze.
„Du bist ja von allen guten Geistern verlassen! Was willst du denn in Peru? Und im Februar kommt schon gar nicht in Frage. Du weißt doch, dass wir ab Januar diesen großen Prozess führen. Da kannst du die Kanzlei nicht verlassen. Kommt nicht in Frage!“, polterte er.
„Tut mir leid, aber ich habe schon gebucht.“
Dieses Mal würde ich nicht klein beigeben. Mein Plan stand fest. Ich würde meine Mutter suchen, mit ihr sprechen und sie würde mir alles erklären. Davon sagte ich ihm natürlich nichts.
Er näherte sich mir. „Wenn du das machst, dann brauchst du morgen gar nicht mehr wiederzukommen, dann bist du fristlos gekündigt.
Ich blickte ihn entgeistert an. Erwidern konnte ich im ersten Moment nichts, denn ich war sprachlos.
War das tatsächlich mein Vater, der mich gerade aus der Kanzlei warf? Verstand man das unter einer liebevollen Vater-Tochter-Beziehung? Aber hatten wir überhaupt je eine schöne, vertraute Beziehung gehabt?
„Das ist jetzt nicht dein Ernst“, brachte ich schließlich hervor. Eine Hitzewallung durchzog meinen Körper. Ärger und Trotz erwachten in mir.
„Das ist mein voller Ernst. Du kannst gleich deine Sachen packen. Aber vielleicht überlegst du es dir ja noch einmal.“ Seine Stimme hätte Papier durchschneiden können. Er ging langsam wieder um seinen Schreibtisch herum und setzte sich.
Ich sah ihn an, als sähe ich ihn das erste Mal. Sein hartes, kantiges Gesicht mit den kalten Augen.
„Gibt es noch was?“
„Nein. Ich bleibe dabei!“
„Dann ist ja alles gesagt.“ Er wandte den Blick von mir ab und widmete sich wieder seinen Unterlagen.
Ich war für ihn nicht mehr vorhanden. Das kannte ich von früher. Wenn ich irgendetwas angestellt hatte, dann strafte er mich mit Missachtung, manchmal tagelang.
Ich verließ fluchtartig sein Büro und widerstand dabei der Versuchung, die Tür mit voller Wucht hinter mir zuzuschlagen. Aber diesen Triumph wollte ich ihm nicht gönnen.
Im Vorzimmer traf ich Angelika, meine Kollegin. Sie war gerade dabei, Kaffee zu kochen und die Blumen auf der Fensterbank zu gießen.
„Guten Morgen Alex. Schön, dass du wieder da bist.“ Sie schenkte mir ein Lächeln, dass sich über ihr gesamtes rundes Gesicht ausbreitete. Wenigstens eine, die sich freute, mich wiederzusehen.
Ich lächelte zurück, doch es schien bei ihr nicht anzukommen, denn sie sah mich erstaunt an.
„Ist etwas nicht in Ordnung?“
„Ich bin soeben von meinem eigenen Vater gekündigt worden.“
Angelika sah mich an. Ich merkte, dass sie das eben Gehörte noch nicht richtig einordnen konnte.
Es dauerte mehrere Minuten, bis sie mir antwortete.
„Für mich tut es mir leid, denn ich verliere eine liebe Kollegin, aber für dich ist es eine Chance.“
„Wie meinst du das?“
„Sie haben dich hier doch nur ausgenützt. Du bist keine Assistentin, sondern Juristin wie alle anderen auch. Es wird langsam Zeit, dass du dich in deinem Beruf beweisen kannst.“ Sie unterstrich das Gesagte mit energischen Gesten.
Ich blickte sie erstaunt an. Von dieser Seite hatte ich das Ganze noch nie betrachtet.
„Du hast vielleicht recht. Und weißt du was? Ich werde jetzt erst einmal meine freie Zeit genießen und im Februar nach Peru reisen. Um alles andere werde ich mich kümmern, wenn ich wieder zurück bin.“
Ich spürte, wie sich in mir eine Leichtigkeit ausbreitete, die ich noch gar nie erlebt hatte. Ich war frei.
Ich nahm Angelika fest in die Arme. Meine liebe Kollegin und Freundin.
„Du gehst nach Peru? Hat er dich deswegen gefeuert?“, fragte sie nun mit einem leichten Schaudern in der Stimme.
„Ja, ich fliege nach Peru.“
„Warum ausgerechnet nach Peru?“
„Ich möchte dir den Grund für die Reise nicht hier erzählen. Lass uns heute Abend zum Italiener gehen, dort können wir ungestört miteinander reden“, schlug ich vor.
Sie nickte und stimmte begeistert zu.
