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Kapitel 11

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Seit diesem bewussten Samstag hat Konrad mir gegenüber ein schlechtes Gewissen. Er hat das Gefühl, mich mit den Enthüllungen alleingelassen zu haben.

Nach unserem Telefonat schleppte ich mich ins Bett. Ich war körperlich und vor allem seelisch total erschöpft. Doch an Schlaf war nicht zu denken. Meine Gedanken drehten sich wie in einem Karussell.

Meine Mutter lebte und hatte sich nie bei mir gemeldet. Sie hatte mich abgeschrieben. Wahrscheinlich hatte sie mich nie geliebt. Oder doch? Aber was war dann passiert? Mir fielen wieder die ersten Sätze ein, die sie in ihrem Buch geschrieben hatte. „Kann auch das Opfer zum Täter werden? Habe auch ich mich schuldig gemacht?“

Was meinte sie damit? Ich kam auf keine Antwort. Gegen Morgen fiel ich in einen unruhigen Schlaf.

Das Klingeln des Telefons weckte mich. Ärgerlich presste ich mein Kissen auf den Kopf. Ich wollte jetzt mit niemandem sprechen.

Als ich wieder aufwachte, war es bereits später Vormittag. In meinem Kopf tobte ein dumpfer Schmerz. Ich schleppte mich in die Küche, ließ mir einen Kaffee aus der Maschine und setzte mich auf die Küchenbank.

Ich war verwirrt, kam mir vor wie zerpflückt. Meine Welt war einen großen Schritt von mir weggerückt. Wohin? Überhaupt, was sollte ich jetzt mit diesem Wissen anfangen? Meine Mutter lebte also und nun?

Das Telefon klingelte abermals. Ich stand langsam auf. Wie eine alte Frau, kam es mir in den Sinn. Vielleicht war ich über Nacht gealtert? Auf dem Weg zum Telefon riskierte ich einen Blick in den Flurspiegel. Mein Ich schaute mir aus ängstlichen, dunkel umschatteten Augen entgegen. Das Gesicht bleich und die Haare verstrubbelt. Kein aufbauender Anblick, doch wenigstens äußerlich nicht älter geworden.

„Konrad, guten Morgen.“

„Guten Morgen ist gut. Es ist bereits Mittag“, klang es durch den Hörer. „Wie geht’s dir? Hast du schlafen können?“, fragte er besorgt.

„Nicht so gut, nur wenig.“

„Möchtest du zu mir kommen oder lieber in dem Buch weiterlesen?“

„Nein, ich will nicht weiterlesen“, rief ich fast hysterisch ins Telefon.

„Musst du auch nicht. Willst du zu mir kommen?“

Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, das Haus zu verlassen und zu ihm zu fahren. Ich spürte, dass ich die Welt heute nicht ertragen würde.

„Nein, komm du zu mir. Das ist mir lieber“, entgegnete ich.

Zwei Stunden später saßen wir uns am Esstisch in der Küche gegenüber. Konrad hatte Pizza und Salat mitgebracht. Dazu tranken wir einen leichten Rotwein. Es war eine gute Idee von ihm, das Mittagessen mitzubringen, denn als er es auf den Tisch stellte, merkte ich erst, wie hungrig ich mittlerweile war.

„Was soll ich deiner Meinung nach jetzt tun?“ Ich legte meine Gabel auf die Seite und blickte Konrad an. Er sah ebenfalls mitgenommen aus. Viel Schlaf schien auch er nicht abbekommen zu haben.

„Das musst du selbst entscheiden“, meinte er weise.

„Haben wir denn überhaupt eine Adresse und einen Namen?“, fragte ich ihn.

„Sie hat unter einem Pseudonym veröffentlicht. Aber den Namen und die Adresse des Verlages habe ich herausgesucht. Sein Sitz ist in Lima.

„Die werden mir ihre Adresse und ihren Namen bestimmt nicht geben, dürfen sie gar nicht.“

Konrad nickte und sah mich an. „Wenn du sie finden möchtest, dann musst du nach Peru fliegen und direkt bei dem Verlag vorsprechen, ihnen erklären, wer du bist und so weiter.“

„Ich soll nach Lima fliegen?“, rief ich entgeistert aus.

„Wenn du sie wiederfinden möchtest, dann wird dir nichts anderes übrigbleiben.“

Wollte ich sie überhaupt wiedersehen? Ich wusste es nicht. Aber tief in meinem Inneren spürte ich, dass ich mit diesem neuen Wissen und seinen vielen Fragen, die es aufwarf, nicht würde leben können. Ich brauchte Antworten. Das war ich mir und meinem zukünftigen Leben schuldig.

Ich nickte zur Bestätigung kräftig mit dem Kopf.

„Ja, ich muss nach Lima. Ich brauche Antworten auf meine Fragen.“

Konrad schenkte mir ein scheues Lächeln.

„Ich bin stolz auf dich. Genau diese Reaktion habe ich von dir erwartet.“ Er streichelte mir sanft über das Haar.

Ich nahm seine Hand und hielt sie fest.

„Kommst du mit nach Lima?“, fragte ich hoffnungsvoll.

Er schüttelte den Kopf. „Diesen Weg musst du allein gehen.“

„Es gibt in dem Roman einen Satz, über den wir reden müssen.“

Er schüttelte verneinend den Kopf. „Nicht jetzt. Später, wenn du wieder zurück bist.“

Ich nickte. „Vielleicht ist es besser so.“

Er schenkte mir ein wehmütiges Lächeln.

„Und wenn du sie siehst, dann grüße sie von mir.“

Mir bildete sich ein Kloß im Hals. Jetzt bloß nicht wieder weinen! Das täte uns beiden nicht gut.

„Wann ist die beste Zeit in Peru?“, fragte ich und bog das Gespräch in eine pragmatische Richtung.

„Ich würde im Februar fliegen. Dann ist dort Sommer. Ich war auch im Sommer in Lima.

Als ich sie damals auf der Straße traf, trug sie ein hellblaues, geblümtes Sommerkleid und weiße Leinenschuhe.

Ich sehe sie noch so deutlich vor mir, als sei es gestern gewesen.“ Konrads Blick verlor sich ins Weite.

„Wie hat sie ausgesehen?“, fragte ich neugierig.

„Du hast Ähnlichkeit mit ihr. Ihr habt ungefähr dieselbe Größe und die gleiche zierliche Figur. Ihre Haare schimmerten immer in einem rötlichen Ton und sie trug sie meistens zu einem Zopf geflochten.

In Lima hatte sie allerdings eine Kurzhaarfrisur, wie du sie gerade trägst. Sie sah hübsch aus, doch auch irgendwie gezeichnet, älter, als sie an Jahren war. Sie stützte sich beim Gehen auf einen Stock. Vielleicht hatte sie durch den Unfall eine Verletzung am Bein davongetragen.“

Und die Tage lächeln wieder

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