Ich packte meine Siebensachen zusammen und verstaute sie in einer Plastiktüte. Mein ganzes Berufsleben passte in eine Plastiktüte. Ich schüttelte den Kopf. Vielleicht hätte ich diesen Schritt schon viel früher wagen sollen.
Ich staunte, mit welcher Leichtigkeit ich das Büro und das Gebäude verließ. Kein Bedauern und keinen Blick zurück.
Als ich auf der Straße stand, entschied ich, noch einen kurzen Abstecher bei Konrad in der Buchhandlung zu machen. Ich ging zu Fuß. Der Regen hatte aufgehört und eine kalte Feuchtigkeit lag in der Luft. Doch irgendwie spürte ich sie nicht. Mir war innerlich warm und ich fühlte mich wie getragen. Fühlte sich so die Freiheit an?
Zehn Minuten später betrat ich den Laden. Kein Kunde da. Konrad saß in seinem kleinen Büro am Schreibtisch.
Er blickte erstaunt hoch. „Du? Jetzt? Müsstest du nicht in der Kanzlei sein?“
Ich schüttelte den Kopf. „Vater hat mich eben rausgeschmissen.“
Konrad nickte bedächtig mit dem Kopf. „Das habe ich mir fast gedacht. Aber du hast ihm doch nichts von der Peru Reise erzählt, oder?“
Ich blickte ihn beschämt an. „Doch“, gab ich leise zu, „irgendetwas hat mich geritten. Ich hab von einer Rundreise gesprochen, natürlich nicht von dem Buch.“
„Dann musst du dich auch nicht wundern. Aber du weißt ja, wie ich über diesen Job denke.“
„Ja, ich weiß. Hast du noch einen Kaffee für mich?“
„Da in der Kanne. Was willst du jetzt tun?“
Ich schenkte mir eine Tasse Kaffee ein und trank genüsslich einen großen Schluck. „Herrlich! Ich kenne wenige Menschen, die so guten Kaffee machen!“
In Konrads Leben haben die modernen Kaffeemaschinen keinen Einzug gehalten. Er brüht ihn mit Filter und Papier von Hand auf. Manchmal mischt er eine Prise Kardamom, manchmal ein wenig Zimt hinein. Man spürt die Liebe, mit der er den Kaffee zubereitet.
„Ich werde die freie Zeit ausgiebig nutzen, werde Dinge tun, die ich schon immer machen wollte und mich auf die Reise vorbereiten.“
Konrad erwiderte zunächst nichts. Er sah aus, als denke er über etwas nach. Dann sah er mich an.
„Ich könnte eine Vertretung im Laden gebrauchen. Natürlich gegen Bezahlung.“
Erstaunt blickte ich ihn an. „Möchtest du verreisen?“
„Ja, das ist mir gerade in den Sinn gekommen. Wenn du den Laden übernehmen würdest, dann könnte ich für drei Wochen nach Gran Canaria fliegen. Das Meer, die milden Temperaturen. Das würde mir guttun“, gab er leise zu.
„Dich hat die Sache mit Mutter ganz schön mitgenommen, nicht wahr?“ Ich strich ihm sanft über den Arm. Er nickte.
„Das geht in Ordnung. Ich arbeite gerne hier, das weißt du ja. Du kannst buchen, wann immer du willst.“
Ich lümmelte mich in den Sessel, streckte beide Beine aus und trank genüsslich das heiße, dunkle Gebräu. Eigentlich würde ich mich rundherum gut fühlen, wenn nicht der Streit mit meinem Vater wie eine dunkle Wolke über mir schweben würde.
Mir war nicht klar, wie wir in Zukunft miteinander verkehren würden. Schließlich waren wir nicht nur Chef und Angestellte, sondern auch Vater und Tochter und das sollte doch an erster Stelle stehen! Oder etwa nicht? Komisch, alles an der Beziehung zu meinem Vater war irgendwie nicht greifbar, nicht nachvollziehbar.
Momentan würde ich die Situation nicht ändern können, das war mir klar. Aber wir würden sicher einen Weg finden.
Mein Handy klingelte. Clemens.
„Was habe ich da gehört? Du hast eine Rundreise gebucht und lässt uns im Februar im Stich? Und zu mir hast du keinen Ton davon gesagt!“ Seine Stimme klang ärgerlich und verletzt. Er tat mir leid. Ich hatte mich ihm gegenüber wirklich nicht fair verhalten.
„Wir könnten uns in deiner Mittagspause im Artbistro treffen. Dann erkläre ich dir alles.“
„Ja, da bin ich auch schon sehr gespannt“, schallte seine laute Stimme durch den Hörer.
„Clemens?“, fragte Konrad mit einem mitleidigen Ausdruck in den Augen. Ich nickte. Mir war mit einem Mal flau im Magen. Mein Leben begann sich gerade aufzulösen.